
Mittwoch, 20. Mai 2009
Der Künstler als Pop-Star. Cecily Brown, leidlich junge (unter 40), attraktive Malerin, verheiratet mit dem richtigen Mann (=Traumpaar-Effekt), New Yorkerin (=hipper geht nicht), malt expressive, anstößige, enthemmte, in da face-Bilder sexuellen Inhalts. Die Vorlagen findet sie auf einschlägigen Seite im Netz, dafür gibt es natürlich Punktabzug, Tracey Emin nähme ihre eigenen. Brown ist geschickter und hält die Grenze zwischen Kunst und Leben, weshalb man sich (immer augenzwinkernd und jovial) auch im konservativen Anzug ruhig an ihre Seite stellen darf. Die Ausstellung ist dennoch weniger plump geraten als man befürchten konnte. Die wuselige Mal-Ekstase erstreckt sich mittlerweile auch auf andere (z.B. biblische) Motive, und das sind auch gleich die interessanteren Bilder, auf denen sich das Figurative so gerade eben andeutet, so gerade eben sichtbar herausschält. Viele Tiere gibt es zu sehen.
Die malt auch Herbert Brandl, der den zweiten Teil der Ausstellung beschickt. Manche kritisierten, der Österreicher passe nicht zu den Bildern Browns, aber das finde ich nicht. Er ist ruhiger, konzentriert sich in seinen beeindruckend großen Formaten mehr auf das Abstrakte oder die Landschaft, setzt Farbe gezielter ein. Gefährliche Tiere hat er aber auch.
Ich erkläre meiner Mutter am Telefon die Situation. Nachgemalte Pornobilder aus dem Internet", fasse ich zusammen, bin mir aber nicht sicher, ob meine Mutter weiß, was "Internet" ist. Brandl hingegen , sage ich, hätte manchmal einen leichten Dreh ins Dekorative, das seien Bilder, die man auch gut übers Sofa hängen könnte, was mit Cecily Brown vielleicht nicht so ohne weiteres geht (Meine Mutter: "Aber ins Schlafzimmer vielleicht.")
Die Quizfrage des Abends lautet, Gustav im Pudel. Oder Spargelessen. Ich entscheide mich für Spargel. Der Hunger, es ist ja immer der Hunger.
(Cecily Brown/Herbert Brandl. Deichtorhallen, Hamburg. Noch bis zum 30. August.)

Montag, 18. Mai 2009
Am Samstag auf dem Flohmarkt erst eine hübsche Strecke erlegt, alte Fahrräder beschnüffelt und noch ältere Schränke dazu, eine skelettierte Leiche entdeckt, die gemeinsam mit ihrer Handtasche begraben wurde, ein paar Bücher durchstöbert, etwas gekauft. In der Tasche meine DVD von Wild at Heart gehütet, ein Film, den man mag, wenn man romantisch ist und aus der Zeit, als Nicolas Cage noch ein Schauspieler war. Leider habe ich keine Schlangenlederjacke gefunden.
Später beim famosen Herrn Krüger die Installation von Simon Hehemann und Stefan Vogel ("Ach scheiße, da komm ich gerade her") bewundert, die unser aller Lieblingsgalerie mit über 300 Autoreifen in eine Gummizelle verwandelt haben. Imposant, aber auch der Geruch, weshalb dieses Kunstrennen etwas früher zum Boxenstopp mußte als geplant. Anschließend dann Feinkunst Kaffee & Kuchen serviert auf einem echten Passfeld. Das, liebe Feuilletonfreunde, muß man erst einmal nachmachen. Das ist wie Frühstück im Grünen auf einem echten Monet.
Abends dann Schlager-Grand-Prix-Party mit einigen hochbekannten Bloggern, frohgelaunten Speisen und, man kann es ruhig zugeben, Alkohol. Für die Musik war ja gesorgt. Dachte man. Bereits nach den ersten Einlassungen des neuen Moderators wurden Stimmen laut, die Wir wollen unseren Peter Urban zurück riefen. Aber man muß ja auch den Wandel seine Chance geben. Dann aber hieß es einstimmen auf die Vielzahl der Länder, darunter Gebiete, von denen man - seien wir ehrlich - nach wie vor nicht sicher ist, ob sie nun vor oder hinter den Ural auf der Landkarte zu plazieren sind.
