Donnerstag, 3. Januar 2013


Die subtile Traurigkeit der Frauen

Ich treffe beruflich öfter auf kinderlose Frauen jenseits der 40. In meinem natürlich subjektivem Empfinden sehe ich etwas, das all diese Frauen gemeinsam haben.
Es ist eine gewisse Leere in ihrem Blick, eine subtile Traurigkeit, ein Ausdruck fehlender Erfüllung.
[Q]

Wir wissen nicht um den Beruf des Guten, aber privat trifft er offenbar andere Frauen. Frauen, in deren Bauch und Blick Fülle und Freude herrscht. Möglicherweise mehr als nur subtil. Bei Spon wird heftig über den Geburtenrückgang diskutiert. Wer aber meint, Gleichberechtigung sei in Deutschland längst etabliert, kann sich zur Erhellung durch eimerweise Haß, 30er-Jahre-Familienbilder und klebrige Stammtische wühlen. Ich merke, ich habe bislang in einer Enklave mit anderen, möglicherweise auch nur scheinbaren Selbstverständlichkeiten gelebt. Ich möchte da draußen nicht sein. Da draußen tobt offenbar eine verbitterte, sich von "Kinderlosen" und "Emanzen" und "Selbstverwirklichern" bedroht fühlende Parallelwelt, die sich nicht integrieren mag.

Ich selbst habe sicher eigene Defizite. So kenne ich Frauen praktisch nur aus dem Internet, in dem ich mich aus beruflichen Gründen häufig bewege. Und so basiert mein eigenes, möglicherweise mangelhaftes Wissen über Frauen auf zwei eigentümlichen, aber offenbar offenbaren Wahrheiten: Frauen können nicht aus Flaschen trinken. Frauen müssen lachen, wenn sie Salat essen, selbst wenn sie kinderlos sind.

Jetzt erzähle mir keiner, die Welt sei im Grunde anders. Voller Toleranz und ein wenig Salattraurigkeit.


 


Montag, 31. Dezember 2012


Auskehr



Dann also wieder alles zum Ende bringen. Sich selbst, also das alte Selbst, gleich mit zum Altpapier. Zusammen mit den Bilanzen und Rechnungspapieren. Fein säuberlich alles aufliniert, die Menschen, die dieses Jahr gingen, manche überraschend, manche weniger, die Menschen, die dieses Jahr kamen, manche überraschend, manche - auch. Zu wenig Musik aber war da nach meinem Geschmack. Vom schönen Ödland-Konzert abgesehen, wo man später sagen können wird: Die habe ich mal in einem ganz kleinen finnischen Club gesehen! Wie das überhaupt so ein schöner Abend war, einer von diesen überraschenden, zwanglosen. Und es mir ja richtig gut ging, was ich aber erst später wissen würde.

Zu wenig Filme auch, Bücher sowieso kaum, und zuviel Kunst ausgelassen. Wirklich zuviel. Wirklich zu viele Krankenhäuser auch, das wird sich 2013 doch wohl besser organisieren lassen. Hoffe ich. Die Krankenkasse nämlich knickte (vorerst) ein. Nach meiner freundlichen, aber vorschlagsfreudigen eMail entließ man mich (vorerst) aus dem eCard-Programm. Ein kleiner Erfolg (vorerst), der am Ende eher doch nichts bringen wird. Die Kasse schickt einen Brief, man würde mich (vorerst) nicht mehr behelligen, aber mit einem deutlichen "ich würde schon sehen, was ich davon hätte"-Unterton. Die Kanzlerin indes schwört uns auf Trockenbrotjahre ein.

Warum auch nicht, nach all den schicken, scharf-gewürzten Suppen der Nachwendezeit und den Eisbeinjahren der Bonner Republik. Wat fott is, is fott, vorerst gescheitert, haha, das muß man alles immer ganz nüchtern sehen. Auch wenn das manchen heute um Mitternacht sicher schwer fallen wird. Die Bilanz fischt schon einer rechtzeitig aus dem Container. Bis dahin, vorerst wie immer.

Immer weitermachen.

Stoßt mit dem Richtigen an. Nicht einfach so in die Menge.

>>>Geräusch des Tages: Der Mann ohne Vergangenheit


 


Montag, 24. Dezember 2012


Schlucken, Wiedergeben, Konservieren



Ach, Weihnachten, traditionell das Fest der over-indulgence. Wie zur Warnung und zum Genuß dieses ganz wunderbare Buch The Swallowing Plates von Lisa Wood.

