Mittwoch, 6. Februar 2013


Es liegt ein Herbst in allen Jahreszeiten

Es ist wie so oft: Man steht in der Öffentlichkeit, muß sich mit den inneren Dämonen auseinandersetzen und dabei Haltung und eine gerade Krawatte bewahren. Manchmal dabei aber auch wie ein Fassadenkletterer hinter die dürftig lackierte Frontblende steigen und einen kritischen Blick auf den Motorblock werfen. Ich also, mit Krempelärmeln, Schraubenzieher hinter dem Ohr und einer Taschenlampe zwischen den Zähnen, mutig in der großen Maschine herumgewerkelt.

Es begab sich nämlich, daß dieser von Version zu Version immer elender werdende Firefox sich mit seinen javaverlöteten Zahnreihen in die Grafikkarte verbiß. Wie ein aufmerksamkeitsdefizitärer Dreijähriger stand er am Lichtschalter, ein, aus, ein, aus, eine juchzende Freude, nicht so aber für mich oder auch nur meinen Monitor. Daher der Ruf: Aus jetzt! Was wiederum die große Maschine mißverstand, beleidigt rief, hallo, ich bin doch kein Macintoshklamott, ich bin ehrlich empfindsam. Vergänglich. Und nun also gekränkt.

Und nun also wie tot. Vermukscht wie vergessenes herbstliches Laub im Hundeauslaufschnee.

Mit meinem Schraubenzieher und einem Programm namens "Blüm 2000" (Version "banniges Blümchen") alle Daten auf Tontafeln gesichert und ansonsten den Staub der Jahre ordentlich durchgepustet. Pause zu Hause nennt die Werbung das, ich komme nun früh ins Bett und habe in meiner Plattensammlung das ein oder andere Schätzchen entdeckt. Auch befindet sich nun in meiner Wohnung ein Fernsehgerät, auf dem ich auch ohne elendigen Firefox durch 35 verschiedene Blogs von ARD bis ZDF surfen und dabei traurig werden kann.

Ab und zu schaue ich wie Regen oder auch Schnee oder einfach wieder Regen gegen meine Fensterscheiben gedrückt wird, starre beschwörend auf den Kalender und warte auf das Ersatzteil.


 


Donnerstag, 31. Januar 2013


Barmen ist nicht Brooklyn, Dirk

So ging das damals dann wohl los. Ich muß das glauben, denn ich war ja nicht dabei. Wuppertal ist nicht Williamsburg und Barmen war nicht Brooklyn. Mitte der 70er wurden aufgelassene Viertel im quasi-bankrotten New York (das ist eine Stadt in den USA) Unterschlupf und Nährboden für die nach Richard Hells Hit als Blank Generation bezeichnete lose Gruppe von mäßig Frisierten. Künstler, Filmemacher, Schriftsteller und Musiker, die nicht mal Blogs hatten, dafür aber das CBGB. Der winzige Laden wurde zum versifften Inkubator für Bands wie Television, die Patti Smith Group, Blondie, Ramones, die Talking Heads. Das ist alles bekannt und läßt sich ansonsten nachlesen.

Mir sickerten diese Nachrichten tatsächlich durch Aspekte ins Gemüt (eher denn ins Bewußtsein), eine Sendung, die als festes Wort zum Wochenende neben Berichten über die Einstürzenden Neubauten oder Die tödliche Doris (sprich: Berlin) immer mal wieder Rumoren aus fremden Welten in die Provinz brachte. Nihilisten in New York! Richard Hell besingt die "Blank Generation"! 2:45 Min. Energiegewummse, das sich heute fast gezähmt anhört. Eine Rettung aber, gerade zur rechten Zeit, wenn man befürchtet, im Leben nur noch mit der Schwebebahn von links nach rechts fahren zu können und fürderhin Schallplattenerzeugnisse von, sagen wir, Al Green kaufen zu müssen. Wie die vorzeitig vergreisten Mitschüler. Blasierte Verachtung, da habt ihr!

