
Sonntag, 25. August 2013
Entschuldigung. Ich war gerade 305 Minuten abgelenkt. Und muß nun erst einmal Luft holen. Und das Licht anmachen. Und die Türschlösser kontrollieren. Und dann meine Empörung eindämmen. Ich meine, das können die doch nicht machen!
Die BBC meine ich. Ich habe jetzt hier die DVD vor mir liegen mit allen fünf Folgen von The Fall. Es gibt ja viele neuere, sehr spannende Krimiserien. Ihr kennt die alle, seid Fans von den Skandinaviern und den US-Amerikanern und den Briten, berichtet von neuen Erzählformen, nie gesehenen Brutalitäten und großer Lebensechtheit. Aber in The Fall spielt Dana Scully Gillian Anderson. Gillian Anderson also spielt eine Polizeikommissarin in Belfast (BBC Northern Ireland hat produziert), die eine Sonderkommission leitet, nachdem klar wird, daß eine Handvoll Frauenmorde in der Stadt zusammenhängen. Ein Frauenmörder also. Und Dana Scull Gillian Anderson.
Ja, die Serie ist sehr brutal. Dabei gibt es nur wenig Blut zu sehen. Und keinerlei Mystery-Mumpitz. Die Spannung und der Grusel stammen eher aus der allgegegenwärtigen kalten Berechnung, der fast nüchternen Konsequenz, mit der die Taten vorbereitet und durchgeführt werden. Mit allem Ächzen und Gurgeln und Stöhnen. Töten als finstere, aber emotionslose Arbeit, nicht als Kunstform, wie es so oft im Film vorgeführt wird. Eine Kälte und Präzision, die aber auch auf Seiten der Polizei herrscht. Detective Super Intendent Stella Gibson (
Dana Scully Anderson) agiert fast emotionslos, ist in charge, führt ihr Team mit klaren, präzisen Anweisungen, versucht sich in den Täter zu versetzen, sammelt akribisch die wenigen Spuren, die es gibt. Die Atmosphäre ist geprägt von großer Tristesse. Keine pittoreske Morbidität wie in Sieben oder dem Schweigen der Lämmer. Über der Serie hängt die grau-braune Trostlosigkeit Belfasts, die latente und hier und da eruptive Aggression in den Reihenhaussiedlungen, die alltägliche Gewalt in Familien, das mickrige Sterben in Krankenhäusern, das Milieu aus Korruption, Prostitution und Drogen als Nebenstrang - und mittendrin ein Mörder, dessen Handeln in vielen geschickt gegeneinandergestellten Szenen parallel zur Ermittlungsarbeit der Polizei zu sehen ist.
Beklemmenderweise ist der Mörder derjenige in dieser deprimierenden Gemeinschaft, der Emotionen zeigt, zarte Gesten zuweilen, befremdend, es macht ihn nicht sympathisch, denn man weiß, wie selbstbezogen all seine angebliche Empathie im Alltagsleben ist. Doch die Beziehungen der anderen Figuren ist nicht anders durch Nutzen und Benutzen geprägt, auch bei Scully Gibson, die sich gleich zu Beginn einen Liebhaber nimmt, zur unsentimentalen Ablenkung und die dabei kühl, desinteressiert und unnahbar bleibt.
So aber auch die Polizisten mit ihren kriminellen "Nebengeschäften", ihren Verstrickungen in den politischen und religiösen Auseinandersetzungen in Nordirland. Ein vermintes Terrain für Verbrecher und Polizei, wenn sie durch regennasse, nächtliche Straßen schleichen, immer darauf bedacht, im richtigen Viertel zu sein. Glücklicherweise aber ist die Serie mit solchen Subtexten nicht überfrachtet, es sind Andeutungen, Stoff vielleicht für später. Sollte man das Atemanhalten während der fünf Folgen überleben. Oder sich aus dem Haus trauen. Oder überhaupt ins Haus.
So. Und jetzt kommt nämlich die BBC und lässt die Staffel mit einem Cliffhanger enden, der einen über Monate nicht ruhig schlafen lassen wird. Ich habe die fünfte Folge aus Versehen noch mal gestartet, weil ich dachte, ich hätte mich vertan. Aber nein, es ist der Clifffhanger. Da sitzt man dann mit halb ersticktem Schrei vor dem Bildschirm... aber nein, ist Ende jetzt. Erst im Januar 2014, das ist im nächsten Jahr, beginnen nicht etwa die neuen Ausstrahlungen, nein überhaupt erst die Dreharbeiten zu einer zweiten Staffel! Januar! Bis die fertig sind, ist es März. Dann Post-Produktion, nationales und internationales Marketing, dann ist schon Sommer und erstmal die Midem oder was weiß ich. Dann startet die erst im Herbst! Das können die nicht ernst meinen, können die? The Fall. Fünf Folgen. Nehmt euch gleich 305 Minuten Zeit.
