
Freitag, 29. Juli 2005
Tränen, Träume und ein warmer Sommerwind: ein Sixties-Blog mit viel Musik von Hardy über Brel bis Faithfull:
BlowUp Doll

Donnerstag, 28. Juli 2005
Früh aufgestanden.
Nach dem Abwasch versucht,
mich mit einem Hausschuh zu erschlagen.
Sehr getrunken.
(Eugen Egner. Aus dem Tagebuch eines Trinkers. 1991.)
Das sind Sätze, die perlen wie lakonische Eintragungen eines lesenswerten Blogs.
"Den ganzen Tag geweint, abends dann kräftig auf die Pauke gehauen". Das Tagebuch eines Trinkers ("Das letzte Jahr") von Eugen Egner ist ein schmales Bändchen voller süffisanter Feststellungen in kargen Sätzen. Mich wundert es ja nicht, daß der Autor ein berühmter, vielleicht sogar berüchtigter Wuppertaler ist. In der oft verkannten Stadt grassiert nämlich ein skurriler Humor, der außerhalb des Bergischen Landes zu unrecht auf Unverständnis stößt. Eine Stadt, die ihren Schabernack darin betreibt, Straßenbahnen durch den Himmel schweben zu lassen und Elefanten aus ihnen hinauszustoßen, gilt dem Rest der Republik als finsterer Hort groben Surrealismus'. In der Tat aber liegt ein kunstgeschichtliches Dreieck aus Expressionismus (Lasker-Schüler), Fluxus (Paik, Brock, Vostell) und deutschem New Wave (DAF, Plan, Fehlfarben) wie ein Grauschleier über der Stadt.
Egner, von dem es in den 80ern in der Stadt gerüchteweise hieß, "großartiger Typ, halbes Jahr in der Psychiatrie, halbes Jahr nur malen", gehört mit zum Dunstkreis um R. M. E. Streuf, Künstler, Musiker, Caféhaus-Pächter, ein Vorbild vielleicht. Ende der 70er-Jahre oszillierten Gestalten wie diese um Musikgruppen wie Armutszeugnis und Fehlfarben. "Ich muß mir einen kleinen Propeller vorn an die Schlafanzughose nähen und dann im Bad tänzeln", heißt es im "Trinker-Tagebuch". Wem wären solche Gedanken nicht schon mal hier und da gekommen, nach zwei oder drei Glas Grappa zuviel?
Wie aus dem hermetischen Café, einem der bekannteren Jammerblogs, entführt, klingt folgender Eintrag: "Unbekannte Frau in der Fußgängerzone* verbot mir, in ihren Armen zu sterben. Wenig schöne Szene. Danach Glühwein und rücksichtslose Kirchenkritik auf dem Weihnachtsmarkt. Schürfwunden."
Ein großartiges Buch, dessen Ende andere verraten mögen. Wir möchten nur warnen vor folgenden Nebenwirkungen vehementen Trinkertums: "Geträumt: Nach 37 Jahren erstmals wieder aus dem Fenster geschaut. Die Landschaft hat sich stark verändert, der Fluß trug sogar Koteletten."
Eugen Egner. Aus dem Tagebuch eines Trinkers. Zürich: Haffmanns, 1991.
(* Wuppertal hat übrigens, um Besucher vollends zu verwirren, gleich zwei Rathäuser und zwei Fußgängerzonen.)

Das ist nun sehr schade.
Vielleicht wäre ein ausgiebiger S0mmerurlaub besser gewesen, hm?

Donnerstag, 28. Juli 2005
Toll besetzt (u. a. mit Richy Müller), nah dran, suggestiv, vielleicht eher zu zahm, um "authentisch" zu sein, dafür aber wirkliches Kino: Allein, von Thomas Durchschlag meidet einen allzu spekulativen Bezug zur Borderline-Thematik, hält sich fern von allzu platten Deutungsversuchen. Ein "offenes" Psychogramm, was seine Hauptfigur angeht. Eine echte Entdeckung, was den Film betrifft.
(Allein, D 2005. Regie: Thomas Durchschlag.)

