Donnerstag, 27. September 2007


Reisen in Nihilon: Wedel

But tomorrow when we're gone
They will see the reason
Why we can't go on

(Sylvan, "We Don't Belong")*


Einem wunderbaren französischen Film zufolge liegt das Glück in der Wiese. Für den ausgezehrten deutschen Großstädter mag es auch einfach in der Vorstadt liegen, abseits womöglich der breiten Straßen, kleinen Freiheiten und großen Hoffnungen. Mir jedenfalls können ferne Sunde, mythische Schlünde und tiefe exotische Gründe gern gestohlen bleiben, gilt es doch vor grauer Städte Mauern eine Welt zu entdecken, die einem mehr eisige Wahrheit entgegenzuschleudern vermag als ein isländischer Geysir an heißer Naturgewalt. Zu pathetisch? Ach.
Wie wäre es mit wollstrumpffeuchter Tristesse und einer unerträglichen Beschaulichkeit, die schärfer schneidet als ein Blatt Papier - und ältere Bewohner hinter zurückgestutzte Rhododendronhecken und die jüngeren hinter die Lärmschutzwälle ihrer MP3-Player treibt?

Kaum ausgedacht, hielt es mich länger nicht zurück, einen Exkurs zu wagen in den Wilden Westen Hamburgs. Recht weit dort bei Sonnenuntergang liegt das schöne Städtchen Wedel, ein weltoffener Flecken mit 32000 Einwohnern und mittelalterlicher Ochsenmarkttradition.



Die Innenstadt zeigt fröhlich dekorierte Spielhallen, mit "top modisch" werbende Dessous-Läden (die Wedeler Frau ist auch untendrunter auf sich bedacht), auffällig viele Filialen von Geldinstituten und Immobilienmaklern, den üblichen gruselig-tristen Lädchenmix der Vorstädte aus Spiegelglas, korrodierten Metallfassaden und einer beschaulich altertümlichen Putzigkeit. Wedel hat Geschichte und der "Roland" legt davon Zeugnis ab. Die etwas trutzig geratene Statue mit Goldhelm dominiert den kleinen Marktplatz und irritiert den durchreisenden Besucher. Dieser Roland nämlich, so fällt auf, hat zwischen den Beinen einen ganz schön dicken, wie sagt man?, Beutel.

Wer hat, der hat, denkt sich vielleicht auch die Freiwillige Feuerwehr, deren moderne Wache von 1971 man auf dem Weg hinunter an die Elbe passiert. Die wird als Inhaberin "der längsten Leiter Wedels" gepriesen, wenn man der Webseite des Ortes glauben darf.

Mit solchen Primärmerkmalen aber will man sich nicht lange aufhalten, gilt es doch, große Pötte zu bewinken. Das Ziel heißt Schiffsbegrüßungsanlage, einer der ertragreichsten Geschäftsideen der Gastronomie, seit Erfindung des reservierungsfreien Schankstüberls. Unten am Fluß nämlich beschallt eine große Lautsprecheranlage noch größere Schiffe auf dem Weg von und nach Hamburg mit frischem Seemannsgruß und der passenden Nationalhymne. Dies beschränkt sich heutzutage zwar meist auf die aus Panama und Liberia, aber bekanntlich liegt auch in regelmäßiger Wiederholung ein gewisser Reiz. Für den, der es mag.



Währenddessen sitzen auf der kleinen Promenade oder direkt am Fährhaus neunmalkluge Blogger Rentner und fachsimpeln über Bruttoregistertonnen, Handelsbeziehungen und die Weltläufte. Es scheint fast wie Urlaub, schließlich ist die große weite Welt zu Gast - so wie man selbst bei den nur scheinbar desinteressiert wirkenden Seevögeln, die aus den Augenwinkeln aufmerksam meine Käsebrote beobachten. Es sind alles Freunde, das merke ich gleich.

Der Rückweg führt am Graf Luckner Haus vorbei. Eine heimelige Ruhestatt für alte Seeteufel, die nah am Wasser bleiben wollen. Ach Wedel, wo "Elbe-Döner" locken, Emo-Mädchen den Kopf noch ein Stück gesenkter tragen, du bist ungeheuer - Gott schütze diese Stadt, vor Not und Feuer, Krieg und Steuer.



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>>> *Sylvan Masons Blog und ihre Erinnerung an "We Don't Belong", einen der mitreißend-düstersten und erstaunlichsten Pop-Songs der Sixties.


