Sonntag, 9. Dezember 2018
In für mich aller Frühe ein Labortermin, ein wenig gescherzt, Werte verglichen, die Praxis dort ist wirklich sehr entspannt. Die Ärztin hat ein Plektrum auf ihrem Tisch, ich betrachtete es fasziniert, berichte von einer gewissen Zufriedenheit, ziehe mein Jahresresümee, sie ist vergnügt. Sie will über New York reden, meine Erfahrungen hören. Wir sprechen über die 15 Sorten Milch dort, und wie lange es dauert, bis man eine normale gefunden hat. Wie ich das auf dem Flughafen gemanagt habe, die Hitze, die Wegstrecken. Und privat? will sie wissen, und beugt sich verschwörerisch vor.
Anschließend zur Fabrik, dabei über Glücksfragen meditieren, dazwischen Atemübungen für einen ausbalancierten Ruhepuls. Auf jedes Ein folgen zweimal Aus, im Nebel etwas vorsichtiger. Dieses Jahr haben einige schnell die Halle gefegt, sich selbst Absolution erteilt, auf nicht mal nonchalante Weise. Kein Aufwallen. Im Keller die Schränke und Regale neu sortiert. Graue Kleidung nur noch, nur noch Reduktion. Schmeiß das Letzte nüchtern über Bord.
Vor dem Tor aber stehen Rettungswagen. Irritierend bunte Lichter in der trüben Luft. Es gibt Gewisper, erste Namen. Die Kollegen tragen ein ernsthaftes Gesicht. Es sind keine guten Nachrichten. Der Notarzt gab irgendwann auf.
Samstag, 24. November 2018
Meine jahrelange Beschäftigung mit der Bienenkultur hat mich zum besorgten Wissenschaftler gemacht. In meinem geheimen Geheimlabor forsche ich derzeit an Wespen, die widerstandsfähiger zu sein scheinen. Denn niemand sprich von einem "Wespensterben", oder aber die Presse schweigt sich wieder einmal notorisch darüber aus. Dort wurde zuletzt die Züchtung einer genetisch veränderten und nunmehr selbstötenden Mücke gefeiert. Wovon Fische leben sollen, fragt dabei keiner. Die Wespe werde ich mit der Biene zu einer Bespe oder Wiene kreuzen. Widerstandsfähig gegen Varroa, und statt Glyphosat fressen die nur Pflaumenkuchen von weißen Tellern. Kultiviert und widerstandsfähig. Ich warte nur noch auf ein prometheanisches Gewitter, um genügend Elektrizität zu haben, mein Flügelwesen zum Leben zu erwecken.
Widerstand zeigte heute auch ein Mann vor mir im Supermarkt. Dort mußte ich nach Einbruch der Dunkelkälte noch hin, um für weitere fotochemische Experimente auf den letzten Drücker Gelantine zu besorgen. Der Typ stand vor mir an der Kasse und rührte sich auch nach dem Bezahlen und einem freundlich gehauchten "Verzeihung?!? nicht weiter, so daß meine Waren unerbittlich vom Transportband weitergefahren und vor seiner mit lebensermunternden Sprüchen bedruckten Einkauftasche in die Höhe gestapelt wurden. Dabei hatten mich einige zum sogenannten und frenetisch gefeierten "Black Friday" erhaltene eMails eindrücklich zum "Zuschlagen" aufgefordert. Das mache ich allerdgins nur nach Dienstschluß unten am Hafen (aber immer fair!), ungern aber im Supermarkt.
Der schließt. Zuviele Kassenblockierer, zu wenig Umsatz. Zu selten die Frische vorgezogen, zu lieblos Angebot und Präsentation. Ich hätte die Belegschaft ja mit Bienen gekreuzt, um sie immenemsig durch die Regalreihen schwirren zu lassen, Ablaufdaten kontrollieren, Schilder hübsch nach vorne drehen und Schlurfer und Blockierer ordentlich anstacheln. Oder mit Elektrizität, gewonnen aus Gewitterblitzen, aus dem Laden zu treiben.
