
Montag, 9. Juni 2008
Mir muß man zur Zufriedenheit ja keinen roten Teppich legen, denn das Glück liegt bekanntlich in den kleinen Dingen. Happiness Is A Warm Grill heißt es auf dem weißen Album, mein kleiner schwarzer Koffergrill (Typ "Diplomat") jedoch stand lange schon wie eine verschüchterte Jungfrau in meinem Keller. Letztes Jahr noch schnöde zurückgewiesen, versprach ich ihm am Wochenende mit ernstem Herzen: Heute nun mach' ich dich heiß.
Liebe Menschen trafen sich ein zum legeren Picknickkorbvergleich, zwar nicht in Fontainebleau, sondern zwanglos im Grünfeld nebenan - es kann eben alles so leicht sein, wenn, nächste Binse, das Interesse echt und nicht erzwungen ist. Selbst das Becken mit dem von Natur aus desinfizierenden Wasser lud zur Kühlung ein, dem Vorbild möglichst getreu.
Die kleinen Dinge also, schaumverstärktes Bier, ethikbelastendes Essen, entspanntes Herumlungern und ebensolches Plaudern über Nitrosamine und Alkoholkultur. Aber immer gemach und bloß keinen Neid: Es war nicht exakt so, aber ziemlich nah dran.

Samstag, 7. Juni 2008
Zur Feier des Tages habe ich heute zwei Flaschen eines Pilsener Getränks erworben, das (früher) in meiner Heimatstadt gebraut wurde. Als Kind waren uns die spannenden Reklamespots der heimischen Brauerei Unterhaltung und moralische Lehranstalt zugleich: Musketiere kämpften listig für Damen in Not und setzten sich gemäß des solidargemeinaftlichen Mottos Einer für alle, alle für einen für den gerechten TrunkAusgleich ein. Männer wie wir - Wicküler Bier! summte es auch auf den Schulhöfen dieser Zeit, aus Kindermündern, die streng genommen nur an Schulkakao und Saftgetränken in Pyramidenverpackungen nuckelten.
Wenn es heute losgeht mit den EU-Ratswahlen am grünen Tisch Rasen, stoße ich an, denke an einst verwehrte und gegebene Loyalität, Dinge, die man sich merkt und die, die man besser vergißt. Es wird immer neu angepfiffen.

Donnerstag, 5. Juni 2008
Unter uns: Dieses vorherbstliche Wetter ist wie gemacht, auf allen Gräbern zu tanzen. Dazu ein flammendes Getränk in der einen, ein bezauberndes Mädchen an der anderen Hand und ein Lied auf den Lippen, das alle Widerstände bricht. Ritxi Ostáriz, ein Designer aus Bilbao, hat sich den Día de Muertos als Requisitenkammer genommen und einem herzergreifenden, wundervollen Animationsfilm auf die Welt geholfen:
Viva Calaca heißt die kleine baskisch-mexikanische Räuberpistole - und ich habe sie gleich in mein staubiges, vom Maguey-Wurm zerfressenes Herz geschlossen.
Apropos wunderhübsche Animationsfilme: Im Stil alter Kinderlexika bringt die bezaubernde kleine moralische Erzählung Rabbit uns die Grundzüge der englischen Sprache nahe. Und etwas über Ethik, denn nicht jedes Kinderspiel ist gutzuheißen. Die kleinen Bratzen zeigen andererseits anschaulich, wie Egozentrik, Gier und unbekümmerte Rücksichtslosigkeit jeden langen Tag in ein Abenteuerland verwandeln. Für den, der nicht den Knüppel spürt.
Hinter dem Film steht der Grafiker Run Wrake, der auch sonst hübsche Sachen macht.

