Freitag, 5. Februar 2010


Fampire Freitag

Für die kalten Nächte des Wochenendes bietet sich melancholischer Schrebbelkrach als mondtrunkener Begleiter an: Damn Laser Vampires führen die Tradition des halbschlechtgespielten Sperrholzrock munter voran, und das traurige Singen der Leadgitarre im verlinkten Stück schneidet ein Herz wie mit einer scharfen Gitarrensaite sauber entzwei.

Der Sekretärinnenlook der Bassistin* ist zudem purer Sex. Ich glaube, das sind Brasilianer, aber an ihrem Strand von Ipanema liegt wohl Sand aus schwarzem Teersplitt.

Nach diesem todesromantischen Video möchte man gleich eine bedrängte Schöne aus den Klauen eines unholden Lüstlings retten, doch ist eine gute Tat heuer schon, einer Großmutter über die vereiste Straße zu helfen. Es sind Wölfe da draußen, Mütterchen. Aber mir, mir kannst du vertrauen.

>>> Die passende B-Seite: John Spencer Blues Explosion, She Said

Radau | von kid37 um 14:05h | 13 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 4. Februar 2010


Drehtagebuch, #1

In meinem neuen Film Eiskalt - A Hamburger Love Story spiele ich den brutalen Leibwächter eines hartgesottenen Kiezbarons. Da es sich um das Genre einer rabiaten Komödie handelt (deshalb auch die tätowierten Hände), meinte meine Schauspielagentin, das ginge schon ok, ich müsse einfach einen Drei-Tage-Bart tragen, den Geist von Viggo Mortensen channeln und dazu mein Buster-Keaton-Gesicht ziehen.

Heute stand eine Szene auf dem Drehplan, die man für gewöhnlich ans Ende der Arbeiten legt, für den Fall, daß dem Darsteller etwas passiert. Weil wir hier in Hamburg sind, also authentisch, war es aber die Auftaktszene. Zum Warmwerden. Laut Skript mußte ich im Halbdunkel auf einer Nebenstraße in St. Pauli (wir drehten aber woanders, im Film wird ja grundsätzlich gelogen), zielstrebig übers Eis gehen, werde dabei aber von einem unsichtbaren Gegner niedergeschlagen (es ist ein bißchen auch eine surrealistische Komödie). Da ich meine Stunts immer selber mache, schickte ich mein Körperdouble also zu Dittsches Imbiß und absolvierte derweil eine meiner berühmten One-Take-Scenes (Ich hasse Wiederholungen, vor allem bei der Arbeit). Also los, zielstrebig übers Eis, dabei eine Tasche mit Einkäufen für das Abendessen mit dem Kiezbaron in der Hand - und zack! schlug mich mitten auf dem vereisten Bürgersteig dieser feige Mistkerl von einem unsichtbaren Gegner nieder! Alles nach Plan, bis auf eine umstehende junge Dame, die den Unsichtbaren natürlich nicht sehen konnte und sich wunderte, warum dieser wie ein durchtrainierter Bodyguard wirkende Bär-von-einem-Mann (damit bin ich gemeint) urplötzlich der Länge nach über das Eis schlitterte, dabei aber die Rutschpartie geschickt (ich bitte darum) mit seinem Gesicht abbremste (die Hände hatte ich ja nicht frei, weil:) und dabei seine Einkäufe verbissen mit den Händen umklammerte verteidigte (wenn ich einen Auftrag habe, habe ich einen Auftrag).

(Da es sich um eine A-Produktion handelt, konnte ich, als sich die junge Dame besorgt über mich beugte, den berühmten B-Film-Spruch "Lassen Sie mich liegen, allein können Sie es schaffen" nicht bringen.)

Pesto gerettet, Gelenke gestaucht, Kopf ein Brummschädel - aber alles für die Kunst. Es wird mein Durchbruch nach Hollywood sein, die Sterne kann ich schon sehen. Good Night, and Good Luck, ich leg' mich jetzt aber lieber kurz mal hin.


