Mittwoch, 11. März 2009


Sie wollen Belege



Ich sammle besitze ja olle Bürostempel. Mit kühnem Schwung und steifer Sprache vermag man mit ihnen seinen Schriftwerken eine Art von Nachdruck zu verleihen, für die es sonst umständliche Testate bräuchte. "Certified True Copy" ist so ein Stempel, irgendwo aus dem Rest gezogen. "Ablage, "Vertraulich" - Mitteilungen aus dem Grundbedarf. Weil das Amt für Geldentzug Belege für Betriebsausgaben und Minderüberschuß sehen möchte, habe ich heute eine Sicherheitskopie angelegt und konnte gleich meinen neuesten Stempel ausprobieren, den ich am Wochenende auf dem Flohmarkt für ganz wenig "Barzahlung, Quittung wird nicht erstellt" erstand. Ich möchte, daß alles seine Ordnung behält in einer Zeit, in der alles zerfällt.

Schönen Gruß auch und Danke.


 


Dienstag, 10. März 2009


Merz/Bow #18

Leider verreise ich nicht so viel, schaue mir aber gerne alles an. Da kommt mir das neue Blog, das der Herr Ichichich angerührt hat, gerade recht: Xplrr zeigt die Welt von oben und die Geschichten darunter. Faszinierende Dinge gibt es zu entdecken und wer auch welche weiß, trägt es dort ein. So habe ich auch endlich diesen maroden Freizeitpark entdeckt. Vor Jahren hörte ich das erste Mal davon, aber leider konnte mir nie jemand genau erklären, wo das ist. Man muß eben nur warten, dann kommt alles zu einem. Wenigstens manchmal.

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Kleine Welten hingegen gestaltet Thomas Doyle. Tatorte unter Glas, Schauplätze von Morden und anderen verzweifelten Trennungen. Herzallerliebst.

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Wie Schneewittchen unter Glas werkelt auch Laura Plansker. Sie zeigt aber eher das, was man sieht, wenn man die Augen fest geschlossen hält. Auch hier: herzallerliebst.

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Es ist doch so. Man fängt etwas an, und am Ende sieht es so aus: Desolate Metropolis. Wenn das Herz dann zerliebt ist.

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Ich könnte die Vögel beobachten. Das bunte Gefieder und ihr unbeschwertes Tun.

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Ich könnte natürlich auch mal wieder was schreiben.

MerzBow | von kid37 um 14:13h | 19 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 9. März 2009


Ja, dein Vater hatte auch Punk

Ihr werdet es alle gelesen haben. Der wunderbare Konzertkanal Fabchannel schließt seine Pforten. Letzte Gelegenheit also, sich aktuellere Auftritte neuer und alter Helden anzuschauen - in einer Qualität, bei der man fast die Konzertkarte zu sparen sich geneigt fühlen könnte.

Zum Beispiel die älteren Herren von den Buzzcocks hier, die ich dummerweise bei ihrer letzten Stippvisite in Hamburg verpasste. Sie sehen zwar aus als arbeiteten sie unter der Woche bei Elektro-Schmidt - aber in Begleitung von zwei ansonsten dankenswerterweise unauffälligen H&M-Punks in der Rhythmus-Sektion schrebbeln die Helden meiner Jugend mit lockerer Hand die schönen Hits von früher™ runter, daß man die Füße kaum unterm Schreibtisch halten mag. Und wenn sie dann "Nostalgia (For an Age yet to come)" singen, kann das nur augenzwinkernd gemeint sein. Denn spätestens dann ist man dem sentimentalen Gedenken an damals® wie unbedeichtes Land ausgeliefert.

Radau | von kid37 um 13:40h | 6 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 7. März 2009


Wieder unter Dampf



Die letzten beiden Abende verbrachte ich mit Radiobasteln. Es gibt in der Hege und Pflege ja immer was zu tun. Die Seilzüge neu justiert, einen dabei noch nicht richtig mit der vorderen Anzeige synchronisiert, entstaubt (innen, außen, die Gefäße), verzückt dem Glimmen der Röhren zugeschaut. Die NF-Seite hat noch Restaurationsbedarf, ein Lautsprecher geht nicht. Aber es ist die TS-Version, da darf einer ruhig fehlen. Zur Jungfernsendung passenderweise ein Bericht über 50 Jahre Kind of Blue. Ein warmer Klang füllt den Raum, so werde ich demnächst wieder die Nachrichten hören können. Beobachtet nur vom magischen Auge.


 


Freitag, 6. März 2009


In Our Own Image



Ihr Berliner da draußen! Ihr habt es gut, ihr geht nämlich heute Abend alle in die Strychnin-Galerie und schaut auf ganz eigentümliche Skulpturen: Raf Veuleman und Marc Janssen zeigen ihren eklatant eklektizistischen Kosmos aus Tod, Vergänglichkeit und dem Wunder der Tierpräparation, eine eher abgedunkelte Schönheit also und sicher nichts für die ganz Zarten unter uns Weltbetrachtern. Dabei ist das nicht weniger anrührend als ein Mädchen am Morgen, das ein viel zu großes Männerhemd trägt. Nur anders. Hier gibt es noch ein paar Informationen über die Künstler.

