Freitag, 3. August 2007


Geisterbahn und Glanzrevue

Ich komme zu nichts, die Tage in der Fabrik fühlen sich an, als schlüge alle halbe Stunde das Personal eines Rob-Zombie-Films mit einer Schaufel auf meinen Kopf. Schnell dann aber doch in der Mittagspause zu Otto Dix gehuscht. Eigentlich hatte ich nicht viel erwartet, Aquarelle und Gouachen, Bucerius-Forum, eher zwei Signale, die gleichsam Achtung, kreuzende Rentner schreien, aber dann, he, war es doch sehr schön. Vielleicht werde ich einfach nicht nur alt, sondern echt alt. Außerdem, muß man ja auch mal sagen, sind diese Senioren oft äußerst interessiert, ganz anders als diese furchtbaren jungen Leute, die immer schon alles wissen und sogar besserwissen, nur weil sie ein, zwei Bücher zum Thema gelesen haben. Also so wie ich z.B.



Mit Geisterbahn und Glanzrevue lockte man mich folglich ins gar nicht so Dunkle, und Auswahl und Hängung haben nicht enttäuscht. Da verliert sich nichts im Spitzfindigen, da ufert nichts ins Beliebige, da sind für jede der fünf, sechs Stationen exemplarische Bilder gewählt. Angenehm auch, eine Ausstellung zu sehen, die aus der Beschränkung des Themas viel herausholt und nicht mit dem Superlativ des Von-Bismus nervt. Die bekannteren (Öl-)Gemälde fehlen denn auch und werden dennoch nicht vermißt. Die feschen Matrosen und kecken Deerns vom "Hafen der Lüste" bieten genug, daneben sorgt das Dix'sche Panoptikum mit Lustmord, Kriegskrüppeln und Großstadtschranzen für Schauder und Wiedererkennen. "Er führt seine Krüppel in einer auf Maßlosigkeit versessenen Gesellschaft vor, deren Hochaltar das Schaufenster ist", mahnt der Ausstellungstext den Geizgeil-Betrachter.

Unverschämt auch die zwei, drei offenherzigeren Werke, die Huldigungen an die Fetischisten und Sadisten beispielsweise. Der "Traum der Sadistin II" ist mit einem ebenso effektiven wie suggestiven roten Vorhang verhängt. Ein nebenstehendes Schild bedeutet dem Besucher, den roten Schleier vorsichtig zu lüpfen. Man weiß nicht, gilt die Vorsicht dem Stoff oder dem Empfinden - aber allemal spitzbübischer als die verschämte Verwahrung damals bei den Surrealisten in der Kunsthalle, als man die provozierenderen Fotografien mutlos ins Kabinett verbannte und mit piefigen Warnhinweisen versah (der Ex-Avantgarde noch postum den Bürgerschrecken auszutreiben), also allemal pfiffiger gelöst war das schon.

Lob also, und auf die begleitenden Kinderkurse wäre ich ja gespannt. Die Kinderbücher jedenfalls sind rührend begeisternd, mache ich sofort auch (Bücher, meine ich). Und nicht zu vergessen: Die haben dort einen verdammt guten Kuchen!

(Otto Dix: Geisterbahn und Glanzrevue - Aquarelle und Gouachen". Noch bis zum 9.9.2007 im Bucerius Forum, Hamburg.)


 


Mittwoch, 1. August 2007


Flat Iron World

Nichts für ganz Zartbesaitete, und ein bißchen Zeit braucht es auch: Aber die wunderbare, eindringliche, bewegende und preisgekrönte Dokumentarfotografie der New Yorkerin Jessica Dimmock ist wirklich sehenswert. Die Arbeit über Heroinsüchtige wurde mehrfach preisgekrönt und packt durch Direktheit, Nähe und eine ganz feinfühlige Ästhetik.

>>> The Ninth Floor von Jessica Dimmock. Die anderen Galerien sind ebenfalls unbedingt anzuschauen.


