Dienstag, 2. März 2010


Menschen, die in Türen träumen

In meinem neuen Roman Menschen, die in Türen träumen geht es um das moderne Leben in der Großstadt, hingetupft zwischen flüchtigen Begegnungen und dem unversehens wiederkehrenden Gefühl von Einsamkeit in der Masse. Rolltreppenbummler K. verbringt seine Tage in Kaufhäusern und U-Bahnstationen, geht dort dem Werk nach, am Ende von Rolltreppen einfach stehenzubleiben, den Fluß zu hemmen und sich von Herumeilern beschimpfen zu lassen. Die Arbeit, die zu den niederen zählt, ist gering nur bezahlt, ermöglicht K. aber ein Auskommen knapp über dem Regelsatz. Er ist es zufrieden, denn Ziele und Ansprüche hat er kaum, seine Tage verlaufen gleichförmig im steten treppauf, treppab. Eines Tages aber begegnet er der jungen Türträumerin L, die manchmal im selben Kaufhaus wie K. beschäftigt ist. Sie steht dort in Schwingtüren und Eingängen herum, vielleicht schwankt sie dabei ein wenig von links nach rechts und dann wieder zurück, wenn die Türen besonders breit sind. Aber meist steht sie nur dort im engen Weg und träumt.

K. findet Gefallen an der jungen Frau und bietet ihr seinen Rucksack an, mit dem sich die Zugänge noch viel einfacher versperren lassen. Zum Dank weiht L. ihn ein in die Geheimnisse ihres Geschäfts. Gemeinsam nun stehen sie da, ein wie miteinander verschmolzenes Paar, eine undurchdringliche Barriere und Deichbau gegen die wütenden Wogen von drängenden Leibern. Unbeirrt sind sie nur sich und ganz dort, sind ein Körper, ein Rucksack, ein Gedanke. Sie stehen in Türen und träumen.


 


Sonntag, 28. Februar 2010


Endlich wieder Herbst

It's been winter for a whole year
But you couldn't hurt me if you tried

(New Order, "Primitive Notion")

Wie schön es draußen taut. Plusgrade in der Hafenstadt, der Hof bietet dem anstoßenden Auge ein von Silvesterböllern übersätes Bild. Die weiße Decke über Nacht weggezogen, splitt- und sandgeschunden zeigt der Asphalt frische Narben, Töne von Grau, herzwarmes Anthrazit, gekrümmte Hundehaufen - womöglich noch vom letzten Jahr.

Beim Tätowierer sitzen farberfrischte erste Menschen und lassen sich die Seepferdchen nachstechen. Nadelklappern, ein erdolchtes Herz aus Blut gestrickt. Vorm Lokal "Zur welken Rose" stellt der Wirt vergilbte Monoblocks nach draußen, gleich ist Ostern, dann schon wieder Herbst.

Im Segelschlußverkauf alte Hoffnungen im Dreierpack. Mir eine vorgefertigte Jahresbilanz, zehn Stück mit Steuersparrabatt. Mit verbrühten Händen zählt ein alter Mann sein Geld, über ältere Narben legt sich ein weiteres Geflecht.

Die Nacht dann, später, voller Mond und nur ein trunkener Hund, der heult. Im Ohr 1963, man kann die Tage langsam runterzählen. Eine verblichene Kreidezeichnung, Reste aus dem Sediment geschält, das Eis auf dem Kanal pumpt und ächzt, ein Grollen hebt sich aus der Tiefe. There were too many ways that you could kill someone/Like in a love affair, when the love has gone. Damals in der D-Jugend sangen wir noch frech und matschverschmiert "Wir sind doch nicht aus Limonade". Als das Spiel dann vorbei war.


 


Freitag, 26. Februar 2010


Automata

Machen wir doch einfach mal weiter mit den Glücksmaschinen. Es gibt ja Dinge, von denen hat man auch als Seemann bekanntlich nie zuviel im Haus. Die schönen, zum Beispiel. Der Brite Keith Newstead verbringt seine Zeit vorbildlich mit höchst nützlichem Tun und baut kleine kinetische Wunderwerke, simple, aber faszinierende Maschinen, deren Bewegungen man endlos verfolgen möchte. Es heißt ja bekanntlich, der Mensch könne nur zwei Dingen endlos zuschauen: den Wellen und wie andere Menschen arbeiten. Diese Maschinen sollten unbedingt dazugezählt werden.

Hier fliegt der elegante Catcopter und dort jagt ein Schmetterlingssammler seiner flüchtigen Beute hinterher durch die Lande. Am besinnlichsten und erbaulichsten aber ist diese kleine lehrreiche historische Inszenierung: Angesichts der wie ein Uhrwerk ablaufenden Exekution der Königin Maria möchte man begeistert rufen: "Noch mal! Noch mal! Noch mal!"

>>> Webseite von Keith Newstead


 


Mittwoch, 24. Februar 2010


Glücksmaschinen

Wir haben Angst,
Aber leider keine Zeit dafür.

(Fehlfarben, "Neues Leben")

Das neue Album ist recht knapp gehalten, das hatte Peter Hein neulich schon angedr... angekündigt. Auch textlich war das alles schon mal... elaborierter. Oder mehr auf den Punkt. Vielleicht fehlt in der neuen Position als Ex-Angestellter der betriebsbedingte Lesezirkel aus Tageszeitungen, aus dem man eine Wortwelt zusammenklaubt, vielleicht muß man auch nicht mehr alles so rundumerklären. Die Gitarre fehlt, doch genau, die vermisse ich. Wirklich. Aber der Schwung, der Schwung ist da. Bitte Frühling jetzt, ein wenig Glück, meinetwegen aus der Maschine, soll ja auch gut schmecken, aus den Vollautomaten der Nation/Tag und Nacht durch stete Produktion...