Montag, 29. Oktober 2018
Ich bin immer ganz beschämt, wenn sich jemand so viel Mühe macht - ein Kuchen! Mit Verzierung, auch wenn die auf dem Weg ein klein wenig gelitten hat. Aber was sage ich, angemackt wie der Jubilar! Bin eben kein Kid mehr. Also passgenau und überaus lecker. Weil ich keine Kerze hatte, habe ich einen Schirm spendiert, darunter soll niemand weinen. Apropos, Kuchen. Christine McConnell, mit der ich gerne verheiratet wäre, weil es dann JEDEN TAG Kuchen gäbe, hat jetzt ihre eigene Gruselgebäck-Serie bei einem bekannten Streaminganbieter. Ich habe keinen Streaminganbieter und keine gebügelten Tischsets, aber einen wunderbaren Kuchen.
Wenn das Jahr rund wird, kommt man auch ins Besinnen. Vor allem, wenn man dazu wegen der Zeitumstellung auch noch 25 Stunden Zeit hat, das ist ja schon mal das erste Geschenk. Jetzt hieß es aus Übersee, ich solle aber nicht gleich wieder losheulen (oder so ähnlich, ich hatte das Wörterbuch nicht am Mann), folglich dachte ich an muntere Momente. So hatte ich als junger T-Shirt-Träger zeitweise ein Faible für die Arbeiten von Adrien Sherwood. Bei dessen Projekt New Age Steppers waren bekanntlich auch Leute von The Slits dabei, deren Doku ich zuletzt mitproduziert gecrowdfunded habe. (Kommt auch ins Kino!) So hängt alles mit allem zusammen!
Als Kind aus der Krachmacherstraße wäre ich wirklich gerne runter ins Studio37 gegangen, dort wo dieses Dub- and Dancehall-Projekt aufnimmt, hätte einfach eine Gitarre vor die voll aufgedrehte Lautprecherbox gestellt - und wäre schnell weggelaufen. Tür zu! Das tolle Feedback hätte dann Adrien Sherwood aufnehmen können. Jetzt macht man heute fast alles am Computer, nur mit dem Feedback ist das schwierig. Nun habe ich mir also so ein Effektgerät zugelegt, das Rückkoppelungsgejaule wie von digitaler Zauberhand erzeugt, so daß ich auch spät abends noch unter Kopfhörer Krach machen kann, ohne daß ein SEK mit der Kündigung kommt. Eine große Freude! Ich habe mit meiner kleinen Taschenreggaeband kurz ansimuliert, wie das klingen könnte. Leute mit Ohren am Kopf werden zurecht die Nachlässigkeiten im Mix bemängeln, betrachten wir es also als Skizze und danken wir alle Gott, daß ich nicht das Karaokegerät gekauft habe. Wirklich.
Ich habe auf der Ausstellung ein Bild von Moki gekauft. Über ein anderes denke ich noch nach. Denn wie ich heute las: "Wer alles verjubelt vor seinem End, der macht das beste Testament." Jetzt einen Kaffee vom Balkan und weiter nachgedacht und Krach gemacht.
>>> Geräusch des Tages: Kid Sherwood, Studio37 #1
Freitag, 26. Oktober 2018
Der Künstler Glen Baxter hat sich auf Instagram ein wenig über mich und meine Erzählungen lustig gemacht oder die kleinen Filmabende, wie ich sie auch nenne. Da heißt es immer, ich könne so fesselnd erzählen, da ist das mit einem ganz anderen Zungenschlag gemeint. Glen Baxter, ansonsten ein guter Mann.
Instagram, eine Plattform, von der ich immer dachte, sie sei der Schnutenfotografie vorbehalten, macht mir gerade eine gewisse Freude. Wenn man die Tanga-Girls und Sportstudio-Boys ausfiltert, hat man schnell eine interessengestützte Blase beisammen aus privaten Kontakten und Künstlern aus aller Welt. Patti Smith darunter, die dort ihr kleines fotografisches Unternehmungstagebuch führt.