 


Mittwoch, 3. Februar 2010


Merz/Bow #21

Dieses Schnee- und Eisgejammer all überall unter Tannenspitzen. Jetzt haben wir einmal einen normalen Winter, schon kommen sie mit ihren Flatterhöschen und Polyesterjäckchen nicht mehr durch, stellt das Fitschen und Schliddern über die eisbeschuppten Bürgersteige eine körperliche Anstrengung dar, die den balance-entwöhnten Bürostuhlhockern die rollsplittbestachelte Kraft des physisch Faktischen in ihre virtuelle iPod-Zwitscherwelt zurückhämmert. Das geht und hoffentlich noch zwei Wochen lang.

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Dann ist aber auch mal gut.

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Es gibt so Tage, wo man kurz noch mal die Wege gedanklich zurückmarschiert, bis dorthin, wo Anflüge spontaner Euphorie kleine Marken setzten, bis dahin, wo sich ein Weg gegabelt haben muß, ganz unmerklich, so daß man es erst nicht recht mitbekam. Bis ins Brückenlose, bis ins Unhörbare. Die unübersichtliche Stelle, an der man die Sicht verloren hat. Als die Stimme plötzlich nur noch Stille war. Ach.

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Gleich einer Ente perlt dem einem das meiste den rutschigen Rücken runter, verkneift man sich Sottise und Spott, ein anderer weint deutlich stilller vor sich hin, man will ja nicht langweilen, es dreht sich ja alles in endlosen Spiralen und längst nicht so fotografisch wie Uzumaki.

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Derzeit arbeite ich in der Entwicklungsredaktion von gleich zwei neuen Zeitschriften: Kultur & Verzweiflung und Irrsinn & Recherche. Fördergelder beim Hamburger Senat sind bereits beantragt, Kultur wird hier ja großgeschrieben, es steht dann auch was über die Elbphilharmonie drin. Das eine Heft wird in Teerpappe gebunden sein, das andere eine DVD enthalten mit verwackelten Kurzfilmen sogenannter "Filmemacher" (as in "I'm a Filmemacher, too, you know"), die durch ein halbdunkles Abbruchhaus stapfen, bis die Kamera (und le Auteur) vor einer Wand mit einer großen "37" Halt macht.

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Da staunt ihr.

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Haben wollen.

MerzBow | von kid37 um 14:58h | 10 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 2. Februar 2010


Als der Dichter irrte



Viele kennen das. Man öffnet ein Buch und entdeckt den inneren Lektor in sich. Was erlauben Dichter! Die Sätze schlecht gestellt, die Zeilen plump gefüllt, die Wörter falsch plaziert! Schnell ist der Stift gezückt, ein Grollen unterdrückt, seufzend sitzt man wie ein Korrektor über den Arbeiten seiner Untersekunda, Hände über den Kopf zusammenschlagend, aber: Man hilft ja gern, so ist es nicht! Irgendwann ist die Arbeit getan, ein paar mutmachende Zeilen oder auch vernichtende dazugeschrieben, das Buch, nun verbessert und von Fehlern getilgt, zurück in den Verkehr gebracht. Wikilesia, demokratische Literatur, hochmodern, Partizipationsästhetik, hermeneutisches Zirkelschreiben, bis alles genehm und genehmigt und von höchstem Anspruch.

(Bibliotheksfund. Ein Leser hat Baudelaires Les Fleur du mal redigiert und zurückgestellt.)

via Bebellestrange und +


 


Montag, 1. Februar 2010


Go, Rimbaud, Go

Gefroren hat es heuer,
noch gar kein festes Eis.
Das Büblein steht am Weiher
und spricht so zu sich leis':
Ich will es einmal wagen,
das Eis, es muss doch tragen.
Wer weiß?

(Friedrich Güll)



Es wird empfohlen, einfach die Perspektive zu wechseln, will man die Welt neu betrachten. Glücklicherweise kommt einem eine arktische Winterkatastrophe zur Hilfe, friert die Alster ein und läßt einen die Stadt von da other side anschauen. Doppeltes Glück: Keine Buden auf dem Eis, nur von ferne versuchen einzelne Glühweinstände am Ufer mit Hilfe eines gewissen Tiroler Antons Skihüttenseligkeit zu erzeugen. Verweht, vergessen.

Die rote Polarcampflagge hissen, Isa wie ein zweites Expeditionsteam anlocken, Schneestürmen trotzen und Menschenansammlungen meiden. Das Eis schwingt, zerlöchert von Walking Sticks, zerschnitten von den Kufen der Schlittschuhe, eine kalte rissige Haut, die trägt, die zittert unter der Stampede der beglückten Menschen.