Die ist Expertin für faux tableaux und bastelt, wenn nicht mit Insekten, dann mit pseudo-viktorianischen Fundobjekten hübsche und meist auch lehrreiche Dioramen. Hier hat sie sich der Wunderwelt der Laryngologen zugewandt, eine Profession, die mancher an Festtagen zu schätzen wissen wird, sollte eine Karpfengräte oder ein Gänseknorpel quer liegen. Falsch und schlecht Verschlucktes war nämlich auch die Leidenschaft des besessenen Spezialisten Dr. Chevalier Jackson (1865-1958). Der trug über 2000 bestimmungsfremde Fundstücke aus Luft- und Speiseröhre zusammen, Haare, Knochen, Nägel, Schlüssel und andere Metallteile, Knöpfe... all so was eben.

Inspiriert und beseelt vom Instinkt der Transformation of Waste hat Wood, die eigentlich Schmuckdesignerin ist, über 30 Assemblagen angefertigt, poetische Fallstudien mit Fehler, denn leider sind sie erfunden. Hier kann man durchs Buch blättern, wenn man gerade nicht an meinem Gabentisch sitzt. Mehr schön Absonderliches gibt es auf Woods leider noch nicht ganz fertigen Webseite zu sehen.

Übertragen ließe sich das Ganze natürlich auf Blogs, dieses Schlucken und Wiedergeben nämlich. Diese Dinger, auf denen man all das, was einem auf langen Ausflügen links und rechts der Wege so auffällt und hängenbleibt, ausstopft und lebendig hält. Heute übrigens schon neun Jahre an dieser Stelle. Mal schauen, wie es weitergeht.

Frohes Fest!


 


Samstag, 22. Dezember 2012


Federweich



Nur kurz, ich habe keine Zeit, es ist Zeit für die Weihnachtsvorbereitungen. Heute Vormittag durch den frischgefallenen Schnee zum auch biologisch erzeugte und in Marken gehüllte Produkte veräußernden Süper Ü um die Ecke gestapft. Auch dort sind sie bereits da: Ein junges NeonNido-Pärchen nebst mitgeführtem in handgeflochtenem Freies-Wendland-Weiden-Maxicosi gebetteten Säugling, er so mit platzeinnehmendem Rucksack und Beanie-Mütze, das Klitzekind mit Beanie-Mützchen, sie so mit Einkaufswagen-im-Weg, und alle blockierend am Gemüsestand. "Sollen wir das mitnehmen oder lieber das?" säuselten die tiefenentspannten Gespräche, während unwirsche Arbeiterviertelrentner, die nun wiederum an einem Samstag auch nicht gerade einkaufen gehen müssen, versuchten, um das Kleinfamilienensemble zu kurven. "Ach, weißt du, was wir machen: wir nehmen was von dem hier mit, das kann man voll schön überbacken!" Entzücktes Jauchzen, ob dieser spontanen Idee, während ich gleichfalls spontan und aber auch entspannt, denn ich habe ja alle Zeit der Welt, versuchte, ebenso entschlossen wie einer dieser Arbeiterviertelrentner, aber mit Berechtigung am Samstag einzukaufen, um das Paar zu kurven. "Sollen wir nicht auch sowas hier reintun, für mehr Konsistenz?" wurde aber erst einmal raumgreifend weitere Essenspläne diskutiert, so daß Die Blockade am Gemüsestand (wie ich mein daraus entstehendes nächstes Buch nennen werde) anhielt.

Es ist eben Fest der allgemeinen Teilhabe. Warum vorher alles besprechen, Zettel machen, alle Dings zackzack in den Wagen und Platz machen, wenn man die essentiellen Dinge des Leben auch just in time vor allen Leuten zum Gemeinschaftserlebnis machen kann. Das wird noch hübsch werden mit diesen Gentrifizierern, die hier nach und nach einströmen und bald Klage führen werden, daß hier ja nix sei, während Alteinwohner wie ich am Stehtisch vor "Moni's Imbiss" ("Frühstück ab 5") mißmutige Blicke werfen werden. Muß man elastisch bleiben.

