Emolotl Ohrkill

Es ist ja nichts ohne Folge. Gestern also wie ein aus dem Schlaf erwachtes Axolotl und immer noch mit dem Gefühl, als hätte ich beim Grottenolmtauchen Wasser ins Ohr bekommen, zum HNO gestapft. Das kam so: Weil ich ja zum Konzert meine Ohrstöpsel vergessen hatte und den alten Trick mit dem Papiertaschentuch, also einem kleineren Teil davon, benutzte, sich dann aber nachher der Pfropfen im rechten Ohr nicht wiederfinden wollte, fühlte ich mich ein wenig, nun ja, verstopft. Mancher hat auf Konzerten schon sein Herz verloren, ein anderer einen steilen Zahn oder das Gedächtnis. Gut bedient also war ich, aber doch einseitig in einer etwas dumpfen Welt gefangen.





Die Ohreninspektorin, eine muntere ältere Dame mit lustiger Höhlenexpeditionsstirnlampe um den Kopf, grinste sich denn auch nur eins, bohrte mir einen kleinen metallenen Metalltrichter ins Ohr, griff dann zu einer langen Stahlpinzette und zog beherzt den zusammengerollten Knüssel ins Freie. Ah, was für eine wohltuende Empfindung, wie sie mir den Stopfen durch die enggebaute Körperöffnung zog, so ein befreiendes kleines Glücksgefühl, an dessen Ende eine sinnliche, funkensprühende Hörexplosion stand, konnte ich doch plötzlich Töne hören - ich dachte, die Engel singen, so klar war auf einmal wieder meine Welt. So muß sich also ein Ohrvaginalorgasmus anfühlen, dachte ich, aber dann kann ich das vielleicht nicht wirklich beurteilen, ist dies doch eventuell "so ein Mädchending", wie A Softer World vermuten.

Doch während ich noch "Prima!" rief und zugleich ein "Noch mal!" unterdrückte, wurden mir Praktiken nahegebracht, die man anderswo unter dem Begriff "Wassersport" kennt. Na ja, eigentlich mehr ein Einlauf: Zur kleinen Dusche wurde erneut mein Ohr penetriert, mit einem harten, metallenem Rohr diesmal, warm ergoß sich das Wasser in mir, hui, dachte ich und hörte das Glucksen an meinem Trommelfell, maybe that's a girl thing, danach war ich wieder in dumpfe Taubheit umhüllt - Wasser im Ohr. Unersättlich, griff Frau Doktor zum nächsten Instrument, ein dünner Stab diesmal, mit einem Wattepfropf umhüllt, wanderte in meinen Gehörgang - na toll, dachte ich. Wenn der jetzt steckenbleibt, bin ich so weit wie am Anfang, immerhin aber um interessante sinnliche Erfahrungen reicher.

Es ging aber alles gut, das O war befreit und trocken, schnell noch ein Blick in H und N, der flotte Dreier der Kopföffnungsbeschau, dann aber ins andere Zimmer zu einem kurzen Hörtest, galt es doch, den berüchtigten "Discoschaden!" auszuschließen. Flüsterleises Fiepen hauchte mir aus den Kopfhörern entgegen, munter drückte ich den Knopf, Reiz-Reaktions-Experiment, los, rief ich, 120 Volt! Da geht noch was, und drehen Sie mal die Bässe auf! Die Hörkurve aber wie 25, meinte die Ärztin. "Die jungen Leute", sprach sie und sah mich dabei an, als wolle sie sagen "also diese andere demographische Gruppe, zu der wir beide nicht mehr gehören", also "die jungen Leute, haben da" - sie zeigte auf die 4 kHz-Markierung - "schon einen deutlichen Abfall". Sie setzte ein wissendes Lächeln auf: "Discoschaden!"

Diese Welt ist eben stiller, tief in den Höhlen, in die sich nur wenige verirren. Hier hört man alles ganz genau, die steten Wassertropfen, die leisen und die Zwischentöne.

