
Montag, 23. Mai 2005



Mythenbildung geht über das Internet ja schneller. Schon Odysseus wußte, sind die Stühle erst vor die Tür gestellt, heißt es, sich ein neues Heim zu schaffen. Schöne Bilder, schöne Lieder, schönes Essen auch. Das Gegenteil von Vegetarier heißt übrigens nicht Carnetarier, das war nur eine Satire. Muß man denn alles erklären. Zum Glück beginnt die Spargelzeit, da kann man dummes Geplapper in gemüslicher Bitterkeit ertränken.
Der Grand-Prix machte wieder einmal klar, daß ein Schwuler im TV nicht automatisch für Humor steht. Besonders irritert es, wenn der eine TV-Schwule dem anderen TV-Schwulen öffentlich in den Arsch kriecht und auf den einzig sinnvollen Satz des Abends behauptet, "daran" habe er auch "die ganze Zeit gedacht". Nein, bevor der andere das nicht erwähnte, hast Du überhaupt nicht daran gedacht, Du Flitzpiepe. Ich übrigens auch nicht, aber ich saß ja nur vor der Mattscheibe. Niemand wollte auch sagen, daß unsere Frau von der Gnade ihr Lied vor Nervosität und Übereifer schlicht zersungen hat. SpOn behauptet, nun wisse Deutschland, auf welche Länder es sich verlassen könne. Grundgütiger.
In der Ukraine kann man jedenfalls so viele Visa verteilen wie Fischer will, die mögen es nicht, wenn ledergekleidete Deutsche da auftauchen und "Run and Hide" schreien. Das leuchtet ein. Besonders in Tagen wie diesen. BESONDERS IN TAGEN WIE DIESEN muß man ja jetzt wieder sagen. Ab jetzt trinken wir also Rüttgers Club, haha, und ab Herbst dann Club Cola, hoho. Können die Ostdeutschen mal Verantwortung übernehmen, jenau, und nicht immer nur rumschreien, "aba keen Aldi-Kaffe!"
Gott, ist das bitter, da hilft nicht mal Ananas.

Früher ritt Europa noch auf einem Stier. Jetzt ist es wohl eine neue Pasiphae, die sich voller Entzücken einer Gans einem Ochsen nähert. Das wird nicht nur für die lüsterne Gute ein weitgehend folgenloser Spaß: Ein Minotaurus wird uns so jedenfalls erspart bleiben. Und bieliger ist es sicher auch. Nächstes Jahr also besser einen Ochsen Kastraten nach Athen schicken.

Samstag, 21. Mai 2005

Ich war unterwegs.

