Donnerstag, 29. April 2010


It's okay on TV 'cause you can turn it off.

But don't try me.
(Pretenders, "Private Life").

Als ich gestern abend auf der Leiter stand, um die an den Ecken gelöste Laura-Ashley-Borte an den Wänden nachzukleben, ging ich im Geiste die wichtigen Meldungen der letzten Tage durch. "Sie kamen jeweils auf etwa zwölf Tafeln pro Monat." [Q] Zwölf Tafeln im Monat finde ich, ehrlich gesagt, nicht beeindruckend viel, möglicherweise aber sorgte ja schon die erhöhte Aufmerksamkeit durch die Teilnahme an dieser Studie dafür, das Leiden zu mildern. Wie ich immer sage: Mehr reden, vielleicht sogar mit Freunden - oder aber Schokolade essen.

Ich ringe immer noch mit der Elster, auch private life, habe andererseits gestern Henry Rollins dabei zugeschaut, wie er Hinterwäldlern mit diskussionswürdigen Essgewohnheiten (Hinweis: keine Schokolade) mehr als nur die Ohren langzog. In einem Film, sonst hätte ich sagen mögen, your private life drama, baby, leave me out. Ein blutiges, zähes Tagewerk, für das es keine Lolas zu gewinnen gibt. Gefreut habe ich mich daher letzte Woche für Sibel Kekilli, die zweimal auf Preisverleihungen ganz richtiges sagte. Damals, als sie sich über die bigotte Hetze gegen sie wehrte, und nun, da sie ebenfalls zurecht anmerkte, sich über Rollenangebote freuen zu würden - "zu müssen", war, was sie nicht sagte. Sie wird in diesem glitzrig-bitteren Prostitutionsgewerbe noch die unverdorbenste sein, denkt man, so viel emotionale Ehrlichkeit indes kam in dieser Branche selten gut an. Ich wiederum hätte die Kikelli besetzt, die Schneider zu spielen. Eine, die weiß, wie man eine Karriere hinter sich läßt, um eine ungleich künstlerischere anzusteuern. Vielleicht sollte sie nach Frankreich gehen.

Was nicht aufgeschrieben ist, flimmert einem vor den Augen und optische Zufälle bestimmen das Gesamturteil. (Kafka. Tagebücher. 1912.) Eine Art Gedankentaxidermie will betrieben werden, bizarre Erinnerungswendungen oder alkoholverblendete sogenannte Ideen, die man in Buchstaben und Worte zwingt, gleich aufgespießten schillerndern Käfern oder Gebilden bei Crappy Taxidermy (Achtung, teilweise nicht sicher für die Arbeit). Formgießen also.

Heute hat Gott Kim Gordon Geburtstag, neulich bereits Robin Wright. Willkürliche Zuordnungssysteme, die insofern interessant sind, weil es über Robin Wrights Augen in einem bestimmten Licht ebenfalls etwas zu sagen gäbe. Ich mag die aber so richtig erst seit Breaking and Entering, wo sie spielt als hielte sie den Atem an. Ihre sehr kleine Rolle war für mich auch das einzig Interessante an Inside Hollywood, in beiden Filmen gibt es diese kurzen Momente großer Wahrhaftigkeit, wenn sie diesen oder jenen Satz sagt oder eine Erinnerung über ihr Gesicht huscht. Trennungsgeschichten.

Die sehr schöne Frau™ sagte vor Jahren bereits, die sei unterschätzt, und ich sagte, ach was, weil ich natürlich keine Ahnung hatte. Und zu selten ins Kino ging. Dabei muß man gemeinsame Erinnerungen immer jetzt machen und nicht später.

>>> Geräusch des Tages: Sonic Youth, Star Power

Super 8 | von kid37 um 01:53h | 7 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 26. April 2010


Allermöglichst





Am Wochenende die Gelegenheit ergriffen und meine kleine Schiffbegrüßungsanlage verlassen, die Pedale zur Kontrolle wie die Trommel eines alten Armeerevolvers um die Achse rotieren lassen, noch zwei, drei Züge Luft nachgepumpt, dann ab durch die frühlingshafte Sonne den Entwässerungsgräben entlang weiter nach Osten. Spontan von den gut durchstrukturierten Pfaden abgewichen, einfach rechts durch die Unterführung und in einem kleinen Neubausiedlungsviertel gelandet, schnurgerade Wege führen dort durch sauber abgezirkelte Grünstreifen und noch zu erschließenden Reihenhausbrachen. Reiche Bautätigkeit herrscht rund um einen lauschigen Park mit eigenem Sandstrand am Badesee. Ganz nett, aber draußen. Dann lieber Durchreisender und unten an der Dove Elbe direkt am Wasser gerastet, der Steg nicht höher als die Wellen, die vorbeifahrende Boote schlugen, und man mußte aufpassen, wollte man - als sei man selber Segler - nicht schnell den Hosenboden naß haben. In flirrender Sonne und von den Kanumädchen bewinkt kaum die passende Atmosphäre gefunden, die letzten 30 Seiten Bernhard zu Ende zu lesen, eisgraue Sätze über das frostige Menschenleben: "Dahinein führt nur ein Weg durch Schnee und Eis in Menschenverzweiflung..." (T.B., Frost). So werde ich natürlich nie fertig, bleibt ein Warten also auf die kalte Sophie.


