Donnerstag, 7. Mai 2009


Rrrrr



Die neuen Laufwege erkunden. Einen Brokkoli gekauft, mein kleines Grünkonzept, Kreise ziehen, Autohaus reiht sich an Autohaus, ein Lebensmitteldiscount, ein Lotto-Toto-Bistro. Ein Reservat der Mittagstische, mein Käsebrot ein tragbares Basislager, ein Stück Heimat, mein Rettungsring. Man muß die Kruste ringsum so abbeißen, daß ein Herz übrigbleibt.

Zwischendurch regnet es. Ich mag den Regen. Wie er alles dämpft, bedeckt, das aufdringlich Bunte ertränkt.


 


Mittwoch, 6. Mai 2009


Banale Bushaltestellenbeobachtungen



Mit dir stehe ich ja buchstäblich auf dem plattgefahrenen Kriegsfuß, o Hamburger Autofahrer, der du denkst, man müsse den Kreuzungsbereich nicht freihalten. Der du dich erregst, wenn Rechtsabbieger erst einmal die Fußgänger queren lassen. Der du dem archaischen Irrglauben anhängst, lautstarkes Hupen ließe ein vor dir stehendes Hindernis levitieren und löse jeden Stau in eine wabernde Wolke von Weihrauch auf, so als ginge eine besondere spirituelle Kraft von deinen protestantischen Straßen aus. Manchmal passieren auch kleine Wunder, wie heute, als der engagierte < insert eine gewisse Automarke >-Lenker dem vor ihm zögernden Fahrzeug mit expressiv herausgestellter Emphase, wildem Gestikulieren und durchdringendem Signalgeben quasi von hinten aufs Gaspedal steigen wollte, darob aber den eigenen Motor vernachlässigte. Selten ein schöneres Abwürgen betrachtet, begleitet vom nun einsetzenden Konzert der wiederum Blockierten, ach es muß raus, es muß raus, die stürmische See, das innere Wogen. Nun ist Schadenfreude natürlich kein feiner Zug, um auch einmal ein anderes Verkehrsmittel aber ein kleiner Charakter wie ich kann sich daran gut aufbauen. Es gibt einem den Glauben an einen gerechten Gott zurück und den Sinn für den Ausgleich alles Seins und Wirkens. Wo die Transzendentalisten die Existenz Gottes aus der Natur lasen, bleibt uns Urbanisten der Straßenverkehr. Die silbrig glänzenden Maschinen der Handelsreisenden sollen sein wie Schwalben am Himmel.

Ich hingegen stieg in den Bus der Liebe, Keim an Keim im Chor der hustenden Nahverkehrsbewegten und bin nun hier, in unserem kleinen Kloster und übe mich im Schweigegebot.


 


Montag, 4. Mai 2009


Und nun wieder wie immer

Morgens um sieben ist die Welt vielleicht noch in Ordnung, sicher aber noch nicht so geballt in den U-Bahnen unterwegs. Frohen Mutes also Kisten und Kartons auspacken. Es sei wie eine Klassenfahrt, rufen wir inmitten Papier und Folie und Bücherstapel. Aufgedrehtes Zimmerstürmen, explodierende Koffer überall. "Ich schlaf oben!" ruft einer. "Wie Stromberg!" ein anderer. Das Büro riecht neu nach leichtflüchtigen Lösungsmitteln, wie im Rausch suchen wir Papierkörbe, stecken unsere Köpfe in Rollcontainer, betrachten den Regen, der sich pünktlich zum Montag an die Fenster drückt.


 


Freitag, 1. Mai 2009


Der Arbeiter arbeitet

Herrn der Fabriken, ihr Herren der Welt,
endlich wird eure Herrschaft gefällt.

("Arbeiter von Wien", Q)

Im Alten Land wird am Samstag eine Blütenkönigin gekrönt. Miss Krisenblüte wird dann ein Jahr lang bunte Bänder winden, Jünglinge herzen und alternde Honoratioren. Die Ernte segnen und auch das Wirtschaftswachstum.

Die Sprachlosigkeit überwinden, aus dem Schatten treten. Ich habe nun drei Pfund zugelegt und strebe eine neue Gewichtsklasse an. Galeeren sind schließlich wendiger als große Schiffe in ihrer muskeleffizienten Ökonomie. Ein fröhliches Arbeiterlied auf den Lippen, heißt es alles geben fürs abendliche Tingeltangelland. Beim Klamotten-Discounter, hört man, gibt es schwarz-rot-goldene Hemden, made in Bangladesh. Wir immerhin haben uns ein neues Klima geschaffen, auch unsere Generation hat Bleibendes getan. Wir werden unsere Arbeitszimmer aufräumen in der Sonne liegen, Sardinen grillen und nur noch sanfte Lieder singen.


 


Donnerstag, 30. April 2009


Sechs Wörter sind eine Welt

Hemingway machte es einst vor. Eine Kurzgeschichte, die nur aus sechs Wörtern besteht. Das Blogprojekt Six Word Stories greift die Idee auf und sammelt die Kürzestgeschichten bekannter Autoren, Leser und Internetbefüllern.

Wenn man die gelungeren Beiträge liest, die lustigen, traurigen, subversiven, wird einem auch wieder die schreckliche Redundanz bewußt, mit der man selbst tagein, tagaus usw.


 


Mittwoch, 29. April 2009


Moving Day at the Barton's

Alles zusammengepackt, eine ganze Philosophie in Rollcontainer, den Rest in große graue Plastikwannen gekippt. Die Turnschuhe, die Fitnessbälle, das Glamourporträt. Besenrein ausgelacht.

Tentakel | von kid37 um 15:57h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 28. April 2009


Darum geht es doch

Gemeinsam im Regen naß werden, gehörte - neben einigen wunderbaren Käsebroten in der alsternahen Mittagspause - zu meinen schönsten Erlebnissen des Sommers 2008. Dazu muß man nicht mal in die Ferne, so ein Island liegt auch in der unspektakulären Nachbarschaft. Sommerregen, Blues Explosion hören, wir werden alle Frisbee im Gegenlicht spielen. Auf der Straße trifft man Ehemalige, sie berichten vom Gefühl der Freiheit, der Leichte, die sich über Druck und Schwere hebt. Hartz-4-Bräune erklärt man lachend zum Inbegriff eines neuen Lebensgefühls, mit dem man die Balance nach dem professionalisierten Leben in der Lifestyle-Gemeinschaft sucht.

Sich ein Heim schaffen für das Innen und das Außen. Daneben das Essen nicht vergessen und auch nicht das Schauen: Beim Gruner & Jahr Photo Award möchte ich Philipp Dietrich und Matthias Keller loben. Ihre Serie, die man "Mit Energie leben" nennen könnte, zeigt in still inszenierten Bildern Tristesse und Sehnsucht in einer polnischen Grenzstadt, die von ihrem Kraftwerk lebt. Eindrucksvoll und vergnüglich auch die Porträts von Yasmin Janin Obst, die Menschen im Museum fotografierte, wie sie Kunst betrachten. Maren Janning führt mit ihrer Reihe Glücklich altern auf Wolke 9. Es gilt, sich anzufreunden mit der eigenen Zukunft - und so schön darf sie gerne kommen.

Mich haben nicht alle Preisträger überzeugt - aus manchen Gründen und auch anderen. Ich würde der Jury gerne mal über die Schulter schauen, um zu sehen, was der Fotografen-Nachwuchs denn so wirklich präsentiert.

(G & J Photo Award 2009. Gruner & Jahr Pressehaus, Hamburg. Noch bis zum 3. Mai.)