 


Dienstag, 31. Juli 2007


Ich werde wohl nie ein Bond-Girl

So wurde heute die allgemein recht bekannte Schauspielerin Kate Winslet zitiert, und man weiß nicht, ob sie diese Feststellung mit Bedauern oder Erleichterung traf. Wenn es denn ein Trost sein sollte, möchte ich Frau Winslet mitteilen, so geht es mir nicht viel anders. Wir sitzen sozusagen im selben vierschlotigen Boot, denn auch ich, so muß ich befürchten, werde nie ein Bond-Girl werden.

Früher, ja damals, bestand noch eine gewisse Chance. Da war ich schlanker, und mein Haar fiel dunkel und schwer. Mit einem Dolch im Bikini hätte ich eine wunderbare Figur gemacht. Nun aber hat sich ein Schleier von Grau über mein Haupt gelegt, so daß ich fürchten muß, nicht einmal als Geheimagent ihrer Majestät noch in die engere Wahl zu kommen. Eine leise Hoffnung bloß bleibt, was dieses Gewerbe angeht, als Gegenspieler. Denn für die Rolle des Bösewichts haben wir Deutschen eine gewisse und auf der Silberleinwand auch gerühmte Tradition. James Bond jagt Dr. Kid, das machte sich in rotumfranster Schrift recht gut auf den Plakaten. Ich stapfte durch ein geheimes unterirdisches Bioschrecklabor und weckte meine finstere Homunculus-Armee, die Daniel Craig und hernach der gesamten Welt bedrohlich an die Gurgel wollte.

Doch während diese Zukunft heller leuchtet als beispielsweise die Reflektion des Silberschopfs von Sky du Mont in der Abendsonne, um auch einmal einen anderen großen Kollegen zu erwähnen, ist mein wahres Leben dunkler als gedacht. Jedenfalls des nachts, wenn es mir zunehmend weniger gelingt, die naturgemäße Finsternis hilfsmittellos zu durchdringen. Das Zahnputzglas, das heute gegen drei klirrend im Handwaschbecken zerbarst, legte unleugbar lautstarkes Zeugnis einer gewissen tapsigen Nachtblindheit ab, die ich an mir bislang nicht kannte. Ein schöner Schurke! Schiffbruch, schreit es. Vielleicht könnte ich ein kleiner Maulwurf werden, der neue Heino Ferch, der überall seine Tunnel gräbt.

Jedenfalls schlurfte ich müde, aber immer noch schlaflos, zurück ins Bett, wühlte mich durch Laken und Kissen, dachte kurz, so trampelig wird aus mir nie ein Bond-Girl werden, drehte mich links, drehte mich rechts, verfluchte die Nacht, den nahenden Morgen, und fühlte mich kurz nach dem Aufstehen so, daß ich dachte, aus mir wird auch nie ein Hirnchirurg werden. Als hätte mich jemand gefragt!

Dabei soll man ruhig wagen, sich in Bewegung und neue Ziele setzen. Ich begriff mein Verharren in diesem immer gleichen Leben, diesem Staub, diesem Schmutz an der Oberfläche des Nie-Veränderns einzig als ein Fehlen persönlicher Hygiene, schreibt Pessoa im Buch der Unruhe. Und so setze man sich ruhig in Züge, verreise von hier en direct Richtung Zukunft, nur um dort in der Gegenwart auszusteigen. Von Cédric Klapisch lernen wir, siehe L'auberge espagnole - Wiedersehen in St. Petersburg, die Bedeutung, die es hat, wenn man die irrende Traumfahrt - endlich! - beendet und am Bahnhof erwartet wird: Es muß ja kein Bond-Girl sein und nicht einmal Kate Winslet. Ein Gedanke, kein Messer im Bikini, vielleicht ein Name auf einer Dankesliste, hell oder dunkel, das Anstoßen zweier Gläser, einfach eine Aufmerksamkeit. Jetzt, meine ich, kein Trost auf irgendwann später. Weil man irgendwann kein Bond-Girl mehr sein wird.


