Montag, 20. Mai 2013


Kleinigkeiten



Auf einem meiner T-Shirts steht "Ich leg die Servietten gerade hin". Also, sofern ich welche habe und nicht wieder wie so häufig auf Küchenkrepp ausweichen muß. Auch das muß man nicht achtlos auf den Tisch feuern, sondern kann dem, wie anderen Dingen auch, ein wenig Freude und Aufmerksamkeit schenken. Denn die Dinge schenken auch zurück. Ihr So-sein, ihre Dauerhaftigkeit (vorausgesetzt, es handelt sich um richtige Dinge und nicht um irgendeine Art von Plastiktinnef), Wärme und, ja, auch Humor. Humor ist sowieso das wichtigste. Oder Augenklimpern. Wenn die Dinge mal nicht so wollen.

Andere hält man einfach vorrätig. Servietten selbstverständlich. Für die Radfahrer beispielsweise halte ich diesen Rotwein vor, gekeltert am Ende einer aufreibenden Bergetappe aus dem blutigen Schweiß tapferer Helden. Den muß man durch die Blume atmen, worin sich sonst nur Worte verirren.

Oder verzerrte Basstöne. Dumpfes Grummeln für einen plötzlich schräggestellten Stimmungshorizont. Halte ich auch vorrätig. Wer weiß, was kommt. Die Telefonnummer meines Abgeordneten. Und frisches Brot.


 


Freitag, 17. Mai 2013


Fragt ruhig, es gibt Die Antwoord

Der Name geisterte ja schon ein zeitlang herum, ich aber hatte das Phänomen aus dem Augenwinkel heraus voreilig als eine bloß weitere lustige Schenkelklopfer-Gaudi aus dem Internet eingeschätzt. Ihr wißt schon, wo Menschen wie Ponys tanzen. Und als Herr Vert letztes Jahr in Sachen Die Antwoord ausführlicher wurde, war ich gerade nicht so in der Lage, diesen Dingen mental zu folgen.

Nun aber erfuhr ich vor wenigen Wochen erst, daß Fotograf Roger Ballen, über den ich hier einmal geschrieben habe und der zuletzt im April in Wien gezeigt wurde, mit Die Antwoord zusammenarbeitet. Sie haben zwei, drei Videos gedreht, die die quietschbunte Albinowelt des südafrikanischen White-Trash-Dubstep-HipHop-Paares mit den teils beklemmenden Studien Ballens über die weiße Unterschicht des ehemaligen Apartheid-Staates zusammenbringt: I Fink U Freeky. (But I like you a lot.)

Die stolze Umwertung dieser niveaufernen Bodensatzwelt einer vergessenen Schicht ist natürlich über den bloßen Schock-Moment hinaus ziemlich sophisticated. Der Afrikaans-Künstlerkosmos aus dem Platteland erinnert damit ein wenig an HGich.T, den kunstanarchischen Technorabauken aus dem norddeutschen Flachland. Betrachte ich das Zusammenspiel aus Musik und Stümmel-Sprach-Parolen, aber auch Film, Mode und Kunst, begreife ich erstmals, welche Faszination und Definitionskraft von dieser Uffta-uffta-Plastikkultur ausgeht. Wie sich eine verachtete Welt an sozialem Dünkel und Kultursnobismus vorbei unbekümmert zu einer Szene erhebt, neue Codes schafft und ein Selbstbewußtsein. Gefährlich ist und voll böser Selbstironie und Spielerei mit Trashkultur-Klischees: Baby's On Fire. Gegenkultur ist tot? He, pikierte Bio-Banausen, hier kommen die Kik-Kombatanten. Yo-Landi von Die Antwoord beschreibt den Zef-Stil so: "It's associated with people who soup their cars up and rock gold and shit. Zef is, you're poor but you're fancy. You're poor but you're sexy, you've got style." (Wikipedia)

Ein verblüffender Trip ist auch der Kurzfilm Umshini Wam ("which is a popular Zulu struggle song meaning 'bring me my machine gun'", Wikipedia) von Harmony Korine. Das ist der US-Regisseur, der den unverstellt schrägen Gummo machte, der Film mit dem kleinen Jungen mit den Hasenohren. Und noch ein paar andere, noch konsequentere Sachen. Oder zuletzt Spring Breakers. Ihr kennt den alle auch als Drehbuchautoren von Kids und Ken Park. Harmony Korine. Genau. Umshini Wam jedenfalls kommt mit dem Refrain "I'm old enough to bleed, I'm old enough to breed, old enough to crack a brick into your teeth while you sleep" daher, ein Schlummersong an den Lagerfeuern der Wohnsilo-Vorstädte. Ein aggressiv-komisches Inbred Fokfest.