 


Dienstag, 25. September 2007


Mein kleines Schiff

Mein kleines Schiff

Mit zusammengekniffenen Augen in der frischgekleisterten Ecke sitzen, dorthin, wohin man sich selbst gemalt hat beim Bodenstreichen. Hinschauen, dann mit verklebten Wimpern noch einmal schauen und die Fehler zwischen den Weltsichten finden. Wenn jeder neue Tag solche Rätsel bereithält, warum sollte ich da Sudoku spielen? Verschwimmen, ver-schwimmen, wegblenden (tausendfach klebrige Pechblende), Worte nur noch flüstern, Laut geben nur noch leise - dafür dann mal die Schiffssirene (einmal, zweimal, das Wasser trägt es schon weiter). Sich an Bord von irgendetwas anderem schleichen, den Traum eines anderen Menschen okkupieren, blinder Passagier sein im Prospekt eines anderen Lebens. Ein verträumter Parasit! werden sie schreien und mit Äpfeln nach mir werfen.


 


Sonntag, 23. September 2007


Frühstücken




Liisa von Charming Quark, die bereits einen Tick früher (haha) auf Brian Dettmer hinwies (es kann sich nur um ausgeschlafene Minuten gehandelt haben), ruft seit einiger Zeit zum Frühstücks-Projekt auf. Hier also auch für andere der Weckruf, ein bißchen Zeit bleibt noch.

Morgens, das sei verraten, gibt es hier kein Käsebrot. Die Marmelade, auch dies sei verraten, ist selbstgemacht. (Nicht von mir, ich kann nur Früchtchen sammeln und, wie das Foto verrät, in der Sonne stehen.)


 


Samstag, 22. September 2007


Scharf geschnitten

© Brian DettmerWährend jetzt jedermann beschwingte Weisen summt, heißt es anderenorts bereits wieder Lesen, Sehen, Staunen!

Die Skulpturen des amerikanischen Künstlers Brian Dettmer machen aus Literatur und planem Papier ein sehr anschauliches und haptisches Vergnügen, bei dem die Worte, Verzeihung, wirklich mal herausgearbeitet werden.
Ex Libris eben.

Mancher Bibliophile wird vielleicht ein wenig zusammenzucken, aber ich finde, er hat alte Bücher zu einem zweiten Leben erweckt, und zu einem sehr einzigartigen dazu. Jedenfalls, solange die Sache mit der 3D-Kopie noch in den Kinderschuhen steckt. Und mit diesem herausstechenden Originalitätsmerkmal wird Objektkunst noch das nächste große Ding nach den Beatles. Merkt euch meine Worte.

>>> Mehr Bilder bei Centripetal Notion
(Aber nicht alle auf einmal, der Server dort ist überlastet.)


 


Donnerstag, 20. September 2007


Hello Again!

Wir haben damals viel ausprobiert.
Wir waren richtig ein bißchen radikal.

(Don Pascal, "Bloggen war nicht mein ganzes Leben".)


Heute morgen, als ich gerade von meinem Frühstück am Büdchen zurückkam, hörte ich im Radio von einer kleinen Sensation. Howard Carpendale arbeitet an seinem Comeback! Viele werden da vielleicht mit den Achseln zucken - mir hingegen wurde wehmütig klar, warum ich dieses Jahr im Urlaub in einer ebenso instinktiven wie nostalgischen Anwandlung die Nähe der Ostseebäder gesucht hatte. Ich war ja nicht immer so! Bevor ich nämlich ein berühmter Maler wurde, drängte es mich in jungen Jahren als Sänger auf die großen bis mittelkleinen Bühnen - eine wilde Zeit und richtig eine kleine Karriere, an die ich nun schon lange nicht mehr gedacht habe.

Damals hatte ich unter dem Künstlernamen "Don Pascal" einen gewissen Erfolg. Mutig sang ich auf einer Talentprobe in Köln eines meiner selbstkomponierten Lieder ("Mädchen, um mich mußt du nicht weinen") und wurde prompt entdeckt. Neider spotteten zwar, damals wäre jeder, der drei Haare auf der Brust besaß und ein Mikrofon halten konnte, von einem Label unter Vertrag genommen worden, aber so war es bei der Gloriola nicht. Die suchten echte Künstler mit "einer eigenen Note", wie Wim Slooterhuijs, der große Produzent und mein erster Manager, mir immer wieder bestätigte.

