
Mittwoch, 17. Februar 2010

Denn wir sind wie Boote im Schnee. Scheinbar liegen sie glatt auf, und mit kleinem Anstoß sollte ein Axolotl sie wegschieben können. Nein, das kann man nicht, denn sie sind fest mit dem Eis verbunden. Aber sieh, sogar das ist nur scheinbar.
(Für Franz)

Dienstag, 16. Februar 2010
Es ist ja nichts ohne Folge. Gestern also wie ein aus dem Schlaf erwachtes Axolotl und immer noch mit dem Gefühl, als hätte ich beim Grottenolmtauchen Wasser ins Ohr bekommen, zum HNO gestapft. Das kam so: Weil ich ja zum Konzert meine Ohrstöpsel vergessen hatte und den alten Trick mit dem Papiertaschentuch, also einem kleineren Teil davon, benutzte, sich dann aber nachher der Pfropfen im rechten Ohr nicht wiederfinden wollte, fühlte ich mich ein wenig, nun ja, verstopft. Mancher hat auf Konzerten schon sein Herz verloren, ein anderer einen steilen Zahn oder das Gedächtnis. Gut bedient also war ich, aber doch einseitig in einer etwas dumpfen Welt gefangen.

Die Ohreninspektorin, eine muntere ältere Dame mit lustiger Höhlenexpeditionsstirnlampe um den Kopf, grinste sich denn auch nur eins, bohrte mir einen kleinen metallenen Metalltrichter ins Ohr, griff dann zu einer langen Stahlpinzette und zog beherzt den zusammengerollten Knüssel ins Freie. Ah, was für eine wohltuende Empfindung, wie sie mir den Stopfen durch die enggebaute Körperöffnung zog, so ein befreiendes kleines Glücksgefühl, an dessen Ende eine sinnliche, funkensprühende Hörexplosion stand, konnte ich doch plötzlich Töne hören - ich dachte, die Engel singen, so klar war auf einmal wieder meine Welt. So muß sich also ein Ohrvaginalorgasmus anfühlen, dachte ich, aber dann kann ich das vielleicht nicht wirklich beurteilen, ist dies doch eventuell "so ein Mädchending", wie A Softer World vermuten.
Doch während ich noch "Prima!" rief und zugleich ein "Noch mal!" unterdrückte, wurden mir Praktiken nahegebracht, die man anderswo unter dem Begriff "Wassersport" kennt. Na ja, eigentlich mehr ein Einlauf: Zur kleinen Dusche wurde erneut mein Ohr penetriert, mit einem harten, metallenem Rohr diesmal, warm ergoß sich das Wasser in mir, hui, dachte ich und hörte das Glucksen an meinem Trommelfell, maybe that's a girl thing, danach war ich wieder in dumpfe Taubheit umhüllt - Wasser im Ohr. Unersättlich, griff Frau Doktor zum nächsten Instrument, ein dünner Stab diesmal, mit einem Wattepfropf umhüllt, wanderte in meinen Gehörgang - na toll, dachte ich. Wenn der jetzt steckenbleibt, bin ich so weit wie am Anfang, immerhin aber um interessante sinnliche Erfahrungen reicher.
Es ging aber alles gut, das O war befreit und trocken, schnell noch ein Blick in H und N, der flotte Dreier der Kopföffnungsbeschau, dann aber ins andere Zimmer zu einem kurzen Hörtest, galt es doch, den berüchtigten "Discoschaden!" auszuschließen. Flüsterleises Fiepen hauchte mir aus den Kopfhörern entgegen, munter drückte ich den Knopf, Reiz-Reaktions-Experiment, los, rief ich, 120 Volt! Da geht noch was, und drehen Sie mal die Bässe auf! Die Hörkurve aber wie 25, meinte die Ärztin. "Die jungen Leute", sprach sie und sah mich dabei an, als wolle sie sagen "also diese andere demographische Gruppe, zu der wir beide nicht mehr gehören", also "die jungen Leute, haben da" - sie zeigte auf die 4 kHz-Markierung - "schon einen deutlichen Abfall". Sie setzte ein wissendes Lächeln auf: "Discoschaden!"
Diese Welt ist eben stiller, tief in den Höhlen, in die sich nur wenige verirren. Hier hört man alles ganz genau, die steten Wassertropfen, die leisen und die Zwischentöne.

