
Mittwoch, 6. Oktober 2004
Die begehrteste Frau ist immer gerade ein wenig außer Reichweite. Mal sind es ein paar hundert Kilometer, mal ist es nur eine emotionale oder, sagen wir, soziale Distanz. Mal ignoriert sie uns, mal gibt sie uns Geschenke, die in Wahrheit voller Gift sind, wenn wir sie entpacken.
Die begehrteste Frau ist eine idée fixe.
Das aber nur nebenbei. Denn heute war ich unter Brüdern. Zufällig in der Stadt, traf ich die Klitschkos, Wladimir und Vitali. Einmal im Leben war ich ohne irgendeine Kamera unterwegs, und nun das. Der jüngere der beiden (Wladimir oder Vitali) war noch deutlich von seinem letzten Kampf gezeichnet. Dunkel beschattete Augen, eine frischrote Narbe auf der Stirn, sah er aus wie ein Mann, den die Bratpfanne seiner Frau getroffen hatte. Der ältere (Wladimir oder Vitali) grinste freundlich in die Runde der TV-Kameras und fiependen Digiknipsen. Dann stiegen sie auf einen Tisch, wirkten noch größer als vorher schon, Wladimir oder Vitali hielt eine kurze Rede und dann signierten sie ihr Buch, das sie zwischen ein paar Sparringsrunden geschrieben und diktiert haben.
Ich glaube, diese Klitschkos sind ziemlich begehrt, obwohl sie wahrscheinlich kein Blog haben. Neben mir schmachteten nämlich auch ein paar Frauen. Einige wollten gleich die Wunden lecken verarzten, von Wladimir oder Vitali. Andere nur mal an den... den Oberarm fassen. Aber die Klitschkos, Wladimir und Vitali, standen oben auf diesem Tisch, hinter einem Wald aus Kameras, grinsten freundlich, stark und souverän und waren gerade eben so außer Reichweite.

Dienstag, 5. Oktober 2004
Mit einem Wisch ist alles weg.
Dieses aber gilt nur für Küchentücher.
(Wird häufig vergessen.)

Montag, 4. Oktober 2004
Should I pursue a path so twisted ?
Should I crawl defeated and gifted ?
Should I go the length of a river,
[The royal, the throne, the cry me a river]
What about it, what about it, what about it ?
Oh, I'm pissing in a river.
(Patti Smith, "Pissing In A River".)
Es kommen die dunkleren Tage. Morgens locken mich die Klänge von Monolith zu dekorativ gefärbten Frühstückseiern, draußen machen sich die Laubsaugerarmeen bereit zur fröhlichen Igelhatz und Zwangsbeschallung friedlicher Nachbarn.
Selbst die von uns allen heiß geliebte Frau Sonne macht mal Pause und verzieht sich hinter die Wolken der finsteren Wiener Wälder. Manchmal tief in der Nacht, wenn nur ich sie erwische, bastelt sie heimlich in ihrem Blog. Denn ich wandele ja regelmäßig selbst schlaflos wie selig Dr. Wilbur Larch nicht nur durch endlose Gewerbegebiete auf dem Weg nach Hause, sondern auch durch die labyrinthischen Gänge meiner Seele oder den Ariadnefäden irgendwelcher Linkverkettungen entlang durch das Internetz und berausche mich am Äthergeruch obskurer Bildungsinhalte mit 1-a-Katzencontent.
Da hilft oft nur die Kunst, und sei es nur ein freundlicher Cézanne oder ein klangerfüllter Ausflug zum Maschinenfest. Am Wochenende aber war Köln voll mit Fotofritzen und Fotografie, denn es war Photokina. Muß man natürlich alles kaufen, denn das entspannt ungemein. Man mag in der Abteilung Kunst auch andächtig jungen Männern mit agiler Prostata zuschauen, aber erwähnenswert bleibt auf jeden Fall die diesjährige Photo-Fair. Da konnte man auch Bilder von Joel-Peter Witkin kaufen, entsprechende platinfarbene oder schwarze Karte vorausgesetzt. Ich hätte so was ja schon gerne im Eßzimmer, denn Witkins Werke sind im Original einfach auf einem technisch und ästhetisch so hohen Niveau, daß es jedem Freund der Schwarzweißfotografie regelmäßig die Sprache verschlägt. (Link hier, aber bitte nicht beim Essen. Danke.)
Eindrucksvoll auch die Arbeiten aus St. Petersburg von Alla Esipovich. Porträts zwischen Armut, Verfall und nicht verblasster Würde. Akte und Selbstdarstellungen der Alten, der Randständigen und Ausgestoßenen- immer respektvoll, nie voyeuristisch. In Deutschland vertreten durch die Galerie Artobes. Darf man im Auge behalten.