Die Tage werden also kühler, die Kontakte auch, die Boote sind alle fort ins Winterquartier. Müde bin ich, das ist nicht neu, stoße damit aber neuerdings jahreszeitbedingt auf Verständnis. Neulich suchte ich nach "Resthof mit drei Ziegen", so weit ist es also schon. Demnächst dann wohl: "Kleiner roter Sportwagen". Vielleicht auch erstmal "Winterdecke". Die Heizung hat mich vergessen, die Hausverwaltung auch. Derweil usselt sich das Wetter so runter, der Schokoladeschrank ist leer. Der Fernsehdoktor hat eine wichtige Nachricht gegen 19.20 Uhr: Wenn schon ein Glas Rotwein abends, dann auch "jeden Tag".
Sonst nutzt das alles dem Herzen nicht. Von Herzen nicht.
Dienstag, 3. Juli 2018
Ich komme nach Hause in mein Traumlabor, das aussieht wie ein explodierter Reisekoffer, und versuche, meinen Rhythmus wiederzufinden und aus komatöser Erschöpfung hinübergleitend, Wachen, Schlafen, Vorstellung und Wirklichkeit auseinanderzumeditieren. Überraschende Telegramme manchmal mißverständlichen Inhalts, es scheint so die Zeit dafür, interkulturelle Differenzen und diplomatische Verwicklungen aus dem Märchenland als sei alles ein Traum in einem Traum: so die grimm'sche Lage.
Auf dem Tisch liegen weitere Schlüssel, ich werde den Brotkrumenspuren nachgehen, Abzweigungen überprüfen und immer gut über die Schulter blicken. Mein Leben sei einfach, höre ich. Darüber wird noch zu reden sein. Erstmal Maschinen anwerfen.
>>> Geräusch des Tages: Max Sharam, Crashlanding
Samstag, 26. Mai 2018
Wenn ich jetzt bei dieser trägen Hitze auf der Chaiselongue in meinem Edward-Gorey-Case-Study-Salon sitze, den dicken Bauch in einen viktorianischen Pelzmantel gehüllt, hege ich Gedanken. Von links, nach rechts und an den Blumen vorbei in den Brokatvorhang hinein. Ein Tag ist noch zu planen. Im nahegelegenen Drogeriemarkt mit Herz könnte ich eine Tube Zahncreme erstehen. Die liegt, das weiß ich genau, direkt vorne im Gang, wo auch die Zahnbürsten sind. Denn die Dinge sind, anders als in meinem Kopf, meist wundersam geordnet und auf zarte Weise miteinander verbunden. Darüber könnte man mal gesondert nachdenken. Schon springt es weiter zu einer Frau, die gern sehr große Hüte trug. Wie angenehm wäre es doch, säße die Frau mir gegenüber, nur mit einem Hut bekleidet. Der Hitze wegen. Ein schönes Bild wäre das. Gleich einer sonnigen Allee, die ich bewundern könnte. Auch wenn sich das nicht gehört. Und leider ist es ja meist auch so, daß es selten nur bei einer entspannten Betrachtung bleiben kann, weil der Mensch dann ungeordnet unruhig wird. Wie ja schon das berühmte Zitat sagt, daß Unglück nur daher rühre, weil der Mensch nicht mal einfach ruhig in seinem Zimmer sitzenbleiben könne. Anstrengend. Immerzu muß etwas geschehen!
Immerzu aber springen auch die Gedanken weiter, wie die Fliege, die hier ihre Runden brummt. Ohropax brächte Ruhe, fällt mir unvermittelt ein. Auch die könnte ich, ohne bislang einen Millimeter weitergekommen zu sein, im Drogeriemarkt mit Herz kaufen. In welchem Gang man aber die nun findet? Ich werde später fragen müssen, eine Frau, die zwar keinen Hut, aber einen Dienstkittel mit Herz trägt. Die Antwort ist pikant, von daher sei hier weiter keine Rede. Das Ordnungssystem hingegen, das ich eben noch lobte, ist mir nicht ganz klar. Darüber werde ich gesondert nachdenken müssen. In bedächtiger Ruhe, denn noch immer quillt Hitze durch die Vorhangfalten. Daß dagegen noch keine Verordnung greift, lasse ich Gedanken lose Form finden. Man sollte dagegen in kurzen Hosen protestieren, allein, um die Dringlichkeit zu demonstrieren. Fußball ist heute auch, in kurzen Hosen: Hier weiß ich wenigstens, woran sich dieser Gedanken entlanggehangelt hat. Mein Gott, Gerenne bei dieser Hitze. Schweiß steht mir auf der Stirn. Jemand sollte mir mit einem großen Hut Luft zufächeln.
