Dienstag, 3. September 2019
Neulich wollte ich zu einer Wochenendveranstaltung in Wittenberge, das Wetter war auch schön, dann aber hatte ich darob eine Sinnkrise und nun auch Wahlergebnisse. Man könnte dort aber sicher gut wohnen, mit der alten Nähmaschinenfabrik (singert alle mit: Pri-vi-leg!), in Mitten von Natur und ziemlich genau zwischen Berlin und Hamburg und einem Bahnhof, wo auch ein schneller Zug hält.
Jetzt aber habe ich erstmal einen Architekten beauftragt, mir ein neues Heim zu entwerfen, für den Fall, daß ich doch noch in der Lotterie gewinne. Bislang sehe ich davon nichts, es muß also jemand doll in mich verliebt sein, heißt es doch, "Pech im Spiel, Glück in der Liebe". Nur habe ich für Romanze gerade keine Zeit, ich will Wohnideen entwickeln.
Mein Architekt heißt Marc Giai Miniet und hat jetzt erstmal diese Sachen entworfen. Mit Platz für Bücher, einer Dunkelkammer, Bastelraum und Archiv, einen großen Heizkeller und - für mich ganz wichtig - einen Stellplatz für mein U-Boot. Hier gibt es ganz viele Varianten zu bestaunen.
In die engere Wahl habe ich jetzt diesen Entwurf genommen. Nicht zu angeberisch, alles sehr strukturiert und irgendwie kunstvoll. Ich schätze, so eine alte Nähmaschinenfabrik ließe sich zu diesem zweck sehr leicht umbauen.
>>> Webseite von Marc Giai Miniet
Freitag, 30. August 2019
Greta Thunberg hat, wie in dem kleinen Tourvideo oben zu sehen ist, mittlerweile Amerika mit dem Segelboot erreicht. Glückwunsch - und echt tapfer! Ich vermute, eine Menge dieser vornehmlich männlichen Kritiker, die meisten deutlich doppelt und dreifach so alt wie die 16-jährige Klimaaktivistin, hätten die Überfahrt kotzend an der Reeling verbracht. Vorsichtshalber begleiteten sie die Fahrt aber nur auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, wo sie Häme und messerscharfe Analysen auskübelten wie die, das der Teenager sich für die Reise die Hilfe von Profiskippern gesichert habe. Das von Leuten, denen ich unterstelle, daß sie nicht mal mit einer gutmütigen Anfängerjolle über die Alster kämen. "Millionenteuer" sei die Yacht zudem gewesen, so als hätte sie die gekauft oder als sei dies überhaupt eine Aussage. Der Airbus, mit dem ich letztes Jahr nach New York flog, nur um für mich selbst zu demonstrieren, hat nach Liste an die 450 Millionen Euro gekostet. Mal zum Vergleich.
Aber da mischen sich eben die Fixierung auf Geld, Dollars, Knete & Moneten zum Neid auf eine junge Schülerin, die in jungen Jahren schon mehr für ihre Ideale erreicht und Aufmerksamkeit erregt hat als diese seibernden Herrschaften alle zusammen. Greta Thunberg ist der größte Mittelfinger der Welt - und schon allein dafür liebe ich sie.
Zum Wochenende dann aber Kulturprogramm. Ein Hinweis erreichte mich aus Kiel. Dort beginnt am 21.9. die (aus Frankfurt übernommene) Ausstellung "Von Angesicht zu Angesicht" mit Werken von Lotte Laserstein. Vielleicht mal was für einen Tagesausflug. Das tolle Fotomagazin Die Nacht ist ja bekanntlich mit der Nummer 20 zum letzten Mal in dieser Form erschienen, eine Nummer 21 wird aber gerade als Themenheft ("Mexiko") produziert. Durch Patti Smith wiederum wurde ich auf die Ausgabe von Marcel Schwobs The Book of Monelle aufmerksam, die von mir unbemerkt bereits 2012 erschien (ich weiß gar nicht, ob es eine erhältliche deutsche Ausgabe gibt). Gute Rüstung also für ein Bad im Mondlicht. Morgen sind noch mal Temperaturen von über 31 Grad prognostiziert, danach ist Leben vielleicht wieder möglich.