Daheim dann in Cary-Grant-Hausjacke geworfen und beschlossen, eine Schallplatte mit Weihnachtsliedern abzuspielen, um endlich mal feierliche Stimmung anzuleiern. Das ist ja ein Klassiker am Weihnachtsfest, Mann in Cary-Grant-Hausjacke, Frau sagt, ach, spiel doch mal die schöne Platte, dann wird grummelnd im Schallplattenstapel gesucht nach den "20 Greatest Christmas Hits" mit Bing und Mahalia und nach einem Jahr Betriebspause der Schallplattenspieler angeschaltet. Und immer und immer wieder kommt die erstaunte Klage (meist an Heiligabend, aber ich bin organisiert, ich teste das vorher schon): "Er geht nicht!" Wie. Ja, er geht nicht. Wie. Der Plattenspieler. Er geht nicht. Aber wir wollten doch die schöne Platte hören. Ja-ha, aber er geht nicht. Wie. (brummel, brummel, Mann rappelt am Gerät, betätigt Schalter und bewegliche Teile) Komisch, das ging doch neulich noch. Letztes Jahr. Ja, letztes Jahr.

Aber das ist oft im Leben so. Was vor einem Jahr noch ging, geht dann eben nicht mehr. Wer wüßte das besser als ich. Also die Ärmel der Cary-Grant-Hausjacke hochgekrempelt, das Feinwerkzeug geholt, den Plattenspieler ausgebaut, die Explosionszeichnungen, die ich vor Jahren mal aus diesem Internet heruntergeladen habe, (Ein Jingle für das Internet!) studiert und den kleinen über eine ausgefuchste Hebelmechanik bestätigten Ein-/Ausschalter am Motor nachgefettet. Schon lief er wieder an. Wieder alles zusammengebaut. Läuft. Oh, er geht nicht mehr aus. Round an around läuft der Teller... never, never, never stop (Bunnymen).

Also noch mal ausgebaut, die komplizierten Hebelläufe studiert. Offenbar eine Zugfeder, die entspannt wie eine Bilderbuch-Nidofamilie keinen ordentlichen Zug mehr drauf hat. Also mit der Sezierpinzette ("Schwester...") die Feder ausgebaut. [gekürz. Fssg.] Feder wiedergefunden und zum OP-Tisch getragen. Etwas gekürzt, nachgebogen. Wieder eingebaut [gekürz. Fssg.]. Läuft. Na ja, noch nicht so richtig, aber schon. Ich meine, der Tonarm hebt jetzt nicht mehr automatisch ab. Da muß ich noch mal in die Explosionszeichnung schauen. Könnte ein größeres Projekt werden, ideal zum Beispiel für stille Weihnachtstage, wenn man sonst nichts anderes (z.B. eine Eisenbahn) aufbauen muß. Oder sich selber.

Jetzt mal schön CD hören.


 


Mittwoch, 19. Dezember 2012


Nur die Zukunft ist mißraten

Wir spülten nie, außer wir wollten
würdevoll und selbstzerstörerisch wirken.

(Mirada July. Zehn Wahrheiten.)



Vor ein paar Wochen, während einer dieser leblosen Krankenlagertage, habe ich noch mal das Phänomen Miranda July hin- und herbedacht, sehr wohlwollend, wie ich betonen möchte, weil ich sonst ja gerne spontan darin bin, lange Listen herunterzurattern von Leuten die ich nicht mag. Bestimmte Schauspieler etwa. Oder Autoren. Oder Musiker. Nur Blogger, die mag ich alle. Vergleichbar fällt es den meisten Menschen schwer, Miranda July nicht zu mögen, selbst die Brigitte schreibt über sie, was nicht häufig vorkommt, wenn wir über Performance-Kunst reden. Nun macht die July nicht nur Performance, sondern alle Arten von Kunst. Manche sagen, sie selbst sei die Kunst. Sie trägt hübsche Kleider Sie schreibt Bücher, mit so zart-lakonischen Geschichten, daß man sie für Schneeflocken halten könnte. Wären da nicht ganz viele sandpapierartige, rauhe Stellen darin. Oder bringt wildfremde Menschen zum Erzählen, wie in ihrem neuen Buch It Chooses You (jetzt auch auf Deutsch erschienen). Was ja auch eine Kunst ist. Menschen zum Reden zu bringen. Geschichten zu entdecken und darüber etwas vom Leben für sich selber abzustecken. Zu sagen, weiß ich nicht genau, aber anders wäre es auch... unbestimmt. Vor ein paar Jahren gestaltete sie eine Ausgabe des Schweizer Magazins Du, wobei sie selbst völlig verschwand und eine Spurensuche präsentierte, bei der Freunde, Weggefährten und Nachbarn nach ihr und ihren Gewohnheiten befragt wurden. Ein interessantes Experiment darüber, wie sich eine Person aus lauter gespiegelten Beobnachtungsfragmenten ihres sozialen Umfelds zusammensetzt. Man kennt das aus diesem Internetz.