Donnerstag, 19. Mai 2005

Frau Eva und Herr Sebas warfen mit Stöckchen nach mir. So was sind ja Ehrenschulden, blabla, und gute Gelegenheiten, die Regale der Eitelkeit zu öffnen, sich fürchterlich interessant zu machen usw., die kryptotheologischen Inkunabeln und die Mann-bin-ick-belesen-ey-Laure-Romane aus dem Schrank zu holen. Seit dem Studium lese ich ja fast nur noch Bildbände, Joel-Peter Witkin, Gilles Berquet, Diane Arbus, Ralph Gibson, Bacon, Dix, Grosz, Masereel, Hausmann, Schwitters... die Liste ist lang. Gut, also Bücher mit Wörtern:
1. Du steckst in der Welt von Fahrenheit 451, welches Buch möchtest Du sein?
Mnemosyne, steh mir bei! The Melancholy Death of Oyster Boy & Other Stories von Tim Burton. Skurril (wer hätte es gedacht) und vor allem knapp genug gehalten, daß ich mit meinem löchrigen Gedächtnis eine Chance hätte, das Werk überhaupt zu memorieren.
2. Warst du je in eine Figur aus einem Buch verknallt?
O ja, so eine Schwester wie Franny aus Salingers Franny und Zooey hätte ich gerne gehabt. Natürlich frei von erotischen Gelüsten. Da müßte dann schon die Ich-Erzählerin aus der Autobigophonie von Françoise Cactus genannt werden.
3. Welches Buch hast du zuletzt gekauft?
Das waren drei: Erotisches im Alltag zwischen Kunst und Kitsch, ein amüsanter Band über die Erotica-Sammlung von Wolfram Körner. 4 Euro aus der Bücherstube der Kirche in der Nachbarschaft. Arnold Stadler, Mein Hund, meine Sau, mein Leben, ebenfalls von dort (50 cts.). Ebenfalls von dort: T. C. Boyle, Der Samurai von Savannah.
4. Welches Buch hast du zuletzt gelesen?
Siehe oben, Arnold Stadler. Davor war es Butchershop In The Sky von James Havoc. Durchgeknallte Skizzen und Erzählungen im Stile von Gilles de Rais trifft Manchester-Rave, die ursprünglich bei Creation Press erschienen sind (Alan McGee/James Williamson). Pronografisch, blutlüstern, psycho-pathologisch, nicht unbedingt nett.
5. Welches Buch liest du gerade?
Die ganz wunderbar lebendige Biografie Man Ray: American Artist von Neil Baldwin. Man Ray ist seit 20 Jahren einer meiner fotografischen Helden (neben Ralph Gibson, Gilles Berquet, Joel-Peter Witkin, George Hurrell...) vom alten amerikanisch-dadaistischen Schlag. Das bezaubernde an ihm war, daß er sich keiner "Schule" zuschlagen lassen wollte, mit Dada und Surrealismus knutschte, aber keine Kirche daraus machte. Weniger bekannt sind ja seine Gemälde und Schriften. Dichten konnte der nämlich auch. Außerdem war er mit Kiki de Montparnasse zusammen (Wer nicht? höre ich es schon gröhlend schallen, nun gut), was ich an seiner Stelle auch getan hätte.
6. Welche fünf Bücher nähmst du mit auf eine einsame Insel?
1. Das Buch der Bücher oder Herman Melville, Moby Dick. Kommt letzten Endes auf das gleiche hinaus.
2. J. D. Salinger, Franny und Zooey. Eine weitere Studie über den Glauben.
3. Kurt Pinthus Sammlung expressionistischer Lyrik Menschheitsdämmerung, trotz aller Schwächen immer noch der Klassiker. Vielleicht geht es ja wieder los.
4. Christian Reuter, Schelmuffsky. Man will ja auch was zu lachen haben.
5. Was, schon fünf? Das heißt, ich muß wählen zwischen Chandler, Schiller, Hemingway, Camus, Pynchon, Capote oder Laurence Sterne? Gut, dann nehme ich doch einen Bildband: Ellen von Unwerth, Revenge. Auch wenn darin die Ringelstrümpfe fehlen.
Weiter, weiter soll es wandern: Herr Stubenhocker, von dem ich weiß, daß er sich mit Literatur auskennt, die wunderbare Frau Modeste, die tatsächlich noch niemand aufgefordert hat? - und den Herrn Shako, weil der bestimmt ganz obskure Dinge zu benennen weiß.
Da ich ja zwei Stöckchen bekam, möchte ich die Gelegenheit nutzen, zwei derzeit pausierende Bloggerinnen aufzufordern: Frau Sonne und Miss Monolog. Sie dürfen gerne in den Kommentar reinmalen. Dürfen Sie.

Mittwoch, 18. Mai 2005
We would go on as though
Nothing was wrong
Hide from these days
To remain all alone
Staying in the same place
Just staring at the tide
Touching from a distance
Further all the time
(Joy Division, "Transmission")
Damals fand ich die gar nicht gut, weil ich ein verjammerter Oberstufenschüler war und mich sodann folgenreich in The Cure verknallte. Hatten Joy Division nicht auch, schlimm, Gitarrensoli? Waren das, schlim schlimm, am Ende gar Rocker? Hatten die, schlimm schlimm schlimm, nicht so merkwürdige Fascho-Assoziationen geweckt durch ihre Bandnamen und Bühnenrufe und Single-Cover? Zu spät erfuhr ich, daß sie so übel nicht sein konnten, hatten sie doch als Stiff Kitten angefangen. Das zeugt von Geschmack: Atrocity Exhibition, was für ein Programm!
Zwei, drei Jahre zuvor hörte ich ab und an noch, widerwillig zwar, aber immerhin Georg Danzer, weil das Mädchen, das diese Platten besaß, mich sonst nicht unter ihren Pullover hätte fassen lassen. Aber dann kam diese neue Musik, das Mädchen ging, und ich dachte: KEINE KOMPROMISSE MEHR!
Da aber war er schon tot, aufgeknüpft nach dem Genuß eines Werner-Herzog-Films, so ging die Saga. Und ich hatte die Konzerte in Köln und Münster sausen lassen. 25 Jahre ist das heute her. Kinder, wie die Zeit vergeht. Da war man ein verpennter Pennäler im schwarzen Existentialistenjacket, angst-ridden und mit Strick um den Hals. Und nun? Ein Blogger! Ruhig, gesetzt, emotional ausgeglichen... so sitze ich hier im schwarzen Unknown Pleasures-T-Shirt, blinzle in die Abendsonne und lausche der Amsel, die vor meinem Fenster "Transmission" flötet.
Ian Curtis, schließ die letzte Tür. (* 15. Juli 1956 † 18. Mai 1980 )

