
Dienstag, 25. September 2007
Mit zusammengekniffenen Augen in der frischgekleisterten Ecke sitzen, dorthin, wohin man sich selbst gemalt hat beim Bodenstreichen. Hinschauen, dann mit verklebten Wimpern noch einmal schauen und die Fehler zwischen den Weltsichten finden. Wenn jeder neue Tag solche Rätsel bereithält, warum sollte ich da Sudoku spielen? Verschwimmen, ver-schwimmen, wegblenden (tausendfach klebrige Pechblende), Worte nur noch flüstern, Laut geben nur noch leise - dafür dann mal die Schiffssirene (einmal, zweimal, das Wasser trägt es schon weiter). Sich an Bord von irgendetwas anderem schleichen, den Traum eines anderen Menschen okkupieren, blinder Passagier sein im Prospekt eines anderen Lebens. Ein verträumter Parasit! werden sie schreien und mit Äpfeln nach mir werfen.

Sonntag, 23. September 2007
Liisa von Charming Quark, die bereits einen Tick früher (haha) auf Brian Dettmer hinwies (es kann sich nur um ausgeschlafene Minuten gehandelt haben), ruft seit einiger Zeit zum Frühstücks-Projekt auf. Hier also auch für andere der Weckruf, ein bißchen Zeit bleibt noch.
Morgens, das sei verraten, gibt es hier kein Käsebrot. Die Marmelade, auch dies sei verraten, ist selbstgemacht. (Nicht von mir, ich kann nur Früchtchen sammeln und, wie das Foto verrät, in der Sonne stehen.)

Samstag, 22. September 2007
Während jetzt jedermann beschwingte Weisen summt, heißt es anderenorts bereits wieder Lesen, Sehen, Staunen!
Die Skulpturen des amerikanischen Künstlers Brian Dettmer machen aus Literatur und planem Papier ein sehr anschauliches und haptisches Vergnügen, bei dem die Worte, Verzeihung, wirklich mal herausgearbeitet werden.
Ex Libris eben.
Mancher Bibliophile wird vielleicht ein wenig zusammenzucken, aber ich finde, er hat alte Bücher zu einem zweiten Leben erweckt, und zu einem sehr einzigartigen dazu. Jedenfalls, solange die Sache mit der 3D-Kopie noch in den Kinderschuhen steckt. Und mit diesem herausstechenden Originalitätsmerkmal wird Objektkunst noch das nächste große Ding nach den Beatles. Merkt euch meine Worte.
>>> Mehr Bilder bei Centripetal Notion
(Aber nicht alle auf einmal, der Server dort ist überlastet.)

Donnerstag, 20. September 2007
Wir waren richtig ein bißchen radikal.
(Don Pascal, "Bloggen war nicht mein ganzes Leben".)
Heute morgen, als ich gerade von meinem Frühstück am Büdchen zurückkam, hörte ich im Radio von einer kleinen Sensation. Howard Carpendale arbeitet an seinem Comeback! Viele werden da vielleicht mit den Achseln zucken - mir hingegen wurde wehmütig klar, warum ich dieses Jahr im Urlaub in einer ebenso instinktiven wie nostalgischen Anwandlung die Nähe der Ostseebäder gesucht hatte. Ich war ja nicht immer so!
Bevor ich nämlich ein berühmter Maler wurde, drängte es mich in jungen Jahren als Sänger auf die großen bis mittelkleinen Bühnen - eine wilde Zeit und richtig eine kleine Karriere, an die ich nun schon lange nicht mehr gedacht habe.
Damals hatte ich unter dem Künstlernamen "Don Pascal" einen gewissen Erfolg. Mutig sang ich auf einer Talentprobe in Köln eines meiner selbstkomponierten Lieder ("Mädchen, um mich mußt du nicht weinen") und wurde prompt entdeckt. Neider spotteten zwar, damals wäre jeder, der drei Haare auf der Brust besaß und ein Mikrofon halten konnte, von einem Label unter Vertrag genommen worden, aber so war es bei der Gloriola nicht. Die suchten echte Künstler mit "einer eigenen Note", wie Wim Slooterhuijs, der große Produzent und mein erster Manager, mir immer wieder bestätigte.
