
Freitag, 15. Oktober 2004
...and now for something completely different.
Geistert ja gerade durch die Blogs. Ich mach's aber nur, weil sonst niemand Nr. 115 angekreuzt hat. Vielleicht auch für die Mit-Stenographen interessant, die können ja eine Akte anlegen.
(Liste in den Kommentaren)
Via Kaltmamsell.

Als Ersatzspieler wollte ich nicht enden.
Da habe ich die Sportart gewechselt.

Donnerstag, 14. Oktober 2004
Da gibt es dann eine Party, auf der viele Leute eingeladen sind. Leute wie du und ich, Prominente und Semi-Prominente. Fast könnte man von einem öffentlichen Ereignis reden.
Da sich die meisten schon länger kennen, reden sich viele mit ihren Spitznamen an. Alle fühlen sich wohl, man plaudert über dieses und jenes, Sex, Liebe und Verkehrsprobleme.
Wie meistens ist jedoch einer unter den Gästen, den man zur Kategorie der Wichtigtuer zählen muß. Weil er zu den Themen nichts beisteuern kann, wählt er sich ein eigenes. Ihn stören die Spitznamen. Wer soll das sein, "Minze" oder "Baby" oder "Ratte"? Am liebsten würde er den Umstehenden die Personalpapiere aus der Tasche zerren, aber da hat er den einen schon erkannt. Er zieht eine Zeitung aus der Tasche - und richtig: Der da auf dem Foto abgebildet ist, heißt doch gar nicht "Ey, du Schauspieler", sondern Peter Panter und ist Leiter der örtlichen Selbsthilfegruppe der Anonymen Außenseiter.
Mit vor Triumph verzerrtem Gesicht und hochrotem Kopf springt er auf. "Ihr Minzes! Ihr Babys, Rattes und Rumpelstilzchen! Was soll das? Weiß doch jeder, daß Ey, du Schauspieler in Wahrheit Peter Panter heißt. Pöser Pube, der!" Beifallheischend schaut er sich um, doch die Menge guckt irritiert. (War was im Geburtstagssekt?)
"Na hier", ruft unser Mann und hält jedem das Foto aus der Zeitung unter die Nase, auf dem auch eine Frau abgebildet ist, die ebenfalls auf der Party anwesend ist. Die Menge wird unruhig. "Arschloch", zischelt einer. "Schlechte Kinderstube", ein anderer. Die Leute weichen leicht angewidert zurück.
"Ja, aber ist doch alles dokumentiert. Kann doch jeder nachlesen, daß das Peter Panter ist." Der Mann versteht die Welt nicht mehr. Spitznamen. So ein Quatsch! Was wahr ist, muß doch auch wahr bleiben. Will ihm denn keiner beipflichten? "Ja", bescheidet ihm einer. "Aber nicht alles muß gleich an die Öffentlichkeit. Hier wird auch keiner rausposaunen, ob du bekennender Thunfischesser bist oder nicht, wenn du es nicht selber tust. Selbst wenn das vielleicht kein wirkliches Geheimnis ist. Es interessiert im Moment einfach nicht."
"Außerdem", meint ein anderer, "bist du hier nur Gast. Es gehört sich eigentlich, daß man die anderen Gäste respektiert. Wenn die Gastgeberin nichts gegen Spitznamen hat, geht es dich nichts an. Das ist ja eine Frage des guten Benehmens."
Die Gastgeberin, weltläufig, charmant, läßt den aufgeregten Kämpfer der Selbstgerechtigkeit geschickt abblitzen. Jemand rettet geistesgegenwärtig die Situation und erklärt das Büffet für eröffnet. Mit großem "Ah" und "Oh" strömt die Menge davon.
Der wackere Ritter der großen Wahrheit ist geknickt. Er schleicht sich in die nächste Kneipe und erzählt dort von seiner Geschichte. "Wenn das wenigstens Schriftsteller wären, die Pseudonyme verwenden. Ja dann!"
Na ja, sagt einer. Mich kennt man hier auch nur als "Wolle".
Doch noch eine Niederlage verkraftet der geschlagene Held nicht. "Das", heuchelt er, "das ist ok. Das ist ja nur eine Kurzform." Er braucht jetzt Verständnis.
Er schmeißt eine Lokalrunde, den von nun an muß er sich Zuneigung erkaufen. Er spürt das. Es ist kalt auf dem Berg, auf dem der Rufer der selbsternannten Wahrheit sitzt.

Da gibt es nichts zu lachen. Das ist weit verbreitet.
Zum Glück habe ich einen dicken Riegel an der Tür.