>>> Trailer

Donnerstag, 22. August 2013
Aaaah, das ist jetzt wie früher als die meisten Blogger nur schwer angeheitert und bacardibefeuert ein paar Sätze in ihr Textfeld kloppten. Eigentlich haben wir das alle über die Jahre verlernt, was auch mit dem Trink- und Berauschungsverhalten zu tun hat, seit alle nur noch von Ingwer, Hanföl und frischen Salaten leben.
Ich war heute mal wieder in Hamburg engsten und dunkelstem Club, dagegen ist diese Stahlkang-Party aus der Markthalle nix. Junge Frauen am Eingang boten mir gleich flüssige Drogen an: Diazepam? flüsterten sie, und ich sage da längst nicht mehr nein. Wieviel ich brauchte? Ich nehme alles, sage ich jovial, und die Ärztin lacht und meint, geben sie dem mal 30. War so einer dieser Abende. Wo für Stammgäste alles aufs Haus geht.
Und ich muß sagen, 30 sind der Knaller. Dreiviertelstunde später wanke ich auf die Straße und habe das dringende Bedürfnis, auf die Köhlbrandbrücke zu schleichen, mich dort nackt auszuziehen, die Arme auszubreiten und "Ich bin der König der Welt!" zu rufen.
Ich war heute der letzte Patient am Abend, die haben noch Termine bis nach 21.00 Uhr. Die Stimmung ist dann schon angenehm gelöst, es werden Witze gemacht, die Assistentin sagt ihre Sprüche auf, Faust ballen, das wird jetzt kalt, das piekst jetzt, ich fahr sie auf dem Wagen rein und raus, hier ist die Notklingel..., und ich sage, das ist ja wie im Flugzeug hier, beachten Sie bitte die Notausgänge, bei Druckabfall in der Kabine lösen sich die Sauerstoffmasken... Wir lachen als hätte ich einen Knallerwitz gemacht, ich summe still für mich Blondies alten Hit "I'm On E, I'm On E...", dann habe ich schon diese Lärmschutzkopfhörer auf und schwupps geht's in die Röhre.
Ich merke gleich, die Dosis ist aber wirklich reichlich, ich hatte die Dame beim Tropfenzählen aber auch ein wenig abgelenkt, ein koketter Spruch hier, eine launige Bemerkung da. Ich bin ein alter Mann, mir nimmt man das nicht mehr übel. Den Rest hat sie einfach gekippt. Glaube ich. Durch die Kopfhörer Schredder und Schrotter, schön rhythmisch bisweilen, man möchte Headbangen, aber die wollen ja in meinen Kopf gucken, die kleinen bösen Dinger zählen und schwärmen von meinem riesigen Empathiezentrum.
Dengdengdeng, dieser Maschinensound ist wirklich amtlich, man müßte so was mal leicht auf die Bühne bringen, denke ich beschwingt und zugleich, meine Fresse, die haben mir da heute aber echt was eingeflößt. Viel zu schnell ist alles vorbei, CD ist auch schon fertig, kaum habe ich mich notdürftig wieder angekleidet. Oder waren das andere Hände? Leider sind nur Bilder drauf, kein Sound, wegen der GEMA sicher wieder, das muß ich monieren. Wacklige Knie, das Gefühl, ihr könnt mich alle mal schön und auch kreuzweise und lustig ist das auch und ich will unbedingt jeden Morgen vom Arbeitgeber einen kleinen Löffel. Zur Verbesserung des Betriebsklimas. Morgen sage ich dem Chef die Meinung, aber so was von. Ich gehe jetzt Bett. Mir doch egal.

Montag, 19. August 2013
Jewish Care - Pearls of Wisdom
Montag. Der Tag in der Woche, an dem man über die Woche nachdenkt. Manchmal schon über die nächste Woche. Oder sogar über den großen Rest. Ich für meinen Teil kann mit den Worten der berühmten Rheinländer sagen, ich kenne das Leben, ich bin bei Vimeo gewesen. Die meisten werden es ebenfalls bereits kennen, der Film ist schon zwei Jahre alt. Ab und an aber darf man sich ruhig daran erinnern lassen, wenn man den eigenen Eltern schon nicht zuhören will. Also Achtung, kurz mal die Longboards anhalten: Diese älteren Damen und Herren haben wichtige Botschaften zu überbringen.

