
Mittwoch, 30. März 2011
Ganz in der Nähe dieser alten Seifenfabrik ("Hoho, mein Junge. Da machen sie Seife aus alten Knochen!") bin ich aufgewachsen. Manchmal wehte der schwermütig parfümierte Geruch herüber ("Das ist gute Seife", sagte Frau Mutter) und hing wie ein klebriges Spinnennetz in der feuchten Luft, in dem sich die ganz kleinen Tiere und unbrave Kinder verfangen konnten. An der Schwarzbach saß die Fabrik, eine schmutzgefärbte schnurgerade Straße mit düsteren Hausfassaden, "genau eintausend Meter lang", so das drohende Raunen der gichtigen Männer, die, Männer wie wir!, den ganzen Tag über unten am Büdchen standen und heiser in braune Glasflaschen sprachen.
Lars von Trier benutzte die zerfledderte Fabrik als einen Drehort für Antichrist, ich hätte ihm die Stelle verraten können.

Montag, 28. März 2011

Den kühlen Wind in die Gardinen lassen, breit geöffnete Fenster, den ersten Kaffee ins Licht halten, mit den nackten Füßen einen Sonnenfleck auf dem Fußboden suchen, Agnes Obel singt etwas dazu. Ein Reklamemoment, ein Sonntagmorgen nach einer zu kurz geschraubten Nacht, Zeitumstellung, eine kleines Bier in einer noch kleineren Bar, verstreute Menschen in der U-Bahn, vier Uhr, fünf Uhr oder sechs, man rät und rätselt und malt sich eine eigene Zeit.
Die Energie kommt dieser Tage nicht mehr aus der Steckdose. Auf dem Rad kurbel ich ein paar Kilometer hinunter bis über die Schleuse, am kleinem Landhaus vorbei, gegen das nun doch so vieles spricht. Zu Hause wartet Arbeit, lesen will ich, einen waghalsigen Brief formulieren, umschalten vielleicht, abschalten. Den Kopf zum Träumen unter das Kissen schieben, zum Weinen vielleicht oder Schlafen, das Ticken der zu spät verstellten Uhren dabei wie ein achtlos schlagendes Metronom. Beim Lesen deines Briefes hatte ich gar nicht gemerkt, wie das Papier mir in die Finger schnitt.
Im Mund berge ich etwas Dunkles, die Zähne verfärbt, Staub auf der Zunge, ich lasse den Wind hineinpfeifen, in den knirschenden Ritzen wühlen, Blut hinausspülen, mir Worte hineinlegen, die ich später, zurück am Schreibtisch vergessen haben werde.
>>> Geräusch des Tages: Agnes Obel, Close Watch

Freitag, 25. März 2011
Und wie sie da so sitzt mit ihrem Miniverstärker auf dem Schoß wie ein vergessenes Fräulein mit abgeschabter Kunstlederhandtasche. Man möchte ihr sofort eine Blume schenken, eine neue Tasche oder ein selbstgeschmiertes Butterbrot.
Als ich heute morgen am Stutzflügel saß und ein paar Mollakkorde klimperte, dachte ich an all die anderen Sentimentalreisenden in den Wohnwagen und Eisenbahnwaggons, an den Schreibtischen und Datensammelstationen. Wie einzelne langsamer gehen, still stehenbleiben, gesichtslos, mundlos, augenlos. Wie hingetuscht mit flüchtiger Hand, dunkle Silhouetten auf den schwarzen und weißen Streifen eines Fußgängerüberwegs. Schmutzige Finger, die über eine Tonleiter huschen.

Dienstag, 22. März 2011
Till you've had that mood indigo.
(Nina Simone, "Mood Indigo")
Aus der ehemaligen Kronkolonie fanden heute diese herzzerschmelzenden Untersetzer zu mir, eines dieser Mitbringsel, die man mir schenkt, nur um sich mit diebischer Freude das Zerfließen meiner in Containment-Stahl gegossenen Gesichtszüge vorzustellen. Da ist Metall drum. Ohne Rost. Und was Glänzendes drauf. Und ich kann die natürlich nicht benutzen. Nachher macht mir da einer was dran! Die kommen unter Glas.
Für gut.
>>> Geräusch des Tages, *