Und eine Note hatte ich in der Tat! Ich war nämlich mit meiner wilden blonden Mähne so ein wenig verrückt, also ein bißchen flippig, und den kleinen Produktionskostenzuschuß für meine erste Single "Lass uns wilde Sachen machen" zahlte ich gern, denn viele Branchenberater sagten mir, daß es auf jeden Fall und schnell bergauf gehen würde. Und tatsächlich, bald ging ich auf Bädertournee und bespielte in den Kurhotels von Bad Breven bis Westerstede die Bühnen, die für viele die ganze Welt bedeuten. Damals hatte ich gerade den nur wenigen Leuten bekannten, augenzwinkernd gemeinten Hit "Mein Auto ist auch nur gelieh'n" im "Gepäck", wie man in der Branche sagt, und landete damit erstaunliche Erfolge. Wenn ich mich vom Rand der Bühne in der Konzertmuschel hinunter ins Publikum schwang, einer der meist recht stark gebauten Damen dort tief in die Augen blickte und die Zeile "Mädchen, um mich mußt du nicht weinen" heraushauchte - nun, dann wurde wirklich manches Auge feucht, und ich zog schnell ein fliederfarbenes Taschentuch, das ich eigens für diese Belange mit mir führte und in großer Stückzahl günstig von einem holländischen Im- und Exportunternehmer erwarb. Einer der vielen kleinen Tricks, ohne die ein Bühnenkünstler in der harten Welt des Schaugeschäfts nicht überleben kann.

Aber es gab auch Schattenseiten. Nach den Konzerten, allein in der Garderobe, überfiel mich oft eine düstere Stimmung, die alle Blumensträuße der Welt nicht aufhellen konnten. Diese Leere, die ich da spürte, nachdem der letzte Applaus verklungen war... manchmal habe ich geweint. Ich schrieb ein sehr persönliches Lied ("Ich bin nur ein trauriger Clown"), aber Wim war der Ansicht, es passe nicht zu meinem Image als junger, unkomplizierter Typ, mit dem man "dufte Sachen" machen könne. Ich habe dann manchmal heimlich getrunken.

Obwohl es noch heute gern zititerte Titel wie "Komm, du willst es doch auch" oder den kleinen Schmunzler "Wir können gute Freunde bleiben" erstmals vereinte, lief es mit meinem Debütalbum "In den Augen eines Träumers" ebenfalls nicht so gut. Die Plattenfirma, man muß es im nachhinein so sagen, unterstützte mich da leider nicht richtig. Wim war am Telefon oft nicht zu erreichen, Werbung wurde gleich gar nicht mehr gemacht, und auch ein versprochener Auftritt bei der Internationalen Funkausstellung platzte kurzfristig. Auch der Zusammenhalt mit den Kollegen aus der Schlagerszene zerbrach. Nun ja, Menschen kommen, Menschen gehen. War halt alles ein bißchen unglücklich.

Rückblickend kann ich also sagen, der Howard und ich, wir haben die Höhen und Tiefen dieses mörderischen Geschäfts kennengelernt. Wenn man auf der Bühne steht, so lautet eine alte Künstlerweisheit, ist es, als schaute man in den Rachen eines Krokodils. Aber, so hatte mir Wim, mein großer Mentor, immer gepredigt, man darf keine Angst vor dem Publikum zeigen. Man muß es beherrschen und zähmen - wie einen Freund.

Von meiner Langspielplatte wurde das mit einem modernen Discopolka- Rhythmus unterlegte Lied "Küssen, Knutschen - Kalamitäten" wohl in einigen Diskotheken auf Mallorca häufiger gespielt. Ein Bekannter schrieb das meiner Mutter. Aber leider kam es nicht mehr zu einer Tournee durch die spanischen Urlaubsorte. Ich bin sicher, es hätte meiner Karriere den letzten Schwung gegeben, denn Wim stand zu der Zeit, wie er mir immer versicherte, gerade mit Dieter Thomas Heck in sehr gutem Kontakt. Und so fiel es mir heute morgen wieder ein, wie ich fast gemeinsam mit Howard Carpendale in der Hitparade aufgetreten wäre. Von Kollege zu Kollege wünsche ich also viel Glück. Denk immer daran, Howie: Das Publikum ist ein Krokodil, aber du darfst den Rachen nicht fürchten!

(Ich widme diesen Beitrag meiner Mutter, die immer zu mir gehalten hat.)


