Samstag, 6. März 2010


Darkness makes the night more cold



Heute habe ich eine kunstphilosophische Gesprächsrunde zum Thema Kunst & Fleisch mit ein wenig Rotwein abgelöscht. Sophia Loren knallt an den Landungsbrücken gerade eine Flasche Champagner gegen einen Schiffsrumpf. Hamburg hat rechtzeitig eine frische weiße Decke ausgelegt, Neuschnee im März, das wird niemals aufhören. Morgen werde ich den Verstärker aus dem Keller holen. Beschlußlage 2010.


 


Freitag, 5. März 2010


Woche für Woche

Während ein kleiner Alaska-Schneesturm versuchte, mich bis an den Rand meiner Strickmütze einzugraben, mich nach Schichtende noch tapfer zur Eröffnung bei Robert Morat durchgekämpft. Michael Lange ("L. A. Drive By") rechts, eine Gruppenausstellung links (u. a. Joakim Eskilden, Joachim Riechau, Anna Jacquemard, Richard Rothman, Julia Calfee). So dichtgedrängt mit dickfelligen Daunenjacken, daß man kaum etwas sah. Ein voller Erfolg also. Erkenntnis: Wohltuend, endlich wieder echte analoge Schwarzweißfotografie zu sehen, wahres Schrot und Korn. Inhaltlich war es meist so Ja und Ja. Ohne Ausrufezeichen. Die verwischten Bilder der Jacquemard, das Hingetupfte, Unheimliche auch, nahm ich innerlich mit.

Schnell weg, heim und: Ach. So einen alten Tischkalender hätte ich gern. Was wäre das ein Glück, mich auf diese Weise jeden Morgen der Tage zu vergewissern.

Der schwedische Regisseur Emil Klang verfolgt derzeit eines dieser vielen 52-Wochen-Projekte. The Weeks of Dasha sind so eine Mischung aus Kurzfilmen, Modejournal und Tagebuch über das (fiktive) Leben des russischen Models Dasha. Ist so mal so, mal so. Aber dieser alte metallene Tischkalender. Wenn jemand mal so was günstig sieht... usw.

via Dazed & Confused


 


Freitag, 5. März 2010


Frisch aus dem Hut gezogen

"I wonder how many miles
I've fallen by this time?"
(Lewis Carroll, Alice in Wonderland)



Ich habe mir vorgenommen, noch ein wenig skeptisch zu bleiben. Computergenerierte Trompe-l'œil-Welten, 3-D-Gebrause ("Im Himmel muß niemand eine Brille tragen!"), Elfman-Gepampe, es scheint alles so laut, optisch und akustisch. Und irgendwie hat mich der Regisseur, dem persönlich alle meine Sympathien gelten, in den letzten Jahren oft enttäuscht. Eigentlich ist es doch eine kleine, intime Geschichte, über Kindheit und Erwachsenwerden, meinetwegen ein tinkturgetränkter Fiebertraum. Muß das so GROSS inszeniert werden als sei es Hannibals Zug über die Alpen?



Ich werde also noch abwarten mit dem Kinobesuch. Wenig Skepsis indes gilt dem neuesten Werk der hier in den letzten Jahren schon beiläufig erwähnten Camille Rose Garcia entgegenzubringen. Sie hat Alice in Wonderland neu illustriert und vollgepackt mit Tentakelwesen, traurigen Teetrinkerinnen und taschenuhrschwingenden Tattergreisen Kaninchen. Kommt nicht zu spät, noch kann man das hübsch aufgemachte Buch bequem erwerben.



(Lewis Carroll. Alice's Adventures in Wonderland. Illustriert von Camille Rose Garcia. New York: Collins Design, 2010.)


 


Dienstag, 2. März 2010


Menschen, die in Türen träumen

In meinem neuen Roman Menschen, die in Türen träumen geht es um das moderne Leben in der Großstadt, hingetupft zwischen flüchtigen Begegnungen und dem unversehens wiederkehrenden Gefühl von Einsamkeit in der Masse. Rolltreppenbummler K. verbringt seine Tage in Kaufhäusern und U-Bahnstationen, geht dort dem Werk nach, am Ende von Rolltreppen einfach stehenzubleiben, den Fluß zu hemmen und sich von Herumeilern beschimpfen zu lassen. Die Arbeit, die zu den niederen zählt, ist gering nur bezahlt, ermöglicht K. aber ein Auskommen knapp über dem Regelsatz. Er ist es zufrieden, denn Ziele und Ansprüche hat er kaum, seine Tage verlaufen gleichförmig im steten treppauf, treppab. Eines Tages aber begegnet er der jungen Türträumerin L, die manchmal im selben Kaufhaus wie K. beschäftigt ist. Sie steht dort in Schwingtüren und Eingängen herum, vielleicht schwankt sie dabei ein wenig von links nach rechts und dann wieder zurück, wenn die Türen besonders breit sind. Aber meist steht sie nur dort im engen Weg und träumt.