 


Samstag, 24. April 2010


Von Menschenketten und Marienkäfern



Und selber? Heute mal lieber nur im Viertel agitiert. Blogger, laß das Glotzen sein/Komm' herunter, reih' dich ein! vor mich hingesummt und die soziale Vernetzung auf der Straße bereichert. Wir wollen das hier nicht, habe ich gehört, das sei schädlich für die Gesundheit.



Dieses Jahr besteht die fatale Aussicht, daß es wiederholt eine Marienkäferplage geben wird. Wir erinnern uns an letztes Jahr, Invasion an der Ostsee usw. Den ersten fetten Brummer habe ich bereits gesichtet und muß erneut warnen: Die Biester haben rasant dazugelernt, sie haben mittlerweile das Rad erfunden. Bei dem Tempo vermute ich, daß sie nächstes Jahr die Sache mit dem Schießpulver begriffen haben werden - und dann gnade uns Gott!



Ein bißchen Musik gehört, Bücher gekauft, den dicken Bauch gerieben. Im Fahrradladen gewesen, weil ich es mag, daß man dort immer gedutzt wird, egal in welches Geschäft man geht. Sie hatten meine Lampe nicht, es ist mal wieder kompliziert.



Wahre Liebe auf dem Wasser, wo sonst, möchte man fragen. Bald ist es warm genug für die Hedi. Zwei Bier, ein Sonnenuntergang, geht schon, nicht einwickeln, ich nehme es so.


 


Freitag, 23. April 2010


Schade

Jetzt verzahnt sich Blogger.de auch mit den Datenkraken.

(Kein Angst, nur Spielen!)

>>> siehe auch Spon

| von kid37 um 01:17h | 27 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Beschwingte Abende

Oft lese ich ganze Seiten und weiß gar nicht,
was ich gelesen habe. Ich fange dann noch
einmal von vorn an und entdecke, daß das
schön ist, was ich gelesen habe. Es handelt
von Menschen, die unglücklich sind.

(Thomas Bernhard. Frost. 1963.)



Von einem freundlichen Kollegen bekam ich dieser Tage eine Reihe wunderbarer Filme aus dem Schaffen Ulrich Seidls geschenkt - muntere Unterhaltung für lebensbejahende Heimkinoabende, meinte er, Berichte aus einem "kalten Österreich", genau das Richtige für mich. Kann ja gar nicht sein, denkt man, aber dann zitiert der Klappentext zu Tierische Liebe die Tiroler Tageszeitung: "Mehr Kälte, Einsamkeit, Schrecken ist in einem einzigen Film nicht vorstellbar" - und eine solche Erfahrung will man sich besser nicht entgehen lassen.

Seidls Import Export hatte mir einst ganz gut gefallen, aber aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Grund bin ich dem wunderbaren Werk dieses Mannes bislang nicht weiter hinterhergestiegen, Versäumnisse, die es nachzuholen gilt. In kargen, streng gebauten Bildern, mit Sets, die auf wenige Zeichen und Farben reduziert sind, weist Import Export Seidl als eine Art österreichischen Kaurismäki aus, mit einem gewissen Leerlauf in der Handlung vielleicht, eine stilisierte Langeweile, ausgefüttert durch die strenge Symmetrie der ruhigen Bilder.

Noch weitaus beeindruckender aber finde ich die Doku Tierische Liebe, ein Film, der einen rasch auf eine Weise bannt, wie es nur der Grusel des rätselhaft Authentischen vermag. Echt oder geschauspielert, echt oder geschauspielert? fragt man sich ein ums andere Mal, wenn man den Blick in abgewrackt wirkende Welten wagt, einem trostlosen Wien jenseits der Zuckerbäckeridylle, in dem einsame, gebrochene Gestalten in ihren Hunden, Kaninchen oder Frettchen die einzigen Freunde und Partner finden. Die sorgfältig durchkomponierten Bilder (Kamera: Peter Zeitlinger, Michael Glawogger, Hans Selikovsky) machen dabei aus wirklich jeder Einstellung ein minimalistisches Tableau, eine berückende Künstlichkeit, die den Film über übliche Sozialschmuddel-"Dokumentationen" heraushebt und überhaupt erst erträglich macht.