Radau | 12:44h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
not quite like beethoven - Dienstag, 16. Februar 2010, 13:23
Das ist
aber mal ein schöner Text! Ich glaub, ich hätte gar nichts gegen so einen Ohrvaginalorgasmus -- selbst wenn sich herausstellen würde, dass es ein Mädchendingens sein sollte...

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kid37 - Dienstag, 16. Februar 2010, 14:23
Wie Sie sicher wissen, kann man da leider nicht zur Nachahmung raten, das Ergebnis ist ungewiß. Ich hoffe, das Old-School-Hörgerät ist Ihrem designinteressierten Auge nicht entgangen.

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not quite like beethoven - Dienstag, 16. Februar 2010, 17:43
Ist es nicht -- aber das kann ich ja nun nicht mehr beweisen... ;-)

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nnier - Dienstag, 16. Februar 2010, 13:45
Zu Beginn des Textes wollte ich schon begeistert "Ohrspülung! Ohrspülung!" rufen, aber Sie sind ja dann auch beglückt worden. Erohrgene Zonen.

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kid37 - Dienstag, 16. Februar 2010, 14:24
Man schüttelt dann anschließend wie ein begossener Pudel so wohlig den Kopf.

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mark793 - Dienstag, 16. Februar 2010, 15:13
Töchterlein hat das Procedere vorigen Freitag jedenfalls sehr ruhig und geduldig über sich ergehen lassen - zur großen Verwunderung bei Ärztin und Helferin.

Da kam aber auch eine Brühe raus...

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vert - Dienstag, 16. Februar 2010, 15:49
oh, da fällt mir ein, dass es mal eine krankenkasse gab, die versuchte im großen stil "nasenspülkannen" unters volk zu bringen.
der große spaß für jung und alt.
vielleicht gibt es so etwas auch für O.

(für H nennt man es dann wohl beck'steetasse, um die trias der zu spülenden körperkopföffnungen zu vervollständigen.)

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kid37 - Dienstag, 16. Februar 2010, 18:37
Schnabeltasse aber mindestens, wenn kein Flaschbier in der Nähe ist. So rundum gespült, könnte man sich fast ein neues Feuchtgebiet im Kopf remixen.

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burnster - Dienstag, 16. Februar 2010, 20:32
Ja, Sappralotl!
Sie machen Sachen. Das hat mich erinnert an folgendes unangenehmes Erlebnis: http://burnster.de/2007/06/19/hort-hort/.
Immerhin bei Ihnen heroisch der Discoschaden, bei mir wieder nur die eigene Dummheit.

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kid37 - Mittwoch, 17. Februar 2010, 13:09
Ich seh schon, Sie gehen wie immer den ganzen Weg. Ich bin froh, daß ich jetzt das Gras wieder flüstern höre. Obwohl - manchmal will man es ja auch gar nicht wissen.

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zeilensturm - Dienstag, 16. Februar 2010, 20:54
Ohrginal und Fälschung
Was Ihnen widerfahren ist, war ein Ohrginal-Orgasmus. Dieses heutzutage seltene Ereignis ist deutlich authentischer, ja animalischer, als das massenkompatible Plagiat, das mit Vagi anfängt. A boy's thing.

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kid37 - Mittwoch, 17. Februar 2010, 13:10
Über die Statistik weiß ich nichts, Seltenheitswert dürfter er auf jeden Fall haben. Romantisch ist es auch, man kann es nur zu zweit tun - meine Ärztin riet dringend von Selbstmanipulation ab.

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katerine - Dienstag, 23. Februar 2010, 01:42
Nach dem Lesen Ihres Erlebnisse habe ich gleich mal die Musik leiser gedreht. Will wissen, ob ich die Zwischentöne auch auf halber oder geviertelter Lautstärke noch höre.

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kid37 - Dienstag, 23. Februar 2010, 12:27
Das dynamische Leben kennt die Zustände zwischen laut und leise. Immer gut, wenn man den Regler auch mal anders einstellen kann.

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