Mittwoch, 1. Februar 2006


Ausgeflogen

Now I lay me down to sleep
Pray the Lord my soul to keep
Kiss to kiss and breath to breath
My soul surrenders
Astonished to death.

(Patti Smith, "Frederick")

Auch 2006 soll eine gute alte Tradition nicht unterbrochen werden. In der locker-frivolen Reihe Mit toten Tieren durch das Jahr eröffnen wir den Reigen 2006 mit der Möwe. Das fröhliche Tier (hier möglicherweise ein Exemplar der Larus ridibundus im Winterkleid) gehört neben den Katzen zu den beliebtesten Tieren innovativer Bastler und anderer Exzentriker. Diese hier ist nun tot. So offenbar wie bedauerlich. Ausgepumpt, das kleine zagende Herz. Verweht die gefiederte Seele. Mit tränenfeuchten Augen, eine offene Schale voller Kümmernis schaut man es an: ein Demento mori.

Manche Diskussionen enden so. Auf einmal beugt man sich und sieht zu seinen Füßen den toten Punkt. Und ahnt: diese Sache fliegt nicht mehr. (Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund!) Adé, Nestbau, kein Ei wird hier je gelegt.

Immerhin: eine weitere Metapher zu Tode geritten. Kann man da auch einen Haken dranmachen. Und so begrüßen wir mit einem ungehemmten "Hiaaarrrr" die frische Saison und wälzen neue Pläne. Sturmerprobt wie diese Vogelart drehen wir den gierigen Schnabel in den Wind, lassen freifliegende Ideen im hauseigenen Guano wachsen und sind überhaupt - wie stets - nur guter Dinge.

Dem ein oder anderen rufen wir ein freundliches "Hallo" über den Gartenzaun oder drohen schelmisch mit der Forke. Denn ist der Schnee erst weggetaut, fliegt alles auf.


 


Dienstag, 31. Januar 2006


Meta & Morphose

Die Lage ist nicht bedrückend. Wir wüßten von ihr. So aber malt mir das Nachrichtenmagazin Der Spiegel auf seinem Titel, wie ich mich durch die heilende Kraft der Bewegung in eine straffe, blonde junge Frau verwandeln kann. Ich korrigiere: in eine nackte, straffe, blonde junge Frau.

Derart ver- und entpuppt zu einen bedrückungsfreien Schmetterling greife ich zum neuen Buch einer Meisterin der dunklen Verwandlung: Immune heißt der neue Fotoband von Floria Sigismondi. Der Vorgänger Redemption ist eines der lichteren Werke in meiner kleinen Bibliothek und immer wieder Anlaß für betrachende Freude, wenn ich das einmal so umständlich wie galant ausdrücken darf.
Nebenbei: Die Webseite der Fotografin und Regisseurin ist ebenfalls frisch tapeziert.

Augenzucker | von kid37 um 17:12h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 30. Januar 2006


Es gibt keine Zukunft für dich

Haha, so jung war ich auch mal. (QT, 35 MB)

(Völlig vergessen: am 22. Januar wurde Malcolm McLaren 60!)

Radau | von kid37 um 01:03h | 22 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 29. Januar 2006


Touched By Your Presence

A cry for help, a hint of anaesthesia,
The sound from broken homes,
We used to always meet here.
As he lays asleep, she takes him in her arms,
Some things I have to do, but I don’t mean you harm.

(Joy Division, "Colony")

Ein kalter Wind bläst durch unsere zerbrochenen Heime. Am Morgen, als die Vögel nicht mehr schrien, suchte ich deine Hand. Wir fanden kein Brot, nirgends war Brot. Ich hörte die Stimme, aber der Hunger, der Hunger. Abends stolperten wir über Schleichwege zur Bornstraße. Memphis on your mind, eine neblige Insel. Ein zaghaftes Gespräch, grausige Geschichten. Das Früher, was war, die Wege zum Jetzt. Nein, danke, ich mag jetzt kein Bier.