Daheim dann, später, sich erinnern, donnernde Hufe über endlose Flächen, The Key for Freedom. Soviel Energie, man könnte Herzen ins Eis brennen. Verweht, vergessen.

| von kid37 um 11:22h | 5 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 31. Januar 2010


Gin & Toni





Nach dem Schringern der Fabriksirene schnell noch ein paar Grate entfernt, Holzwolle in die Kisten gestopft, zum Wochenende soll die Lieferung raus, dann aber schnell den Scheitel nachgezogen, die Krawatte angelegt und raus, den Hunger unterm Arm. Lady Grey im Café entdeckt, hinaus ins Tauwetter gelockt, durch Eisschlick geschlittert, die Stufen zu einem Italiener hinab. Nachdem uns die Schneekatastrophe schon seit Wochen in Atem hält, ist man froh um ein wenig kerzenschummrige Wärme, den Mann, der die Rosen feilbietet oder ein Polaroid machen will. Gegenseitig lesen wir uns die Listen unserer Hamsterkäufe vor, reden über Haltbarkeitsdaten und wie man das Verdorbene unter den Lebensmitteln findet. Viel gelacht, dabei für die Trüffeltortellonis entschieden, ein bemerkenswert wohlschmeckendes Gericht, das ich mir vormerke für die Zeiten, in denen ein Käsebrot mal nicht verfügbar ist. Es ist eben ein echter Italiener, was man schon daran merken kann, daß auf dem Männerklo eine Flasche mit Haargel ("Wet Look") steht, falls zum Beispiel Luca Toni vorbeikommt und sich ein wenig die schwarzen Strähnen legen will.

Frau Grey trägt ihr derzeit bestes Kleid, ich immerhin ihren bezaubernden Button am Revers. Dann schenkt sie mir, seltene Geste für Männer meines Alters, ein Herz, ich verkneife mir das mit dem pragmatisch!, denn es spart ja wirklich Schmerz & Geld. Statt immer neuer Tätowierungen und deren Überarbeitungen, die wichtigen Initialen einfach durchstreichen oder ganz wegwischen, das ist in einem höheren Sinne wirklich romantisch: Ruinenkult, und doch sieht man - egal wie alt und beladen - völlig neu beschreibbar aus.

Wie der Vollmond über den weißen Schnee kriecht, der die brüchigen Stellen im Eis überdeckt. Wie man nächtliche Alsterüberquerungen meidet, die Dinge lieber annehmen lernt, in ihrer Unvermeidlichkeit, wie man sich das Gute bewahrt, wie man sich gegenseitig die Ohren lang ziehen kann, ohne Arg sein, weiter lernen, mit einem Getränk irgendwo sitzt und sich die Musik immer wieder schönredet.


 


Freitag, 29. Januar 2010


Le week-end, pas un temps pour pleurer

Die kleinen Wahrheiten, die einfachen Sätze, in denen die weitreichenden Konditionen eines without you gehüllt sind, ausgezogen, nackt, zwei, drei schlichte Worte als feingeschliffene Messer gegen verschleiernd-verkrustete Metaphern. Bis am Ende die stumme Geste bleibt, ein flackerndes Licht auf dem spiegelnden Boden, ein Getränk, das man auf eine Lautsprecherbox gestellt hat.

>>> Geräusch des Tages: Bill Bush, I'm Waiting

Homestory | von kid37 um 22:25h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 



...she just lay quiet, smiling at the ceiling.



Aus dem Fantum bin ich lange raus. Aber Franny & Zooey würde ich alle Zeit zu meinen Lieblingsbüchern zählen, ein Kopfkissen in der Not, das man vollsabbern und ablieben, in das man zur Not auch hineintauchen kann. Ein Überlebenshandbuch, wenn man dem allwissenden Buch von Tick, Trick und Track entwachsen ist und Antworten für die anderen existentiellen Fragen braucht. J. D. Salinger, geliebt, verehrt, gestalked, ein Mysterium, hieß es, ein Unikum, wohl etwas wunderlich auch, hörte am Ende auf zu Bloggen, schrieb nur noch für sich - in endlos fortlaufende und anwachsende Dateien so wie einst Kerouac mit seinem Endlospapier.

(J. D. Salinger, 1919 - 2010)