In Deutschland als besserer "Pferdeflüsterer" vermarktet, war das großartig fotografierte Drama The Rider einer der Knaller 2018. Es war zudem der erste Film, den ich nach langer, langer Absenz im Kino sah. In New York übrigens und quasi unter Zwang, aber ich empfehle den ausdrücklich auch Leuten fürs Heimkino, die nichts mit Pferden anfangen können, dafür aber mit Lebensfügungen und schwierigen Schicksalen. Da ich zuletzt wieder schwierig, schwierig mit Berlin, patzigen Antworten von dort Beschäftigten und stornierten Reisen dorthin zu tun hatte, suche ich Trost bei Yvan Goll. Er beschreibt die psychosexuelldramatische Lage schon 1929 in seinem Roman Sodom Berlin, die ZEIT berichtete sichtlich amüsiert knapp 60 Jahre später darüber.
Samstag, 15. Juni 2019
Wer hat sie nicht auf Lager, die guten alten Familiengeschichten. So mancher aufnotierte Schwank sorgte zuletzt ja für etwas unschöne Furore über Blogs hinaus, darüber aber möchte ich nichts sagen. Ich will doch lieber selbst ins Fotoalbum und auf meine Wurzeln schauen, denen kann ich wenigstens vertrauen, wenn es stimmt, was ich in jungen Jahren hörte. Schon als Kind nämlich (später wurde das anstrengend) lauschte ich gern aus meiner von den Erwachsenen bald vergessenen Kauerhaltung unterm Wohnzimmertisch mit seinen sieben Decken den likörchengestärkten Erzählungen von Tanten und Onkel über die beeindruckend weitverzweigten, äh, Zweige des Familienstammbaums. Eines kann ich verraten: Es ist ein langer und gewundener Fluß von Erzählungen und Anverwandten, armen Bauern und toten Soldaten, kinderreichen Müttern und abenteuerlustigen Auswanderern.
Darunter war immer wieder mal die Geschichte von Uronkel Waszlaw Barenczow, der in die ostpreußische (streng genommen aber "westpreußische") Linie meiner Mutter zu zählen war und der um 1910 als Eisenbieger auf Jahrmärkten in seinem Dorf zu einiger Bekanntheit kam. Er galt als stärkster Mann der Umgebung, selbst in Danzig, und das ist sicher eines dieser Likörchen, also Histörchen der Familie, hatte man angeblich von ihm und seinem stattlichen Schnurrbart gehört. Oder umgekehrt. Soweit ich es als Kind verstanden habe, arbeitete er wohl in der nahen Eisengießerei, wo er, so stelle ich mir das jedenfalls vor, irgendwann zum Biegen kann.
Die Spuren des guten Waslaw verliefen sich mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs aus der Familienlore - es hieß, ein reicher Kaufmann aus der Stadt habe ihn überredet, auf einem Kohledampfer nach Amerika zu reisen, um dort als Bieger und Boxer auf Wanderbühnen aufzutreten. Ich bezweifle, daß daraus etwas wurde, denn als ich letztes Jahr mit einem modernen Fugzeug nach New York (das ist eine große Stadt in den USA) reiste, um dort auf Bühnen aufzutreten, wurde daraus nicht viel (lange Geschichte, aber es scheint in der Familie zu liegen) und zweitens fand ich auch sonst keine Spur vom bärenstarken Uronkel.
Nur diese zwei Fotografien sind von ihm erhalten, aufgenommen in Danzig und wohl bezahlt vom ominösen reichen Kaufmann (oder, und das ist nach allem, was ich über das Schaugeschäft weiß, wahrscheinlicher, vom treuen, um nicht zu sagen, naiven Waslaw selbst) und dem Anschein nach als Cabinettkarten für die Karriere in Übersee gedacht. Ganz schmuck, finde ich, allerdings, und da bin ich ein wenig beschämt, ist er (berufsbedingt) wesentlich durchtrainierter als ich. Es soll mir daher ein Ansporn und Vorbild sein, denn ein kräftiges Erbe soll man schätzen. Die "37" jedenfalls habe ich von ihm, eines Tages möchte ich sie nicht nur schreiben, sondern sogar stemmen können.