Freitag, 13. Mai 2005
Unter diesen Umständen war es weiter nichts, wenn ich dazu auch noch in die Hose machte. Ich verstand das schon bald als Zeichen der Erwählung: alles hat seinen Sinn, sagte ich mir. Dieser Satz, den ich von einem Idioten aufgeschnappt haben mußte wie anderen höheren Unsinn, half mir. Ich beichtete, daß ich seit meiner letzten Beichte (vor zwei Wochen) fünfmal in die Hose gemacht hatte. Ich bekam eine entsprechende Buße aufgetragen. Außerdem flüsterte der Beichtvater durch das Sündengitterchen, ich solle das Ganze als Kreuz verstehen und auf mich nehmen. Die Flucht zum Kreuz half mir wirklich. So konnte ich meine Schwäche auch noch mit dem Opfergedanken verbinden (...). Ich sagte: Das ist mein Opfer für die Sünden der Welt!
Arnold Stadler. Mein Hund, meine Sau, mein Leben. 1994.

Freitag, 13. Mai 2005
Mist. Völlig vergessen auf die Tracks-Sendung auf Arte hinzweisen: Freaks!
Interessante Beiträge über Asia Argento, Joe Coleman, Gaspar Noé, John Waters, Jim Rose et. al. Sollte mein Hirn mal aus dem Spiritus holen.

Mittwoch, 11. Mai 2005

Kriminaltechnische Ermittlungspraktiken und Spurensicherung befanden sich in den 30er Jahren noch in den Kinderschuhen. Allzu oft wurden damals noch wichtige Beweismittel am Tatort vernichtet, Indizien übersehen oder nicht richtig gedeutet. 1936 gründete Frances Glessner Lee das Institut für Rechtsmedizin in Harvard. Um angehende Detectives zu schulen, bastelte sie mit einer unerhörten Akribie verschiedene authentische Tatorte als Modelle nach. Anhand dieser Puppenhäuser, in denen jeder Fleck auf der Tapete und jedes Brandloch im Teppich detailgetreu nachgestellt sind und kleine Puppenleichen exakt die Verletzungen aufweisen wie die echten Leichen, konnten die Ermittler den Tatort aus jedem Winkel betrachten.
18 dieser makabren Puppenhäuser sind erhalten geblieben. Die Fotografin Corinne May Botz hat den grausigen Barbie-Tod mit suggestiven Kameraeinstellungen aus vielen Perspektiven fotografiert. Ihre Bilder sind nun in einem bizarren, wunderbar gestalteten Buch zusammengefaßt worden, das nun wirklich zu Entdeckungsreisen einlädt. Jeder Fall ist kurz beschrieben, die wichtigsten Fakten aufgelistet, ein Grundriss des Tatorts beigefügt. Die meisten Fälle sind bis heute ungeklärt, wessen kindlicher Spieltrieb also über das An- und Auskleiden von Püppchen hinausgeht, kann hier vielleicht seine detektivische Spürnase beweisen. Ich jedenfalls bin ziemlich neidisch, daß ich so etwas als Kind nicht hatte. Für andere vielleicht eine Anregung, die alten Puppenstuben vom Dachboden zu retten und ihre Lieblingsdramen nachzustellen.
Corinne May Botz. The Nutshell Studies of Unexplained Death. New York: Monacelli Press, 2004.

Sie sind heute so ausgesucht freundlich zu mir, betonen meinen Namen, wenn man sich die Tageszeit wünscht.
Wissen sie mehr als ich? Werde ich endlich entlastet entlassen?
