
Sonntag, 14. Oktober 2007
Ich mache jetzt auch mal Food-Bloggen und stelle fest: Ein Sonntag ohne Kuchen ist wie ein Supermodel ohne Echtpelz. Irgendwie nackt nämlich fühlt sich so ein Nachmittag an, wenn der, nennen wir ihn ruhig, Milchkaffee ein unbegleitetes Dasein auf dem sonnenbeschienenen Holztisch fristet.
Das Schöne am Bloggen (mistige Metagedanken) ist ja die Freiheit sagen zu dürfen: Du trägst stolz eine verstorbene Blume auf dem Kopf, aber ich finde es trotzdem scheiße.
Leben 2007 muß als potentielles Verbrechen begriffen werden.
Danke.
"Bitte schick mir das Videoband dort wo ich kotze." Was Dieter Roth, von dem das Zitat stammt, nicht wissen konnte: Der Anstand des Privaten ist heuer einer Ästhetik der Selbstüberwältigung gewichen. [Youtube, not safe while eating]
Unsere größte Leistung: Wir haben den Handy-Film erfunden!
Mein nächstes Heim wiederum ließe ich am liebsten von Rebecca Purcell dekorieren. Sie scheint auch die böse Motte, des Requisiteurs größter Feind, im Griff zu haben. Für die Dieter-Roth-Abende allerdings wäre wenigstens im Sanitärbereich eine industriellere Variante vorteilhaft.

Samstag, 13. Oktober 2007
Diesmal bin ich nicht schuld. Ich war nämlich nicht da. Das ist ja abends viel zu spät. Soeben flattert mir eine Nachricht auf den hermetischen Newsticker, daß die Frau fehlende Hälfte von Genesis P. Orridge - Lady Jaye Breyer P-Orridge - überraschend in New York verstorben ist. Zwar will ich nicht behaupten, einen wirklich großen inneren Bezug zum Bandprojekt gehabt zu haben, sonst wäre ich ja wohl auch auf dieses Konzert gegangen, das vor knapp zwei Wochen in Hamburg war. Und Psychic TV galten nun auch nicht exakt als Vorreiter einer sonderlich lebensbejahenden Musik. Aber Vorreiter wohl in vielerlei Hinsicht. Darf man sich trotzdem oder gerade deshalb ein bißchen wundern, vielleicht sogar traurig sein? Immerhin würden es sicher viele als "romantisch" bezeichnen, in den Armen des Liebsten zu sterben. Vielleicht nicht unbedingt so.
Vor fast zwei Jahren sah ich in Berlin die Ausstellung Education Through Pain - Annual Report , wo sich viele Kreise schlossen. Auf der Karte von Ian Curtis, der sich für den Verteiler des Projekts angemeldet hatte, stand kurz und trocken "Deceased". Vielleicht ist das so. Akte geschlossen.
>>> Webseite von Genesis P. Orridge
Psychic TV in der Wikipedia
- Video zu Godstar (Youtube)

Montag, 8. Oktober 2007
Ich freue mich immer auf den Samstag. An diesem Tag nämlich ist in der hermetischen Anstalt Handtuchwechsel. Da kann ich mittags morgens nach der Dusche meinen bleichen Körper mit einem frischen, brettharten Frottiertuch abreiben.
Meine Hinz&Kunzt kaufte ich bei einem Mann, der aussah wie ich in zwanzig Jahren. Er trug sogar die gleiche Brille, nur daß seine am Rand mit Leukoplast geklebt war.