Sonntag, 20. März 2011

Mir geht es manchmal so wie in einem dieser wirklich lebensgefühlahnenden Spots eines großen Heimwerkermarktes. Auferstanden ist er, welcher lange schlief zitiere ich Heym, fühle dieses Pulsieren in meiner Brust und das Verschmelzen meiner zarten Muskeln in die kinetische Energie eines Vorschlaghammers.
Lange schon währte das Gerücht, ich wolle endlich mal das in meinem privaten Umfeld mittlerweile mythisch gewordene Fliesenprojekt (verewigt in meinem Buch The Fliesen Years, Bd. I- III) in Angriff nehmen. Das gebar sich einer seltenen Sternenkonstellation gleich vor Jahren bereits in meinen Kopf, denn in der Duschecke war der Fliesenspiegel bedauerlicherweise viel zu niedrig angesetzt, die Wand durch mehrfaches Nachstreichen und ewiges Trockenrubbeln zudem mehr als unansehnlich geworden. Die Keramik, eine der frühen Formen des menschlichen Kulturschaffens, schien mir eine elegante Lösung.
Nun, wir nähern uns in schnellen Schritten der Moderne, galt es nachzudenken. Und noch ein wenig nachzudenken. Wenn, so die kühne Idee, ich schon bereit war über den Rubikon zu schreiten, warum nicht gleich wie einer dieser Internetradikalen in großen, von verklemmt analem Machbarkeitsdenken völlig losgelösten Dimensionen denken? Andere fliesen, dachte ich. Ich baue ein Taj Mahal. Auch ein Deckenfresko, wer ist schon dieser Michelangelo?, kam mir kurz ins innere Gespräch, das muß dann immerhin schon so kurz nach dem WM-Endsieg 1954 in Bern gewesen sein.
Nach der Ölkrise und dem Ende der Boomjahre aber stutzte ich mich und meine pfauischen Höhenflüge (Können die überhaupt fliegen?) zurecht, tauschte Michelangelo gegen Oskar Schlemmer und weiße Fliesen und hatte jetzt nur noch das Problem, diesseits von Dessau ein geeignetes Bauhaus zu finden. Als unmotorisierter Mensch ist ja das Thema "Materialbeschaffung" immer wieder ein pointenreiches.
Zwar half mir zunächst mitleidsvoll eine stadtbekannte Bloggerin mit ihrem E10-befeuerten Mobil, aber dann gab es neue Probleme, dann schien die Sonne, dann mußte ich arbeiten und dann hatte ich keine Zeit. Zwischendurch juxten sich mittlerweile zu Ex-Freunden gewordene Mitmenschen durch mein unverfugtes Heimwerkerleben, neckten mich hier, eskalierten mich dort, empfahlen frech irgendwelche Mareks und Pjotrs, reichten mir von Laternenpfählen gerissene Telefonnummern und unterließen auch sonst keine noch so ehrabschneidende Heimwerker-Insinuation. Einfühlsame Frauen brachte ich mit dem Vergleich "Du möchtest einen Kuchen backen? Frag doch mal meine Exfreundin, die konnte das super!" schnell auf eine verständnisvollere Linie, bei den Männer war es schwieriger. Manche machten sich eine diebische Freude daraus, mal eben ein Haus zu entkernen, bloß um mich zu beschämen, oder sich wie mein Bruder zu benehmen, der daheim auch gerade Betonböden gießt, während ich noch mit einem Ral-Farbfächer über der Frage meditierte, ob man nicht mit einer tollen Kontrastfabre (zum Beispiel ein schönes gestuftes Schwarz) einer weißen Fliese den edleren Schliff geben könnte. Andere Männer fragten pragmatisch, ob ich denn schon wisse, wie ich sie schneiden werde?
Ich mache es kurz: der bei anderen bewährte Kniff mit dem Glasschneider taugte bei mir jedenfalls nichts. Ich schiebe das auf den Glasschneider. Jetzt aber, und ich meine "Buckelvolvo" das ist so Eighties!, kommt der Hammer: Ich bin nun im Besitz einer metallblitzenden Fliesenschneidemaschine! Da macht es Ritsch- und Klick - und schon ist so eine Hartgebrannte halbiert. Und wenn ich mit dem Ding unter dem Arm samstags durch die Innenstadt marschiere, werden alle Frauenherzen weich.
Gut angelegte 20 Euro also. Und nun kam die Zeit, da ich Zeit hatte. Und mäßiges Wetter dazu! Und fast alles Material! Was also lange währte, wurde dieser Tage endlich gut. Meine Lernkurve, he, es war mein erstes Mal!, war sehr hoch, aber zufriedenstellend. Ich weiß jetzt zum Beispiel, warum Fliesenleger ein ehrenwerter Ausbildungsberuf ist, der über drei Jahre geht. Und ja, mich lachte zum Glück kein Meister schallend aus, nachdem er mein Werk in Augenschein nahm und meinte, "Min Jung, das kannste alles wieder abschlagen. Und dann machst du es noch mal, aber richtig." Dafür macht es ein Heimwerker ja schließlich heimlich! Ich sage es mal in der mir bekanntlich innewohnenden diplomatischen Art: Beim zweiten Mal wüßte ich, auf welche Dinge ich stärker achten könnte. Aber auch so: astrein.
Man möge mich bitte auch "Mr. Silikonfuge 2011" nennen. Da, so erkläre ich ohne künstlich reduzierten Stolz, habe ich ein Händchen für. Beziehungsweise einen in Spüli getränkten Finger, mit dem ich kinderpopoglatte Fugen streichen kann als würde ich die Saiten einer Stradivari kosen. Ich geriet darüber in eine gewisse Ekstase und hätte am liebsten sofort meine ganze Wohnung silikonverfugt, schön dauerelastisch wie sonst nur mein Verhältnis zu schwierigen Mitmenschen.
Yippie-yah-yah - und als nächstes lerne ich Balkonbau. Danke fürs Zuhören und die große Geduld und alle, denen ich es auf dem langen, langen Weg versprochen habe, dürfen nun gern zur Einweihungsduschparty kommen. Handtuch nicht vergessen. Ich setze mich jetzt mit einem Glas guten Rotweins andächtig vor meine Fuge und werde vielleicht sogar mein Nachtlager vor ihr aufbereiten.
>>> Was Blixa empfiehlt, kann so falsch nicht sein. Ich möchte aber anmerken: Das hermetische Café wurde sämtlich von einer konkurrierenden Baumarktkette ausgefliest und vom Zementschleier mit einem feuchten Tuch befreit.

