Freitag, 29. Mai 2009


Absperren, einsperren, aussperren, wegsperren...

Tristesse Deluxe hat sich die Mühe gemacht und viele Punkte, Überlegungen und Links zur Debatte über den Gesetzentwurf von Ministerin von der Leyen zur Sperrung von Websites aufgeschrieben. Sehr lesenwert.

Tentakel | von kid37 um 12:06h | ein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 28. Mai 2009


Das Gedächtnis wird oft zum Sklaven der Hoffnungslosigkeit

Das Gedächtnis wird oft zum Sklaven der Hoffnungslosigkeit. Verzweifelnde Gemüter rufen sich jede dunkle Ahnung der Vergangenheit in die Erinnerung und brüten über jeden düsteren Gedanken, der ihnen die Gegenwart einflößt; so bietet das Gedächtnis dem Gemüt im Gewande der Buße einen Kelch voll bitterer Galle und Wermut dar.
(C. H. Spurgeon. Abendandacht zum 28. Mai.)



How utterly, utterly unterhaltsam dieses gefundene Buch doch ist. Man fühlt sich ja, als Sklave des Herzens, an jeder Stelle ertappt. Und was sagt C. H. Spurgeon zu düsteren Erinnerungen? Und doch ist das ganz unnötig. Wunderbar, einmal sagen muß das doch ein Mensch: Und doch ist das ganz unnötig. Nachdenken muß man! Denn: Die Überlegung kann aber das Gedächtnis leicht in einen Engel des Trostes verwandeln.

Ein Engel des Trostes, eine Sister of Mercy, barmherzig schleichen sich in Fetzen gehüllte Archivare durch den spinnwebverhangenen Gedankenspeicher, unter dem Arm einen Stapel brüchiger Papiere, die Namen und Bezeichnungen und Verhältnisse enthalten, die täglich über meinen Schreibtisch wandern, die ich aber selten nur zu fassen kriege. Wie hieß der noch? überlege ich ein ums andere mal, schaue in dieser oder jener Schublade, um Dinge und Bezüge zu verorten. Und das ist doch das wahre Ärgernis, daß man die Lappalie erinnert, die einst empfundene Ungerechtigkeit, den unbedeutenden Tritt auf den Fuß, den Akkord eines nur kurz verstimmten Klaviers, den scheelen Blick des Sitznachbarn, nie aber den Namen dieses Regisseurs, der doch diesen ganz wunderbaren und zauberhaften, wie war noch gleich der Titel, Film gemacht hat mit dieser Dings... Nein, die Archivare, ihr leises, heiseres Kichern hallt noch irgendwo unbestimmt von ferne, haben das Papier, auf dem alles verzeichnet ist, längst in eine Kiste gesperrt, den Schlüssel abgezogen und wie man auch denkt und am Schloss kratzt und auf den Deckel hämmert, es will und will nicht heraus. Als Sklave der Hoffnung folge ich den Fußspuren dieser Bibliothekare durch den Staub des düsteren Dachbdodens, tapp, tapp, tapp über stöhnende und ächzende Dielenbretter, wie der Indianer, der man ja einst werden wollte, schleiche ich hinterher, den Ursprung zu finden, den Anfang von allem, den verdammten Schlüssel.


 


Mittwoch, 27. Mai 2009


Spick & Spam

Diese Schwachheit rührt oft von einer
Vernachlässigung her. Ungeeignete Nahrung
bewirkt manchmal, daß Bekehrte
in ihrer geistlichen Kindheitszeit in
Zaghaftigkeit und Verzweiflung geraten...

(C. H. Spurgeon, Morgenandacht zum 27. Mai)

"Du darfst nicht vergessen - zu essen."
(Die Sterne)



Herr Brunzema erzählte neulich eine hübsche Anekdote über akribisch gesammelte Spam-Mails. Das erinnerte mich an das schöne Buch Cry for Help, in dem Henning Wagenbreth Klassiker des elektrifizierten Betrugspostwesens zusammengetragen und mit Illustrationen versehen hat. Eine verngügliche Lektüre für die bißfeste Mittagspause zum Beispiel, informativ und bildend auch und zugleich ein Beweis, daß sich eben alles als Gegenstand der Kunst eignet, sofern der Müll das Material nur strukturiert genug daherkommt. Man kann selbstverständlich auch behaupten, alles bloß Scam. Man kann auch sagen, hätte ich auch machen können, soviel Spam, wie hier eintrudelt.

Habt ihr aber nicht.


Nachtrag:

>>> Passend dazu auch das Projekt des Designers Elliott Burford, der die Betreffzeilen von Spam-Mails illustriert.