I wake up everyday, the wrong side of the bed
I won't lay down on the floor like I'm the whore in your head
Call me a failure, pretender, sex offender, infector
Say I killed all my friends, and I deserve to be dead
Kiss, baby, kiss - Bang, baby bang - Suck, baby, suck...
This isn't music, and we're not a band
We're five middle fingers on a motherfucking hand.
(Marilyn Manson, "Vodevil")
Manchmal, wenn ich mir ganz gepflegt einen mit meinem alkoholfreien Pastis angehängt oder stundenlang vergeblich über CSS-Definitionen gebrütet habe, werde ich zum wilden Mann. "Einen wilden Mann kann man nicht halten", sang Bernadette La Hengst einmal. Da hat sie recht. Ein wilder Mann, der muß mal raus. Am besten an die frische Luft, wie das früher hieß. Man kann aber nicht immer nur Revolution machen. Manchmal ist auch Pause.
Heute ist ja schon Revolution, wenn man im Stehen pinkelt. Deshalb ergötze ich mich gerne an diesen Bildern. Schaue ich mir stundenlang an. Kippe alkoholfreien Pastis oder kalten Kamillentee herunter und warte auf den großen Moment: "The only ones left standing/Are the ones not demanding".
Dann liest man völlig isoliert, herausgerissen und zuordnungsfrei vom Tod der Mutter und wundert sich. Oder denkt sich, na gut, "No concept of pain/No right to complain". In diesen merklich frostig gewordenen Nächten spüren wir alle mal den kalten Griff metallener Kliniktische. Man muß nicht alles verstehen.
Halt' mich einfach fest. Ich mach' nur kurz mal Pause.

Irgendwas war da neulich noch mit Ringelstrümpfen.
Aber mir schwirrt der Kopf.
Off with your head! schreit die böse Königin.
Nein. Erst noch die Verlockungen kosten. Drink me! Eat me! ruft es um mich herum.
(Via Hermenschauer)

Mittwoch, 13. Oktober 2004
Fern zwischen kahlen Bäumen, manchem Haus,
Zäunen und Schuppen, wo die Weltstadt ebbt,
Und auf vereisten Schienen mühsam schleppt
Ein langer Güterzug sich schwer hinaus.
(Georg Heym, "Berlin III". 1910.)
Es fröstelt an den Spree-Kanälen. Irgendwo da draußen brach im Januar 1912 Georg Heym beim Versuch, seinen Freund Ernst Balcke zu retten, im Eis ein und ertrank.
Berlin kann sehr kalt sein, zärtlich vielleicht auch, aber immer bleibt es trügerisch. An der East-Side-Gallery überzieht der aufgekratzte Putz wie grindiger Schorf das alte Stückchen Mauer. Ost-West. In der ehemaligen Zone, dort also, wo es jetzt interessant ist, abseits vom an-sich-selbst-erstickten "X-Berg", entspannte Gespräche zu Berliner Bier und Prenzlauer Zigarettenqualm. Müßte man danach nicht wieder durch russische Frostwinde, via Nachstraßenbahnen und Schienenersatzbussen den Weg in andere Viertel suchen - man könnte ewig so sitzen und denken, laß den Vulkan doch alleine tanzen. Aber kluge schöne Frauen gehen früh zu Bett, und mein Hafen liegt sowieso in einer anderen Stadt.
Berlin habe ich nie so recht verstanden. Das ist Fakt. Ich habe mich bemüht, lange Jahre. Aber die empfindsame Vorgartenprovinz wurde immer wieder von Berliner Krawallpanzern überrannt.
Mädchen singen gellend
Musiker geigen
Irgendwo sitzt ein Soldat, der schläft.
Eine sagt: Miezeken, ick jehe mir einen Mann suchen!
Hüften hängen wie reife Trauben über die Kanten der Stühle.
Sadisten lechzen nach Hiebe
Junge Männer, Zuhälter
Mädchen, Amerikaner, Soldaten
Neger und eine 18jährige Kellnerin
(George Grosz, "Nachtcafé", ca. 1919.)
George Grosz ("Hoho! Berlin!! Von Portweinflaschen reizvoll überpinkelt!") hat es vortrefflich gemalt und dabei kaum übertrieben. Heute, oder sagen wir tagsüber, sieht man natürlich in erster Linie den Dreck, den Verfall. Endloses Tagging über Häuserfassaden, zerschundener Putz, dazwischen Glasscherben, asoziales Zerplatzenlassen, rachitische Kinder, bleiche Gesichter, die - Berlin ist günstiger als Hamburg - um 50 Cent betteln.
Berlin spricht nicht, Berlin deklamiert. Berlin will sich beweisen, möglichst laut, rauh und immer "Watten dette?" mit einer rabiaten Abwehr "da drinne". Manchmal möchte man den Finger in die feuchte Wunde legen, sachte, damit die Stadt sich wieder spürt. Und ganz sanft wird, und spricht, ganz ohne Megaphon.
Denn manchmal schiebe ich den Lärm zur Seite, weil ich weiß, daß Weißes Rauschen nur Redundanz bildet. Dann tauche ich durch diese Welle, laß Gerede, Gerede und Hetze, Hetze sein. Dann hör' ich es zirpen, das kleine verwundete Herz der Stadt. Berlin kann singen, wenn man es nur läßt.
"Aber die haben och Herz", höre ich nachts in dieser Kneipe. Auf der Newton-Ausstellung "Us And Them" am Bahnhof Zoo das rührendste Bild: Ein Selbstporträt von June Newton mit einer Zeitung in der Hand. Auf der Seite ein Nachruf auf den jüngst verstorbenen Gatten, dem heimgekehrten "Sohn Berlins". In dem Artikel ein Foto: Helmut Newton, mit seiner kleinen mju im Anschlag. So fotografiert er rüber zu seiner Frau, die die Zeitung hält, das Bild fotografiert. Sie fotografieren sich gegenseitig. Über das Ende hinaus.
Ach, Berlin. Es ist so viele Jahre her.