Samstag, 17. August 2013
Heute morgen den Kaffee aus der frisch aufgeschnittenen Verpackung nicht in die Vorratsdose, sondern beherzt und ausdauernd wie man es sonst nur in der Liebe halten sollte gleich in die Kanne. Alles rein. Na, halb. Das wäre ein Kaffee geworden, mit dem ich die zusammengekrümmten und irgendwie sehr trockenen großen Spinnen, die seit Tagen in kleinen Trupps in meine Zimmer spazieren, bald aber, der Hunger! der Hunger! tot auf dem Boden liegen, warte Wanderer, bald folgst auch du, zum Leben hätte erwecken können. So habe ich bloß blanke Drähte hineingesteckt, die Spinnen also, und muß auf das nächste Gewitter warten.
Heute wird folgen ein letztes Aufbäumen der Sonnenseuche, eine gute Gelegenheit, die Vorhänge zu schließen, sich ins dunkle Zimmer zu sperren, die dick gewebten Spinnennetze zu zerreißen und von Triers Melancholia zu schauen. Oder aber ohne weitere ultraviolette Gefährdung die Bilder anderer Leute zu betrachten, das Reisen aus zweiter Hand, wie Andrea Diener neulich in der FAZ beklagte.
Gestern, vom abendlichen Fenster gegenüber der Jagdschlößer an den Kanälen Hamburgs aus geworfen, einen Blick auf die Läden der Stadt Paris (das ist in Frankreich). So ist das dort in tout la cité, ungelogen, das macht die Stadt ja so attraktiv für Reisende. Hier gibt es mehr, mehr, mehr Reiseimpressionen aus diesem sehr hübschen Blog der Künstlerin Lisa Congdon.
Über den Reiseinformationsdienst Flickr, dessen neues Layout eine Katastrophe ist, kann man Lichtbilder zwischen hübsch und Kitsch aus der großen, buntdurchwürfelten Stadt Konstan Istanbul (das ist in der Türkei) bestaunen. Die Etappe, Paris - Istanbul nämlich, wäre eine schöne Reise mit dem Art-déco-verzierten Blogger-Express, wobei auf der Fahrt ein belgischer (nicht etwa Frankreich!) Detektiv mit Monokel ein paar grundsätzliche Dinge über die mitreisende Bagage aufklären könnte.
Weiter mit Kitsch: Ich habe ja kein Händchen für Urlaubsfahrten und lade lieber in den eigenen Hinterhof. Ich selbst bleibe schüchtern im kühlen Treppenhaus, sollen andere herumtollen, meinetwegen Dinge machen und Kastanien essen oder Wein trinken oder Musik dazu hören - diese Frivolitäten muß man der Jugend überlassen.
Ich bleibe im Boudoir, oder besser im (Achtung, Kinder jetzt mal weggucken) Boudoir Boudoir, einem meiner Lieblings-Tumblr-Blogs mit gegen den Strich kuratierter Entblößungsfotografie im weiteren Sinn und einem elastischem Begriff von Körperlichkeit und deren Präsenz in Raum, Betrachtung und Bewertung. Nicht alles ist im herkömmlichen Sinne "schön", aber dann eben doch. Ich selbst ziehe mich ja nicht aus, mir fehlt der Vergleich.
Ärger auf der Arbeitsstelle. Ich stellte aber in vorgesetzte Richtung gewandt fest, ihr, so sagte ich, ihr müßt hier durch. Ich, also ich kann immerhin noch Malerfürst werden. Zum Beispiel mit Entblößungskunst. Da wußte er dann auch nichts mehr zu sagen.

Montag, 12. August 2013
So mancher hat sich sicher schon mal gefragt, wie Männer eigentlich ihre Rennräder warten. Nun, das ist ganz einfach. Sie lassen es sich von Frauen erklären: Bitchy Tutorial No 1, No 2 und No3. Ach ja, diese Lehrvideos sind nur für die Werkstatt, nicht aber sicher für die Arbeit.
Was Radfahrer ja auch immer wieder bewegt: Was ziehe ich bloß an? Ich kann doch nicht nackt fahren! Selbstverständlich nicht, Radfahren ist schließlich eine tiefergehende Angelegenheit. Ich finde daher diesen Look ("senza pelle", wie der Italiener sagt) ganz gut. Mehr als hauteng und sicher ein Hingucker für die Arbeit.
Am Wochenende, nach einem entspannten Radausflug im Regen die Fotoarbeiten von Rebecca Cairn entdeckt. Die erinnern stark an die großartige Francesca Woodman und sind am besten auf der an sich katastrophal gestalteten neuen Flickr-Seite zu sehen: Klick.
Wo wir aber schon mal da sind, auf dieser katastrophalen neuen Flickr-Seite. Wenn das mal nicht eine bekannte Bloggerin ist. Entnommen ist das Bild aus der wunderbaren Sammlung Peculiar Snapshot, in der man verblüffende, lustige und immer wieder obskure Vintage-Bilder finden kann. Menschen und Tiere wie du und ich, aus einer Zeit als unsere Eltern noch Humor hatten an Smartphone-Trashfotografie noch nicht zu denken war, weshalb man diese Bilder mit herkömmlichen Kameras und im vollen Ernst machte.
