Montag, 7. Juli 2008
Heute morgen erwacht aus wilden Träumen, gleich wieder geschwitzt, gefährliches Zeug geredet - bis mir einfiel, daß ich noch den Mund würde halten müssen, weit offen aber. Ich gehe ja furchtbar gern zum Zahnarzt, also zu meinem Zahnarzt, denn wir lachen viel und bohren nicht allen Dingen nach. Was anderen der Hamam, ist mir zudem die Prophylaxe, die ich mir gönne, wenn sonst schon nicht viel mit mir passiert. Auf einer barbiepinken Liege liege ich bald wohlig ausgestreckt, überlege kurz, meinen von allen schönen Seiten angeknabberten Nachtschlaf nachzuholen, aber da beugt sich schon eine junge attraktive Blonde über mich, ganz so als sei sie eben einem eiskalten schwedischen See entstiegen, und beginnt damit, mir allerhand chromblitzende Gerätschaften in den Mund zu stopfen. Bald röchelt, schnorchelt und schnauft es rund um Zunge und Zahnbestand, sprüht kühles Wasser auf mein Gesicht, gleich einer vattenfallenden Gischt, während die frischwangige, knäckebrotgesunde Dame eifrig poliert, mir behutsam, fast zärtlich zartfühlend Lippen und Wangen betupft. Ich betrachte ihre Piercings und wie das Licht sich durch ihr weizenblondes, leicht zerzaustes Haar bricht, atme eine Spur von ihrem süßen, leichten Morgenschweiß, der von heiterer Anstrengung spricht und sich mit den minzigen und medizinisch reinen Fluorgerüchen ihrer Pasten und Tupfer mischt. Ich brauche Wasser, dieser Durst immer und immer so plötzlich, trinke wie ein guter Gast und will gerade selig einschlummern, da übernimmt ihr Chef.
Herr Doktor, sachlich, freundlich, wie immer zu Scherzen bereit, kommt auf mein Kernproblem zurück: Der ungekrönte Achter. Solange schon führt er ein nicht ganz sorgenfreies Schattendasein tief in meinem Mund. Nun reden wir, die Morgenstunde, über Gold und den allgemeinen Preisanstieg von Edelmetall. Ein blitzendes Krönchen, vielleicht, es gilt zu überlegen. Ich bin bereits im Vorfeld entzückt. Blitzen und Blenden werde ich, gleißen wie meine Zukunft - ganz so als wäre plötzlich alles, alles gut.
Freitag, 4. Juli 2008
Und dann sagte ich: Ich will das alles nicht wissen. Ich weiß das eine bereits sehr genau: Wahr ist, was wahr ist. Sagen die Sterne. Und daß das was war, nicht mehr da ist.
Distanzlosigkeit, da hilft nur ein Schulterzucken. Draußen aber, heute, Regen, Regen und dann noch ein wenig mehr Regen. Ein Tag, an dem man nur ein einziges Telefonat führen möchte. Mit Roger Kusch.
Sonntag, 22. Juni 2008
Wie angenehm doch der Umgang mit Menschen ist, die aufmerksam sind, ohne ihre Position zu verraten. Die einen nicht mit Lethargie einhüllen, wie ein Auto voll mit Kohlenmonoxid.
Die Leichtigkeit nicht mit Leichtfertigkeit verwechseln.
Samstag, 21. Juni 2008
Wir reden nicht im Superlativ der großen Städte. Wir nehmen uns die schönen Momente, die kleinen, und sehen den Regen nicht.
Aber wir hätten auch gar keinen Schirm gehabt.