Aber eben nicht ohne politisches Bewußtsein. Bei aller Provokation dezidiert anti-rassistisch, anti-homophob und abseits nickelbrillenhafter Gedanken- und Sprachkontrolle, anti-anti vielleicht, geht es Die Antwoord auch darum, Südafrika "auf die Karte zu bringen". (In einem Video heißt es: The History of South Africa is: 1. Nelson Mandela 2. District 9 3. Die Antwoord). Dazu paßt, sich rotzfrech über "kulturimperialistische" Konstrukte wie Lady Gaga, die Black Eyed Peas oder Kirsten Stewart lustig zu machen. This Is Why I'm Hot.

Gut, der Beitrag kommt ein gutes Jahr zu spät. Dauert manchmal lange, bis der Groschen fällt hier im platten Land.

Radau | von kid37 um 13:37h | 10 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 12. Mai 2013


Ohne Stützräder!



Dafür aber mit großem Steuerrad. Und die Blumen sind auch schon verblüht, mal auf mich warten gibt es auch nicht mehr. Alle in Eile, nur ich, ich mach mal schön langsam. Und nicht so weit. Für so eine Distanz holen die lieben Kollegen die Räder gar nicht erst aus dem Unterstand, und wenn ich erzähle, daß in der Mitte der Strecke noch ein hübsches Café mit einem hervorragendem Kuchen wartete, wird das Kopfschütteln kein Ende nehmen.

Ich aber dachte, wer in die große Stadt fahren kann, kann auch in Pedale treten, dazu hing ein hübsch herbstlicher Regen am Horizont, dem entgegenzueilen mir war wie das Verfolgen einer duftgetränkten Spur. Auf dem großen Gelände wurde ein Tor vergessen, gute Gelegenheit, ein wenig um die noch nicht erschlossenen Schuppen und Pumpenhäuschen zu wandern. Einfach mal nichts besonderes tun, wieder pointenlos die Sichtmarken abzählen, auf Veränderungen achten, die auf dem Sattel und die am Wegesrand.

Wie wäre es denn sonst? Sonst säße ich womöglich wie ein Rentner den lieben Tag daheim, mit einer Decke über den dünnen Knien oder keuchte auf einem Heimtrainer und schaute Darbietungen von Frau Dolly Parton an. Sie wäre ein großes Licht in meiner staubigen Stube. Ein klunkerbehängter, rosafarbener Schmetterling, der über noch unverblühte Wiesen tanzt. Überhaupt ist sie die einzige Blondine, die einen engen pinkfarbenen Hosenanzug tragen kann, ohne darin, wie soll man es ausdrücken, ihre Natürlichkeit zu verlieren. Ich säße also daheim und schaute diese Dolly-Parton-Clips, summte mit verstellter Stimme im Chor zu ihren schmeichelnden Cajolings und dächte an gleich zwei große Apfelkuchen.


 


Sonntag, 5. Mai 2013


Ich hab dir nie und so weiter



Hat mir mal eine so gesagt. Dann muß man sich den halt selber suchen, wer weiß, um was es sich dabei handelt. Rosengarten. Immerhin weiß ich jetzt, wo der überhaupt ist. Will ich vielleicht auch besser gar nicht wissen, was da vor sich geht und ob ich den haben wollte. Als Kind dachte ich, gemeint sei eine Art Dornenparadies und verstand den Satz eher so, daß man doch ganz froh sein müsse, keinen versprochen oder angedroht bekommen zu haben. Eigentlich.

Berlin. Ich hab das ja nie verstanden. Ich war ja nun schon ein, zwei Mal da, aber der S-Bahnfahrplan begegnet mir nach wie vor als ein großes Mysterium. Stationsnamen, die es säuberlich nach ~felde, ~berg oder ~straße zu trennen gilt, und nie führt eine Verbindung direkt von A nach B.

Wie die meisten Dinge im Leben unternehme ich auch S-Bahn-Fahrten nach einem gut strukturierten Gefühl, das heißt, meist kritzle ich mir das auf einen Zettel, Informationen deren Eckdaten sich vor Ort aber als unbrauchbar oder mehrdeutig herausstellen. Oder so spontan geändert, daß man mich wohl foppen will. "Man kann auch fragen", bedeutete mir eine dieser Frauen mit Köpfchen.

Immer schön zu sehen, wenn zwei Menschen heiraten, von denen man das (gleichfalls gut strukturierte) Gefühl hat, das paßt jetzt aber gut, da kann man seinen Segen geben und die Schwiegereltern gleich mit beglückwünschen. Oder sich selbst, findet man sich an einem hervorragenden Kuchenbüffet wieder mit netten Menschen aus unterschiedlichsten Meinungs- und Himmelsrichtungen, sogar welche aus Wien. Mein Jacket indes verwandelt sich im Laufe des Abends in eine Puderquaste. Schamlos nämlich drücke ich alle hübschen Frauen an mich und sammle dabei Make-up auf mir wie eine fleißige Biene Blütenpollen.