Die hochbekannten Blogger fingen bald alle an zu twittern, meine erste Begegnung mit diesem Phänomen im offen geführten Feldexperiment. Ich muß sagen, diese Pest interessante Technik ist nichts für mich. Namen anderer ehemals hochbekannter Blogger wurden verkündet, wenn deren Gezwitscher auf dem Minibildschirm mitgeführter Mobiltelefone auftauchte, und man versteht, wo die alle geblieben sind. Die gelungensten 140 Zeichen wurden jeweils mit Applaus und Gelächter honoriert, @xy - Douze Points! Ich denke, ein bißchen ist das ja wie schneller Sex auf der Bahnhofstoilette, ein Thema, von dem ich ebenfalls keine Ahnung, aber dreckig, zügig und gemein leuchten jedem ein. Wenn die das wenigstens mit dem Mund oder mit dem Fuß machen würden, die Twitterer jetzt, so liebevoll und rührend wie diese Karten aus Bethel, die man zu Weihnachten immer kauft. Aber es ist Daumenarbeit, eine Metapher, die ich mir selbst noch nicht ganz erschlossen habe. Oder wie Tim Frühling, der Mann, der den Grand Prix moderierte, meinte: Das ist Norwegisch, da kann ich ihnen jetzt auch nicht helfen. Ich glaube, für die Könige des Kalauers ist das aber eine tolle Sache, wir hatten auf Klassenfahrten auch immer solche mit an Bord. Die beherrschten manchmal so kleine Zaubertricks wie der Sänger aus Litauen, der den Sangesreigen eröffnete und den ich ad hoc auf den letzten Platz prognostizierte. Flämmchen in der Hand, wie putzig. Die großflächigen Bühnenfeuerwerke der nachfolgenden Auftritte ließen den Lituehnen wie einen Hütchenspieler erscheinen, der sich ins Vorprogramm von Copperfield gemogelt hat. "Die Ironie haben Sie jetzt hoffentlich gemerkt", wie Herr Frühling viel später nach einer auffällig deviant vorgenommenen Punktevergabe launig in die Runde warf.
Die Portugiesen versuchten es mit Fado-Polka, das war schön bunt und gefiel mir gut. Die Armenier schickten Lene Lovitch ins Rennen, leider ohne Erfolg, denn die kennt keiner mehr. Über Island und Schweden und all die anderen Musical-Lieder, und das gilt insbesondere und erbarmungslos für England und auch für Malta, das mit einer Paula Potts verblüffte, sonst aber nicht, möchte ich mich nicht weiter äußern. Grauenhaft, falls ich doch ein Wort sagen muß. Der Einfluß von Modern Talking in Osteuropa wird unterschätzt, überhaupt gab es viel Euro-Trash und Kirmes-Techno, Hannelore Elsner sang für Rußland, und ein kleines Land schickte einen grünen Goblin ins Rennen, der zu Discounterdiscoklängen an einer Minderjährigen herumfummelte. Wenn schon, dann so richtig billig wie die Ukraine mit ihrem Mad-Max-Orchester oder Moldawien, das mit Balkandisco im Glitzerkleid für Stimmung sorgte. Der Norweger, meine Güte. Das war klar, daß der gewinnt. Ein Nils-Holgerson-Schönling mit frech angestrubbelten Haar im Terzett mit zwei rosagekleideten Barbies - so eine Art jüngerer Bruder von David Garrett also, auch so ein Fall, Geige spielt der ja auch. Zurecht Platz eins.