In der Fabrik beginnt langsam das Vorweihnachtsgeschäft. Feiertage müssen rausgearbeitet, Gartenzwerge mit Nikolausmützen versehen, Stiefel und Ruten gefaltet werden. Die Motivbanderole dieses Jahr heißt "Sonderschichten". Ich bin kaum zu bremsen, finde aber keine adäquaten Worte.
Meinem zweiten Roman Traumaland gleich bleiben alle Menschen stumm. Ich hingegen könnte eine Weile aus meinen geheimen A-Blog-Tagebüchern zitieren, in denen ich alles im Präsens schreibe. Und klein natürlich.
~ zufällig ferngesehen. eine seltsam verschobene szene: wie der mann von ganz links nach ganz rechts im bild geht. bis er sich selbst aufzulösen scheint am schwarzen rand der mattscheibe.
dabei an hegel gedacht. ~
Aber nun ist heute der wichtigste Tag für mich. Der erste nämlich vom Rest meines Lebens. (Erweiterte Sinnsprüche und Aphorismen, demnächst in Buchform. Gleich in zwanzig Sprachen übersetzt, 15 Millionen Auflage. Verkauft. Dann Tantiemen vom Verlag plus Scheck der VG Wort = finanziell sorgenfreie Zukunft.)
Als das Denken noch geholfen hat, wäre mir vielleicht ein Ausweg eingefallen. Nun hilft nur noch Notverriegelung. Nennen wir es einfach kreative Pause.
Bald ist wieder Samstag.

Freitag, 5. Oktober 2007
Meine Name ist Kid37, und dies ist mein Blog.
Wir fangen an, wir gehen hin und zwischendurch sind wir dort, wo wir gerade sind. In fünfzig Jahren dann ist so ein Tagebuch ein Zeitraffer. Wie wir waren, wie wir wurden, was wir sind. Ein ruckelnder Film.
Die Fotos hat einer auf dem Flohmarkt entdeckt. Ein ganzes Leben in dreißig Bildern.

Mittwoch, 3. Oktober 2007
Herrliches Wetter am Nationalfeiertag also 17. Juni äh 14. Juli na, jetzt aber, Tag der Deutschen Einheit. Endlich wieder Kaiserwetter, Sonne satt für die Ausgehuniform, dazu ein leichter Wind, der die Fahnen spreizt, statt sie erektionsschlaff am Mast hängen zu lassen.

Auch auf dem Flohmarkt schwarzrotblonde Pracht. Mehr noch aber locken die Restbestände einer alten Zahnarztpraxis. Wieviel Geld man sparen könnte! Wieviel Nerven auch, drängte es nicht immer Menschen mit Kinderkarren und Fahrrädern durch dichtgedrängte Reihen. Was geht mit güldenen Oktoberwäldern und satten Flußlandschaften, möchte man rufen, Schuhe und Empfindliches in Sicherheit bewegend. Aber heute sind wir alle eins. Verbissene Mütter, die wie Großraumpflüge durch Herbstlaub mit Puki und Teutonia in bockige Grüppchenbildner preschen, schottergraue Heftchensammler, mit dem novemberfeuchten Geruch, der ihren Kleidern entsteigt, die Ein-Euro-Feilscher und angedellte-Ecken-Monierer, die Begeisterten und Zufriedenen, die Adressen-Austauscher und prospektiven Keller-Besichtiger. Kommt näher zu mir, ihr Beladenen, rufe ich, in einer seltenen Anwandlung von Leutseligkeit quer über den Platz zu den Kofferträgern, den Kindergeschminkten, den Kaffeetischsitzern. Laßt Schachern, laßt Feilschen! Doch schnell, schnell wie kleine flinke Mäuschen verstecken sie ihre Schätze tiefer in den Jackentaschen, äugen mißtrauisch und schräg, manch einer legt sogar die Stirn in Falten. Eine alte Dame umklammert ihren Gehstock, bis die Knöchel weiß werden.
Wir wollen doch eins sein, nur heute einmal. Gemeinsam singen, tanzen uns frei fühlen und kollektiv ausziehen vielleicht... Die letzten Worte entschlüpfen mir bereits tonloser, fast lautlos. Die ältere Dame ist empört, beginnt mit ihrem Krückstock quer über meinen Rücken zu schlagen. "Flegel", kreischt sie, während ich mich ducke, die Arme hochnehme, meinen frisch verheilten Kopf zu schützen.
Ach, denke ich traurig, stelle mich abseits und greife zur Stärkung zu einer Banane. Bald heißt es wieder, jeder Mann seine eigene Lichterkette. Wir sind wohl noch lange nicht eins.

