Mittwoch, 8. August 2007


Herr Kid geht k.o.



Das kommt davon, wenn man artistische Scherze über Rehab-Inszenierungen macht - prompt wird man selbst zum Protagonisten. Ich möchte betonen, Rock'nRoll hin oder her, aber das ist mir auch noch nicht passiert. Gehe ich doch eben schnell nach der Arbeit im Supermarkt einkaufen, merke noch wie mir blümerant zumute wird... und verliere dann den Faden. Dunkel erinnere ich mich an die Kühltheke, dann aber an nichts mehr. Vielleicht war es der Milchpreisschock, vielleicht hatte ich auch einfach keinen Saft mehr, jedenfalls wachte ich so zwei Stunden später in der Notaufnahme auf.

Fade to Black, danach emsiges Treiben um mich herum, eine Kopfwunde, ein sauberer Cut, muß versorgt werden, ein paar Instrumente piepsen. Von meinem Sturz bin ich am halben Körper grün und blau, als hätte ich eine muntere Sparringsrunde mit Darius "Tiger" Michalczewski hingelegt. Aber das merke ich alles erst am nächsten Tag. Jetzt gerade kniet eine junge Schwester vor mir, hält meine Hand und spricht mit sanfter Stimme zu mir. Fasziniert betrachte ich ihr Sternentattoo auf dem Handgelenk. Hier bei den Sternen bin ich zu Hause, weiß ich, hier ist das katholische Krankenhaus. Der behandelnde Arzt hingegen ruft ganz irdisch nach einer dickeren Nadel. "Das ist die härteste Schwarte, die ich je genäht habe!" Ich finde, so dickköpfig bin ich nun auch wieder nicht. Hätte er mal die Schwester gelassen, ganz weich wäre ich geworden.

Abends am nächsten Tag höre ich die Andacht, die in die Zimmer übertragen wird. Mir ist sofort besser.
Davor noch ein Besuch im Technikpark. Man schiebt mich zum Kernspin in die Röhre, das pulsierende, modulierte Brummen hört sich an wie auf einem Industrial-Festival. Nur der Kopfhörer mit dem Lokalradiosender, den ich tragen soll, stört etwas. Brrrr. Bzfff Bzfff. Bzfff. Könnte man auch mal samplen. Nachmittags noch ein EEG, ich wette, das Netzmützchen aus Gummi, das ich dazu trage, steht mir nicht. Die Kurven scheinen nicht so interessant zu sein, wie die auf dem berühmten Joy-Division-Cover, obwohl ich abwechselnd die Augen öffne und schließe, Rechenaufgaben löse und "an was Schönes" denke. Meine Entlassung zum Beispiel.

Die habe ich dann heute veranlasst, nachdem ich den Kollegen Arzt überzeugen konnte, brav zu sein und unauffällig und überhaupt ein echter Simulant. Wie ein geprügelter Hund schlich ich nach Hause, gleich darf ich mir vorsichtig das Blut aus den Haaren waschen. Und nachher, nun, da gehe ich dann mal zum Supermarkt.


 


Montag, 6. August 2007


Janus-Sunaj

Sammlung Joe Coleman

Manchmal einfach mal abschalten. Manchmal einfach mal runterkommen. Manchmal fühlt man sich wie eine Laune der Natur, manchmal jedoch sehen die vielen anderen so aus.

Dürfte ich bestimmen, ich schlüge vor, heute den Tag der zweiköpfigen Kälber auszurufen. Für alle, die zuviel denken und am Ende nicht wissen, wohin sie eigentlich schauen. Vorwärts und rückwärts, zwischendrin ein Stocken wie im fahlen Licht eines Nachtzugs zwischen größeren Städten. Wenn draußen im Dunkeln die Klarheit verschwindet, man nicht mehr erkennt, in welche Richtung man fährt und ob überhaupt. Wenn sich gegenüber ein anderer Zug bewegt, lautlos und stoisch wie ein alternder Ochse, oder bloß eine zitternde Spiegelung ans Fenster wirft. Dazu ein Knarzen und Brummen. Über die Sprechanlage murmelt der Zugchef Unverständliches. Nur etwas wird deutlich: Wir haben den Anschluß verpaßt.


 


Freitag, 3. August 2007


Geisterbahn und Glanzrevue

Ich komme zu nichts, die Tage in der Fabrik fühlen sich an, als schlüge alle halbe Stunde das Personal eines Rob-Zombie-Films mit einer Schaufel auf meinen Kopf. Schnell dann aber doch in der Mittagspause zu Otto Dix gehuscht. Eigentlich hatte ich nicht viel erwartet, Aquarelle und Gouachen, Bucerius-Forum, eher zwei Signale, die gleichsam Achtung, kreuzende Rentner schreien, aber dann, he, war es doch sehr schön. Vielleicht werde ich einfach nicht nur alt, sondern echt alt. Außerdem, muß man ja auch mal sagen, sind diese Senioren oft äußerst interessiert, ganz anders als diese furchtbaren jungen Leute, die immer schon alles wissen und sogar besserwissen, nur weil sie ein, zwei Bücher zum Thema gelesen haben. Also so wie ich z.B.