Nun war ich ja selber lange noch brav, ging also nicht sofort (oder auch später, wie dei Frau Kink) nach New York, kann nun aber alles noch mal genau nachschauen. Meine Tochter Die junge Französin Céline Danhier nämlich hat eine lässig dahergerockte Doku gemacht. Blank City spürt diesen alten Zeiten am Brandherd nach, rückt den Protagonisten von einst auf die Pelle, zeigt Musik, Liveauftritte und eine Reihe rarer Momente. Der Schwerpunkt aber liegt bei den Filmemachern dieser Zeit. Unbekümmerte Super-8-Revolverhelden aus der grimmig-schmutzigen Welt des Cinema of Transgression. Beth B., Nick Zedd, Richard Kern, Lydia Lunch. Jim Jarmusch, Steve Buscemi und John Waters sind als bekanntere Vertreter der No Wave dabei und plaudern entspannt und selbstgewiß, wie das so ist, wenn man weiß: Man hat das alles überlebt. I can take it or leave it each time.

Ach ja. Und Sonic Youth.

Der Film läuft gerade durch die kleineren Kinos, mit Glück kann man den noch bis Anfang Februar sehen. Die DVD folgt dann ab Mai, also nicht traurig sein.

(Blank City. Regie: Céline Danhier. USA 20212.)

>>> Trailer und Info

Super 8 | von kid37 um 11:37h | 21 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 25. Januar 2013


Frischer Fisch



Gestern ein wenig orientierungslos durch den Mittagspausensupermarkt getorkelt, kurzzeitig wußte ich wirklich nicht, wo die Salsatbar war und warum man alles umgeräumt hatte. Über Nacht. Ein bißchen schwummrig, ein bißchen mitgeführten Traubenzucker also besser mal, danach glatt durchgeschwitzt wie ein zitternder Hase im Regen.

Das hätte ich vermeiden können, gar müssen, denn zersauseltes, nasses Hasenfell ist die Frisurkatastrophe für Taxidermisten im Tierreich. Womit wir schon bei diesem Buch sind, Bad Hair Years nämlich von der Kink Martina. Die macht sich als Lady Kinkling in Blogs ein wenig rar, schreibt dafür aber launige Bücher, die ein erholsamer Trost sind, wenn man einem nassen Hasen gleich auf dem Sofa mümmelt lümmelt und sich den Sonntagnachmittag unter der Schneedecke einrichtet. Die Kink, mit der man gut in Etablissements herumsitzen kann, wenn sie nicht gerade Bücher schreibt, lakonisiert mit trockenem, dahergeschlendertem Witz über das Leben in der ganz großen Stadt, über die Männer in den verschiedenen Leben, die man so parallel führt, bis man merkt, das geht nicht. Ist so Fön - und dann ab in die Badewanne. Aber ganz herzlich.

Und dann, jetzt aber, lange haben wir darauf gewartet, aber dieser Fisch ist wirklich frisch: Toonbloggerin Lisa Neun hat endlich einen großen Schwung ihrer Bildgeschichten als wirklich hübsch gestaltetes Buch herausgebracht. Mit skurrilen Haus- und Heimgeschichten, eigensinnigen Katzen und alltäglichen Mißgeschicken, teils brüllend komisch, teils hintersinnig oder besser noch, beides zusammen. Wie das so ist, wenn eine Wienerin die Welt betrachtet (jedenfalls stelle ich mir das so vor). Das Buch kann man bequem bei Lisa bestellen. Bequemer ist Glück nicht zu haben.

Martina Kink. Bad Hair Years. München, 2012.
Lisa Neun. Fresh Fish. Erlangen, 2012.


 


Freitag, 18. Januar 2013


Merz/Bow, #38

Hier mußte mal ein bißchen Ruhe rein. Ich bin gerade etwas empfindlich auf den Ohren. "Enough is enough is enough" (Gillian Anderson). Jetzt habe ich aber einen neuen Besen von der Marke Delete. Mal schauen, wie der die Stube putzt.

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Ich bin übrigens schon sehr, sehr sofagespannt auf The Fall. Ich habe neulich die wirklich recht hübsche BBC-Verfilmung von Great Expectations gesehen, in der Gillian Anderson die gefährlich verschrobene Mrs. Havisham spielt (leider letztlich eine etwas statische Rolle, die noch dazu kläglich underwritten ist). Als Komödiantin ist sie großartig. Als Ermittlerin auch. Ich vermute, sie kann auch Kuchen backen.

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Ein Filmteam war neulich auf meiner Insel in meiner Wohnung in Brooklyn. Es ist dieser minimalistische Stil, der meinen Gedanken Raum läßt.