Montag, 29. April 2019
Am letzten Aprilwochenende ziehen auf einmal dunkle Wolken vor meinem Fenster vorbei. Ein Fußballspiel geht verloren. Aber wo genau geht es hin? Meine Wohnung sieht aus als wäre sie 50 Jahre verschlossen gewesen, hier geht nichts verloren. Jetzt aber finden sich Staub, aber auch Objekte aus vergangener Zeit, Verlorenes, Bezauberndes, Unerklärliches. Vielleicht kommt einmal Patti Smith vorbei mit ihrer Polaroid und hält ein Nachmittagsschläfchen. So hat sie es im Haus von Frida Kahlo und Diego Riviera getan. (New Yorker)
Ich wüßte auch ein paar Häuser oder Wohnungen, in denen ich gern mal eine Ruhepause oder einen kurzen Schlummer machen würde. Meine eigene Wohnung vorne an. Mir geht es wieder so gut, daß ich bereits wieder schlaflos bin. Kühle der Nacht.
Träume von Obst. Unerklärliche Küchenbilder, zu gern würde ich jetzt ein Nickerchen in der Berggasse machen. Wie in einer Schale überdauern. Die Zukunft aus der Natur lesen. Dinge besser machen. Das dämliche Blässhuhn, das unten auf dem Kanal wohnt, hat schon wieder ein schlecht verankertes Nest aus sperrigen Zweigen auf dem Wasser gebaut. Jedes Mal, wenn ein Boot vorbeifährt, treibt es durch die Wellen zwei Meter nach links oder nach rechts. Es harrt tapfer aus auf seiner dümpelnden Scholle, ich bin gespannt, wie lange das hält. Vermutlich denkt es sich dasselbe über mich. "Der typische Blässhuhnruf, ein krächzendes, aber etwas melodisches krök, stammt vom Weibchen." (Wikipedia) "Glotz nicht so!", heißt das übersetzt. Das Männchen reagiert wie Patti Smith und sucht sich Rückzugsräume: "Zusätzlich zum Brutnest baut das Männchen oft noch 1–2 Ruhenester."
Blässhühner sind Nestflüchter, lese ich weiter. Ich glaube, ich schließe mich lieber 50 Jahre ein. Bißchen schlummern.
Sonntag, 14. April 2019
Nach der Arbeit an meinem heiter-melancholischen Erinnerungsbuch Die letzten Gläser wischt der Wind, hatte ich mich für ein Mittagsschläfchen kaum einmal umgedreht, da ist schon wieder April. Demnächst also drei Monate Sommerhitze, dann ist es bereits Zeit, die Weihnachtsdekoration aus dem großen Karton im Keller zu holen. So ein Jahr wird so schnell groß, es wird einem ganz schwindelig. Ich habe schnell Blumen gekauft und ein wenig in Lynd Wards Bilderzählung Vertigo gelesen. Die Holzschnitte des US-amerikanischen Masereels sind in dieser Ausgabe (Dover Press) recht klein wiedergegeben für meinen Geschmack, aber das ist nun mal das, was wir haben. Sonst haben wir nichts. Ein feiner Schnitzer.
Überraschend unterhaltsam finde ich derzeit die US-Serie The Alienist. Ich bin kein besonderer Fan von Daniel Brühl, in der Rolle als "Seelenarzt" im New York Ende des des 19. Jahrhunderts aber gefällt er mir gut. Luke Evans Rolle klimpert ein wenig auf einer Note, Dakota Fanning ist vielleicht auch ein wenig dünn skizziert - und die Kilcher, ach herrje. Ein Serienkiller geht um, zur Abwechslung hat es dieser auf Jungs abgesehen (allerdings im Frauendress), das ist alles anspielungsreich (im Mittelteil blitzt ein wenig True Detective auf, Genreelemente aus der Modellierform namens Das Schweigen der Lämmer fehlen auch nicht) und an historischen Fakten orientiert (Theo Roosevelt, J.P. Morgan usw.). Lustigerweise spielt es zum Teil in einer Straße, in der ich öfter war, ohne zu wissen, WAS DA ABGING. Imposant auch das Modell der Williamsburg Bridge, die da noch im Bau ist. Da schaut man runter, daß einem schwindelt.
