Montag, 13. Juli 2009


Der Ruf des Albatros

My lips were wet, my throat was cold,
My garments all were dank;
Sure I had drunken in my dreams,
And still my body drank.

(Samuel Taylor Coleridge,
"The Rime of the Ancient Mariner". 1798.)

Einen wilden Mann kann man nicht halten, sang schon Bernadette La Hengst, und so schwang ich mich trotz schwarzer Wolken am Himmel aufs Rad, die Ballade vom Ancient Mariner auf den Lippen wie Salzgeschmack, ewig muß ich wandern, ein verbissen Getriebener, wenn auch nur mit Nabenschaltung.




Immer weiter nach Süden, über die kleinen Brücken, über die große Brücke, hinein in die halbstillen Gewerbegebiete links und rechts des Freihafens, dort wo sich Recyclingbetriebe und Baustoffhandlungen aufgestellt haben. An den Rändern der sonntagsberuhigten Piste stehen polnische Trucks aufgereiht, die Fahrer, Stanislaw und Pawel, so weisen sie die Beschriftungen ihrer Fahrerkabinen aus, haben sich mit Klappstühlen und einem Grill um einen Laster versammelt, spielen Karten, trinken ihr Bier und sehen das Wetter nicht, das mir folgt wie ein Schatten.

Irgendwann, irgendwo - meine veraltete Straßenkarte zeigt Wege, die es längst nicht mehr gibt - bricht der Regen los, steigert sich vom angenehmen Tropfen in einen unermüdlich unerbittlichen Wasserfall, die schwarze Wolke über mir grinst, ich rufe: "Selber!" und stelle den Kragen meiner Jacke hoch, die längst schon naß und dunkel ist. Zurück sind's Kilometer, nach vorne auch, also weiter, immer weiter, es muß ja immer weitergehen. Was würde Rüdiger Nehberg tun? denke ich, während über mir ein sehr großer Vogel kreist, ein Albatros vielleicht, der Racheengel seines vor Jahrhunderten aus Übermut getöteten Gefährten.

I looked to heaven, and tried to pray;
But or ever a prayer had gusht,
A wicked whisper came, and made
My heart as dry as dust.

Irgendwann lande ich in einem Wendehammer, ein einzelner Wassertropfen bahnt sich seinen Weg meinen Rücken hinunter, während ich die sich langsam auflösende Karte studiere. Von wegen Soundso-Twiete, die rechtsrum auf die Parallelstraße führt. Das war vielleicht mal, damals, als fleißige Skriptoren in irgendeinem Mittelalterkloster diesen Stadtplan zeichneten. Nun starren mit rostigen Eisenketten versperrte Tore mir abweisender entgegen als eine verärgerte Zufallsbekanntschaft. Irgendwo bölkt höhnisch ein Albatros - oder was immer auch Albatrosse machen, wenn sie höhnisch sein wollen. "Man will nicht in den Wald hineinradeln und dort eine Lücke haben!" rufe ich, weil ich diesen Satz neulich irgendwo aufgeschnappt und als sehr modern empfunden hatte. Ich wende das bockige Rad, water, water everywhere, aber kein Wind in den Segeln, und lege den neuen Kurs fest.

Gleich hinter den Elbbrücken klart der Himmel wieder auf, das Werk war getan, meine Äquatortaufe absolviert. Meine Haare sind naß, meine Klamotten sind naß, in meinem Mundwinkel klebt ein kleiner Fisch. Die Laune jedoch bleibt unverklärt. Der Herbst ist da, Freunde. Jetzt kommt die schöne Zeit.