Mit Geisterbahn und Glanzrevue lockte man mich folglich ins gar nicht so Dunkle, und Auswahl und Hängung haben nicht enttäuscht. Da verliert sich nichts im Spitzfindigen, da ufert nichts ins Beliebige, da sind für jede der fünf, sechs Stationen exemplarische Bilder gewählt. Angenehm auch, eine Ausstellung zu sehen, die aus der Beschränkung des Themas viel herausholt und nicht mit dem Superlativ des Von-Bismus nervt. Die bekannteren (Öl-)Gemälde fehlen denn auch und werden dennoch nicht vermißt. Die feschen Matrosen und kecken Deerns vom "Hafen der Lüste" bieten genug, daneben sorgt das Dix'sche Panoptikum mit Lustmord, Kriegskrüppeln und Großstadtschranzen für Schauder und Wiedererkennen. "Er führt seine Krüppel in einer auf Maßlosigkeit versessenen Gesellschaft vor, deren Hochaltar das Schaufenster ist", mahnt der Ausstellungstext den Geizgeil-Betrachter.

Unverschämt auch die zwei, drei offenherzigeren Werke, die Huldigungen an die Fetischisten und Sadisten beispielsweise. Der "Traum der Sadistin II" ist mit einem ebenso effektiven wie suggestiven roten Vorhang verhängt. Ein nebenstehendes Schild bedeutet dem Besucher, den roten Schleier vorsichtig zu lüpfen. Man weiß nicht, gilt die Vorsicht dem Stoff oder dem Empfinden - aber allemal spitzbübischer als die verschämte Verwahrung damals bei den Surrealisten in der Kunsthalle, als man die provozierenderen Fotografien mutlos ins Kabinett verbannte und mit piefigen Warnhinweisen versah (der Ex-Avantgarde noch postum den Bürgerschrecken auszutreiben), also allemal pfiffiger gelöst war das schon.

Lob also, und auf die begleitenden Kinderkurse wäre ich ja gespannt. Die Kinderbücher jedenfalls sind rührend begeisternd, mache ich sofort auch (Bücher, meine ich). Und nicht zu vergessen: Die haben dort einen verdammt guten Kuchen!

(Otto Dix: Geisterbahn und Glanzrevue - Aquarelle und Gouachen". Noch bis zum 9.9.2007 im Bucerius Forum, Hamburg.)


 


Mittwoch, 1. August 2007


Flat Iron World

Nichts für ganz Zartbesaitete, und ein bißchen Zeit braucht es auch: Aber die wunderbare, eindringliche, bewegende und preisgekrönte Dokumentarfotografie der New Yorkerin Jessica Dimmock ist wirklich sehenswert. Die Arbeit über Heroinsüchtige wurde mehrfach preisgekrönt und packt durch Direktheit, Nähe und eine ganz feinfühlige Ästhetik.

>>> The Ninth Floor von Jessica Dimmock. Die anderen Galerien sind ebenfalls unbedingt anzuschauen.


 


Dienstag, 31. Juli 2007


Ich werde wohl nie ein Bond-Girl

So wurde heute die allgemein recht bekannte Schauspielerin Kate Winslet zitiert, und man weiß nicht, ob sie diese Feststellung mit Bedauern oder Erleichterung traf. Wenn es denn ein Trost sein sollte, möchte ich Frau Winslet mitteilen, so geht es mir nicht viel anders. Wir sitzen sozusagen im selben vierschlotigen Boot, denn auch ich, so muß ich befürchten, werde nie ein Bond-Girl werden.

Früher, ja damals, bestand noch eine gewisse Chance. Da war ich schlanker, und mein Haar fiel dunkel und schwer. Mit einem Dolch im Bikini hätte ich eine wunderbare Figur gemacht. Nun aber hat sich ein Schleier von Grau über mein Haupt gelegt, so daß ich fürchten muß, nicht einmal als Geheimagent ihrer Majestät noch in die engere Wahl zu kommen. Eine leise Hoffnung bloß bleibt, was dieses Gewerbe angeht, als Gegenspieler. Denn für die Rolle des Bösewichts haben wir Deutschen eine gewisse und auf der Silberleinwand auch gerühmte Tradition. James Bond jagt Dr. Kid, das machte sich in rotumfranster Schrift recht gut auf den Plakaten. Ich stapfte durch ein geheimes unterirdisches Bioschrecklabor und weckte meine finstere Homunculus-Armee, die Daniel Craig und hernach der gesamten Welt bedrohlich an die Gurgel wollte.