Nicht sonderlich überfrachtet, man kann es also gut gucken, visuell ganz schmuck, die Titelsequenz zum Beispiel arbeitet mit hübschen Texturen. Schönster Aspekt vielleicht, die langsame Entdeckung forensischer Methoden für die Kriminalistik - Fingerabdrücke, Fotografie und Tatortskizzen - und eine frühe Art von Profiling, wo noch eine Kreidetafel benutzt wird statt der heute in Filmen üblichen Korkpinnwand. (Gibt es eigentlich schon Whiteboards für diese Zwecke?) Die Kostüme sind großartig, es gab ein Budget.
Ich aber muß sparen, daher habe ich jetzt endlich angefangen, Badreiniger selbst herzustellen. Das macht ja nicht der Wind. Rezepte dafür gibt es rauf und runter im Internet, das meiste hat man eh in jedem gut sortierten Haushalt. Und mit einer handschmeichelnden Glasflasche anstelle fiesen Plastikgelumpes benutzt man es sogar. Neulich war eine Kollegin zu Besuch, die behauptete, "you live in a museum!" Junge Leute eben. Nach Dienstschluß wird die Leiter geholt und bis zur Decke schnell geputzt. Die einzige Gelegenheit, wo "von oben herab" erlaubt ist. Schreibt das auf.
Montag, 18. Februar 2019
Am Freitag saßen bereits T-Shirt-Menschen in meiner Mittgspause unten am Hafen, Gesicht und weitere Bleichhaut Richtung Sonne gewandt, eine moribunde Zauberberg-Kommune am Elbufer, ich wollte aber nichts niederschmetterndes sagen. Samstag dann viel Gedöns in der Stadt, ich immerhin kann wie an einen US-amerikanischen Tanzfilm angelehnt verkünden: Ich habe einen großen Karton getragen!
Brauche ich zum Sortieren von Zeug, und wie mir der wirklich sehr freundliche Verkäufer bestätigte: So was gibt es gar nicht mehr, weil diese metalleistenverstärkten Pappkisten nur noch aus Kunststoff hergestellt werden. Wenn überhaupt. Auch die guten Dinge gibt es nicht mehr überall. Dann mit dem Rad raus, dem angestaubten (feuchten Lappen vergessen). Die Autos noch winterverschlafen aber auf Radwegen geparkt. Das muß rasch anders werden. Sonst werde ich anders.
Auf meiner Beerdigung, so Stand jetzt, soll ein Stück von Rebecca Saunders gespielt werden, vielleicht Void. Damit mal 20 Minuten Andacht ist. Rebecca Saunders ist ganz erstaunlich, hat gerade einen bedeutenden Preis gewonnen und mich mit ihrer Musik sehr verzückt. Leider gibt es nicht viele Aufnahmen ihrer Stücke auf CD. Anders als Meredith Monk, von der ich jetzt ein paar Alben besitze. Impermanence und Dolmen Music gefallen mir am besten, Songs of Ascension und die Klavierwerke. Book of Days bislang weniger, dem Album muß ich noch mal näher auf den Grund gehen, aber das interessiert hier sowieso keinen. Sollte aber. Ihr solltet weg von dieser 4/4-Takt-Bluesschemascheiße. Johánsson fängt (oder besser gesagt: fing) immer mit einem großen Musikthemenwurf an, legt mir aber zum Ende hin doch zu viel Pathos auf. Das kann ich selbst, dafür brauche ich keine Orchesterwerke. Ähnliches gilt für Bent Sørensen ("Rosenbad"). Man denkt, diese Skandinavier sind so karg und sprøde, stimmt aber gar nicht. Ich arbeite mich da aber gerade erst ein. Vielleicht liegt es auch einfach daran, daß es sich bei letztgenannten und anders als bei Monk und Saunders um Männer handelt. Alles Großpathetiker.
Ich bin mittlerweile musikmeditativ so erweitert, ich konnte im Geschäft ganz lässig die Warennummer von meinem Aufbewahrungskarton aus dem Kopf zitieren. Wie so ein Memoriergenie! Da bin ich sehr stolz. Kein Wunder, der Rest ist ja schon ganz weggewittert. Neulich habe ich ein graues Haar entdeckt. Gebt euch doch auch mal Komplimente. Wirkt wie Sonnenschein!