Und eine Note hatte ich in der Tat! Ich war nämlich mit meiner wilden blonden Mähne so ein wenig verrückt, also ein bißchen flippig, und den kleinen Produktionskostenzuschuß für meine erste Single "Lass uns wilde Sachen machen" zahlte ich gern, denn viele Branchenberater sagten mir, daß es auf jeden Fall und schnell bergauf gehen würde. Und tatsächlich, bald ging ich auf Bädertournee und bespielte in den Kurhotels von Bad Breven bis Westerstede die Bühnen, die für viele die ganze Welt bedeuten. Damals hatte ich gerade den nur wenigen Leuten bekannten, augenzwinkernd gemeinten Hit "Mein Auto ist auch nur gelieh'n" im "Gepäck", wie man in der Branche sagt, und landete damit erstaunliche Erfolge. Wenn ich mich vom Rand der Bühne in der Konzertmuschel hinunter ins Publikum schwang, einer der meist recht stark gebauten Damen dort tief in die Augen blickte und die Zeile "Mädchen, um mich mußt du nicht weinen" heraushauchte - nun, dann wurde wirklich manches Auge feucht, und ich zog schnell ein fliederfarbenes Taschentuch, das ich eigens für diese Belange mit mir führte und in großer Stückzahl günstig von einem holländischen Im- und Exportunternehmer erwarb. Einer der vielen kleinen Tricks, ohne die ein Bühnenkünstler in der harten Welt des Schaugeschäfts nicht überleben kann.
Aber es gab auch Schattenseiten. Nach den Konzerten, allein in der Garderobe, überfiel mich oft eine düstere Stimmung, die alle Blumensträuße der Welt nicht aufhellen konnten. Diese Leere, die ich da spürte, nachdem der letzte Applaus verklungen war... manchmal habe ich geweint. Ich schrieb ein sehr persönliches Lied ("Ich bin nur ein trauriger Clown"), aber Wim war der Ansicht, es passe nicht zu meinem Image als junger, unkomplizierter Typ, mit dem man "dufte Sachen" machen könne. Ich habe dann manchmal heimlich getrunken.
Obwohl es noch heute gern zititerte Titel wie "Komm, du willst es doch auch" oder den kleinen Schmunzler "Wir können gute Freunde bleiben" erstmals vereinte, lief es mit meinem Debütalbum "In den Augen eines Träumers" ebenfalls nicht so gut. Die Plattenfirma, man muß es im nachhinein so sagen, unterstützte mich da leider nicht richtig. Wim war am Telefon oft nicht zu erreichen, Werbung wurde gleich gar nicht mehr gemacht, und auch ein versprochener Auftritt bei der Internationalen Funkausstellung platzte kurzfristig. Auch der Zusammenhalt mit den Kollegen aus der Schlagerszene zerbrach. Nun ja, Menschen kommen, Menschen gehen. War halt alles ein bißchen unglücklich.
Rückblickend kann ich also sagen, der Howard und ich, wir haben die Höhen und Tiefen dieses mörderischen Geschäfts kennengelernt. Wenn man auf der Bühne steht, so lautet eine alte Künstlerweisheit, ist es, als schaute man in den Rachen eines Krokodils. Aber, so hatte mir Wim, mein großer Mentor, immer gepredigt, man darf keine Angst vor dem Publikum zeigen. Man muß es beherrschen und zähmen - wie einen Freund.
Von meiner Langspielplatte wurde das mit einem modernen Discopolka- Rhythmus unterlegte Lied "Küssen, Knutschen - Kalamitäten" wohl in einigen Diskotheken auf Mallorca häufiger gespielt. Ein Bekannter schrieb das meiner Mutter. Aber leider kam es nicht mehr zu einer Tournee durch die spanischen Urlaubsorte. Ich bin sicher, es hätte meiner Karriere den letzten Schwung gegeben, denn Wim stand zu der Zeit, wie er mir immer versicherte, gerade mit Dieter Thomas Heck in sehr gutem Kontakt. Und so fiel es mir heute morgen wieder ein, wie ich fast gemeinsam mit Howard Carpendale in der Hitparade aufgetreten wäre. Von Kollege zu Kollege wünsche ich also viel Glück. Denk immer daran, Howie: Das Publikum ist ein Krokodil, aber du darfst den Rachen nicht fürchten!