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Für eines der Videos des "Valtari-Mystery"-Filmprojekts der isländischen Gesangskapelle Sigur Rós hat Floria Sigismondi Regie geführt. Leaning Towards Solace ist deshalb auch sehr schön geworden. Mehr Informationen gibt es hier, die 16 Filme werden noch auf DVD erscheinen. Danach braucht ihr keine weiteren mehr, weil ihr dann ganz demütig werdet und begreift, wie klein wir alle sind. Anspieltip: Dauðalogn. Wer "Pathos" sagt, fliegt raus.

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Ich werde ja immer gefragt, was die 37 bedeutet.

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Ich überlege, ein neues Fahrrad anzuschaffen. Es soll den neuen Begebenheiten besser gewachsen sein, eine gute Beleuchtung haben und vom Stil her zu mir passen. Bleibt also nur dieses.

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In letzter Zeit wurde viel über die Gefährlichkeit von sogenannten "Kinderbüchern" speziell für jüngere Bevölkerungsschichten geredet. Dabei liegt in der erstmal nur für die Älteren unangenehmen Grenzüberschreitung ein lebenslehrreicher Effekt. Wie die bislang kaum bekannten Werke Bob Staakes zeigen. Ich kann nicht oft genug darauf hinweisen. Mein Favorit: Dead Whales can't wave back. Ruhig mal durch die Galerie blättern und Nerven bewahren. Als ich Kind war, war es sogar noch gefährlicher. Ich sage nur Peter kommt ins Krüppelheim, andere Literatur gab es gar nicht. (Aber Schnee und Eis auf dem Schulweg.)

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Was mich eigentlich beschäftigt: Ich muß bald mal zum Friseur. David Lynchs Haare beispielsweise sehen aus wie Gemälde. Meine wie eine Installation von Tracey Emin.

MerzBow | von kid37 um 15:23h | 19 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 16. Januar 2013


Hanna im Wunderland

Es gibt da diese Szene in Wer ist Hanna? Wie der Vater in Berlin landet und die Tonspur das Geräusch von Krieg über eine ganz normale Straßenszene legt; wie er, ein sinnengeschärfter Elitekämpfer, die Umgebung als bedrohlich wahrnimmt (wie sie "wahr" wird). Direkt im Anschluß dieser artifiziellen Überhöhung diese wie ein Ballett inszenierte Kampfszene in der Unterführung (Ich war da auch schon mal, erinnere mich aber nicht, wo genau das ist). Überhaupt lebt diese Welt von ihren Labyrinthen, den verwirrenden Orten. Sei es das albern-futuristische Geheimgefängnis in der Wüste, diese vor lauter Säulen unübersichtliche Unterführung oder das verwirrende Containerlager, in dem die mit allen Überlebenstricks gewaschene, aber ohne Weltwissen agierende Hanna gegen einen Trupp Nazi-Skins in Bomberjacken kämpft. Oder auch die surreale, regennasse Atmosphäre des Plänterwalds mit seinen Dinosaurierskulpturen, diese großangelegte Berliner Täuschung. Ein Märchen also inmitten toter Monster und trister grauer Häuserwände. Die eigentliche Geschichte ist dabei nur mäßig interessant, Suchen, Verfolgen, Erwachsenwerden. Tilda Swinton Cate Blanchett als böse Herzkönigin, wenn man so will, auch insgesamt ist das Drama (das ist nicht schwer) eine überzeundere Variante von Tim Burtons Bumm-Bumm-Version von Alice im Wunderland. In unserer Kultur müssen die Söhne die Väter töten. Hier, ganz wie früher bei den Grimms, tötet die Tochter die Mutter. Das mit dem Hirsch ist clever.

(Wer ist Hanna? Regie: Joe Wright. USA/D/GB 2011)

Super 8 | von kid37 um 14:00h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 12. Januar 2013


Stille, #2

Ich habe die Kommentare jetzt mal abgeschaltet. Das ist kein Chatsystem hier.

| von kid37 um 16:47h | | Link

 


Mittwoch, 9. Januar 2013


Stille

Politics change with fashion,
but the laws of nature do not.

(M. Milgrom, Still Life.)


So still. Aber ein Blog schreibt sich manchmal fast wie von allein, da kann ich mich still zurückziehen und endlich ein paar Bücher weiterlesen, die ich im letzten Jahr begonnen hatte, aber zur Seite legen mußte, weil mir ab und an so still dunkel wurde.