Ich brauch' keinen Schnee. Ich brauch' mehr Hüftschwung entlang der Tapetenlinie. Müde Glieder, meine Güte, lang genug gewartet.

>>> Geräusch des Tages: Fehlfarben, Wir warten

Radau | von kid37 um 12:50h | 25 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 22. Februar 2010


Polarklar

Samstagnacht drei Stunden um den Block gelaufen, wie man so sagt. Abhärtung für größere Aufgaben, Orientierungslauf und Steigerung der Kältetoleranz. Die von fahlen Straßenlaternen nur in düsteren Lichtinseln bestrahlten frischvereisten Wege wie eine dampfende kleine Maschine abgestapft, ein rumpelnder, rostiger Roboter, am Fischladen vorbei bis hinunter zur Tankstelle, die roten und gelben Lichter als Leuchttürme, trunkenes Geschrei nach irgendwelchen "Taxiiis" auf der anderen Straßenseite, weiter aber, man muß das mit halbgeschlossenen Augen schaffen, sich vorkämpfen in die stilleren Seitenstraßen, das trügerisch glitzernde Kopfsteinpflaster nicht als einziger Feind, fragt nicht. Irgendwann Abbruch des Experiments, Tiefstand der Gestirne, ich möchte kein Eisbär sein.

Tags drauf dann kurz die Nase in die Kunsthalle gesteckt. Aber "Pop Art" und "Sonntag" gleich "knüppelvoll", die Menschen, die wollen das Goldene Kalb von Damien Hirst sehen, bitte, danke, ich bete an einem anderen Tag. Im Gängeviertel dann kurz über die Auswirkungen nächtlicher Kältewanderungen nachgedacht, bis Berlin muß ich wohl irgendwie und unbemerkt gekommen sein, denn auf einmal steht da Frau Kopffüßler, so klein ist diese Stadt. Hatte aber alles seine Richtigkeit, die Orte also und die Koordinaten. Das Gängeviertel liegt eingeigelt in Matsch und Schnee und feuchter Kälte, umso mehr zeigen die freundlichen Menschen, um was es auch geht: Beharrungsvermögen.


 


Samstag, 20. Februar 2010


Niemand stiehlt mein Käsebrot

Don't judge a Brot
by its cover.

Mal die kalte Hand aufs Herz: Wer möchte sich schon die Butter vom Brot nehmen lassen, geschweige denn das ganze Brot? Wenn ich morgens Glenn-Gould-umklimpert wie Hannibal Lecter in Küche stehe und liebevoll meine Käsebrote schmiere, sehe ich aber leider schon die gierigen Augen meiner Kollegen vor mir. Wenn sie des mittags ihre Fertigpampe in die Strahlenmaschine stellen, den Geruch von verbrannten künstlichen Aromen als "was Asiatisches" deklarieren, heimlich aber doch auf meine Stullen schielen, gute alte Kost für lange Tage. Bislang hielt ich mir Neider und hungrige Blicke mit einer rostigen Brotdose vom Leibe, deren schiere Unansehnlichkeit über den leckeren Inhalt täuschen sollte oder sich mit Nachdruck auf lange Finger schlagen ließ. Nun aber hat auch die Produkteindustrie ein Einsehen und liefert den ultimativen Schutz für zarte Brote. Nie mehr heimlich unterm Schreibtisch muß ich essen, offen kann ich's Vesperbrot plazieren. Stilles Glück.

>>> Geräusch des Tages: Foyer des Arts, Schimmliges Brot.


 


Donnerstag, 18. Februar 2010


"Ein offenbar lustiges Tier"



Jetzt habe ich mir das Buch einfach mal zugelegt, nachdem mir mehr und mehr Menschen aus meinem Bekanntenkreis heimlich zuflüsterten, sie hätten "es" gelesen und... (die Gespräche brachen dann verschwörerisch ab). Meine zweite überarbeitete Auflage enthält Danksagungen, detaillierte Quellenangaben (!), ein umfangreiches Glossar (!!) und ebenfalls umfangreiches Literaturverzeichnis und viele Bilder (!!!). Inhaltlich ist es tatsächlich ausgesprochen explizit, ein schonungslos-animalischer Bericht aus schummrig beleuchteten Feuchtgebieten: "Die eigentliche Paarung findet nachts statt; das Männchen setzt eine oval-zylindrische Spermatophore ab, die vom Weibchen in die Kloake aufgenommen wird."

Man hört augenblicklich den dumpfen, hammerharten Beat, sieht das fluoreszierende Licht aus Clubs, die "Aquarium" heißen und eine glaswandharte Türpolitik betreiben.

An einigen Stellen, das muß man einräumen, liest es sich etwas holprig und verstellt abstrakt ("Die Umwandlung muß zwischen Schlupf und Geschlechtsreife stattfinden und Strukturen umfassen, die nicht mit der Fortpflanzung im Zusammenhang stehen.") Vielleicht ist das mit dem Alter des Autors zu erklären, der Lesefreude steht das nur selten im Wege, überzeugen doch immer wieder im Sound einer Generation gesetzte, messerscharfe Beobachtungen über flüchtige Begegnungen mit Bewohnern der dunklen Hinterräume: "Sie sind schwanzlos, ihr Darm ist relativ kurz." Unmißverständlich.

Die Anwürfe, daß manche Bilder an die erinnern, die sich auch in Blogs finden, lassen sich leicht entkräften. Es ist ein Remix, ein ebenso intelligentes wie ironisches Spiel, freundlich lächelnd wie das Axolotl selbst.

(Joachim Wistuba. Axolotl. Münster: Natur und Tier Verlag, 2. Aufl. 2008.)