Wer ein wenig im Presseheft stöbert, versteht die langwierigen und aufwendigen Vorbereitungen, die Seidls Stil der "inszenierten Wirklichkeit" ermöglichen. Natürlich schleicht sich dennoch immer wieder unbehaglich die Frage in den Raum nach dem Nutzen, Benutzen und Ausnutzen der allzu leicht als "Material" zu verstehenden Realität - also den realen Schicksalen und Menschen (die sich meist deutlich nicht auf Augenhöhe mit Regisseur und Team befinden). Das Ergebnis bleibt dennoch ein erschreckendes, intimes und beeindruckendes Dokument, das unter der Oberflächenschicht des Bizarren und Skurrilen befremdlich und zugleich verstörend berührend ist.

(Tierische Liebe. Österreich, 1996. Regie: Ulrich Seidl.)
(Import Export. Österreich 2006. Regie: Ulrich Seidl.)

>>> Webseite von Ulrich Seidl

Super 8 | von kid37 um 14:00h | 10 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 21. April 2010


Das Buch als Gefährte

Man möchte es... zwischen zwei Küssen lesen... sagt der Ostermaier, und recht hat er. Es sollte nicht anders sein.


 


Montag, 19. April 2010


SamSon




Ach, die Tage fliegen dahin, mit ihr die Zeit (ticktock), die Zeit, die Zeit, die liebe Zeit. Wimmernde Problemfelder in 3D, die rufen "Erledige mich!", quietschende Scharniere, zerschundene Füße, Papierstapel und Zahlenfelder. Dazu: der Haushalt. Aber Freunde, Tür auf, Schwall Essig rein, Kühlschrank sauber - so geht das nicht. Die Dinge wollen beim Grundsätzlichen gepackt, entdarmt und ausgewaidet werden, die Farbe schön runtergeputzt, bis aufs nackte Holz. Überhaupt muß man viel mehr nackt sein, aber bitte nicht erst, wenn man durch die Wälder streift. Nachts sieht man nur Schiffe und Lichter und Hoffnung, aber tagsüber - die Räder singen schon wieder über dem Asphalt, tragen bis in den kondensfreien Himmel - verschlug es mich in die Naturschutz- und -freundegebiete mitten in FKK-Winkel, ich meine, ich weiß ja von nichts, ich kann das ja nicht ahnen. Ich habe Dinge gesehen, Dinge, sage ich, man möchte darüber keinen Bericht. Männer in Sandalen, bleiche Haut, intime Schlenkerkultur und die Zeiger auf halb acht.

Das hätte man mal dem Besuch aus der großen Stadt vorführen können, aber die rufen immer "Schiffe sehen, Schiffe sehen", während ich dann zaghaft sage, hier, schaut, Graffiti an kaputten Wänden, wir haben auch Großstadtflair! Mit humpelndem Fuß einen auf tapfer gemacht, zuviel erzählt und zu wenig gefragt, man kommt ja aber sonst auch nicht raus. Natur also, wenn schon die Flugzeuge nicht gehen und meine Packstation auch nicht, die Technik also kapituliert vor dem staubigen Bäuerchen eines isländischen Vulkans. Ohne Zwang macht hier ja niemand eine Pause.


 


Freitag, 16. April 2010


Asche zu Asche

Wie der bekannte Schlager Es war ein Mädchen und ein Matrose so anschaulich präzisiert, ist ein zuviel der Rede und ein zuviel des verbalen Verstehens ja gar nicht immer wünschenswort. So plaudere ich stumm, schaue die Wolken und deute die Zeichen, zerfranste Metaphern, ausgezakt, schrill wie der Schrei im Büroflur, wenn das Glöcklein schlägt.

Gestern endlich die Fabrik einmal fünf Minuten früher verlassen und siehe da, es war hell noch für Augenblicke. Man sah ein Licht am Himmel, schweigend staunende Menschen packten sich ein vom Abendrot, tunkten Segel darin und sprachen von Glück. Derweil die Zeitungen runten von Blutregen und finsteren Wolken aus Asche, die vom vulkanischen Nordland herkommend langsam gen Süden ziehen. Ein altes Sprichwort sagt: Wenn die eisernen Vögel am Boden bleiben und der Himmel finster vor Asche ist, werden MP3-Player sein wie ein kleines Bayreuth und Walküren reiten über leergefegte Flugfelder. (Snorri Sturluson)

Schlaf könnte sein ein großes Versprechen.