Der deutsche Beitrag hingegen. Alles falsch. Man erinnert sich, Texas Blitz (das ist deutsch, und Sie haben hoffentlich die Ironie erkannt), da dachte man auch, och, Ditsche, den mag jeder, und die Musik von Truck Stop sorgt auf jedem Sommerfest für Stimmung. Dann stellen wir noch einen übergroßen Kaktus auf die Bühne - und schon fragt sich halb Europa, Deuschland, Moment, liegt das jetzt vor oder hinter Arizona? Ein derart erfolgserprobtes Rezept läßt sich natürlich übertragen. Nahm man also diesmal Swing und statt eines Kaktus eine stadtbekannte US-Stripperin, die der Herr Manson, ein ebenfalls stadtbekannter Sänger, möglicherweise unlängst nicht ganz zu unrecht in die texanische Wüste geschickt hat. Ich kenne Leute, die Dita mal kennenlernten und für "sehr nett" befanden, das glaube ich gern. Sie rührt bekanntlich sehr gute Martinis, ich persönlich aber halte sie in gewisser Beziehung für ebenso festgezurrt wie die Schnüre ihres Mieders. Ich mag mich aber gerne täuschen, besser wäre es. So oder so, was für eine dämliche und überaus durchsichtige Idee, den deutschen Musikbeitrag durch einen solchen Gaststar aufpeppen zu wollen (Meine Mutter, die es nicht gesehen hat: "Da hat wohl so eine Dame getanzt."). Man lernt das bei der Journaille (Ist das Heft mal nicht so toll/mach es vorn mit Titten voll), aber übertragbar ist das nicht. Viel mehr, und ich mache jetzt mal das Fenster auf, um mich ein wenig rauszulehnen, hätte man auf die beiden feschen Damen im BDM-Look setzen sollen. Das war doch mal ein genuin authentischer Folklorebeitrag! Blonde Gretchenzöpfe, sexy Kniestrümpfe und eine Sauerkrautgesundheit, die sogar das grelle Wasalicht des schwedischen Beitrags überstrahlte. Aber diese Perlen im bühenperformatorischen Schatzkästlein wurden überhaupt nicht erkannt. Zurecht landeten unsere Mädels Jungs ganz hinten.
Anders als ich. Da ich mit meinen tendenziösen Einschätzungen mehr Recht hatte als all die hochbekannten Blogger erhielt ich einen Wahnsinnspreis (Danke Isa!): Die Single (das ist die "kleine Platte" für die älteren von uns) "Fantasy Dreams" von Ami Aspelund, was - ihr wißt das natürlich alle - 1983 der finnische Beitrag für den Grand Prix war. Großartig? Das finde ich auch. Am Ende war eine wirklich lange Strecke erlegt. Törö, Schlager tot.

Freitag, 15. Mai 2009
Edit (mal ohne Selbst-Kommentar, sonst wird wieder geflüstert)
So. Auf der Heimfahrt noch mal darüber nachgedacht. Das ergibt ja keinen Sinn. Das einzig wirklich Interessante an dem Beitrag war der kleine, im Grunde belanglose, aber dennoch nette Film. Wenn die Firma Youtube sich aber nicht in der Lage sieht, den weiter vorzuhalten, dann kann mich die Firma Youtube mal. So. Da setze ich doch nicht noch irgendwelche Links ins Nichts.
Das Wochenende bleibt trotzdem dicht gefüllt, und vielleicht drehe ich so einen Film dann einfach selber.
(Wenn du willst, daß etwas richtig gemacht wird...)

Mittwoch, 13. Mai 2009
Ich sehe gerade Prinzessinnenbad. Man sieht vieles, was man für jene Stadt als typisch empfindet, was an ihr befremdet und abstößt. Was man an ihr lieben kann. Die Kameraarbeit ist ziemlich gut, viele sehr gut komponierte Bilder, Tableaus aus abgewrackter Tristesse, in denen zarte Pflanzen blühen. Beklemmend, wie man ahnt, daß sie niemals diese Verhältnisse überwinden werden, die Welt in den Grenzen von Internet-Café, Freibad und Dönerbuden-Party. Und anrührend wie so vieles nicht anders ist als es immer war und überall. Der Kummer, die erkämpften Freiräume, der Zweifel, die Sehnsucht, die Unsicherheit. Immer diese Unsicherheit, für die wir später Masken finden.