Freitag, 20. Juni 2008
So ist Fußball: Kaum haben unsere Jungs die Österreicher nach Hause geschickt aus dem Wettbewerb gezwungen, sagt sich lieber Besuch aus Wien an und bringt, charmant wie die Wienerinnen sind, nicht nur sich selbst, sondern auch noch tolle Geschenke mit. Paris, Picknick, gute Gaumendinge waren die Stichworte, und ich frage mich gerührt, wieso Menschen häufig so nett zu mir sind, wo ich doch häufig nicht so nett zu Menschen bin. Für das Viertelfinale ziehen wir uns eine lauschige Ecke beim Portugiesen zurück, leider ohne Sichtkontakt zum Fußballfeld, dafür mit Sicht aufeinander und Ohren für ein Gespräch und das Interpretieren zahlreicher gepresster Aaaaahs, enthemmter Ooooohs und gequietschter Uiiiiis aus der Fankurve. Die Neuauflage des Spiels Frohsinn gegen Saudade verdirbt weder Koch noch Gästen die Laune, mit raschen Flankenwechseln werden ernste und heitere Themen gemischt, ein Stück weit durch die jüngere Vergangenheit gekreuzt, Kopf geschüttelt und dann vorausgeblickt in die Zukunft. Zum Beispiel nach vorne, auf die Reeperbahn. Kaschemmen gegen Clubs, Molotow gegen Mandarin, dazwischen Neon, Tänzerinnen an der Stange und immer wieder Schlaandhallodris beim Hupkonzert.
Selbst der Nachtbus, wo sind wir eigentlich, zeigt sich andekoriert, alle schweinsteigen, hihi, dichte ich im Stillen, Sagres sei Dank, aus mir wird noch mal ein Großer werden; erst aber husch, ab ins finstere Körbchen.
Donnerstag, 19. Juni 2008
Gerade mußte ich tatsächlich überlegen, wie man das Magazin befüllt. Es ist das eine, sich selbst oder die Wohnung zu vernachlässigen. Aber seine Staffelei doch nicht. Viel zu lange schon. Das rächt sich, wenn man die Koffer lüftet und merkt, daß plötzlich die Blende hängt. Die Trägheit der Mechanik. Das langsame Surren, wenn der Verschluß abläuft, der kurze Moment, wenn das Licht einfällt.
Die Wiederentdeckung des langsamen Herantastens, mit demütig gesenktem Kopf, der seitenverkehrte Blick auf die Welt, der ganz neue Wahrheiten enthüllt. Eine von vielen, je nachdem, welcher Perspektive man nachhängt.
Viele vergessen das. Sie bilden ihr Gucklochurteil. Sie halten ein Auge geschlossen.
...geh doch still woanders hin.
(Aber gepflegt. Damit ich in Ruhe dichten schlafen kann.)
Mittwoch, 18. Juni 2008
perhaps it is because he hears a different drummer.
Let him step to the music which he hears,
however measured or far away.
(Henry David Thoreau. Walden. 1854.)
Gestern im Schanzenpark gesessen und über das Thema Berufsjugendlichkeit nachgedacht. Wie man so rumläuft zum Beispiel im Einheitsornat aus Lastkraftwagenplane und Segeltuchschuh. Immerhin habe ich keinen Apfel in der Tasche. Hier ist alles nur ein Butterbrot.
Sonntag, 15. Juni 2008
Manchmal, so scheint es, braucht man nur ein Elektrokabel, einen Deckenhaken und eine Flasche Schnaps für das große Glück. Dann wiederum scheint das kleine auch verlockend: ein Flohmarkt vielleicht oder ein bißchen Kulturkarneval. Die Altonale bietet jedes Jahr von allem ein bißchen - Schlurfschlenderer, Lautstimmler und Gitarrenschrummler, dafür fast prominentenfrei. Irgendwo war Unterwäsche aufgereiht, irgendwo gab es Briefbeschwerer, irgendwo traf ich Bekannte. Das Glück bot keiner feil, nur heiße Suppen, gut und scharf.
Gefallen haben mir die kleinen Illustrationen von Paulina Archambault, die wie Kinderzeichungen aussehen. Sie unterhält auch einen Shop im Netz. Sehr sympathische Person, sehr herzlich; aber das verraten ja schon ihre Bilder.
Man muß das alles aufnehmen. Das Neue, das Gewitzte, die Schätze unter dem Staub. Weitermachen, immerzu.
Donnerstag, 12. Juni 2008
Heute morgen, sehr früh, hieß es wieder Frohe Miene, böses Spiel. Kein Kaffee, aber Blut und zehn Euro bitte. Ich bin da ja nicht so für. Diese bei manchen ja offenbar schwer beliebte Extremsportart "Frühaufstehen" (die U-Bahn war voll von solchen Fanatikern) hat nur einen einzigen mir ersichtlichen Vorteil: Ich schaffe es im Anschluß auffallend zeitig ins Herz der Finsternis Gartenzwergfabrik. Kollegen, der Chef, alle entzückt oder erstaunt, Herr Kid, so früh! oder Brav, Kollege, brav! schallt es durch den langen Flur, ganz im Stil der alten Comics aufgesagt: "Super, Herr Gaston!"