>>> ...and art. (A Softer World)


 


Dienstag, 26. Mai 2009


Rauputzliebchen



Die heutige Andacht erinnerte mich daran, daß ich ja einiges nicht kann, man das Belastbare am Menschen dennoch nicht frivol unterschätzen sollte, denn mangelnde Kraft machen häufig Zähigkeit und Beharrlichkeit auf ihre Art wett:

Dein Wahlspruch muß heißen: "Immer besser." Nur der ist ein rechter Überwinder und wird am Ende die Krone empfangen, der so lange ausharrrt, bis die Kriegsposaune nicht mehr erschallt.
(C.H. Spurgeon. Abendandacht zum 26. Mai.)

Im guten Glauben also schritt ich durch die Türen des Palastes, die Säulen vor dem Eingang sangen das architektonische Lied vom großen Willkommen, Wilkommen, du mein schlafloser Prinz. Die Jungfrau dahinter jedoch empfing mich im Morgenmantel, grauer Frotté, ach holdes Feinliebchen, du spottest mich, hub ich an, den Scherz wohl erkennend. Du bist so schön wie dein Palast, deine Beine den schlanken Säulen gleich, die Augen ein einzig glänzender Schein, die Haut... ja, was ist mit der Haut? Was ist mit dem Haus, dachte ich und hob argwöhnisch das grausgeputzte Frottégewand, während draußen die Signaltrompeten der Automobile ihr fröhliches Lied von der Heimkehr nach Ithaka bliesen.

Paläste sollt ihr sein, ihr grauen Häuser. Mein Schreibtisch indes ein Ozeandampfer, ein tapferer Expeditionskreuzer, ein Kanonenboot. Man muß es einfach sehen wollen, glauben und beharren. Immer besser. Läuft.


 


Montag, 25. Mai 2009


Tauperlen & Goldstrahlen

"Man würfelt. Säuft. Man schwatzt von Zukunftsstaaten.
Ein jeder übt behaglich seine Schnauze.
Die Erde ist ein fetter Sonntagsbraten,
Hübsch eingetunkt in süße Sonnensauce.
(Alfred Liechtenstein, "Sommerfrische". 1913)

Abends weiterhin Spargelzeit im Hermetischen Café, unten tuckern die Motorboote vorbei, ich gebe weißweinverstärkte Lichtsignale. Ich möchte jeden in seinem Hafen wissen, gute Fahrt, denke ich, wo kämen wir sonst auch hin. Am nächsten Tag dann einen sonnenverklärten Milchkaffee auf dem Flohmarkt, hinter dunkleren Gläsern den tieferen Blick.

Gegen Ende verschenkte ein Händler seine nichtverkauften Bücher. Alles gesittet, ein paar Interessierte, kein gieriges Gewühle. Geduld im Sonnenschein, heut ist nicht der letzte Tag auf Erden. Einen bedächtig alten vierbändigen Brockhaus lasse ich lieber liegen, ich weiß so schon nicht, wohin. Das Traumtagebuch von Elsa Morante in einer schönen Arche-Ausgabe hingegen nehme ich an mich. Und dann dieses wunderbare Werk in einer Ausgabe von 1894: Tauperlen und Goldstrahlen: Tägliche Morgen- und Abendandachten für stille Sammlung und häusliche Erbauung von C. H. Spurgeon, verlegt im schönen Hamburg-Borgfelde. Im Vorwort zu dieser (fünften) Auflage heißt es - ganz modern -: "In unseren Tagen, wo so wenig Ruhe ist, sondern ein Jagen und Rennen, ist es nicht leicht, sich mit der Familie in Ruhe zu sammeln... Und doch, wie notwendig ist es, wenn der innere Mensch nicht verhungern und verkümmern soll!"

Für jeden Tag (auch an den 29. Februar ist gedacht) gibt es zwei kurze Andachten, den Tau für morgens, die Strahlen für abends - eine Art immerwährender Kalender der inneren Einkehr. Heute, für den 25. Mai, heißt es: "Wenn das Schiff vom Steuermann verlasen wird, kommt's sogleich vom Kurs ab und treibt als Spielball der Wellen ziellos umher."

Sonst wird es sein wie in der aktuellen Autoreklame, die Alfred Liechtenstein bereits 1914 ahnte:

Im Windbrand steht die Welt.
Halloh, der Sturm, der große Sturm ist da.
Ein kleines Mädchen fliegt von den Geschwistern.
Ein junges Auto flieht nach Ithaka.
("Der Sturm")
Für diesen Montagmorgen möchte ich also allen andächtig nahelegen: Haltet die Hände immer schön am Steuer. Und achtet auf die Lichtsignale.