You can read my hand, I've got no defence
When you sent your messages whispered loud and clear
I am always touched by your presence, dear

(Blondie, "Touched By Your Presence, Dear")

Bela Lugosi's Dead oder 12 XU oder A Forest. "It's always the same". Ärmel in Lederjacken teilen das Trockeneis, schwere Stiefel schieben sich über die metallenen Kacheln, parallel zu meinen Schritten, immer synchron. Draußen, später, auf dem Parkplatz Gelächter, eine Bierflasche zerschellt auf dem Asphalt. Wir stehen dort, unter dem Schein einer Laterne. Ich fasse dein Haar, die Spitzen, das schwarze Gespenst.
Und? fragst du. Geht es noch wo hin?
Weiß nicht, sag ich.
T. schiebt die Kassette rein. Always touched by your presence, dear. Er läßt den Motor an und wir fahren los, weiter in die Nacht, den LKWs entgegen, über die dunkle Autobahn.


 


Samstag, 28. Januar 2006










Den ganzen Tag Tapeten ausgesucht für die neue Speisekarte. Dann alle Musterbücher wieder zugeklappt. Changieren ist bei Stoffen ok. Bei Cafés ist es so wie im Hawelka. Man ändert einfach nichts und läßt Gäste, Rauch und Patina sich selbst ein Bild formen.


 



Pitch blackness greeted us

I've had nearly everything I held dear
torn away from me this year.
Things are not okay, I am not okay.
I am strong and will survive this
along with everything else I've survived,
but it's going to take a lot to rebuild myself.
And the horror is far from over.

(Angeliska)

Angeliska aus New Orleans betritt ihr Haus nach der Katastrophe. Und nichts ist, wie es vorher war. Erinnerungen, Briefe, Schätze, Sammlungen, Rares, Gefundenes, Gebasteltes - verloren, verschüttet, zerstört.

Every letter I ever received.
Every piece of art I ever made.
Everything my mother left me
when she died, the dresses she sewed.
My great-grandmother's quilt.

(Angeliska)

Immerhin, das Jahr endete auf einer besseren Note:
Sie hat sich verliebt, denn er hat einen Gabelstapler.
Der biegt das Eisen, stapelt den Schutt. Geht immer weiter.

Manchmal.

Tentakel | von kid37 um 01:01h | 9 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 27. Januar 2006


Goodbye Johnny

Als Schüler war er mein Bildungsminister, später mein "Landesvater". Noch später hielt ich mal seinen medizinischen Befund in den Händen. Im selben Stadtteil wie ich geboren, war er immer auch ein Mann "aus der Gegend", den man ab und an auf dem Weihnachtsmarkt traf. Jovial, privat und eigen zugleich.

Das bekam er zu spüren, als er bundesweit nicht gut ankam. Spöttisch wurde er als skatspielender, bibelfester "Bruder Johannes" abgetan, der "Versöhnen statt Spalten" predigte, wo viele lieber eine verbale Faust auf dem Tisch gesehen hätten. Dabei hat er in NRW eine Menge Scheite gespalten: Daß er Beuys aus der Düsseldorfer Akademie feuerte, ist dabei noch die amüsanteste Anekdote.

Man ahnte es schon lange, und heute war es dann so weit. Ich stelle fest, für mich: Da tritt nun nach und nach eine Generation ab, die mich lange Jahre meines Lebens begleitet hat. Zum Wohle oder nicht, wer will das wissen. Man sieht die Lücken und merkt die Zeit, auf die man selber schon zurückblicken kann.

Eine andere Zeit, vielleicht auch eine andere Welt. Ganz altmodisch also und zum Schluß: Gott zum Gruße, Herr Rau.


 


Donnerstag, 26. Januar 2006


Der gefundene Satz, 26

Es gibt Leute, welche die Technik so ziemlich für jedes Übel in unserer Zeit verantwortlich machen. Sie würden sicherlich nichts dagegen haben, die Geschichte der Technik mit dem bekannten Motto vom "Fluch der bösen Tat" zu überschreiben. Tatsächlich ruft nahezu jeder technische Fortschritt nach einem neuen, wenn man ihn gebührend ausnutzen will.

(Hanns Günther. Im Reiche Röntgens. Stuttgart, 1930.)