Montag, 27. Juli 2009
Mein erstes Mal ist tatsächlich schon lange her, 2004, nachts auf dem Kiez merkt man ja gar nicht, wie die Zeit vergeht. Damals auf dem Garagendach im Hinterhof vom alten Komet war weniger Lametta; nach dem fulminanten Ausflug im Exil, hieß es nun aber erstmals wieder im alten Hafenklang: Rock & Wrestling 2009 is coming home - da durfte ich neben all den anderen Hegelianern im Publikum nicht fehlen. Ich stelle fest: Wir sind alle im Laufe der Jahre nicht jünger geworden, Nik Neandertal hatte "Schulter" (Memme!) und ich keine weibliche Begleitung, ich lasse offen, was schlimmer ist. Zum Glück ist - Memmen & Mädchen sollen halt Kirschkernsäckchen in der Mikrowelle warmmachen! - auf Männer verlaß, Herr Axel K hatte mir dankenswerterweise Karten und einen Platz am Ring besorgt, also dort, wo Bierduschen, Kunstblut, Schweiß und Spucke kunstsinnige Betrachtung und höhere Kameraarbeit zum philosophisch überhöhten Lusterlebnis machen.
Bitchfinga peitschten den Puls nach oben, Dolly Duschenka, knallhärtestes und sexiestes Nummerngirl, das jemals zwischen Ringseilen spazierte, machte den großen Kong fertig, Nik Neandertal steuerte eine launige Hymne bei und organisierte erstmals den Heavy-Metal-Luftgitarren-Contest, den zurecht die adhoc geformte Band StasiGrinders gewann. Die anderen waren auch nicht schlecht, hatten aber vielleicht zuviele gewerbsmäßige Poser an Bord. Brauchen wir nicht auf St. Pauli, denn hier ist alles echt, und am echtesten die Liebe und die Kämpfe. Vielleicht ist dies ein Grund, weshalb es Rock & Wrestling eben nicht in Berlin gibt, sondern nur in Hamburch. Sonst hieße das ja auch Schein & Sein! Haha, ich mache natürlich nur Spaß, ihr Hauptstadtlutscher.
So, genug der jovialen Schulterklopfer: zurück an den Ring, da wo ernsthaft arbeitende Männer und Frauen die existentielle Geworfenheit des Menschen mit archaischen Mitteln ausdiskutieren. Irgendsoein Bremer (!) Dreschflegel legte sich mit El Gigolo an, der allerdings - wir möchten darüber schweigen, aber die Chronistenpflicht, die Chronistenpflicht! - am Ende von seinen beiden Ischen aus dem Ring geführt werden mußte. Nun gut, ein weiterer Beweis, daß hier nichts abgesprochen oder gefaked ist, nacho libre Hamburgo, dichte ich mal. Erstmals verzückte der Danger Pilz mit seiner Geheimwaffe, Amanita phalloides, das kampfrauschsüchtige Publikum, den sehen wir gerne im nächsten Jahr wieder, die Katze auch. Dolly Duschenka, sexuell und missionsgeladen wie immer, sollte vielleicht doch besser ohne ihren Verlobten kommen, die Aufmerksamkeit schien doch ein wenig hin- und hergerissen. Aber trotzdem messerscharf, wie erwartet.
Baster setzte auf weibliche Unterstützung, Capitan0 St. Pauli traf auf einen Gastspieler aus Mechiko, ein Hauch von großer mexikanischer Wrestling-Welt wehte durchs Festzelt - Grita! Grita! Grita! - interessant, aber vielleicht schon einen Tick zu professionell kampfbetont. Schön sind ja immer diese Brüche, nicht der Knochen, sondern die im Programm. Wenn vielleicht das aufgepeitschte Publikum einfach mit in den Ring steigt, sich blaue Flecken holt, souverän an den Rand geführt wird, we are family, das darf man ja bei allem Adrenalin und Testoreron, das wie eine Wolke über der biergetränkten Arena hängt - wie entfesselte Frauen mit ihren Anfeuerungsrufen vorneweg. Der Pope of St. Pauli verteilte Kondome und gab das Versprechen auf sieben Jahre guten Sex - da kam Manager Kapitän Ahab und sein Kämpfer, der böse, blaue Mutantenkrake (Geheimwaffe: die Tentakelpeitsche!). Und während niemand glaubte, daß diesem furchterregenden Meeresungeheuer Widerstand zu bieten sei, ertönte das Erkennungslied des Herausforderers, des mehrmaligen Champions: Loooooony Lobster, der Schumi-Hummer in Ferrari-Rot. Tja, das wäre ein Testimonial gewesen!
Am Ende macht der Liebeskampfroboter Bento 3 die fiesen Spekulantenbürohochhäuser von St. Pauli platt (siehe Film). Pure Zerstörung, Gentrifizierungskampf, begeistert sekundiert vom exaltierten Publikum, das seinen Held für einen Tag gefunden hat. Und wie es sich für eine unkommerzielle Sause auf dem Kiez gehört, kauft man am Ende gern beim Merchandising. Neue Sammelbilder, T-Shirts und Erinnerungen. Dazu Schweiß und Blut in den Haaren von den letzten wahren Arbeitern. Am Ende hat mich Bento berührt - ich bin aufgeladen mit Liebe und Energie, das es reicht für ein ganzes Jahr. Was für eine Nacht, man möchte danach gleich eine Horde Kinder zeugen. Alle echte Kämpfer.
>>> Bewegte und andere Bilder bei Ipernity
>>> Nochmal der Hinweis auf die Doku von Bianca Wiehmeier, die mir schrieb, daß der Film leider erstmal nur auf Festivals läuft.