Dann dreht sie Filme, von denen ihr Debüt Ich und du und alle, die wir kennen ganz wunderbar und zart und auch sandpapierartig ist. Eine poetische Erzählung über staksige Menschen, mit schrägem Humor und voller peinlicher Momente, aber ohne Arg und Häme beobachtet. Zum Glück kennt den Film jeder, und die Welt ist danach auch ein Stück besser und gütiger geworden.

Mißlungen allerdings ist der Nachfolger The Future, ein mäßig fokussierter Film über das ungelenke, nervtötende Herumgegurke zwei Mittdreißiger, die sich zu nichts so recht entscheiden können und das Ende ihrer Beziehung aussitzen. Dazu mit vielen Albernheiten (diese sprechende Performance-Katze, also wirklich) gespickt und einer grandiosen kleinen Szene, die es aber bezeichnenderweise nicht in den Film geschafft hat. Miranda Julys Tip für alle Zauderer und Hinauszögerer und -schieber. Auch das hier vor Jahren mal vorgestellte "Are You the Favourite Person of Anybody?" geht auf ein Skript von ihr zurück. Ein sandpapierzartes Stück über Unsicherheit, Ungewißheit und sozial kaschierte Verzweiflung. Und über Orangen.

Super 8 | von kid37 um 13:12h | 21 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 12. Dezember 2012


Jahresrückblick 2012

Ja. Scheiße.


 


Sonntag, 9. Dezember 2012


Dann

Himmel! Es gibt ja ganz viele Pronoseiten im Internet! So. Was war los. Erst war ich adrett gekleidet mit noch adretter gekleideten Damen los. Es ist ja die Zeit der Weihnachts- und Besinnungsfeiern.



Dann mußte ich im Fernsehen eine Wir-bekochen-uns-gegenseitig-Sendung schauen, in der Deutschlands berühmteste Kürschner Makler und Luxusmakler auftischten. Frau G. kann nicht kochen, aber da hatte ich schon so einen Anfangsverdacht.

Dann wurde ich von ganz vielen Menschen via Twitter gegrüßt. Da ich aber kein Twitter habe, wurde mit das mündlich übermittelt. Und ich bedanke mich jetzt per Blog. Danke. Wenn das nicht crossmedial ist!

Dann mußte ich gerichtlich mitfiebern. Aber es ist jetzt wohl offiziell: Stefanie Hertel und Stefan Mross sind geschieden. Jetzt bläst er wieder selbst. Bitte keine Kalauer in den Kommentaren!

Dann habe ich Wittgenstein gelesen. Und auch Spinoza. (aus meinem Buch: Herr Kid auf dem Weg in die A-List)

Dann war ich nicht ganz bei Sinnen und wagte mich am Samstag ohne wirklich verifizierbaren Bekleidungsnotstand (man trägt aber wirklich wieder Leibwäsche) in die Innenstadt. Dort war es voll. Dort war es sehr voll. Dort war es völlig über alle Maßen voll.

Dann war ich in einem Geschäft. Ein Schal (möglicherweise auch Shawl) erregte meine Aufmerksamkeit wg. konservativem Muster für 37plusjährige. Erst faßte sich der Schal gut an, dann faßte ich das Preisschild an. 379,- Euro. Ich meine, da muß eine Großmutter lange für stricken. Einen Schal beispielsweise. Aber wenn es, global betrachtet, für den Weltfrieden gut ist. Oder für die sexuelle Ausgeglichenheit. Dann sage ich doch, jedermann ein, zwei Schals für 379.- Euro. Das ist es wert.

Dann war in der U-Bahn einer dieser Kulturkreisbeschimpfer. Handy am Ohr, Ich-schwör!-Gespräch. Oder eher ein gebrüllter Monolog. Viel "ich schlag die" oder auch "ich schlag die tot", dann eskalierte Fetzen wie "deine Tochter", "hat 'nen Freund", "die fickt rum" gefolgt von "Was habt ihr bloß für eine Kultur?" und (mittlerweile gebrüllt) "Ich fick alle! Ich fick deine Mutter!" So etwas muß man mitunter mithören, wenn in der U-Bahn das Mobiltelefon gezückt wird. Andererseits, wenn es, global betrachtet, für den Weltfrieden gut ist. Oder für die sexuelle Ausgeglichenheit. Dann sage ich doch, jedermann ein, zwei Smartphones. Gibt ja brauchbare schon für 379,- Euro. Das ist es wert.

Dann schneite es.

Dann war nichts mehr. Bücher blättern, Filme betrachten, Heizung warmdenken.