Donnerstag, 17. März 2011
Es muß jetzt einmal gesagt werden. Die Pausen hier haben einen Grund, und der hat nichts mit Stromausfällen zu tun. Ich klebe gerade Fliesen an die Wand arbeite zur Zeit an meinem neuesten Film, der zum nächsten Sommer der Liebe ausgestrahlt werden soll.
Es geht dabei um einen alten Fahrensmann, der in einer ungenannten großen deutschen Hafenstadt zum Überwintern in einer kalten Welt von Bord geht und feststellt, daß die Liebe die einzige Kraft ist, die die Welt rotieren läßt.
Die Liebe ist keine Brückentechnologie, und Anousch hat wie immer völlig recht. Ich meine: So wie wir die Liebe aus dem Internet ziehen, oder ganz modern erst im Netz zu ihr finden, so müssen wir das Kraftwerk unserer Herzen entzünden äh zusammenführen, also anschalten, und dann aber auch raus ins Leben usw. und nur ab und an zum Tanken an die Netzsteckdose. (Man merkt, der Film ist noch nicht ganz fertig, aber die großen Themen Kommunikationsprobleme und soziale Kälte und Energiemangel deuten sich bereits an.)
Für ein Internet, das von der Liebe durchstrohmtömt wird! Energiewende jetzt.

Samstag, 12. März 2011
Es sind dies auch Tage, an denen nicht nur die Hochtechnologie, sondern auch die Popkultur an Grenzen stößt. Grad wenn man denkt, jetzt könne nur noch Godzilla helfen, wird klar, daß man mit ironischer Brechung keine Stahlmäntel wird bauen können und Zynismus niemals kalt genug sein wird, ein Kühlaggregat zu ersetzen.
Popkultur wird also nicht den Untergang verhindern. Im Unterschied zu vorkulturellen Zeiten haben wir aber den schöneren Soundtrack dazu. Solange der Strom läuft, jedenfalls.
>>> Geräusch des Tages: Kraftwerk, Radioaktivität