>>> Geräusch des Tages: Edward Elgar zu Jayne Hinds Bidauts Tintypes (zum Bewundern)
Mittwoch, 16. Mai 2018
Die beste Entscheidung zuletzt war, den Vertrag mit meinem Telefonanbieter zu kündigen. Ich sah mich ja bereits im Ringelhemd auf einem Acker stehen, um munter tschilpenden Vögeln Zeichen zu geben. Ein trostloser Job am Feldrand der Gesellschaft. Vielleicht bei den Buddenbohms, deren Garten ich am Wochenende besichtigte. Seit der Kündigung aber läuft mein Internet astrein. Toi-toi-toi. Das mache ich jetzt jeden Monat so. Kündigen, aber innerhalb der Frist nicht bestätigen, zack, Internet läuft. Daher ja auch der Ausdruck: den Laufpaß geben.
Der guten Ratschläge sind natürlich in solchen Situationen nicht wenige. Der Mensch will nicht, daß sein Mitmensch in kommunikativer Not ist, manch einer beteuert Verständnis und behauptet, "auch viel im Internet" zu machen, "Online-Banking" z. B. und ich sage, ja, schlimm, wenn man keines hat. Ich solle die Farbe meines Anbieters wechseln, überhaupt, nicht beim Testsieger zu sein, und dann nicht einmal Smartphone, wie alt ich eigentlich noch werden wolle mit dieser nach außen getragenen Altmode.
Wir sind noch einmal davongekommen, möchte man Thornton Wilder nach dieser schweren Prüfung ins Internet hineinzitieren. Davongekommen aber nicht vor der Steuererklärung, die ich dieses Jahr nicht wie sonst traditionell am Tag der Arbeit erledigte. Schwitzen muß ich nun darüber bei Wärme in meinem humiden Dachsalon. Vor dieser Art Datenverarbeitung schützt mich aber keiner. Darum muß ich mich also noch kümmern, und dann dieses und dann jenes. Ihr ahnt es nicht, und nur wenige wissen darum. Ein wenig gescheucht fühle ich mich.
Einige sind mittlerweile schwer krank. Weil wir nicht jünger werden. Ich erinnere mich, wie eine Freundin mal meinte, Menschen die nicht richtig funktionieren, gingen ihr schwer auf die Nerven. Nun, dachte ich wiederum dabei still für mich, bei solchen Funktionsstörungen weiß man immerhin sofort, was drohen würde. So kam es auch. Nicht aber lange ärgern, sofort wegscheuchen und den Laufpaß geben. Neue Verbindungen herstellen, Router resetten. Es läuft dann schon. Läuft es.
Dienstag, 24. April 2018
Auf einem meiner letzten Spaziergänge durch die nahe Parkanlage fühlte ich mich ein wenig beobachtet. Nur so ein vages Empfinden, in der Regel ist das ja Quatsch, da war ja kaum ein Mensch außer mir. Bis ein Baum mich ansprach, so verrunzelt vertraulich aus der Borke heraus, er hätte da was, das er mir sagen müsse. Er spräche aus meinem Traum zu mir, richtete er aus und bewegte ein paar Zweige. Ob ich denn auch so Wurzeln schlagen wolle so wie er? Oder ob es nicht langsam mal vorwärts ginge.
Ich erwiderte, wach auf, Alter. Während du hier rumgammelst, nämlich, und mit den Kumpels vom Walde her über tief im Boden verwachsene Pilzfäden kommunizierst, wie die Biologie mittlerweile weiß, ein Wald-Weites-Web eines Hyphengeflechts, den Lan-Kabeln der Natur, bin ich ja aus der Welt geworfen. Mein Kommunikationsanbieter sagt "Oh, oh", also zweimal, der angekündige Techniker der Telekom (oder vielleicht auch eine Technikerin) kommt gleich gar nicht, warum auch, man ist ja Fremdkunde. Und zwar ein ziemich angepißter. Das wiederum konnte der Baum in meinem Traum gut nachvollziehen. Der kennt Hunde.