Zum Schluß mal was zum Thema Radfahren. Urban Velo ist ein Magazin aus den USA im aufgepeppten Fanzine-Stil, nicht ausschließlich, aber insgesamt recht interessant und vor allem hier für umme als PDF verfügbar.

Montag, 5. August 2013
Abends lassen sich hier am Fenster vom Leuchtturm dickleibige Spinnen von der Dachtraufe herab. Weben in nullkommanix diagonal verankerte Netze aus, schaukeln in der Abendbrise. Warten.
Warten mußte ich am Sonntag nicht. Zeit fiel mir unverhofft in den Schoß, rasch also aufs Rad und diesmal ein paar andere Haken schlagen, die Hausstrecke kann ich ja schon im Schlaf. Pause am Segelflugplatz, kurze Rast auf der Rentnerbank, zusehen, wie die Gleiter hochgezogen werden, wie sich knapp vor dem Ende des Geländes der Haken des Zugseils löst, an einem kleinen Fallschirm zu Boden geht, während das Flugzeug, von der Leine befreit, durchsackt, sich fängt, die Thermik erwischt und losfliegt... wahrscheinlich ins Metaphernland. Dergestalt nämlich kann man herumdenken, Parallelen für sich und das weitere Leben suchen, denn überhaupt müssen bald mal ein paar Fragen gestellt und dann, leider, leider, auch beantwortet werden.
Vorher aber über die Deichstraße zurück, vorbei an den kleinen Bauernherrenhäusern, wo steinerne Löwen vor dem Eingang wachen oder antikisierte Säulen verdecken, daß es sich um eine umgebaute Scheune handelt. Weitere Schlenker durch die industrialisierte Zone, die Müllverbrennung brütet in der Sonne, das Ticken im Lager, das seit ein, zwei Wochen meine Fahrt begleitet, gibt den Takt, sonst nur Surren der Reifen.
Daheim dann die letzten Erdbeeren des Sommers, am Vortag erstanden und dabei einen entspannten Schnack mit dem Verkäufer in seinem kleinen Glantz-Häuschen gehalten. Wie auf dem Dorf, dabei war es der Supermarktplarkplatz in der Nähe vom Haus. Wir tun so als ob, also als ob es ein Dorf wäre, die Erdbeeren aber waren wirklich frisch. Ausruhen im Liegestuhl, Bücherblättern, die Pläne fürs neue Haus studieren. Das kann so schwer nicht sein, hier hat das einer aus Lego nachgebaut.
Es ist ja nun so: Mein, nennen wir es mal, Sammlungsgebäude könnte ähnlich den Mitmenschen, die für ihr Gewicht zu klein geraten sind, eine neue Außenhülle vertragen. Eine Zufluchtsstätte für die Letzten. Die letzten Bücher, die letzten Schallplatten, die letzten Erdbeeren des Sommers meinetwegen auch. Henry Chapman Mercer (1856 - 1930) hat mit seinem gemütlichen Haus (hier ein kurzer Film) vorgemacht, wie das aussehen könnte. Vielleicht, so mein versteckter Gedanke, braucht man gar kein Geld dafür. Das hat man ja nie. Weder mit 37 noch mit 73. Nur die Idee. Hausbau als Schattenboxen, bevor es Winter wird. Danach dann ungewöhnliche Berufe haben. Als Fliesengestalter leben. Oder Radieschenzähler.

Samstag, 3. August 2013
Der Sommer scheint zum Glück überstanden. Gestern ein letztes Aufbäumen, nun sinken die Temperaturen den bald folgenden welken Blättern gleich hinab. Juchhu! mag man rufen. Nun kommt sie, die schöne Zeit, der Schrecken, wie die meisten Schrecken, geht vorbei. Juchhu! rufe ich also den jungen Menschen auf der anderen Straßenseite zu, die auf dem Weg zum Freibad sind. Es ist ein Herbst in der Luft, zaghaft kämpft er an gegen letzte fiebrige Schwaden aus Einweggrills und Sonnenmilch. Er lauert aber da, unverkennbar, unverstellt und einem sanften, nachsichtigen Lächeln, weht mit milder Luft über strandsandige Haut. Juchu! also, ihr Toren. Zum Ende geht, was enden muß.
Gestern einen Anflug von Kraft dazu genutzt, der Ankunft der Herbstmode in den Geschäften zu applaudieren. Über dicke wollene Woolrich-Jacken zu streichen, über schwere dunkle Stoffe doppellagiger Mäntel, in Gedanken die guten Menschen einkleidend. So seht ihr dann aus in meinen schwelgenden Träumen und auf dem Weg zum Herbstpicknick.
>>> Geräusch des Tages: Warpaint, Stars