Montag, 11. Oktober 2004
Kreuzberger Internetcafé-Tristesse. Sieht aus wie ein türkischer "Kulturladen", selbst der Bildschrirmhintergrund vermittelt einem die heimelige Wärme einer flackernden Neonröhre.
Ich muß mal etwas längeres über Berlin schreiben. Etwas über Haßliebe zu Städten, Gewalt in den Straßen und dem Gefühl, das man immer etwas verloren steht in diesen mythischen Bezirken zwischen X-Berg, F-Hain und P-Berg.
Heute macht ein Hauch mich von Verfall erzittern, könnte ich mit Trakl sagen. Ich hoffe, ich komme lebend hier raus.
Berlin ist größer als ich.

Sonntag, 10. Oktober 2004
... dann sind es vorlaute Blog-Outer.
Leute, die sich wahrscheinlich auch daheim ständig besserwisserisch wichtig machen mit Dingen, die eigentlich niemanden interessieren.

Kleiner Nachruf zum Tode von Jaques Derrida.

Sonntag, 10. Oktober 2004
Mein Lieblingsflohmarkt, auf dem ich heute nach längerer Zeit mal wieder war, hat sich weiter verändert. Mehr Stände, mehr Kinderwagen, mehr Gewusel. Mehr "Szene-Pärchen" aber auch. Anscheinend kommen nun nicht mehr nur frühmorgens die Profihändler, um die interessantesten Stücke günstig abzugreifen und auf den Szene-Flohmärkten auf der anderen Uferseite der Alster feilzubieten.
Nun folgt ihnen wie die Junkies dem Dealer bereits deren Kundschaft in die sogenannten unmöglichen Stadtteile.
Ein Umstand, auf den mich neulich bereits ein aufmerksamer Kollege aus der Klebstoffschnüffler-Selbsthilfegruppe hinwies.
Eigentlich suchte ich ein Geschenk für Mütterchen Kid, aber so richtig was passendes wollte mir nicht ins Auge springen. Eine Beinprothese, recht schwer und gar nicht so unansehnlich, ließ ich dann doch stehen. Zu sehr wog noch der Schmerz, daß mir neulich auf einem anderen Flohmarkt eine wirklich sehr schöne, lederbesetzte Handprothese vor der Nase weggekauft wurde. Selten hat es ein eleganteres Dekostück für nur 12 Euro gegeben. Eine dritte Hand! Was ich damit alles hätte anstellen können. Immerhin gab es dann für 2 Euro noch "Resident Evil". Allerdings als Geburtstagsgeschenk für Mütterchen Kid eher weniger geeignet.
Ansonsten viel Krempel und noch mehr Gewühl. Meditative Ruhe fand ich erst auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Der reicht zwar vom Charme nicht an den Wiener Zentralfriedhof heran, aber man soll im Leben nicht immer vergleichen.
Der Herbst ist ja die schönste Zeit für einen Spaziergang an solcherlei Orten. Unter den Füßen knacken die Bucheckern, Laub färbt sich rot, wenn man es nur scharf genug ins Auge faßt. Zweige, wie die Unterleibe einer Hexe geformt, werfen sich einem in den Weg. Phallische Pilze recken keck ihren Hut. Ich erinnerte mich, daß ich mal mit einer Frau, die mir nach langem Werben endlich nachgegeben hatte, die Zukunftsplanung bei einem Spaziergang auf dem Ohlsdorfer Friedhof begonnen hatte. Das hätte einem eigentlich schon zu denken geben müssen. Aber man ist zu solchen Gelegenheiten für schlechte Omen ja völlig unempfänglich.
Ich habe daraus gelernt. Auf dem Friedhof landet alles früh genug. Solange man aber noch einen Arm oder ein Bein hat, findet man geeignetere Orte. Die nächste Zukunftsplanung halte ich besser in einem Keller ab. In der Wuppertaler Schwebebahn. Oder auf dem Wiener Naschmarkt. Oder gleich im Kölner Dom.

Donnerstag, 7. Oktober 2004
Über eines der faszinierenderen Phänomene von Verbrüderung kann man sich hier informieren.
Etwas für die Wunderkammer.
Man weiß, daß das Fötus-im-Fötus-Phänomen nicht so selten ist. Es gibt eine These, nach der unsere Sehnsucht nach dem "Zweiten Ich" genau daher stammt.
Aus der Suche nach dem toten Zwilling.
(Via Sick Girl.)

Das wollte ich schon immer mal vorstellen. Musik und Video wie eine Punktion aus meinem eigenen schredderigen Leben. Cette Fille Seule. Ganz groß. Der erste, der "Melancholie" sagt, zahlt 5 Euro.
(Aus dem Soundtrack zu Seven Lonely Girls.)