Samstag, 2. Oktober 2004
Seit kurzem nutze ich an den Wochenenden öfter mal die Fahrdienstleistungen der Deutschen Bahn. Man könnte fast sagen, ich sei eine coole Sau, denn ich hab' jetzt Bahncard. Tolle Sache, bis ich feststellte, daß ich mit Surf&Rail günstiger weg- und auch wieder ankomme. Aber ich liebe den Nah- und auch den Fernverkehr, und am schönsten ist es natürlich, wenn man sich aus der Ferne ganz nah kommt.
In den Zügen verliert man nicht den Kontakt zu seinen Mitmenschen, das bereitet mich auf kommende Prüfungen vor, die unter anderem lauten könnten: "Bald stelle ich dich meinen vierzig engsten Freunden vor." So etwas erfordert eine besondere Art von Stamina, die sich der soziophobe Mensch am ehesten am öffentlichen Orte erarbeiten mag.
Der völlig leere ICE-Waggon war für diese Aufgabe nicht hilfreich, mir aber äußerst angenehm. Ein wenig einsam vielleicht, während draußen die Nacht hereinbrach. Doch dann umfing mich eine dunkelgefärbte Stimme, die mit leicht österreichischem Akzent durch das Bordsystem säuselte. "Guten Abend", schwang es wie einst bei Elmar Gunsch. "Wir erreichen in Kürze Solingen-Ohligs, vorraussichtliche Ankunftzeit in zwei Minuten. Außentemperatur 13 Grad. Wir wünschen Ihnen alles Liebe in Solingen..." (Es entstand eine längere, melancholische Pause) "... Ihre Deutsche Bahn."
Verblüfft und ein wenig irritiert sank ich derart anmoderiert in meinen ICE-Sessel und hing so meinen Gedanken nach. Wie aufmerksam von der Deutschen Bahn. Wie sanftmütig, gedankenvoll und scheinbar auch ein wenig herzensschwer von diesem so häufig gescholtenen Dienstleister, der sich im übrigen "freuen würde, bald wieder mein Begleiter auf meiner Reise zu sein."
In Solingen hatte ich selbst mal glückliche Stunden erlebt. Liebe muß man es wohl nennen, denn die war auch im Spiel. Das ist lange Jahre her und war nie so ganz unkompliziert, aber ich erinnere mich gerne. Ja, alles Liebe in Solingen.
Das wünschen wir.

Freitag, 1. Oktober 2004
Wenn man die grottige Werbung mit ihren Geschichten, die sich wieder nur Werber haben ausdenken können, überstanden und sich im Passage-Kino die Leinwand entfaltet hat, dann beginnt die großartige Titelsequenz zu Pedro Almodóvars neuestem Film La mala educación: Schlechte Erziehung. Starke Kontraste, Rot und Weiß, Blut und Eier, tolle Typo, so ist Kino. Denkt man. Aber wie bei den aufgetakelten alternden Bühnentunten in Almodóvars Filmen, sollte man sein Urteil erst abgeben, wenn sich alles entblättert hat.
Es beginnt bunt, schräg in den 80er-Jahren, Kika grüßt von Ferne. Doch die Handlung ist astreiner Film noir: Amoralisch, korrupt und verschlungen genug, einen Philip Marlowe zur Verzweiflung zu treiben. Ins Büro von Regisseur Enrique (Fele Martinez) stapft eines Tages ein junger Mann, der sich als sein alter Jugendfreund Ignacio (Gael Garcia Bernal) ausgibt. Die beiden lernten sich Anfang der 60er Jahre in einer Klosterschule kennen und wurden Opfer des lüsternen Paters Manolo (Daniel Gimenez-Cacho, bzw. (Lluis Homar als eine Art spanischer Jack Nicholson). Ignacio nennt sich nun Angél, ist Schauspieler und will, daß Enrique eine Erzählung von ihm verfilmt: Die Geschichte "Der Besuch" führt zurück in die Jugend der beiden, in die Zeit der ersten Liebe, der ersten sexuellen und Kinoerfahrungen.
Eine reine Männergeschichte, ungewöhnlich genug für Almodóvar, dessen Filme bislang meist um starke Frauen kreisten. Schrille Figuren, verdrehte, völlig überzogene Geschichten - so kennt man das Enfant terrible des spanischen Kinos. Selbst "Sprich mit ihr", sein bislang ruhigster Film, lebte u. a. davon, eine im Grunde völlig unglaubwürdige Geschichte glaubhaft wiederzugeben.
Große Kunst eben.
In "Schlechte Erziehung" entfaltet er ein Geflecht aus Schein und Sein, Liebe, Gier und Eigennutz. Double Indemnity kam mir in den Sinn, kurz nur. Aber keine fatalen blonden Frauen, sondern amoralische dunkle Jungs (Alain Delon in "Nur die Sonne war Zeuge" wäre eine weitere Referenz) suchen hier mit tödlichen Mitteln den Kopf über Wasser zu halten, nachdem sie ihren Hintern längst verkauft haben.
Sonderlich gelungen ist das nur leider nicht. Schöne Hemden, denkt man ab und an. Oder "orange Socken, interessant". Glaubhaft, ja, irgendwie. Nur nie richtig spannend oder überzeugend. Die knackigen Männerhintern reißen da nichts raus. Zuviele Schauplätze, zuviele Zeit- und Handlungsebenen, aber zu wenig Witz, zu wenig Thrill.
In "Stardust Memories", meinem absoluten Lieblingsfilm von Woody Allen (den ich seit Jahrzehnten nicht mehr ausstehen kann), spielt Allen einen genervten Regisseur, der nach neuen Wegen sucht und von seinen Fans immer nur eins zu hören bekommt: "Wir lieben ihre Filme! Vor allem die frühen, komischen!"
Mal sehen, wohin es Almodóvar demnächst verschlägt.
La Mala Educación: Schlechte Erziehung. (Span. 2004) Regie: Pedro Almódovar.

Donnerstag, 30. September 2004
... es sah anders aus, roch anders.

So, ihr Mimosen, weiter geht's.
Das kann man sich übrigens mal merken:
1. Flohmarkt
2. Aktfotos
wird fortgesetzt

Mittwoch, 29. September 2004
"Die Vereinsamung, in der ich lebe, ist ja doch sehr groß und über die helfen auch alle Briefe literarischer Anhänger, Männer und Frauen, nicht hinweg. Innen in einem ist es grau und fragwürdig und unaussprechbar, und hinter der Maske der Ironie und Höflichkeit nach außen zerreißen sich immer von neuem die letzten Bestände von Leben und Glück."
(Gottfried Benn, Briefe. 1954.)