Wäre alles anders, würde man woanders wohnen? Gestern schaute ich mir hinter dem Krankenhaus das kleine Viertel mit den Kapitänshäusern für Oberärzte an. Kleine schmucke Häuschen, alter Klinker, an dem der Efeu rankt, diese typische, heute etwas muffig wirkende Architektur mit dem großen Panoramafenster, der Wintergarten für die Mittelschicht. Dahinter sitzen alte Damen in der Sonne, lesen Romane von Erich Maria Remarque oder Novellen von Binding, rücken ab und an die Blumen in der Vase zurecht und lauschen dem Gesang ihres Kanarienvogels. Na ja, vielleicht stimmt das gar nicht, und ich glaube, es gibt auch keine Kanarienvögel mehr. Gleich um die Ecke kann man auch nett wohnen. Dort steht ein alter umgebauter Wasserturm, in dem die kleine Einliegerwohnung ja wohl hoffentlich noch frei steht. Ich werde mich als Ina Müller verkleiden, einfach mal leutselig klingeln und mich zum Tee einladen. Die Entdeckungen, die man macht, wenn man vom Weg abkommt und in Seitenstraßen gerät. So viele Geschichten liegen dort rum.

Montag, 11. Mai 2009
Gerade eben beim Autohaus (das soll nur eine Ortsbestimmung sein, kein inhaltlicher oder kausaler Zusammenhang, auch wenn es dort auch eine Kantine gibt) einen televisionsbekannten Restauranttester gesehen, das Mobiltelefon am Ohr, wie das so ist bei televisionsbeschäftigten Menschen, fern, aber nah, fast so wie ich. Ich fühle mich auch häufig aus weiter Ferne so nah als Tester der ins Hintertreffen geratenen Lebensumstände, wenn ich frage: Was willst du eigentlich darstellen? Was soll das hier eigentlich sein? Ist das hier eine Schnitzelbude oder ein Lifestylerestaurant? Ehrlich, ich hätte ihm gerne kurz mal im Vertrauen mein Käsebrot gezeigt. So unter uns.

Sonntag, 10. Mai 2009
Mal kurz etwas ganz anderes. Eigentlich wollte ich auch ein paar Gedanken zu den geplanten Sperrungen, Indizierungen und offenbar höchst undurchsichtigen Verlistungen von Internetseiten zusammentragen; aber vieles wurde zu diesem Thema bereits gesagt und meist auch besser als ich es tun könnte. Die Kaltmamsell hat es hier vor ein paar Tagen kurz erklärt, dortselbst findet sich auch der Link zur Petition. Mittlerweile sind bereits deutlich mehr als die benötigten 50.000 Unterschriften erreicht, aber mehr ist auch in diesem Fall mehr. Die Zeichnungsfrist endet am 16.6.2009.
Hintergründe erläutert auch dieser Artikel bei Spon.

Samstag, 9. Mai 2009
Auch wenn ich nicht wirklich und vom Herzen her zu den early birds gehöre (ihr habt ja alle kein schönes Bett), lasse ich mich von der Sonne gerne auch am Wochenende zu einem frühen Start in den Tag überreden. Nach dem kleinen Wolkenbruch gestern abend blitzte die Landschaft draußen irgendwie wie frisch geschrubbt, und das muß inspirierend bis in die schattigen Tiefen meiner kleinen Kapitänskajüte gewirkt haben.
Bei Isa plauderten wir kürzlich angeregt über den Verbleib der Stachelbeere, was wohl ebenfalls inspirierend bis hinein in meine kleine Kapitänskombüse wirkte, und außerhalb der Saison wurde ich zufällig im schwedischen Feinkostgeschäft fündig. Ich muß sagen: Stachelbeermarmelade, nun comment dirais-je, stachelt einen offenbar so richtig auf - und in einem plötzlichen Energieimpuls dachte ich frech wie ein Schwedenmädel, Mensch, kannste ja mal wieder.
Ich also mit einer ollen Jeans, die Beine hochgekrempelt, die Haare hochgesteckt wie Cinzia in Hausboot feudelte ich mit Besen und feuchtem Tuch, ein Lied auf den Lippen, Pesto, Pesto Presto, presto, doing very besto wie eine Schweizer Kunstflugstaffel im Tiefflug durch die Wohnung, drückte mit einem kühnen Mamboschwung meines Hinterns die Tür zur Waschmaschine zu, setzte das Programm in Gang, hatte schon den Staubsauger in der Hand, in der anderen ein weiteres Wischtuch um die Deckplanken zitrusfrisch zu schrubben. Am Ende mußte ich mich glatt selber bremsen, weil ich plötzlich meine Nena Live-CD (fragt nicht) einlegte, das Tempo verschärfte und unentwegt ...ich putz dir ein Schloß aus Sand (aus dem Kopf zitiert) summte.