Montag, 15. Februar 2010




Wer herzlich eingeladen wird, darf nicht fehlen. Im Hamburger Knust sorgten am Freitag drei Bands für das innere und äußere Warmwerden der steifgefrorenen Kapuzenpullifrostbrigade, eingerahmt von einem schönen Mix mit Hits aus meiner Jugend. Potato Fritz durchschwammen schlafwandlerisch sicher einmal das große Freirockerbecken und zurück, Heimspiel nicht für jedermann, "Unentschieden!" rief jemand, könnte aber auch das Endergebnis des an diesem Abend ebenfalls spielenden FC St. Pauli gemeint haben. Meditation und Eruption: Danach der Höhepunkt des Abends heizten Herr Krüger und seine Jungs von Happy Grindcore den grindigen Schmalz aus den Ohren, großes Spektakel, Publikums- und Weltbeschimpfung, Verhandlung der letzten Dinge, der unplugged Tritt gegen akustische Eier, alle gegen Alles, demnächst dann Welthit, documenta, Klagenfurt. Axolotl-Kettensägenmassaker.
Aufs Hirn folgt das Herz, die Boxhamsters kochen kurz, trocken und schnickschnacklos den Saal auf, großes Gewoge vor der Bühne, Ergriffenheit links und rechts, der Sound allerdings, das muß man sagen, hätte besser sein können. Man versicherte mir, man könne die sowieso ganz ausgezeichnet mit dem Herzen hören, weshalb es wohl nichts machte, daß ich mein eines vorsorglich zugestopftes Ohr anschließend nicht mehr freibekam. Die herbstblättrige Brut Imperial-Tour endet im Sommer im Ratinger Hof, standesgemäß also.

Freitag, 12. Februar 2010
Immer wieder faszinierend, wie sich Leute öffentlich umturteln, von denen man weiß, was sie wirklich übereinander denken.


Die Menschen in der großen Stadt, die nicht an die 60. Berlinale gebunden sind oder mit Helene H. und René P. in der Volksbühnenkantine sitzen müssen, können sich glücklich schätzen. Sie können heute abend über das schillernde Eis der Boxhagener Straße schlittern und die Vernissage zum siebten Jubiläum der Strychnin-Galerie erleben. Das kleine vibrierende Universum füllen Pop-Surrealism- und Low-Brow- Künstler, die im Laufe der letzten Jahren in der Galerie gezeigt wurden: Leslie Ditto, Wee Flowers, Lisa Mei Ling Fong, Richard Kirk sind dabei, Beth Robinson, Raf Veulemans, Tim Roosen, Ver Mar, Scott Holloway, Chris Peters, Alexander Sterzel, Christian Rothenhagen, Christina Graf, der großartige Scott Radke, David Hochbaum, Mark Verhaagen, Diva - und viele weitere. Die Strychnin-Truppe ist sicher schon ganz gespannt und im übrigen erfahren darin, auch den verfrorensten Gast noch aufzuwärmen. Weiß ich genau. Also, keine Ausreden, ihr Schneemänner und Eisdiven.
("7 Year Itch" - Gruppenausstellung in der Strychnin Galerie, Boxhagener Str. 36. Berlin.)

Donnerstag, 11. Februar 2010
Die Unfähigkeit, konsequent zu sein. Das Verschwendete daran, die Aussichtslosigkeit. Das Verschwenderische daran, die Hoffnung.

Montag, 8. Februar 2010
Jetzt dreht das Feuilleton völlig durch. The Wunderkind ist Pynchon, Burroughs, John Dos Passos. Wie konnte man das übersehen.

Samstag, 6. Februar 2010

Seit langer Zeit mal wieder auf einer dieser Abendveranstaltungen gewesen, auf denen man viele Hände schüttelt, Wassertiefen mit scheinbar harmlosen Fragen auslotet, hier und da auch mal direkter mit dem Finger bohrt, Anzugträger beobachtet, wie sie mit schiefgelegtem Köpfchen um wichtigere Anzugträger herumscharwenzeln, ein von einem Kellner mit österreichischem Akzent angedientes mikroskopisch kleines Wiener Schnitzl (Fingerfood: Es paßte in ein Teelichtglas) freundlich ablehnt, dafür verstohlen seine Kollegin beobachtet, die an eine Exfreundin erinnert, sich aber lieber sich selbst amüsierend darauf beschränkt, die eigenen Muster und Parallelen herauszuarbeiten. Dann die Auftaktfolgen einer wohl recht beliebten US-amerikanischen, reaktionären Paranoia-TV-Serie schauen, den feuchten Traum eines jeden Sicherheitspolitikers, kurz ein, zwei witzige Zeilen mit dem Grandseigneur des deutschen Nachrichtenmoderationswesen wechseln, der ebenfalls anwesend ist, dann wieder durch sein Bierglas starren, an den Heimweg denken. Eisige Zeiten und immer weniger Halt.