>>> Geräusch des Tages: Meredith Monk, Last Song
Freitag, 15. Februar 2019
Meine Probleme sind ja vielfältig. Unter anderem arbeite ich gerade etwas zuviel, also lange und auf mehreren Baustellen, an Projekten mit strengen Deadlines und in verschiedenen Teams. Das ist schon auch reizvoll, weil damit Abwechslung, munter machender Stress, vielleicht auch Anerkennung (wenn es klappt) verbunden sind. Mal was anderes machen, barfuß über ein Hochhausdach rennen sozusagen und rechtzeitig abbremsen. Macht in der dritten Runde aber auch müde. Kaputt. Ich könnte ale Zeit in einen komatösen Schlaf fallen und wünsche mir auf den Dienstag schon ein Wochenende herbei.
Überhaupt war ich in den letzten Jahren ja doch auch recht kaputtgespielt aus verschiedenen Gründen und bin daher froh, daß mich dann wiederum auch mal jemand freundlich umrannte, Fenster aufriß, mich auf den Kopf stellte, an den Knöcheln hochhob und Sand und ollen Staub aus den Taschen rieseln ließ. So etwas möchte ich jedem auf Krankenschein empfehlen.
Heute hielten unten am Hafen viele Menschen ihr Gesicht in die Sonne, als hätte dieser Miniaturwunderlandwinter Monate gedauert. Saßen draußen vor Lokalen, löffelten Suppen und Salate, summten deutlich modulierter vor sich hin, bald werden in der Öffentlichkeit türkisfarbene Yogamatten ausgerollt, Muskelpartien angespannt und gesungen: "I'm coming around!" Wehe, der Winter hebt noch mal seine Faust.
>>> Geräusch des Tages: Max Sharam, Coma
Sonntag, 6. Januar 2019
Mit einem Stoßseufzer kann ich bekunden: Die anstrengenden Feiertage sind überstanden, alle Lieder abgesungen... aber, halt, nicht alle. Gleich vieler Mitmenschen aus Show- und Rundfunkbranche bin ich nämlich übers Jahr am sogenannten Troubadix-Syndrom erkrankt und habe nun den Ausdruck über die Musik für mich entdeckt. Die tumultartigen Ereignisse beim einzig geöffneten Feiertagsbäcker waren nämlich derart traumatisierend (allein unter Ellbogenfrauen), daß ich es gar nicht niederschreiben mag. Nur der Umweg über das ehrlich erzählende Lied, das ich im gesteigerten Singzwang schnell in den hermetischen Tonstudios im angesagten High-Energy-Sound aufgenommen habe, hilft mir, den Druck abzubauen und Angst und Grauen zu besänftigen. Es gibt kein Brot, möchte ich also dergestalt berichten - ganz wie ein mittelalterlicher Herold des großstädtischen Alltags. Das könnte ein ganz neuer Bloggertrend werden, statt Republica dann Treffen auf der Wartburg.
Nun ja, ich sage es mal so: Verhungert bin ich nicht. Jupiter steht günstig, es gab tatsächlich ein letztes Stück Brot, und auch sonst sprudeln die Gewinne. Erst waren es 14,70 Euro, drei Wochen später bereits 17,- Euro, die ich beim noch gelegentlich gespielten Lotto gewonnen habe. Zwar riet man mir eindringlich, nichts von meinem Gewinn zu berichten (wegen Nachstellerei, falschen Eheversprechen und Bettelbriefen), aber sind Mund und Portemonnaie erst übervoll, ist es schwer, die Zunge zu halten.
Den Rest einfach ausschwitzen. Interessantes, Aufregendes, Abenteuerliches, Merkwürdiges, Tragisches aus dem Vorjahr abwiegen, in die Liste eintragen, die Kanopen mit den Erinnnerungsfetzen in die Kammern mit den Jahreszahlen drauf stellen und mit großen Steinquadern verschließen. Neues Spiel, neues Glück.