K. findet Gefallen an der jungen Frau und bietet ihr seinen Rucksack an, mit dem sich die Zugänge noch viel einfacher versperren lassen. Zum Dank weiht L. ihn ein in die Geheimnisse ihres Geschäfts. Gemeinsam nun stehen sie da, ein wie miteinander verschmolzenes Paar, eine undurchdringliche Barriere und Deichbau gegen die wütenden Wogen von drängenden Leibern. Unbeirrt sind sie nur sich und ganz dort, sind ein Körper, ein Rucksack, ein Gedanke. Sie stehen in Türen und träumen.


 


Sonntag, 28. Februar 2010


Endlich wieder Herbst

It's been winter for a whole year
But you couldn't hurt me if you tried

(New Order, "Primitive Notion")

Wie schön es draußen taut. Plusgrade in der Hafenstadt, der Hof bietet dem anstoßenden Auge ein von Silvesterböllern übersätes Bild. Die weiße Decke über Nacht weggezogen, splitt- und sandgeschunden zeigt der Asphalt frische Narben, Töne von Grau, herzwarmes Anthrazit, gekrümmte Hundehaufen - womöglich noch vom letzten Jahr.

Beim Tätowierer sitzen farberfrischte erste Menschen und lassen sich die Seepferdchen nachstechen. Nadelklappern, ein erdolchtes Herz aus Blut gestrickt. Vorm Lokal "Zur welken Rose" stellt der Wirt vergilbte Monoblocks nach draußen, gleich ist Ostern, dann schon wieder Herbst.

Im Segelschlußverkauf alte Hoffnungen im Dreierpack. Mir eine vorgefertigte Jahresbilanz, zehn Stück mit Steuersparrabatt. Mit verbrühten Händen zählt ein alter Mann sein Geld, über ältere Narben legt sich ein weiteres Geflecht.

Die Nacht dann, später, voller Mond und nur ein trunkener Hund, der heult. Im Ohr 1963, man kann die Tage langsam runterzählen. Eine verblichene Kreidezeichnung, Reste aus dem Sediment geschält, das Eis auf dem Kanal pumpt und ächzt, ein Grollen hebt sich aus der Tiefe. There were too many ways that you could kill someone/Like in a love affair, when the love has gone. Damals in der D-Jugend sangen wir noch frech und matschverschmiert "Wir sind doch nicht aus Limonade". Als das Spiel dann vorbei war.


 


Freitag, 26. Februar 2010


Automata

Machen wir doch einfach mal weiter mit den Glücksmaschinen. Es gibt ja Dinge, von denen hat man auch als Seemann bekanntlich nie zuviel im Haus. Die schönen, zum Beispiel. Der Brite Keith Newstead verbringt seine Zeit vorbildlich mit höchst nützlichem Tun und baut kleine kinetische Wunderwerke, simple, aber faszinierende Maschinen, deren Bewegungen man endlos verfolgen möchte. Es heißt ja bekanntlich, der Mensch könne nur zwei Dingen endlos zuschauen: den Wellen und wie andere Menschen arbeiten. Diese Maschinen sollten unbedingt dazugezählt werden.

Hier fliegt der elegante Catcopter und dort jagt ein Schmetterlingssammler seiner flüchtigen Beute hinterher durch die Lande. Am besinnlichsten und erbaulichsten aber ist diese kleine lehrreiche historische Inszenierung: Angesichts der wie ein Uhrwerk ablaufenden Exekution der Königin Maria möchte man begeistert rufen: "Noch mal! Noch mal! Noch mal!"

>>> Webseite von Keith Newstead


 


Mittwoch, 24. Februar 2010


Glücksmaschinen

Wir haben Angst,
Aber leider keine Zeit dafür.

(Fehlfarben, "Neues Leben")

Das neue Album ist recht knapp gehalten, das hatte Peter Hein neulich schon angedr... angekündigt. Auch textlich war das alles schon mal... elaborierter. Oder mehr auf den Punkt. Vielleicht fehlt in der neuen Position als Ex-Angestellter der betriebsbedingte Lesezirkel aus Tageszeitungen, aus dem man eine Wortwelt zusammenklaubt, vielleicht muß man auch nicht mehr alles so rundumerklären. Die Gitarre fehlt, doch genau, die vermisse ich. Wirklich. Aber der Schwung, der Schwung ist da. Bitte Frühling jetzt, ein wenig Glück, meinetwegen aus der Maschine, soll ja auch gut schmecken, aus den Vollautomaten der Nation/Tag und Nacht durch stete Produktion...

Ich brauch' keinen Schnee. Ich brauch' mehr Hüftschwung entlang der Tapetenlinie. Müde Glieder, meine Güte, lang genug gewartet.

>>> Geräusch des Tages: Fehlfarben, Wir warten

Radau | von kid37 um 12:50h | 25 mal Zuspruch | Kondolieren | Link