(Ich widme diesen Beitrag meiner Mutter, die immer zu mir gehalten hat.)

Montag, 17. September 2007
Der Wetterbericht. Drinnen wie draußen: Regen. Nächste Woche wieder raus in die Galeere, ran an die Ruder, eine letzte kleine Moritat zur singenden Säge im Ohr. Meine Sprachkenntnisse reichen nicht aus, mehr als die Botschaft zu verstehen, nach der es wie immer nur um eins geht: Freiheit oder Tod.
Die italienische Künstlerin Erica Il Cane strichelt derweil morbide kleine Häschen, Äffchen, Elefanten und nur scheinbar harmloses Nutztier. In ihrer wunderbaren Videoabteilung gibt es den kurzen Animationsfilm Il Galeone zu sehen. Ganz wunderbar, wenn man auf dem Rücken im nassen Laub liegen muß. Vielleicht will man den Text auch lieber gar nicht so genau wissen.

Freitag, 14. September 2007
daß man nicht versteht,
ruhig in einem Zimmer zu sein.
(Blaise Pascal)
Das neue Projekt heißt Nachsaison. Der mittlerweile auch etwas in Vergessenheit geratene Zeichner Loustal hat darüber einen seiner melancholischen Erzählbände veröffentlicht (Arrière Saison): Die Zeit nach den großen Versprechen des Sommers, der flirrenden Hitze, sonnenblitzenden Blicken und gesundbraunen, wenig scheuen Körpern, die in einer kraftvoll gebogenen Kurve von den Piers und Brücken ins grünblaue Wasser schnellen.
Der Strand liegt nun ruhiger, unberührter. Stiller harren die Seebrücken, empfindlich kühl ist das Wasser geworden, niemand wagt heute den Todessprung. Der kalte Sand fühlt sich gut an unter meinen nackten Füßen, ich gehe durch die Brandung, grabe mit den Zehen fein zermahlene Muscheln um und warte auf den Sonnenstrahl, den der Wetterbericht für heute ankündigte.
Als ich mich für ein improvisiertes Picknick auf meine Kapuzenjacke setze, Himmel, Sand und Wellenschläge im Blick, durchsucht als erstes der Wind meine Taschen. Doch die Natur zeigt sich von ihrer verbindlichen Seite: Eine griesgrämige Seemöwe freundet sich bald mit mir an, während wir gemeinsam auf unsere Zukunft warten. Lange Zeit spülen die kläglichen Wellen der Ostsee nicht einmal tote Fische an Land. Mein großer Zeh bohrt sich tiefer in den Sand. "Life is very long, when you're lonely", singen die Smiths. Mein Freund, die Möwe, verzieht den Schnabel zu einem spöttischen "Hiiiiaaarrr". Auch diesen Augenblick gilt es zu genießen, erkläre ich mit wichtiger Miene, doch abgelenkt fixiert der trübsinnige Vogel just in diesem Moment starr einen fernen Punkt am Horizont.
Weiter unten am Strand ist das Häuschen der DLRG verwaist. Nur ein paar Rentner wandern am Ufer auf und ab, Leben gilt es heute wohl nicht zu retten. "We could go for a walk where it's quiet and dry and talk about precious things...", versuche ich meinem geflügelten Freund in internationaler Seemannssprache zu kommen. Die Möwe gähnt und dreht sich etwas weiter in den Wind. Dieser Strand, rufe ich laut, läßt in seiner frisch und viel zu akkurat gerechten Stille nicht einmal Stimmung für Pathos aufkommen! Der Vogel beäugt mißtrauisch meine rudernden Arme, rührt sich aber nicht von der Stelle. Und, Herr Möw', was haben wir dazu zu sagen? Hiiiarrr? Nevermore? Raus damit! rufe ich, schon lauter, eine Antwort von der unbestechlichen Natur erwartend, aber die Ostsee, obwohl anerkanntes Seemannsgrab, plätschert einfach weiter unbeirrt und bedächtig vor sich hin.