Sonntag, 30. September 2007
Wer sich fragt, was eigentlich der famose Herr Mek Wito so treibt, seit er aus Hamburg heraus durch ein Dimensionstor schritt und in der Hauptstadt landete - nun, die Antwort fällt leicht: Er macht tolle Sachen!
Er hat die Geschichte vom Tango Mortale wunderbar vertont und mit passenden Klängen unterlegt. Nachzuhören bei Blogread.
Vielen lieben Dank, ich bin sehr begeistert! Laßt uns einfach ganz viele verregnete, melancholische Sonntage haben.

Das glaubt mir wahrscheinlich auch kein Mensch: Ich würde Madonnas Ray of Light locker unter eines der besten Alben der letzten zehn Jahre einordnen.
Ist auch egal. Man kann eh nur einmal zwangseingewiesen werden. Und bald ist es ja schon elf Jahre alt.
Es ist unglaublich, wie die Zeit vergeht.

Samstag, 29. September 2007
"Are they made with real girlscouts?"
(The Addams Family)
Regen, Regen und noch ein bißchen Regen. Morgens Regen, mittags Regen und, daran werden auch Uwe Wesps Abschiedsworte nichts ändern, für den Abend erwarte ich keine Änderung.
Nur am Plästern, würde man in meiner Heimat sagen. Dem Hamburger ist es vielleicht nicht usselig, aber auch nicht wirklich wohl in seiner Schuppenhaut. Ein prima Tag also, um nicht draußen spielen zu müssen, hej! Ein Tag, um mit gut gefüllter Keksschale und einem Heißgetränk sich einem wohlig warmen Eskapismus hinzugeben. Bei mir ertönt deshalb das charakteristische Da-da dada, das Amerika funktionierendste Familie ankündigt: Die Addams Family.
Die gehen warmherzig miteinander um, ertragen ihre Launen, sitzen abends miteinander, ach was, den ganzen Tag, ohne Fernseher, spielen Karten, machen Explosionsexperimente, genießen das Mondlicht, sinnieren laut über Sex, machen aus ihrer erotischen Leidenschaft füreinander (die Eltern jetzt) keinen Hehl und wußten schon ohne neuzeitliche Forschungsergebnisse, daß Tintenfische einfach die intelligenteren Spielkameraden sind. Ich bin ja ein Fan dieser alten TV-Serie, die zwar nicht so opulent ausgestattet ist wie die beiden Kinofilme (von denen ich den zweiten immerhin ganz witzig finde), die aber darunter leiden, Sensationen aufbieten zu müssen, Aktion und Geschichte und Wendepunkte, wo es doch gerade um das Banale und Alltägliche dieser sympathischen Vorstadtbewohner geht.
Leider ist die Originalfassung mit ihren eingespielten Lachern vom Band nicht so gut zu ertragen wie die insgesamt recht gute Synchronisation. Mir daheim schallen schließlich auch keine künstlichen Heiterkeitsgeräusche entgegen, wenn mir eine sarkastische Bemerkungen entschlüpft - die, in Ermangelung eines Tintenfischs, meist nur mein Monitor hört.
Fast, wir reden über den Eskapismus der Regentage, wäre ich noch dem Charme des deutschen Pendants zur Addams Family erlegen. Fünf Filme in einer DVD-Kollektion: Immenhof! Da war ich schon sehr hin- und hergerissen, hatte ich doch gleich das charakteristische Leitmotiv im Ohr, dieses "Trippel-trappel-trippel-trappel Pooony". Als Kid07 war ich ja, wie mir heute klar ist, ein wenig in Heidi Brühl verschossen. In einem Alter, in dem mir die Art der in mir tobenden Gefühle gar nicht deutlich war, weil ich erst später erfuhr, daß andere Menschen dies als "Liebe" bezeichnen. Mir jedenfalls waren die Ponys ziemlich egal, so lange nur die blonde "Dalli" wild und ungezähmt ihre wohlwollenden Ränke schmiedete. Heidi Brühl, auch schon tot.
In Malente, jetzt kommt's, so informierte mich die Rückseite der letztlich ungekauft gebliebenen Kollektion, gibt es ein Immenhof Museum. Der Geist von Malente, die Älteren werden sich daran erinnern. Hätte ich das mal gewußt. Das wäre ein herrlich eskapistisches Urlaubsziel gewesen. Nächstes Mal dann, so lange halte ich einfach noch durch.
>>> Webseite über Charles Addams, besonders hier.