 


Montag, 17. September 2007


Galeeren am Skagerrak

© Erica Il Cane

Der Wetterbericht. Drinnen wie draußen: Regen. Nächste Woche wieder raus in die Galeere, ran an die Ruder, eine letzte kleine Moritat zur singenden Säge im Ohr. Meine Sprachkenntnisse reichen nicht aus, mehr als die Botschaft zu verstehen, nach der es wie immer nur um eins geht: Freiheit oder Tod.

Die italienische Künstlerin Erica Il Cane strichelt derweil morbide kleine Häschen, Äffchen, Elefanten und nur scheinbar harmloses Nutztier. In ihrer wunderbaren Videoabteilung gibt es den kurzen Animationsfilm Il Galeone zu sehen. Ganz wunderbar, wenn man auf dem Rücken im nassen Laub liegen muß. Vielleicht will man den Text auch lieber gar nicht so genau wissen.


 


Freitag, 14. September 2007


Reisen in Nihilon: Scharbeutz

Alles Unglück in der Welt kommt daher,
daß man nicht versteht,
ruhig in einem Zimmer zu sein.

(Blaise Pascal)




Das neue Projekt heißt Nachsaison. Der mittlerweile auch etwas in Vergessenheit geratene Zeichner Loustal hat darüber einen seiner melancholischen Erzählbände veröffentlicht (Arrière Saison): Die Zeit nach den großen Versprechen des Sommers, der flirrenden Hitze, sonnenblitzenden Blicken und gesundbraunen, wenig scheuen Körpern, die in einer kraftvoll gebogenen Kurve von den Piers und Brücken ins grünblaue Wasser schnellen.



Der Strand liegt nun ruhiger, unberührter. Stiller harren die Seebrücken, empfindlich kühl ist das Wasser geworden, niemand wagt heute den Todessprung. Der kalte Sand fühlt sich gut an unter meinen nackten Füßen, ich gehe durch die Brandung, grabe mit den Zehen fein zermahlene Muscheln um und warte auf den Sonnenstrahl, den der Wetterbericht für heute ankündigte.

Als ich mich für ein improvisiertes Picknick auf meine Kapuzenjacke setze, Himmel, Sand und Wellenschläge im Blick, durchsucht als erstes der Wind meine Taschen. Doch die Natur zeigt sich von ihrer verbindlichen Seite: Eine griesgrämige Seemöwe freundet sich bald mit mir an, während wir gemeinsam auf unsere Zukunft warten. Lange Zeit spülen die kläglichen Wellen der Ostsee nicht einmal tote Fische an Land. Mein großer Zeh bohrt sich tiefer in den Sand. "Life is very long, when you're lonely", singen die Smiths. Mein Freund, die Möwe, verzieht den Schnabel zu einem spöttischen "Hiiiiaaarrr". Auch diesen Augenblick gilt es zu genießen, erkläre ich mit wichtiger Miene, doch abgelenkt fixiert der trübsinnige Vogel just in diesem Moment starr einen fernen Punkt am Horizont.



Weiter unten am Strand ist das Häuschen der DLRG verwaist. Nur ein paar Rentner wandern am Ufer auf und ab, Leben gilt es heute wohl nicht zu retten. "We could go for a walk where it's quiet and dry and talk about precious things...", versuche ich meinem geflügelten Freund in internationaler Seemannssprache zu kommen. Die Möwe gähnt und dreht sich etwas weiter in den Wind. Dieser Strand, rufe ich laut, läßt in seiner frisch und viel zu akkurat gerechten Stille nicht einmal Stimmung für Pathos aufkommen! Der Vogel beäugt mißtrauisch meine rudernden Arme, rührt sich aber nicht von der Stelle. Und, Herr Möw', was haben wir dazu zu sagen? Hiiiarrr? Nevermore? Raus damit! rufe ich, schon lauter, eine Antwort von der unbestechlichen Natur erwartend, aber die Ostsee, obwohl anerkanntes Seemannsgrab, plätschert einfach weiter unbeirrt und bedächtig vor sich hin.



"Die will nur ihr Brot", stellt einer der Rentner nüchtern fest, der sich in seinen Gesundheitsschuhen lautlos an mich herangeschlichen hat. So ist das, denke ich, und betrachte mißtrauisch meine Käsestulle. Hiiiiaarrr krächzt der Vogel nun erregter und schlägt kurz erwartungsvoll mit den Flügeln. Brotzeit ist vorbei, schreie ich das Tier an, enttäuscht und resignierend. Das Leben hat Nachsaison. Iß doch Kuchen!