 


Samstag, 23. Mai 2009


Regionalbetrachtung an einem Samstag



Heute morgen mittag erst einmal in Ruhe gebruncht. Brunch ist Frühstücken für Leute, die zu spät wach geworden sind, und eigentlich das englische Wort für "verpennt". Nach so einer Woche darf das aber mal sein. Ich möchte über meine Woche nicht sprechen. Unter der Dusche, also noch sehr deutlich vor zwölf, summte ich Fehlfarbens "Paul ist tot" - und zwar auf Kölsch. "Du jehst mit d'm Kelllner/Un isch weiß ens jenau waröm" (Kölner und andere Angehörige der ripuarischen Sprachfamilie mögen mir meine Schwächen mit der rheinischen Transkription verzeihen). "Was isch ham well/Das kriech isch eso nich/Un' was isch ens ham kann/Das jefällt mer nich" usw. Was erst ein Witz war, ging mir dann aber den halben Tag nicht mehr aus dem Ohr, führte mich jedoch zu einer weiteren tollen Idee: Joy Divison op Kölsch! "Leev werd uns eso usenand'r dreeve"

Lorens! Wenn man jetzt Dieter Bohlen wäre Zeit und Energie für so einen Quatsch hätte - man würde schnell ein Album aufnehmen und sozusagen Nouvelle Vague mit ihren Bossanova-Versionen alter New-Wave- und Post-Punk-Klassiker schön alt aussehen lassen. Ich gebe diese prima Idee aber einfach weiter - und zwar frei und umsonst! Junge Leute da draußen - macht was draus, Erwähnung auf dem Cover reicht, ich kann wirklich nicht alles selber umsetzen, was mir unter der Dusche einfällt.

Das Land hat seinen Bundespräsidenten wiedergewählt, acht Milliarden Menschen feiern in der Hauptstadt 60 Jahre ein Papier, das man im 61. kaum noch wiedererkennen wird, wenn es so weitergeht. (Deswegen schreibt man das von altersher auch besser auf Steintafeln.) Die Flucht heißt bekanntlich Konsum & Unterhaltung: Später im Elektrogroßmarkt habe ich ein kleines Kulturpaket (Mein kleiner Dussmann) zusammengestellt. Die Verkäuferin schaut kurz auf das Cover der Who's next und wünscht mir einen schönen Abend damit; ich glaube, sie hat Geschmack. In der TV-Abteilung haben sich Menschentrauben vor der HD-ready-Wand gebildet und schauen die Premiere-Konferenzschaltung. Das TV-Bild dieser Geräte ist nach wie vor erstaunlich schlecht, aber Cottbus macht erstaunliche Dinge, den Berliner Europagroßmachtträumen wird die Luft rausgelassen (Global denken, lokal handeln!), Gladbach ist durch, Wolfsburg schießt das 4:1 (Endstand 5:1), und viele tragen ein Grinsen auf dem Gesicht. Es gab schon enttäuschendere Endtabellen. Darauf vielleicht ein Kölsch.

Um ein Produkt zu kaufen, das es nur dort gibt, wage ich mich in den Lebensmittelgroßdiscounter. In der Fahrradabteilung schlägt mir ein beißender Geruch von Gummi, Lösungsmitteln und polydingsvergenändernden Zyklo-Aromaten entgegen, daß es mir die Schleimhäute zusammenzieht. Wie kann man dort arbeiten? Ein Monitor quatscht mich an in einer penetranten Lautstärke, die man sonst nur aus der U-Bahn nach einem HSV-Spiel kennt. Ein Gerät wird da angepriesen, mit dem dieses oder jenes einfacher, praktischer, geldsparender und... ich drehe entnervt die Lautstärke runter. Eine Regaleinräumerin schaut kurz zu mir rüber, und ich glaube, sie hatte ein Lächeln im Gesicht. Das Produkt, das ich eigentlich wollte, war ausverkauft. Dafür habe ich plötzlich lauter Quatsch im Wagen. Garnelen, Käse mit Brennesseln, solche Dinge.

Vor dem Laden ist ein kleiner Marktstand, ich kaufe Spargel aus Wolfsburg der Region, und überlege auf dem Nachhauseweg, wie wohl "Veronika der Lenz ist da" auf Kölsch klingen würde. Schlimm, ich habe das immer noch im Ohr.


 



Mach es einfach

Das sind so Geschichten, mit denen man in einen ganz ermunterten Tag starten kann. Da dreht ein 19-jähriger Hamburger mit einem kleinen Team einen Super-8-Film und landet plötzlich auf dem Filmfestival in Cannes.

Eigene Visitenkarten mitzubringen, daran hatte ich Greenhorn natürlich nicht gedacht. Süß. Nur den Satz mit den "neuen Freunden" sollte er noch einmal überdenken. Auch das wird er noch lernen.

Super 8 | von kid37 um 14:57h | 5 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 21. Mai 2009


Fensterblicke, rein, raus



Noch vor dem Gewitter, dem Hagel und dem Orgeln der ganz großen Schiffssirenen draußen im Garten des Cafés gesessen, Feiertagsgespräche, der richtige Kuchen, kurz mal Luft holen im Vielzutun. Nach Hause huschen, vor Tropfen ducken, die U-Bahn fast leer, ich habe Blumen gekauft, ich möchte ein paar Träume haben.

Sich zurücklehnen, ausspannen, in der Küche schnippeln, am Rosmarin riechen, Bobby Kline hören, später etwas über Matt Collishaw lesen, ein Internettagebuch befüllen.

Die vielen Dinge nicht sagen.