Mittwoch, 4. Juni 2008
that there was a danger
in innocence and beauty,
and I could not live with both.
(Tracey Emin. Strangeland. 2005)
Wie wuchtig, wie schmerzhaft, wie berührend: Wie Unrat, der aus der psychologischen Handtasche fällt, meinte einer. Tracey Emin stülpt ihr Leben um, spuckt weißschaumiges Inneres nach außen wie eine überreife Pflanze, zeigt ihr Zeug - wie man es von ihren Kunstwerken kennt - auf eine Art, die weder sich noch Leser schont. Eine Kindheit in England voller Mißbrauch, Demütigung und dem unbestimmten Gefühl des Verlorenseins. Ein Röntgenbild voller Schatten. Manches an dieser Selbstentblößung ist trotz aller Zweifel* schmerzhaft zu lesen, ist brutal, ist vielleicht sogar ehrlich; atemlos prescht man voran, würde ab und an gerne Pst, Tracey, wir müssen nicht alles wissen rufen, aber schon geht es weiter durch granatsplitterige Biografiefetzen aus Abtreibung, Alkohol und Selbstabsolution, quer durchs Erinnerungsgestrüpp, durch Traceyland, durch Strangeland. Wie ein besseres Befindlichkeitsblog: Manchmal unangenehm, peinlich vielleicht auch und doch bewegend - um eine letzte Lebensweisheit herum.
>>> Webseite von Tracey Emin
*Billy Childish hat eine andere Erinnerung.
Und wie das immer so ist, wenn sich ein Paar in der Öffentlichkeit streitet, nimmt man als Außenstehender besser beide Seiten mit einer, öh, Prise Salz.

Montag, 2. Juni 2008
Dann irgendwann mit der letzten Bahn (oder ist es die erste?) heimfahren, unten am Hafen entlang, Landungsbrücken, schwankende Lichter und kühlere Luft. Der Fahrer hat eine Botschaft für uns - durch die Sprechanlage spielt er Petula Clark. Downtown. You can forget all your troubles, forget all your cares, knistert es durch die schrebbeligen Lautsprecher. Die nächtliche Wehmut, der heimliche Trotz, die morgendliche Zuversicht: Am Tag danach redet man nicht lange, sondern tut. Packt einen Korb mit den wichtigen Dingen. Am Ende nämlich oder am Anfang, wenn die engen Kleider längst zerrissen liegen, geht es einfach nur darum, im Park zu sitzen oder am Wasser, ein Bier zu trinken oder auch zwei, auf sein Herz zu hören oder auf beide, geht es darum, in den Himmel zu schauen. Für eine Weile.

Samstag, 31. Mai 2008
Wenn die bunten Fahnen wehen und die guten Himmel mildes Wetter schicken... geht die Fahrt wohl mit der Frau Hedi (diesmal: Ersatzboot) übers Meer über die Elbe. Das ist sozusagen die schwimmende Version einer abgeranzten Lieblingskaschemme, in der jeder gleich zu Hause ist, der Durst, ein Herz und eine Sehnsucht hat.
Diesmal an Bord: mäßiges Bier, bessere Laune, liebe Menschen und die "Polly Dartons", die nicht nur Country, sondern auch Western spielten. Am Baß übrigens Peta Devlin (Ex-Die Braut haut ins Auge, Ex-Oma Hans), da weiß man gleich, am rechten Ort zu sein. Vor Jahren habe ich sie mal für eine Zeitschrift interviewt, ganz bezaubernd und eine der charmantesten und interessiertesten Gesprächspartner, die ich in der Zeit so hatte. Und: Astreiner Musikgeschmack, damit bricht eine Frau das härteste Herz.
Verrauchte Stimmen singen vom Ring of Fire, dem Leben auf St. Pauli und einsamen Herzen, die an Lagerfeuern schmachten. Bierflaschen klirren, Mädchen lachen, ich schaue auf die tanzenden Wellen und denke daran, was die alles hinter sich lassen, unter Gischt begraben, hinausspülen aus dem Hafen der verkrachten Liebe.
So tuckern wir durch den Abend, den Hafen, bunt belichtert an großen Schiffen vorbei. Ein mildes Glück: tätowierte Frauen, die sich eng an einen drücken, weil das Boot so schaukelt und dazu ein sanftes Lied, das von Sugartown erzählt. Es muß sich immer richtig anfühlen, der Geruch, die Stimmen, die Hände. Good Heavens. Alle Fahnen hoch.

Freitag, 30. Mai 2008
Viel zu spät, müde, leicht trunken, erfüllt, verwirrt, aber erschrocken auch ins Bett sinken. Wie man vieles auf einmal neu bewertet.
