Montag, 18. Mai 2009


Das ist Norwegisch, da kann ich ihnen jetzt auch nicht helfen




Am Samstag auf dem Flohmarkt erst eine hübsche Strecke erlegt, alte Fahrräder beschnüffelt und noch ältere Schränke dazu, eine skelettierte Leiche entdeckt, die gemeinsam mit ihrer Handtasche begraben wurde, ein paar Bücher durchstöbert, etwas gekauft. In der Tasche meine DVD von Wild at Heart gehütet, ein Film, den man mag, wenn man romantisch ist und aus der Zeit, als Nicolas Cage noch ein Schauspieler war. Leider habe ich keine Schlangenlederjacke gefunden.




Später beim famosen Herrn Krüger die Installation von Simon Hehemann und Stefan Vogel ("Ach scheiße, da komm ich gerade her") bewundert, die unser aller Lieblingsgalerie mit über 300 Autoreifen in eine Gummizelle verwandelt haben. Imposant, aber auch der Geruch, weshalb dieses Kunstrennen etwas früher zum Boxenstopp mußte als geplant. Anschließend dann Feinkunst Kaffee & Kuchen serviert auf einem echten Passfeld. Das, liebe Feuilletonfreunde, muß man erst einmal nachmachen. Das ist wie Frühstück im Grünen auf einem echten Monet.




Abends dann Schlager-Grand-Prix-Party mit einigen hochbekannten Bloggern, frohgelaunten Speisen und, man kann es ruhig zugeben, Alkohol. Für die Musik war ja gesorgt. Dachte man. Bereits nach den ersten Einlassungen des neuen Moderators wurden Stimmen laut, die Wir wollen unseren Peter Urban zurück riefen. Aber man muß ja auch den Wandel seine Chance geben. Dann aber hieß es einstimmen auf die Vielzahl der Länder, darunter Gebiete, von denen man - seien wir ehrlich - nach wie vor nicht sicher ist, ob sie nun vor oder hinter den Ural auf der Landkarte zu plazieren sind.

Die hochbekannten Blogger fingen bald alle an zu twittern, meine erste Begegnung mit diesem Phänomen im offen geführten Feldexperiment. Ich muß sagen, diese Pest interessante Technik ist nichts für mich. Namen anderer ehemals hochbekannter Blogger wurden verkündet, wenn deren Gezwitscher auf dem Minibildschirm mitgeführter Mobiltelefone auftauchte, und man versteht, wo die alle geblieben sind. Die gelungensten 140 Zeichen wurden jeweils mit Applaus und Gelächter honoriert, @xy - Douze Points! Ich denke, ein bißchen ist das ja wie schneller Sex auf der Bahnhofstoilette, ein Thema, von dem ich ebenfalls keine Ahnung, aber dreckig, zügig und gemein leuchten jedem ein. Wenn die das wenigstens mit dem Mund oder mit dem Fuß machen würden, die Twitterer jetzt, so liebevoll und rührend wie diese Karten aus Bethel, die man zu Weihnachten immer kauft. Aber es ist Daumenarbeit, eine Metapher, die ich mir selbst noch nicht ganz erschlossen habe. Oder wie Tim Frühling, der Mann, der den Grand Prix moderierte, meinte: Das ist Norwegisch, da kann ich ihnen jetzt auch nicht helfen. Ich glaube, für die Könige des Kalauers ist das aber eine tolle Sache, wir hatten auf Klassenfahrten auch immer solche mit an Bord. Die beherrschten manchmal so kleine Zaubertricks wie der Sänger aus Litauen, der den Sangesreigen eröffnete und den ich ad hoc auf den letzten Platz prognostizierte. Flämmchen in der Hand, wie putzig. Die großflächigen Bühnenfeuerwerke der nachfolgenden Auftritte ließen den Lituehnen wie einen Hütchenspieler erscheinen, der sich ins Vorprogramm von Copperfield gemogelt hat. "Die Ironie haben Sie jetzt hoffentlich gemerkt", wie Herr Frühling viel später nach einer auffällig deviant vorgenommenen Punktevergabe launig in die Runde warf.