Vorher war aber Aderlaß. Leider saugte diesmal nicht die interessante Emo-Punkette an meiner Ellenbeuge. Doch war es auch so sehr schön, denn auch zwischen der ebenfalls sehr charmanten Laborantin und mir paßt allenfalls ein Latexhandschuh. Danach endlich hinein ins Sprechzimmer - zu ihr.
Na, fragt sie. Wie geht es ihnen denn mittlerweile. Besser als beim letzten Mal? Ich mache einen auf norddeutsch und sage "och-jo" und "muß ja" und außerdem sei "Fußball", das lenke ab vom Kardiologischen. Sie findet das schön, ich denke, denkste. Die Werte seien auch viel besser, sozusagen top. Sie strahlt mich fröhlich an dabei, und ich bin wieder gleich entzückt. Betasten will sie mich heute nicht, lieber reden. Ohne Kaffee fällt mir das morgens schwer. Ob ich nicht trotzdem noch einen Kollegen aufsuchen wolle? Nein, sage ich. Ehrlich gesagt (und wann ist man das schon, so beim ersten oder zweiten Treffen?), könne ich keine weißen Kittel mehr sehen. Sie schaut kurz an ihrem herab, lacht dann aber erneut und meint, das könne sie gut verstehen. (Kurz denke ich, tun wir doch leger, ziehen das Ding aus, ich hole einen Kaffee und dann reden wir noch... ein bißchen. Aber für zehn Euro bleibt dafür keine Zeit.)
Mir sei mehr nach Insel, setze ich nach. Da wird sie aufmerksam. Hiddensee, sage ich knapp, als sei damit alles gesagt. Sie kennt die Insel nicht, hat aber viel davon gehört. Und gleich hört sie noch ein wenig mehr: Ich lobe den Landstrich, die Menschen und das Klima, die Ruhe. Die Ruhe vor allem. Oh, meint sie und schaut schmerzlich. Ruhe tue bestimmt gut. "Nur ein Internetcafé!" trumpfe ich auf. Über ihre schönen Augen legt sich ein Hauch von Sehnsucht. Es würden ja viele Künstler dorthinfahren, habe sie gehört. "Ich, zum Beispiel", nicke ich. Manchmal liefen Menschen Gedichte deklamierend am Strand entlang. "Und abends sitzen alle im Wieseneck." Ob es so sei wie auf Sylt, will sie wissen. Ich protestierte, bin entsetzt. Kein SchauSchau und kein SchiSchi. Keine Leute, die tagsüber schauspielern und abends nicht damit aufhören. Mit denen hätte ich schon beruflich genug zu tun. Alles ganz bodenständig. "Perfekt für ein Projekt", sinniert sie.
"Kommen Sie mit", schlage ich vor. "Wir könnten gemeinsam das Drehbuch für eine originelle Arztserie entwickeln." Wir lachen und glucksen entzückt, beschließen, den Kontakt nicht abbrechen zu lassen und verabreden uns für das nächste Quartal - während sich surrend die Blutdruckmanschette um meinen Oberarm schnürt. Rrrrrrrr.
Anschließend bin ich zu wilden Experimenten bereit: Zum ersten Mal in meinem Leben kaufe ich so einen Kaffee zum Mitnehmen. Das ist, sollte ich vielleicht besser erklären, ein Pappbecher mit Kaffee, darüber kommt ein Plastikdeckel, der ein wenig an eine Schnabeltasse erinnert, und das kann man dann kaufen und mitnehmen und unterwegs trinken. Sehr modern, gibt es sicher bald überall.
Draußen vor dem Café, der Pulsschlag hat sich beruhigt, zeigt der Himmel eine scharf getrennte Wetterfront: links Sonne, rechts eine dunkle Wolkenformation. Ich zögere keinen Moment und gehe in eine Richtung los. Muß ja.