Wer wie ich in Hamburg bleiben muß, geht dafür morgen zu Feinkunst Krüger, wo Thorsten Passfeld einmal mehr seine großartigen Skulpturen und Bilder aus Holz zeigt. Witz, Biss und eine feinbestäubte Melancholie summen aus diesen Arbeiten, und wer heute in Berlin Memento mori! murmelt, wird morgen in Hamburg Ja, genau! rufen.

(Raf Veulemans und Marc Janssens: In Our Own Image. Plus: Christina Graf. Strychnin Galerie. Berlin, Boxhagenerstrasse 36. Ab 6. März 2009.)


 


Mittwoch, 4. März 2009


Dipl. Kunst



Am Wochenende lockte ein forschender Blick auf frischdiplomierte Kunst. Die Diplomausstellung der HfbK ist meist amüsant, interessant und guter Überblick über den akademischen Schwebezustand zwischen Epigonentum und frischer Idee. Die Malerei, meditativ, aber vermehrt gegenständlich, einzelne, vor allem die von unterm Dach (u. a. Anna Gestering) wirken wie gewohnt sehr "fertig", anderes wiederum nicht ganz so. Die Konstruktivisten und Bastelfreunde hingegen entziehen sich diesmal nicht völlig meinem Verständnis. Neben einer Installation im Industrial-Ambiente (tolle Sounds und mechatronische Instrumente inklusive) begeisterte mich vor allem ein überdimensionales Laufrad aus Metall. Durch eine schmale Luke stieg man ein und lief dann zum Geräusch einer quietschenden Bremse im Dunkeln entlang. Was einem sonst nur die ewige Mühle täglichen, emsigen Broterwerbs vermittelt, simulierte hier zugleich ein völlig neues Raumgefühl. Endlos gab der Boden unter einem nach, wie ein Hamster im Rad hätte man ebenso endlos - oder so weit die Puste reicht - weiterlaufen können. Doch selbst ich, für gewöhnlich ohne Arg, kam bald dahinter, daß ich so kaum je von der Stelle kommen würde.



Großartig auch die Fotos von Jo van de Loo, die er aus Nepal (muß ich hin) mitgebracht hat. Anna Cieplik fotografiert Details, Flächen, Strukturen, ganz unaufgeregt, fast abstrakt, das gefiel mir gut. Wie ein Rückgriff auf die 50er Jahre wirkten die sehr flächigen, bunten geometrischen Malereien von Monika Michalko. Wie unberührt im Zeitstrom, ihr Tableau vivant wirkte wie Dada-Theater, eine hübsche Idee auch für einen Nachmittag im Sommer am See. Am meisten haben mich aber die Sammelsurium-Skulpturen einer Künstlerin begeistert, deren Namen ich leider nicht entdecken konnte. Reliquiare aus alten Schrankschubladen, es grüßt der deutsche Einrichtungsmief der 70er Jahre, bergen Fotos und Allerweltskitsch und Kram, Flohmarktfunde, Haushaltsreste, alles an die Wand dekoriert, ornamental hochgewuchert wie ein gotische Kathedrale und zu Themenschreinen wie Pragmatismus, Terrorismus, Feminismus zusammengefaßt. Witzig, entlarvend, bitter oft. Und sehr, sehr schön.

Auch nach Jahren verlaufe ich mich immer wieder in diesem labyrinthischen Bau, aber das gehört dazu. Das Finden, nicht das Suchen. Die Kunst zeigt sich sowieso oft in den Details am Rande.

Mehr Fotos in den Kommentaren.


 


Sonntag, 1. März 2009


Sehen gehen




Expeditionskompaß und wasserfestes Logbuch gepackt, Traubenzucker, die Wasserflasche aus Metall - es gilt, Altschätze zu heben. Krims und Krams und Krempel, der Alltag soll bekanntlich schöner werden. Zwischen Büchern, abgewetzten Lederkoffern, Kriegskartenmaterial und 30er-Jahre-Pelz steht dieser Stubenhockerstuhl. Ein Blogger fände hier einen schönen Platz und verließe ihn nur selten, während er das Internet befüllt oder seine Zeitung liest.

In einem halb zerbrochenen Holzkasten liegt eine tintenbefleckte Ode an die Einsamkeit. Ein kaltes Fernrohr aus Messing gibt den Blick auf einen windigen Strand frei, ein alter Dynamo kommt ohne Fahrrad daher wie ein Herz ohne Körper. Aus einer rostigen Dose lugt ein 16-mm-Film hervor, ein Pärchen beim Tanz, die Dose ist ohne Beschriftung, wir werden das Wer und Wo nie erfahren. Vielleicht ein Film über die Fehler des Lebens, den man nur rückwärts laufen lassen muß.

Ich kaufe Dinge, die mir nie gehörten, ich klaube eine Biografie zusammen für ein Leben, das ich nie führte. Ich versuche, den Anfang von allem zu finden.

Im Ohr das peinliche Lieblingslied. 3 Millionen. So ist es wohl.