 


Sonntag, 29. Juli 2007


Mein kleiner Kunsthandwerksmarkt



Zugegeben: Wenn man hinterm Mond lebt, ist man zwar den Sternen nah, bekommt andererseits aber nichts mehr mit. Auf Etsy wurde ich erst durch Miss Wurzeltod aufmerksam, dabei gibt es das schon über ein Jahr. Ein kleines virtuelles Kaufhaus für jede Menge Kunst & Krempel und noch viel mehr sehr, sehr netter Sachen. "All things handmade" lautet das Motto unter dem Künstler, Handwerker und Designer aus aller Welt meist in Kleinserien, oft auch als Einzelstück gefertigte Sachen und Sächelchen anbieten.

Man kann sich Verkäufer in bestimmten Regionen suchen (in Hamburg z.B. gibt es ein paar) oder Dinge nach bestimmten Themen oder sogar Farben vorwählen ("Hm, gegen meine grüne Wand fehlt ein roter Tupfer..."). Ein Kunstflohmarkt für Regentage.


 


Samstag, 28. Juli 2007


Als ich noch nicht mein eigener Propeller war

[... the way I do.]
(Marilyn Manson, "Para-Noir")



Irgendwann also, drängte es sich heute wie das Restzucken eines abgetrennten Tentakels tief aus der Erinnerungsregistratur, irgendwann schnappte ich zufällig die vollmondige Bemerkung auf, ich sei nur ein Klotz am Bein.

Schnappt man zufällig irgendwann eine solche Bemerkung auf, ist es bekanntlich das beste, sofort zu gehen. Wer will schon Bremser sein. Ich glaube, mir gelang das auch nach einigen Jahren Monaten. Denn irgendwann hat selbst der beste Witz ausgelacht.

Dann, wiederum Jahre später, hat sich alles auch zum Guten gewendet. Ohne weiteres Bleigewicht an den Füßen, zog die klotzbefreite Karrierebahn wie von einem gespannten Gummi beschleunigt in ungeahnte Höhen. Man spricht jetzt international und nicht mehr miteinander.

So ist man immer zu etwas gut. Im Sein und im Nichtsein.

Und man muß sich vorstellen, wie ich nun hier sitze: Mit Fliegermütze, Sturmbrille und entschlossener Miene, eine menschliche Kanonenkugel, Drehung um Drehung ein rotweißes Gummiband aufziehend. Bald muß ich nur noch den Hebel umlegen. Dann aber huuuiiiiiii... bis zum Mond.

Machmamusiklauter. Letmeentertainyou. Lauter.


 


Freitag, 27. Juli 2007


Der gefundene Satz, 40

Diese Phase, kurz bevor man erwachsen wird, ist wahrscheinlich die der größtmöglichen Integrität und Authentizität von Energie, Gefühl, Liebe, Hass und Kampf. Dieser kurze Moment mit seinen unbestechlichen Haltungen, der alles was danach kommt, verändert, nämlich eine ganze Generation, fasziniert mich.

(Hedi Slimane im Interview, FAZ 7.7.2007)


 


Donnerstag, 26. Juli 2007


Kasseler Vistas # 1




Es wird Zeit, von Reisen zu berichten, die mich unlängst zur documenta führten. Gern hätte ich Fotos vom letzten Mal danebengestellt, aber die sind mir mal gestohlen worden abhanden gekommen. Neues Glück, nur fünf Jahre später: Den Reisenden erwartet vor dem Kasseler Hauptbahnhof eine anrührende Skulptur (gehört nicht zur documenta) des Künstlers Ernst Kahl zum vorgeblichen Gedenken an die Bombentoten des Tierwaisenhauses St. Bonifatius. Eine noble Geste, das wurde Zeit, auch dieser ärmsten der armen Kreaturen zu gedenken.