Doch während diese Zukunft heller leuchtet als beispielsweise die Reflektion des Silberschopfs von Sky du Mont in der Abendsonne, um auch einmal einen anderen großen Kollegen zu erwähnen, ist mein wahres Leben dunkler als gedacht. Jedenfalls des nachts, wenn es mir zunehmend weniger gelingt, die naturgemäße Finsternis hilfsmittellos zu durchdringen. Das Zahnputzglas, das heute gegen drei klirrend im Handwaschbecken zerbarst, legte unleugbar lautstarkes Zeugnis einer gewissen tapsigen Nachtblindheit ab, die ich an mir bislang nicht kannte. Ein schöner Schurke! Schiffbruch, schreit es. Vielleicht könnte ich ein kleiner Maulwurf werden, der neue Heino Ferch, der überall seine Tunnel gräbt.

Jedenfalls schlurfte ich müde, aber immer noch schlaflos, zurück ins Bett, wühlte mich durch Laken und Kissen, dachte kurz, so trampelig wird aus mir nie ein Bond-Girl werden, drehte mich links, drehte mich rechts, verfluchte die Nacht, den nahenden Morgen, und fühlte mich kurz nach dem Aufstehen so, daß ich dachte, aus mir wird auch nie ein Hirnchirurg werden. Als hätte mich jemand gefragt!

Dabei soll man ruhig wagen, sich in Bewegung und neue Ziele setzen. Ich begriff mein Verharren in diesem immer gleichen Leben, diesem Staub, diesem Schmutz an der Oberfläche des Nie-Veränderns einzig als ein Fehlen persönlicher Hygiene, schreibt Pessoa im Buch der Unruhe. Und so setze man sich ruhig in Züge, verreise von hier en direct Richtung Zukunft, nur um dort in der Gegenwart auszusteigen. Von Cédric Klapisch lernen wir, siehe L'auberge espagnole - Wiedersehen in St. Petersburg, die Bedeutung, die es hat, wenn man die irrende Traumfahrt - endlich! - beendet und am Bahnhof erwartet wird: Es muß ja kein Bond-Girl sein und nicht einmal Kate Winslet. Ein Gedanke, kein Messer im Bikini, vielleicht ein Name auf einer Dankesliste, hell oder dunkel, das Anstoßen zweier Gläser, einfach eine Aufmerksamkeit. Jetzt, meine ich, kein Trost auf irgendwann später. Weil man irgendwann kein Bond-Girl mehr sein wird.


 


Sonntag, 29. Juli 2007


Mein kleiner Kunsthandwerksmarkt



Zugegeben: Wenn man hinterm Mond lebt, ist man zwar den Sternen nah, bekommt andererseits aber nichts mehr mit. Auf Etsy wurde ich erst durch Miss Wurzeltod aufmerksam, dabei gibt es das schon über ein Jahr. Ein kleines virtuelles Kaufhaus für jede Menge Kunst & Krempel und noch viel mehr sehr, sehr netter Sachen. "All things handmade" lautet das Motto unter dem Künstler, Handwerker und Designer aus aller Welt meist in Kleinserien, oft auch als Einzelstück gefertigte Sachen und Sächelchen anbieten.

Man kann sich Verkäufer in bestimmten Regionen suchen (in Hamburg z.B. gibt es ein paar) oder Dinge nach bestimmten Themen oder sogar Farben vorwählen ("Hm, gegen meine grüne Wand fehlt ein roter Tupfer..."). Ein Kunstflohmarkt für Regentage.


 


Samstag, 28. Juli 2007


Als ich noch nicht mein eigener Propeller war

[... the way I do.]
(Marilyn Manson, "Para-Noir")



Irgendwann also, drängte es sich heute wie das Restzucken eines abgetrennten Tentakels tief aus der Erinnerungsregistratur, irgendwann schnappte ich zufällig die vollmondige Bemerkung auf, ich sei nur ein Klotz am Bein.

Schnappt man zufällig irgendwann eine solche Bemerkung auf, ist es bekanntlich das beste, sofort zu gehen. Wer will schon Bremser sein. Ich glaube, mir gelang das auch nach einigen Jahren Monaten. Denn irgendwann hat selbst der beste Witz ausgelacht.

Dann, wiederum Jahre später, hat sich alles auch zum Guten gewendet. Ohne weiteres Bleigewicht an den Füßen, zog die klotzbefreite Karrierebahn wie von einem gespannten Gummi beschleunigt in ungeahnte Höhen. Man spricht jetzt international und nicht mehr miteinander.

So ist man immer zu etwas gut. Im Sein und im Nichtsein.

Und man muß sich vorstellen, wie ich nun hier sitze: Mit Fliegermütze, Sturmbrille und entschlossener Miene, eine menschliche Kanonenkugel, Drehung um Drehung ein rotweißes Gummiband aufziehend. Bald muß ich nur noch den Hebel umlegen. Dann aber huuuiiiiiii... bis zum Mond.

Machmamusiklauter. Letmeentertainyou. Lauter.