Geisterbahn und Glanzrevue

Ich komme zu nichts, die Tage in der Fabrik fühlen sich an, als schlüge alle halbe Stunde das Personal eines Rob-Zombie-Films mit einer Schaufel auf meinen Kopf. Schnell dann aber doch in der Mittagspause zu Otto Dix gehuscht. Eigentlich hatte ich nicht viel erwartet, Aquarelle und Gouachen, Bucerius-Forum, eher zwei Signale, die gleichsam Achtung, kreuzende Rentner schreien, aber dann, he, war es doch sehr schön. Vielleicht werde ich einfach nicht nur alt, sondern echt alt. Außerdem, muß man ja auch mal sagen, sind diese Senioren oft äußerst interessiert, ganz anders als diese furchtbaren jungen Leute, die immer schon alles wissen und sogar besserwissen, nur weil sie ein, zwei Bücher zum Thema gelesen haben. Also so wie ich z.B.



Mit Geisterbahn und Glanzrevue lockte man mich folglich ins gar nicht so Dunkle, und Auswahl und Hängung haben nicht enttäuscht. Da verliert sich nichts im Spitzfindigen, da ufert nichts ins Beliebige, da sind für jede der fünf, sechs Stationen exemplarische Bilder gewählt. Angenehm auch, eine Ausstellung zu sehen, die aus der Beschränkung des Themas viel herausholt und nicht mit dem Superlativ des Von-Bismus nervt. Die bekannteren (Öl-)Gemälde fehlen denn auch und werden dennoch nicht vermißt. Die feschen Matrosen und kecken Deerns vom "Hafen der Lüste" bieten genug, daneben sorgt das Dix'sche Panoptikum mit Lustmord, Kriegskrüppeln und Großstadtschranzen für Schauder und Wiedererkennen. "Er führt seine Krüppel in einer auf Maßlosigkeit versessenen Gesellschaft vor, deren Hochaltar das Schaufenster ist", mahnt der Ausstellungstext den Geizgeil-Betrachter.

Unverschämt auch die zwei, drei offenherzigeren Werke, die Huldigungen an die Fetischisten und Sadisten beispielsweise. Der "Traum der Sadistin II" ist mit einem ebenso effektiven wie suggestiven roten Vorhang verhängt. Ein nebenstehendes Schild bedeutet dem Besucher, den roten Schleier vorsichtig zu lüpfen. Man weiß nicht, gilt die Vorsicht dem Stoff oder dem Empfinden - aber allemal spitzbübischer als die verschämte Verwahrung damals bei den Surrealisten in der Kunsthalle, als man die provozierenderen Fotografien mutlos ins Kabinett verbannte und mit piefigen Warnhinweisen versah (der Ex-Avantgarde noch postum den Bürgerschrecken auszutreiben), also allemal pfiffiger gelöst war das schon.

Lob also, und auf die begleitenden Kinderkurse wäre ich ja gespannt. Die Kinderbücher jedenfalls sind rührend begeisternd, mache ich sofort auch (Bücher, meine ich). Und nicht zu vergessen: Die haben dort einen verdammt guten Kuchen!

(Otto Dix: Geisterbahn und Glanzrevue - Aquarelle und Gouachen". Noch bis zum 9.9.2007 im Bucerius Forum, Hamburg.)

Flanieren | 12:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
ana - Freitag, 3. August 2007, 19:12
Ich habe das Bilderbuch für Muggeli von Otto Dix seit langem in meinem Bücherregal. Ich konnte es schon damals nur noch antiquarisch erwerben und glaube es wird auch derzeit leider nicht mehr verlegt.
Die Kinder waren beim Betrachten der Seiten stets begeistert und zur eigenen Phantasie reichhaltig angeregt. Es sind viele schöne Zeichnungen in Anlehnung an die Motive von Dix entstanden. ( Trompetende Elefanten mit Affen auf dem Rücken, jonglierende Bären ... )
Ich habe mir das Bilderbuch und meine kleine Sammlung von den dazu entstandenen Kinderbildern extra nochmals angesehen.
Man kann sicher prima Kinderkurse mit den Kindernbüchern von Dix machen.

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kid37 - Freitag, 3. August 2007, 20:20
Ich wußte gar nicht, daß das mal aufgelegt wurde. Wie schön. Entfernt erinnern die Zeichnungen und Motive an Tim & Struppi, also Länder, Menschen, Abenteuer. Ein großer Spaß.

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ichichich - Freitag, 3. August 2007, 21:29
Der rote Vorhang ist eine Einrichtung des Leihgebers und nicht des Ausstellers, habe ich mir sagen lassen.

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kid37 - Freitag, 3. August 2007, 23:32
Merkwürdig. Wissen Sie vielleicht, zu welchem Nutzen, Sinn und Zweck? Ich hielt das für "Jugendschutz" seitens der Kuratoren. Das müßte den Leihgeber ja nicht unbedingt interessieren.

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