Ergriffen führte es mich weiter durch die sehr schöne Kasseler Innenstadt, der nach dem Krieg ein ebenso weitsichtiger wie geschmacksicherer Wiederaufbau beschert ward. Ein freistilistisches Ensemble in stahl- und betongrau, ein Simultangesamtkunstwerk, Nährgrund für viele documentas. Toll, aber bitte weitergehen. Auf dem Platz vor dem Fridericianum blüht der rote Tod Mohn, Zeit für innere Kunstsammlung. Hätte ich da bereits gewußt, geahnt oder bloß gehofft, daß auf den documenta-iPods Audioführungen zu hören sind, die u.a. von Sophie Rois gesprochen wurden, hätte ich mir so ein Ding natürlich ausgeliehen. Diese Stimme allein ist ja schon Kunst an sich, vor allem, wenn sie flucht. Oder laut schreit: "Revolution!" (Wer hat das schon?) oder nur vom Tod erzählt.



In der Halle nämlich gleich die erste freudige Überraschung: tote Tiere! Die recht unfachmännisch ausgestopfte Giraffe sieht aus wie eine schlechtsitzende Regenschirmhülle und erzeugt beim Betrachter allein deshalb schon Mitleid. Gleich daneben die Plüschbrigade von Cosima von Bonin: ein Hund, ein Tintenfisch, herzallerliebst, aber zum Mitnehmen zu schade.



Im Aue-Pavillon hingegen herrscht viel Platz. Wer ein bißchen Patafix oder Fotoknete mitnimmt, kann an einer der vielen freien Stellwände schnell noch ein eigenes Werk anbringen. Dankt mir ruhig - ich wünschte, ich hätte vorher davon gewußt. Überhaupt, im Vergleich zur letzten documenta erlebte ich eine eher heitere Stimmung. Vielleicht hat der Chinese Ai Weiwei die richtige Losung ausgegeben, als ein Sturm seine Turminstallation zerstörte. "Das ist besser als vorher", soll er angesichts des Trümmerhaufens lakonisch bemerkt und einen Wiederaufbau abgelehnt haben. Gleichsam entspannt das Aufsichtspersonal. Als ich meine Kamera auf die Umrandung von Ines Doujaks "Pflanzenbeet" (eine kritische Arbeit über Bio-Patente) abstellte, um eine kleine Raupe Nimmersatt zu fotografieren, die sich im und am Kunstwerk zu schaffen machte, wurde ich sanft ermahnt - mit einem Augenzwinkern allerdings und den Worten "Ich hab' extra gewartet, bis Sie das Foto gemacht hatten." Großlob noch mal von hier!



In vielen Museen darf man ja nicht mehr ohne weiteres Fotografieren, weshalb ich in letzter Zeit gerne den letzten überwachungsfreien Ort dokumentiere, um wenigstens ein Andenken und Gelegenheit zur Einrichtungskritik zu haben. Die Toiletten im Aue-Pavillon, möchte ich kurz anmerken, sind funktional, schmucklos, aber recht ruhig. Auch diese Information ist übrigens kostenfrei.



Zum Schluß dann etwas Sex & Rock'n'Roll: Freimütig gestimmte E-Gitarren (Skulpturaler Klang von Saâdane Afif) simulieren das autophone Orchester, bei dem mir die Epiphone-Verstärker im Retro-Look das meiste Verzücken entlockten. Für Eros sorgte interessanterweise Lee Lozano (auch schon tot), deren Werk ich letztes Jahr in Wien entdeckte. Eine fast schon "altmodische" Kunst, wie ja der Rückführungsgedanke ein zentraler Ansatz der diesjährigen documenta ist.

Es gab noch einiges interessantes mehr, die "Ethno-Masken" aus alten Kanistern von Romuald Hazoumé, die Totensammlung von Mladen Stilinovic und vor allem die beeindruckenden Fotoarbeiten von Jo Spence über Rollenverständnis, Identität, Körperbewußtsein und Krankheit.

Ein paar Eindrücke aus der Neuen Galerie und dem Fridericianum liefere ich nach. Glaubt nicht, es sei überstanden!