Freitag, 18. September 2009


Pocahontas





Gestern fuhr ich mit dem Rad ein wenig südlich der Elbe herum, immer schön am Deich lang, bis ich auf dieses kleine Ensemble entzückender Häuschen stieß. Zum Teil verlassen, zum Teil ein wenig nur bewohnt, immer aber mit fingerdickem Charme versehen. Hinter dem Haus eine versteppte Freifläche, verrostete Gewächshäuser, aus denen kleine Bäume ihre Äste recken. Jemand wie ich sieht dort natürlich nur arithmetische Möglichkeiten: Ein, zwei Sack Rotband, drei Eimer Farbe, dann schnell vier Kinder zeugen, schon hat man acht Hände mehr, die zwanzig neue Scheiben in die Rahmen setzen können. Sellerie das ganze Jahr! Und Basilikum! Und links und rechts ein Käsebrotbaum.

Ich mag ja diese unscheinbaren Flecken, an denen oft ganz wunderbare Schätze zu entdecken sind. In der Pause, wenn die Kollegen sich träge nur zum nächsten Mittagstisch schleppen, schau ich mir gern die Eigenheimfantasien hinter dem Krankenhaus an, dort wo Lehrer, Oberärzte und Unternehmer feuchten Architektenträumen quer durch alle kunsthistorischen Epochen (kleine Burgen mit Zinnen und Türmen inmitten einer Rotte Rotklinkerhäuschen!) folgten, bin verblüfft über Wohnungen in alten Wassertürmen, verwunschene Gärten, die sich entblößen, wenn man nur kurz mal - man wahrt natürlich den Anschein von Diskretion - hinter die Hecken lugt. Manchmal komme ich mit den Leuten dort ins Gespräch, man tippt ein wenig hier und hakt ein wenig da und erfährt Geschichten, aus denen sich immer weitere Geschichten spinnen lassen.

In einem anderen Leben wäre ich ja gern Location-Scout geworden. Ich kannte mal eine Frau, die hat das für Film und Werbung gemacht, interessante Ecken suchen, Häuser und Gegenden. Mit einer Polaroid - so lange ist das schon wieder her - zog sie durch halb Europa und pflegte ihre wohlgehütete Kartei. Auf einer Party erzählte sie, irgendwann im Morgengrauen, wenn die schönen Geschichten kommen, von verzauberten Parks und unberührten Anwesen an der französischen Küste, kaum entdeckten Herrenhäusern irgendwo, den Bewohnern und der Arbeit dort am Set. Schien das nicht verführerisch? Unberührte, fremde Schönheiten - das klang wie eine jener unglaublichen exotischen jungfräulichen Prinzessinnen der Südsee, für die manch klappriges Schiff voll Konquistadoren sehnsuchtsvoll gleich über mehrere Ozeane fuhr.

Heute indes gibt es das ja alles im Haifischbecken Internet, und vielleicht ist sogar die Südseeschönheit dabei: bei Airspaces vielleicht oder Light Locations. Muß man schauen. Oder die Geheimnisse besser doch verschleiert lassen.