Sonntag, 30. Dezember 2018
Als der Herr Cabman vor Jahren ein Baumhaus baute, war ich ja schon ein wenig neidisch. So was hätte ich als Kind ja auch gerne gehabt. Wir aber waren so arm - wir hatten keine Bäume. Nun heißt erwachsen werden ja auch, sich seine Kindheitsträume einfach so erfüllen zu können, also oft, ohne bei Eltern betteln oder sich vorm Weihnachtsmann rechtfertigen zu müssen. Also habe ich dieses Jahr, denn wann, wenn nicht jetzt?, ein Baumhaus gebaut. "Kann ich selber!" war mein Motto, und es hat auch nur fast so lange gedauert, wie das echte, denn Material wollte sortiert, kleingedruckte Nummern gefunden und störrische Teile in Form gebracht werden. Jetzt steht aber alles, mit Eichhörnchen und Schneemann und genügend Platz, daß jemand, der oder die kleiner ist als ich darin Bücher lesen kann. Perfekt.
Als nächstes werde ich darin einen kleinen Lautsprecher installieren, um beim Lesen ein wenig Musik hören zu können. Ein Klavier paßt leider nicht hinein und vor allem nicht die Leiter hoch. Sonst könnte ich das als Studio nutzen, so wie Meredith Monk in dieser hübschen Haustour, in der sie durch ihr Studio in Tribeca in New York (das ist eine große Stadt in den USA) führt, in dem sie mit ihrem Klavier und ihrer Schildkröte lebt.
Ich bin derzeit sehr angetan von Meredtih Monk, die mir früher sicher zu "hippiesk" oder anstrengend vielleicht vorgekommen wäre. Seit ich mich stärker für Minimal und Neue Musik interessiere, gefallen mir ihre Arbeiten aber sehr gut. "Be here - and don't waste your life", sagt sie am Ende, und das gefällt mir in meiner embryonalen Ruheposition auf dem Sofa, auf dem ich mit regelmäßigen Atemzügen nach der Arbeit meiner Zen-Meditation nachgehe, sehr gut.
Nachdem ich neuerdings das Klavier gut meistere, werde ich mich nun abstrakten Gesangstechniken zuwenden, um Energie ins Zwerchfell zu pumpen und vom Fenster meines Baumhauses aus die Elemente anzusingen.
>>> Geräusch des Tages: Meredith Monk, Songs Of Ascension
Dienstag, 25. Dezember 2018
Wenn ich mich nicht wieder verrechnet habe, sind es heute 15 Jahre Das hermetische Café. 15 Jahre schönste Reportagen aus aller Welt und Einbildung. Da habe ich schnell einen Baum aufgestellt, mit Kugeln beworfen - ich habe dabei sogar einen Stern getroffen, siehe Einschußloch. Denn Feste muß man feiern, wie sie fallen.
Meine Meinung.
Zur Feier habe ich schnell zwei Bilder gemalt, hier in der Schule von Fontainebleau geht das ruckzuck, auch wenn die Bilder gar nicht danach aussehen, so detailreich sind die aufgetragen, so akribisch sind die Untergründe vorbereitet. Aber das zeichnet (!) den Meister aus: Er läßt es einfach ausschauen. Es sind reportagehafte Beobachtungsstudien, zum Teil aus einem Traum. Aber der geht euch nichts an.
Ich habe dieses Jahr ein wenig Malgrund reingebracht. Aufgeräumt, neu aufgestellt, Energie freigesetzt. Manches war sehr anstrengend, wie meine Reise nach New York. Auch wenn nicht alles so ausgegangen ist, wie ich es mir gedacht hatte, bin ich immer noch stolz. Man muß bedenken, daß ich es vor ein paar Jahren kaum bis zum Supermarkt schaffte. Jetzt schon bis zum Wonder Wheel. Macht das mal.
Jemand hat in New York für mich gekocht, das war sehr entzückend. Hinter den überwundenen Grenzen gibt es aber gleich wieder neue Grenzen, man muß dann erstmal mühsam neue Karten zeichnen und sich in Ruhe von einem Observierungsballon aus umschauen. Zur Belohnung ein paar neue Klamotten gekauft, immer noch keinen Haarschnitt. Ein bißchen Kunst erworben, dies und das und Musik gemacht. Ich bin jetzt 12-Töner und lege die Fesseln des 4/4-Taktes ab. Elbphilharmonie ist angefragt, man soll ja nicht klein denken. Muß noch üben, aber läuft.
Schöne Weihnachten. Hier gibt es zu wenig Marzipan.
>>> Geräusch des Tages: Kid37, Horch, was kommt von draußen rein
(aus: Weihnachtskammeroratorium für Klavier, Opus #1)