So wie Still Life von Melissa Milgrom, eine ganz wunderbare und spannende Reise in die Welt der Tierpräparation. Die US-amerikanische Journalistin Milgrom tastet sich von erster Neugier getrieben insgesamt recht furchtlos von aktiven Meistern des Fachs zu den in den USA recht verbreiteten Conventions und Wettbewerben vor und stellt die Pioniere der Kunst und großen Namen der Museumstaxidermisten vor. Das beginnt bei den berühmten Schwendemans, die ihr geduldig die aufwendigen und komplizierten Methoden des Sezierens, Aufbereitens und Nachbildens erklären, denn "Ausstopfen" ist nur etwas für Stümper. Der Titel bedeutet im Grunde auch "still alive", denn ein guter Präparator läßt sein Tier weiterleben, auferstehen und einen realistischen Eindruck von Natur vermitteln. So auch der Anspruch der Überväter der Taxidermie, die handwerkliche Grundlagen bildeten für jüngste Arbeiten, in denen lange ausgestorben Tiere anhand von DNA-Spuren akribisch nachgebildet werden.

In den insgesamt sehr waffen- und jagdbegeisterten USA wird auch die Taxidermie viel selbstverständlicher wahrgenommen. Die geschossenen Eichhörnchen und Rehe und Stinktiere wollen gezeigt werden, denkt der Jäger. Die engagiertesten zeigen ihre Geschöpfe auf Wettbewerben, dort werden dann auch präparierte "Pandas" gezeigt, die natürlich nicht echt sind. Humor gehört dazu: "A man in a PETA shirt caused a stir until people realized the acronym stood for People Eating Tasty Animals." Am Ende gewinnt den Wettbewerb ein Deutscher mit einem verblüffend lebensechten Ensemble Spatzen. Da kann man mal sehen, daß es nicht immer einen Säbelzahntiger braucht, um im Leben zu punkten.

Carl Akeley hingegen jagte Anfang des 20. Jahrhunderts seltene Tiere in Afrika (man muß ihn sich als eine Figur Hemingways vorstellen), aber aus einem wissenschaftlichen Interesse. Seine Expeditionen begleiteten Maler, die später die Hintergründe für aufwendige Dioramen anfertigten, vor denen Elefanten und Affen wie aus ihrem Alltag herauskristallisiert präsentiert wurden. Diese Arbeiten waren bestimmt für das American Museum of Natural History und zu ihrer Zeit eine Sensation für Publikum und Wissenschaftler. Interessant sind auch die vielen kritischen Einschübe. Etwa, als das Smithsonian umbaute und die wertvolle Sammlung teilweise auf dem Müll landete oder - wie der Blauwal, der dem Abrißunternehmer zufiel - auf eBay. Ein kompletter Blauwal auf eBay! Das Smithsonian ersetzte die wissenschaftliche Sammlung durch eine Art Disneyland mit toten Tieren, in dem digitale Effekte für Dschungelgeräusche, Tag- und Nachtwechsel, Regen und Sonnenschein sorgen. Was nicht nur Milgrom befremdet.

Ein schöner Seitenblick ist der Besuch bei der "Anti-Taxidermistin" Emily Mayer in England. Die benutzt eine von ihr verfeinerte spezielle Methode und steht etwas außerhalb der Szene. Sie arbeitet mit Damien Hirst zusammen, der nun keine Ersatz-Tigerhaie mehr für seine Glasbehälter besorgen muß, weil Mayers Methode ihren dauerhaften Erhalt garantieren. Am Ende von Milgroms Reise geht es ans Sachen machen Eingemachte: Unterstützt von den Schwendemans macht sie sich fluchend, zögernd und fleißig an ihr erstes Eichhörnchen. Beruhigenderweise ging es ihr dabei wie uns allen: "I wasn't sure I had the stomach for taxidermy. [...] I could barely watch Julia Child filet a fish on TV."

Ein Handbuch des praktischen Hauswissens, möchte man meinen. Denn es ist - bei deutschen Verlagen fast undenkbar - lobenswerterweise mit einem umfangreichen kommentierten Fußnoten- und Quellenanhang versehen.

(Melisssa Milgrom. Still Life: Adventures in Taxidermy. New York, 2010.)