Freitag, 24. August 2007


Ausgrabungsarbeiten

© Joe Coleman, Ausschnitt

Amerika, so heißt es, habe keine Kultur, es sei denn die von Mord und Totschlag. Statt feinem Pinsel das gestichelte Tattoo, als Skulptur der hängende Mann am Dorfeingang, statt Blattgold das Herz einer Hure aus dem nächsten Saloon. Preisen will ich die großen Männer: den Aussatz also, die An- und Abgetriebenen oder das, was man dann den "Amerikanischen Albtraum" nennt.

Joe Coleman, Maler, Musiker und als Vaudeville-Performer von einnehmend selbstironischem Humor beseelt, preist die seltsamen, grausamen Anti-Heiligen der Neuen Welt, in akribisch-obsessiven Legendentafeln, Ikonen einer Unterwelt: Serienmörder und andere Verbrecher, Freakshow-Artisten, Vergessene und Verstoßene zwischen Blutdurst, Sexlust und schlechter Kinderstube. Amerika und seine Rasselbande: Hier sind sie in Öl gebannt.

Der Sammler Coleman hat seine New Yorker Wohnung in ein "Odditorium" verwandelt, vollgepackt mit "Krempel" (wie ich immer zu hören bekomme), Kuriosa, Erotika, Blutrünstika - eine Art Harrys Hafenbasar des Mordgewerbes, darunter den unrühmlich erworbenen letzten Brief von Albert Fish. (Wenn du das liest: Gib ihn zurück, Joe, es gehört sich nicht.)

Die Ausstellung im Berliner KW setzt vielleicht ein bißchen sehr auf die Freakshow-Atmosphäre, stellt mit Wachspuppen und Zirkuswagen einzelne Sammlungsstücke recht aufwendig in Szene. Andererseits sind alte Bauwagen vielleicht nichts, was schwer zu bekommen wäre in Berlin, und überdies finde ich gerade Wachspuppen überaus langweilig. Das ist mir zuviel staubiges Panoptikum, in dem selbst die zweiköpfigen Kälber, falschen Mumien und echten Killer-Devotionalien teilweise ein wenig albern wirken. Immerhin eins wird deutlich: Coleman ist ein Künstler, bei dem das einzelne Stück wenig, die überbordende, totale Sammlung aber alles ist.

Das gilt im Detail auch für die eifernd kleinteiligen Bilder in den oberen Etagen der Ausstellung. Stationen exemplarischer Leidenswege, Apotheosen aus dem Gleis gesprungener Lebensläufe, darunter auch die jüngst mit Catherine Keener als An American Crime verfilmte Geschichte der Gertrude Baniszewski. Pardon wird in aller Drastik nicht gegeben, wenngleich man schon Fan eines an Robert Crumb erinnernden Comic-Stils sein muß, um diese Schau- und Erschütterungstafeln auch jenseits ihres Lehrgehalts ansprechend finden zu können. Aber man stelle sich diese naive Ästhetik als mexikanische Perlenstickerei auf einer Motorradlederjacke vor! Aufwand der Unangemessenheit!

Der Burnster hat noch ein paar Bilder und Impressionen mehr, ich möchte vielmehr auf den verdammt guten Kuchen hinweisen und auf die frappierende farbliche Nähe meines Notizbuchs zum kleinen Begleitplan durch die Ausstellung. Geht alle hin.




>>> Webseite von Joe Coleman

(Joe Coleman: Internal Digging. Noch bis zum 2. September im KW, Berlin.)