Letztes Jahr um diese Zeit mußte ich leider eine Hochzeit in Wien absagen. Es war aber zum Glück nicht meine. Ich betrachte das jetzt für mich als guten Anknüpfungspunkt, den alten Rhythmus wieder aufzunehmen. Ein nicht ganz verlorenes, erkenntnisreiches Jahr. Zeit auch, diese Komfortzone öfter zu verlassen. Es gibt Mittel und Wege und über den Rest schweigt man dann.

Abends dann noch ein wenig durch die frühwarmen Straßen gelaufen, an dieser Mischung aus verstaubten Nachkriegsschaufenstern und modernen Glitzerdisplays vorbei, ehe ich dann doch ein Taxi nehme. "Interessant", sagt der Fahrer, als er mich vor dem Hotel absetzt. "Das kannte ich noch gar nicht." Schön, wenn man immer wieder etwas Neues entdecken kann, Städte einem auch andere Gesichter zeigen.

Zuhause dann wieder Boote auf dem Kanal zählen, auch die brummen frischerwacht wie dicke, geschäftige Bienen rastlos an meinem Fenster vorbei. Die suchen wohl die Pointe.


 


Montag, 29. April 2013


Future Ex-Wives

Dieses Jahr wird sein wie eine mühsame Kutschfahrt aus einem Belá-Tarr-Film. Ein Unterfangen in Unbehagen, weitergeführtes Verharren in der Schlüssellochperspektive: Ich lasse mir vorführen und führe mich selber dabei vor. Schlag nach unter "Unbeholfenheit". Kommen wir lieber zu anderer Leute Auffälligkeiten. In Oddities, einer Doku-Soap rund um einen Trödelladen im East Village (das ist in New York, einer Stadt in den USA), ist Laura Flook eine regelmäßige Kundin. Die junge Dame ("She's spooky, but hot as hell", Youtube-Kommentar) arbeitet als Bestatterin, Model, Einbalsamiererin und Modedesignerin - kurz, in Berufen, die man als Frau halt so macht, wenn man nicht gerade mit Backen beschäftigt ist. Oder damit, ein Geschenk für die Freundin zu kaufen. Testikel im Glas, darauf muß man auch erst mal kommen.

Oddities verschenkt leider seine Möglichkeiten. Im hektischen Dauerquasselton zusammengeschnitten, unbeholfen gescriptet (Sieh an, ein Clown betritt unseren Laden. Hat sein Show-Köfferchen dabei, na, so ein Zufall... usw.) kapriziert sich die Sehen-Staunen-Stöhnen-Show auf be-ooohte und be-aaaahte Seltsamkeiten und Sammelsurien vorzugsweise aus dem Medizin- und Varieté-Bereich. Sich den Dingen wirklich zu widmen, fehlt hier vor lauter "Gosh! Look at this!" die Zeit. Schade, was könnte man rund um Harrys Hafenbasar für interessante Geschichten erzählen, moderiert vom weltgrößten Gnom (also ich) und einer dieser schwertätowierten Tresenfrauen aus der weiteren Umgebung. Dazwischen Neues vom häßlichen Walroß, als comic relief dazwischengeschaltet. Ganz schlimm bei Oddities die Folge mit Frau Dita von Teese, von Beruf Ausziehtänzerin. Es wird immer klarer, warum Herr Marylin Manson, von Beruf Schaubudenmusikant, die Ehe mit ihr aufkündigte. Oder verhielt es sich anders herum? Wie dem auch sei, das funktionierte nicht. Dafür habe ich einen Blick. Anders als bei Laura Flook und mir. Jetzt nur mal als Beispiel.

Super 8 | von kid37 um 13:37h | 13 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 22. April 2013


Merz/Bow, # 40



Wöchentliches Telefonat mit Väterchen Kid. 3:34h, drei Minuten zu früh aufgelegt also. Einseitig medizinische Bulletins ausgetauscht, dann handwerkliche Problemfelder besprochen: das Dreieck von Außenputz, Efeu, Fassadendämmung. Anschließend freies Fabulieren und Kramen in der Erinnerung. Er hat die Doku über Gunter Sachs gesehen, schwer angetan. Sie sind so im gleichen Alter, hätten ihre Geburtstage fast zusammenlegen können. Der habe gut gelebt, befindet sein Zeitgenosse. Kluger Kopf, aber auch mutiger Bobfahrer. Zeit für die Frankreich-Anekdote, Ende der 60er, St. Tropez, trés petite Fischerdorf, und diese Party auf der Jacht von Sachs und Bardot. Das klingt dann immer so ein bißchen wie eine Geschichte aus Burtons Big Fish, aber nach Jahren mißtrauischen Zuhörens weiß ich heute, daß die Geschichte wahr ist. Heute ist das nicht mehr möglich, beschließen wir. Die haben nun alle Security.