Ich aber wachte auf aus schweren Träumen - und hatte kein Internet mehr. Oder Telefon. Oder irgendwas. Ein Freund tippt diese Zeilen vom Stenoblock. Ich starre auf blinkende grüne Lämpchen mit maliziösem Lächeln. Vielleicht, denke ich, war dieses "Online" auch nur eine Phase. Vielleicht soll das Leben etwas anderes sein.
Samstag, 14. April 2018
Selbstverständlich hatte ich wie ihr alle Viv Albertines neues Buch To Throw Away Unopened lange vorbestellt, falls jemand fragt, weil der Internetriese sagte, er besorgt mir das dann sofort in England. "Sofort" bedeutet aber bei AmazonDE wie wenn ein Heimwerkerehemann sagt, "Schatz, ich kümmere mich darum!" - also "Juni". So daß ich die Vorbestellung sofort nach Erscheinen wieder storniert habe und direkt bei AmazonUK bestellte, die mir das wichtigste Buch der Saison jetzt nach fünf Tagen bereits auf den Tisch legten. Wäre ich im internationalen Storno und Handelsverkehr nur immer so schlau!
Jetzt kann es meinetwegen bis "Juni" durchregnen oder jedermann schnöde Einladungen zum Kaffee ignorieren, denn heute habe ich die Packstation komplett allein befüllt, in Ölzeug gegen den sogenannten "Blutregen", der Hamburg treffen sollte, gepackt den Supermarkt leergeräumt (Vorräte!) und die Haare für den Filmabend mit einer Diva frisch gekämmt.
Dann aber hohe Zeit für meine kleine schrullige Rippenprellung und mich fürs Sofa, gegen das usselige Temperatureinknicken in Bücher gehüllt, der abgeschabte Wintermantel ist, falls jemand fragt, mittlerweile ins Sommerlager verräumt. Übrigens, falls auch hier jemand fragt, kommt die David-Lynch-Biografie mit vernünftiger Bibliografie und Stichwortverzeichnis daher, etwas, was deutsche Verlage ja auch nicht mehr so recht auf die Bucheditionskette bekommen. Es wäre so viel Klage zu führen! Stattdessen habe ich Wäsche gewaschen und die Spülmaschine ausgeräumt. Einfach mal was Gutes tun!
Karl Hubbuch, falls jemand fragt, ist ein Maler und Chronist meiner Jugendtage, aber immer noch auf der Höhe der Zeit. Hier sein Bild "Twitter" und hier sein Bild "Tinder".
War eben alles immer schon da.
Mittwoch, 11. April 2018
Das Aufklaren des Wetters schwemmt derzeit viele Touristen an meinen Notruf Hafenkante. Mittags sitze ich mit Herren und Damen aller Länder an Draußen-Tischen, so wie neulich mit den zwei Mlles aus Frankreich, denen ich galant erklären konnte, was das Schild bedeuten soll, das jeden Tag dort hängt: "Heute Selbstbedienung".
Bedeutung liegt ja häufig im Auge des Betrachters, und wenn man von dort aus mit affektiver Aufmerksamkeit schaut, so lasse ich mich von einer ganz und gar nicht weiß getünchten Wand herab belehren, sehen Dinge anders aus als sonst. Es muß also nicht gleich ein exotischer Schnaps sein, mit dem man sich zum Schauen (oder Reden) Mut antrinkt. Einfach mal so, locker und vor allem: Freundlich ist ja auch ein Weg.
Wenn ich, halbwach, mich so umschaue, ploppen gerade überall die winterverhärteten Knospen auf. Frauen zerren ihre bunten Kleider aus den Schränken, man möchte sie bewundern, allein die Vorsicht lehrt, dies lieber auf Blumen und Alleen zu beschränken. Aber sie sehen gut aus darin, aufblühende Menschen mit Hoffnung im Gesicht.
Vor den Türen letzte rabenschwarze Nachtgewächse. Sie rucken und gurren, scharren mit dem kranken Krüppelfuß. Sie wissen nicht, sie wollen nicht, sie spüren Hunger und malen mit der Asche auf dem Finger ihre Zeichen. Nur immer heraus, mein Schatten, mein Bläßchen. Man muß ja nicht gleich fressen, was man liebt.
Ein jeder sieht, was er sieht.