"Die perfekte Melodie ist genauso schwer zu realisieren wie der perfekte Mord."
(Bjoern Ulvaeus in der Süddeutschen Zeitung, 23.7.2005)

Mittwoch, 27. Juli 2005
When I was 16 in the mid-80's, I absorbed every word of Depeche Mode's songs as pure gospel, and often wrote out and studied the lyrics on the pages of my "Mead" notebooks. Those words guided and shaped my life philosophy and my identity as I grew into an adult.
Now I'm a middle-aged man working in the "Hallmark" store in the mall.
via Group Hug US
Bei der Spreepiratin wird gerade gebeichtet oder besser gesagt, auf die wirklich tolle Seite Post Secret hingewiesen, aus der ja demnächst ein Buch entstehen soll.
Weil ich ein Mann extrem reinen Herzens bin, darf ich jetzt ehrenamtlich immer sonntags die Beichte abnehmen. Was ich da höre, macht mich oft schaudern. Aber ich kann zum Glück sehr leicht verzeihen und trage nichts nach. Und mit zehn Peitschenhieben ist vieles schnell vergessen.

Sonntag, 24. Juli 2005
Diese Typologie stammt zwar schon vom letzten Jahr, aber hat durchaus noch Gültigkeit, wie ich heute bei einem launigen Spaziergang quer durchs Karo- und Schanzenviertel bemerken mußte durfte. Ich bin natürlich der unentdeckte Experimentalfilmer.
(Aber "MMM"? Hieß das in der DDR nicht "Messe der Meister von Morgen?" Aber das paßt ja wieder zum Status des Unentdeckten.)
Liebe Claudine und die anderen von Kitten Kitten, macht mal wieder was!

Der nächste Morgen
sie ist noch da
jeder kann seh'n
sie hat ... im Haar.
(Fehlfarben, "Was der Himmel verbietet")
So. Zartbesaitete lesen jetzt bitte mal kurz woanders. Was haben wir denn hier? Eine gesunde junge Frau, was sage ich, ein Mädel vom Land™, mit apfelroten Haaren vor grünem Hintergrund. Knackig, appetitlich, zum Pferdestehlen.
Aber da, dieser Klecks. Den ganzen Tag schon rattert die Assoziationsmaschine. Was ist das, bitteschön? Quark im Haar? Ein Sahnespritzer? Etwa... nein, wohl eher nicht in einer Werbeanzeige. Oder geht es hier am Ende gar nicht um Haarpflegeprodukte, sondern um ein Bukkake-Video?
Ich wette, das beworbene Mittel steckt in einer ergonomisch geformten Shampoo-Flasche mit eher unsubtilem Symbolcharakter.

Samstag, 23. Juli 2005
Wenn du gehst,
werde ich nie mehr nach Hause gehen,
denn der Wind von Hamburg
wird mich weit weg wehen, wenn du gehst.
(Die Braut haut ins Auge, "Wenn du gehst")
Man müßte sprechen können oder schreiben wie eine Basslinie von New Order. Treibend, melancholisch, melodiös, Stimmungen erzeugend, die über die Banalität der Worte hinwegschweben. So, wie kaum jemand auf die Worte von New-Order-Songs achtet, die limitierte Schlager sind samt und sonders. Man müßte singen können wie Bernadette Hengst, einfache Worte gebrauchen, Worte wie "Herz" oder "Laub" oder "Gott". Und mit einer Stimme rühren, mit schlichten Wahrheiten und einer lakonischen Bemerkung.
Als ich früher Musik gemacht habe, suchte ich oft einen ganzen bestimmten Ton. Einen Akkord, einen Klang, etwas Reduziertes, Schlichtes. Ein so bestimmter Ton, universell, den jeder verstehen würde. Sofort und eindringlich und in aller Tiefe. Und ich hätte nur auf die Bühne gehen müssen, die Gitarre in den Verstärker stecken, diesen Ton spielen und alle zu Herzen rühren können.
Ein Mantra, ein kabbalistisches Wort, ein ultimativer Klang.

Freitag, 22. Juli 2005
Within a stone's throw was another retreat,
enlivened by children's pleasant voices too...
(Charles Dickens, Nicholas Nickleby. 1839.)
Modelleisenbahn. Metallbaukasten. Lederfußball. Glück.