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In Hamburg sind Lesetage. Die Kuratorin der Atomstromlesung hat sich im Gesellschaftssystem vertan und Künstler und Verlage der Gegenveranstaltung per Mail "befragt". Ein Festival von und mit Autonomen, "Öko-Saftproduzenten" und TV-Promis sei es. Selbst haben die Atomstromlesetage wiederum mit Charlotte Sänger Andrea Sawatzki einen TV-Promi Autorin mit großem Namen aufgeboten. Man mag das bewerten wie man will. Wenig Bewertungsspielraum läßt die flankierende Maßnahme des Kuratorinnengatten zu. Der, laut Selbstauskunft ein Hamburger Journalist, der eine obskure "Feuilleton"-Seite im Netz betreibt, fühlte sich offenbar genötigt, im Rahmen von "Recherchen" Arbeitgeber von Initiatoren und Förderern zu "informieren". Ob die wüßten, was ihre Mitarbeiter in ihrer Freizeit für Unternehmungen machten. Na, Kultur natürlich. Und werbefrei.

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Die Taz spricht von "kultureller Einflußnahme", was harmlos klingt. Selbst der NDR nimmt sich des Themas an. Und Spon.

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Währenddessen tauchte wohl eine Delegation des Atomstromkonzerns bei der Direktorin der Hamburger Bücherhallen auf. Die unterstützen nämlich die Gegenlesung. Bloß ein normales Gespräch, hieß es. Nicht überliefert ist, ob mit leicht heiserer Stimme ein abgeschnittener Pferdekopf als Gastgeschenk überreicht wurde.

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Energiekonzerne, Autobauer, Erfrischungsgetränkehersteller. Sie alle suchen ihr Mäntelchen.

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Zwei neue Bilder. "Lady Bee" von Silky und als Premium-Content für Blogger, "Man with Pussy" von D.M. Bob. Man sollte mehr elegante Tiere um sich haben.

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Das muß so um die Zeit gewesen sein. Eine frühe Kindheitserinnerung, der Unfall damals in Schleswig-Holstein. Die nächtliche Rückfahrt im strömenden Regen, das Auto verbeult, die Achse, nun ja, dafür war ich zu klein. Wie ich wach wurde auf einem Rastplatz im Regen. Wie der Vater, nachdem die Scheinwerfer ausgefallen waren, die Sicherungen unter dem Armaturenbrett hervorgepuhlt hatte und mit wasserfeuchten Fingern mit Alufolie umwickelte. Damals habe er ja auch noch geraucht, sagt er. Da hatte man immer Silberpapier dabei.

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Heute ist das nicht mehr möglich, beschließen wir. Es gibt nun überall Security.

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Es gab kein Brot. Da mußte ich Kuchen essen.

MerzBow | von kid37 um 22:04h | 15 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 13. April 2013


Mono no aware



Am Ende fehlte ihm die Kraft. Am Ende konnte seine weiche, weiße Decke die unter ihr krauchenden Wucherungen nicht länger halten. Am Ende verloren auch die letzten mit ihm die Geduld, wünschten den Abschied herbei, begannen, selbst die Zeit zu manipulieren, ihm zu zeigen, daß seine abgelaufen sei.

Am Ende wich er, wie das Kraftlose immer weichen muß. Er gab auf, verging, schmolz förmlich hinweg vor unseren Augen, stumm sterbend, von wenigen nur vermißt.

Jetzt wird kommen ein regnerischer Frühling, dann folgt bald schon die Zeit des Monsuns, wenn die drei Wochen Sonne im Juni vorüber sein werden. Sturzbäche werden zwei oder drei Monate alles ertränken, dann aber ist bereits wieder Herbst, die glückliche Zeit.

Bis dahin kann ich ein wenig das Spazieren erlernen, ganz wie der Spazierende Mann, dieses konzentrierte, detailreiche Werk von Taniguchi, das die im Großen ereignislosen Wanderungen eines Mannes durch seine Stadt beschreibt, wie er das kleine Links und Rechts streift, seinen Hund umherführt, den kleinen Dingen zuschaut. Wem es jetzt schon vor dem Sommer graut, mag in Ein Zoo im Winter Zuflucht suchen. Für die ruhigen Wochenenden, wenn das Geschrei einmal Pause haben soll.

>>> Geräusch des Tages: Blondie vs. Philipp Glass Heart Of Glass