"Die will nur ihr Brot", stellt einer der Rentner nüchtern fest, der sich in seinen Gesundheitsschuhen lautlos an mich herangeschlichen hat. So ist das, denke ich, und betrachte mißtrauisch meine Käsestulle. Hiiiiaarrr krächzt der Vogel nun erregter und schlägt kurz erwartungsvoll mit den Flügeln. Brotzeit ist vorbei, schreie ich das Tier an, enttäuscht und resignierend. Das Leben hat Nachsaison. Iß doch Kuchen!

Donnerstag, 13. September 2007
Dreams stay with you
Like a lover´s voice
Fires the mountain side.
Stay alive.
(
Ich versuche gerade, ein wenig betrunken zu werden, draußen ist es ja bereits dunkel genug. Fürs Tagebuch festzuhalten gibt es heute nicht viel, Einkaufen, ein paar kleinere Renovierungsarbeiten, noch einmal eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Konzept Muffe & Doppelnippel (mein zweiter Roman wird so heißen), ein kurzes Dankgebet, weil sich das junge Pärchen in der Nachbarschaft nicht wieder so laut und ausdauernd gestritten hat wie gestern, Einkaufen, ganz wichtig, ein Konzept, wie alles besser wird, ein bißchen geschrieben, noch mehr gelöscht, überprüft, ob Arc*r wirklich diese Prono-Seiten sperrt, dabei erstaunliche Dinge entdeckt, weil ich nicht bei Arc*r bin.
Dann über die B-Bands meiner Jugend nachgedacht. Oder vielleicht mehr über bestimmte Lieder, deren man sich nicht entziehen kann - aus nostalgischen Gründen natürlich. Sie sind vielleicht nicht wirklich wirklich gut, aber man, also ich, verbindet halt etwas damit, eine Zeit, eine Stimmung, eine flüchtige Erinnerung. Nehmen wir Big Country, eine Band, deren Vorstellung von Sound heute wie der Geist von Onkel Albert in die Editors gefahren ist. Der Sänger hat sich aufgehängt, viel später, und streng genommen waren die auch immer bloß B-Klasse-Lala, aber doch für ein paar Jahre sehr präsent. Und live gar nicht lahm, wie Youtube beweist. Dort findet sich auch ein recht bewegendes Cover einer anderen B-Band dieser Zeit: The Alarm spielen gemeinsam mit Bruce Watson von Big Country den Song In a Big Country - und fast möchte ich - ganz untypisch für mich - ein wenig rührselig werden.
Weil ja jeder weiß, daß hier nicht Genies gerade eine neue Welt erschaffen, sondern ein paar Freunde an einen verlorenen Kumpel und an eine vielleicht nicht verlorene, aber für die meisten vergessene, Zeit erinnern. Ich glaube, für so was gibt es eh kaum eine bessere Ära als die 80er - verstrubbelte Musiker in zu großen Mänteln, die an britischen Steilküsten standen und Musik hinaus in den Atlantiksturm spielten. Are we not Pathos? No, we are Pathos!
Habe ich das schon mal erzählt? Vor zig Jahren, 1998, o Gott, auch schon wieder bald zehn Jahre her, war ich mal auf einem Nena-Konzert. Nena mit so einer Punkband als Begleitung im Grünspan, sie gab ein kleines Konzert für ihren Fanclub und ein paar andere Leute und spielte Stücke von Blondie, den Ramones - und natürlich ihre alten Hits. Ruppig, rauh, sentimental. Und alle, alle sangen mit - ich auch, und was hab ich früher diese Musik gehaßt! Aber es war ja dunkel, keiner hat mich erkannt und nie wird jemand davon erfahren. Ich habe davor bessere, bedeutendere Konzerte gesehen. Danach nicht mehr.
Deshalb sperrt schön die Ohren auf, hört Musik, geht auf Konzerte. Dann wird es in zwanzig Jahren sehr schön, wenn ihr, die warme Decke auf den Knien, auf Youtube oder das, was Arc*r davon zu euch durchläßt, die alten Kamellen hört. Prost, einen noch.