Die Portugiesen versuchten es mit Fado-Polka, das war schön bunt und gefiel mir gut. Die Armenier schickten Lene Lovitch ins Rennen, leider ohne Erfolg, denn die kennt keiner mehr. Über Island und Schweden und all die anderen Musical-Lieder, und das gilt insbesondere und erbarmungslos für England und auch für Malta, das mit einer Paula Potts verblüffte, sonst aber nicht, möchte ich mich nicht weiter äußern. Grauenhaft, falls ich doch ein Wort sagen muß. Der Einfluß von Modern Talking in Osteuropa wird unterschätzt, überhaupt gab es viel Euro-Trash und Kirmes-Techno, Hannelore Elsner sang für Rußland, und ein kleines Land schickte einen grünen Goblin ins Rennen, der zu Discounterdiscoklängen an einer Minderjährigen herumfummelte. Wenn schon, dann so richtig billig wie die Ukraine mit ihrem Mad-Max-Orchester oder Moldawien, das mit Balkandisco im Glitzerkleid für Stimmung sorgte. Der Norweger, meine Güte. Das war klar, daß der gewinnt. Ein Nils-Holgerson-Schönling mit frech angestrubbelten Haar im Terzett mit zwei rosagekleideten Barbies - so eine Art jüngerer Bruder von David Garrett also, auch so ein Fall, Geige spielt der ja auch. Zurecht Platz eins.

Der deutsche Beitrag hingegen. Alles falsch. Man erinnert sich, Texas Blitz (das ist deutsch, und Sie haben hoffentlich die Ironie erkannt), da dachte man auch, och, Ditsche, den mag jeder, und die Musik von Truck Stop sorgt auf jedem Sommerfest für Stimmung. Dann stellen wir noch einen übergroßen Kaktus auf die Bühne - und schon fragt sich halb Europa, Deuschland, Moment, liegt das jetzt vor oder hinter Arizona? Ein derart erfolgserprobtes Rezept läßt sich natürlich übertragen. Nahm man also diesmal Swing und statt eines Kaktus eine stadtbekannte US-Stripperin, die der Herr Manson, ein ebenfalls stadtbekannter Sänger, möglicherweise unlängst nicht ganz zu unrecht in die texanische Wüste geschickt hat. Ich kenne Leute, die Dita mal kennenlernten und für "sehr nett" befanden, das glaube ich gern. Sie rührt bekanntlich sehr gute Martinis, ich persönlich aber halte sie in gewisser Beziehung für ebenso festgezurrt wie die Schnüre ihres Mieders. Ich mag mich aber gerne täuschen, besser wäre es. So oder so, was für eine dämliche und überaus durchsichtige Idee, den deutschen Musikbeitrag durch einen solchen Gaststar aufpeppen zu wollen (Meine Mutter, die es nicht gesehen hat: "Da hat wohl so eine Dame getanzt."). Man lernt das bei der Journaille (Ist das Heft mal nicht so toll/mach es vorn mit Titten voll), aber übertragbar ist das nicht. Viel mehr, und ich mache jetzt mal das Fenster auf, um mich ein wenig rauszulehnen, hätte man auf die beiden feschen Damen im BDM-Look setzen sollen. Das war doch mal ein genuin authentischer Folklorebeitrag! Blonde Gretchenzöpfe, sexy Kniestrümpfe und eine Sauerkrautgesundheit, die sogar das grelle Wasalicht des schwedischen Beitrags überstrahlte. Aber diese Perlen im bühenperformatorischen Schatzkästlein wurden überhaupt nicht erkannt. Zurecht landeten unsere Mädels Jungs ganz hinten.

Anders als ich. Da ich mit meinen tendenziösen Einschätzungen mehr Recht hatte als all die hochbekannten Blogger erhielt ich einen Wahnsinnspreis (Danke Isa!): Die Single (das ist die "kleine Platte" für die älteren von uns) "Fantasy Dreams" von Ami Aspelund, was - ihr wißt das natürlich alle - 1983 der finnische Beitrag für den Grand Prix war. Großartig? Das finde ich auch. Am Ende war eine wirklich lange Strecke erlegt. Törö, Schlager tot.

Radau | von kid37 um 12:10h | 38 mal Zuspruch | Kondolieren | Link