Donnerstag, 23. Oktober 2008


House of the Blassen Sun



Mein kleiner Stadtteil verliert zusehends seinen proletarischen Polyestercharme. Immer häufiger treffe ich junge Menschen mit Umhängetaschen aus Lastkraftwagenplane an. Auch wurden erste Mac-Books in der Umgebung gesichtet, von einem Café ist die Rede, man möchte die funknetzwerkbefeuerten Assoziationen gar nicht zu Ende denken. Günstige Mieten treiben diese Menschen in die im Grunde weißkartographierte Welt östlich der Alster, ein Gebiet, das vom vergewöhnlichen Eimsbütteleppendorfer oder galaoszenigen Pauli-Ottenser meist als unerforscht oder bestenfalls unzureichend zivilisiert bezeichnet wird. Auch beherrschen augenscheinlich Bilder kriegszerbombter Trümmerwüsten die satinierten Fernurteilshirne, denen wohl das Dröhnen der Bomber-Harris-Geschwader an weißen ipod-Hörern vorbei noch in den Ohren klingt.

Ja, und die Russen erst! Da immerhin ist etwas dran, denn im Vielvölkergemisch meiner U-Bahn fallen morgens bereits sehr viele sehr junge, sehr schöne Djäwuschkas auf, ins Stadtzentrum unterwegs auf dem Weg zur Sekretärinnenschule oder Supermodelagentur. Ihre Brüder, vom kargen Haar oft und großem Durst, sind meist zu dreist oder viert unterwegs. Aber immer mit sich selbst beschäftigt, Uhrenkollektionen in Plastiktüten mit sich führend oder Schorf abpuhlend. Einmal sah ich einen Burschen gedankenverloren mit seinem Schlagring spielen. Dafür sieht man kaum noch Kampfhunde im Revier zwischen LKW-Strich und Hamburgs tollster Lesebühne.

Die nun zuströmenden Studenten und Medienprostituierten werden mir wohl bald die Aussicht versauen. Die freidichtende Radikal-Bohème vom Rauhen Haus wird die Plakatwände besetzt finden von Edgar-Karten, Demo-Aufrufen und Ausstellungshinweisen. Bei mir im Haus hat nun eine Studentinnen-WG Einzug gehalten. Beim wöchentlichen Versuch, dort eine Tasse Zucker zu leihen, traf ich dort langhaarige junge Damen vor, zum Glück herrenbesuchslos, freundlich, das Leben noch vor sich. Während ich ihnen ein frisch ausgedrucktes Exemplar der Hausordnung überreichte (Keine Jogginghosen im Treppenhaus! Nur amtliche Musik!) und sie was von "schöner Aussicht" murmelten, ermahnte ich sie eindringlich, aber nicht weitersagen!. Sonst heißt es bald UNESCO-Weltkulturerbe, und als nächstes philosophiert Dittsche dann aus der pittoresken Tristesse vom Biller Grill ("Marion's Imbiss - Frühstück schon ab 5.30 Uhr!!!").

Die Welt ist im Wandel also. Eine neue Hölle von Qualen der Angst! (Strindberg). Sie werden hier Galerien einschleppen wie eine unheimliche Virusinfektion. Straßencafés und Bio-Bäckereien werden sich wie Spaltkeile zwischen Autohäuser und Gewerbebrachen zwängen und womöglich eine Krankheit namens Flair einschleppen. Blasser wird die Sonne hinterm Rauhen Haus versinken.


 


Sonntag, 5. Oktober 2008


Energy to burn

Once you get to the new moon in Scorpio on October 28, you'll be feeling your oats. All your plans will take flight and at long last, everything will be right with the world.

So muß das sein.


 


Samstag, 27. September 2008


...un Blomen



Die Fabrik, für die ich bislang noch am häufigsten arbeite, liegt nicht weit von Planten un Blomen. Manchmal stehle ich mich dorthin, um eine Weile am Wasser zu sitzen, den Fischen zuzuschauen oder auf das Geräusch der Enten zu lauschen. Manchmal hat man Glück, und niemand setzt sich auf die Nachbarbank, um dort kakophonisch laut in sein Mobiltelefon zu quaken.


Neulich saß ich dort mit Christian Schad. Mal sachlich werden. Bilanzen ziehen, die Reste einer schweren Operation. Jetzt stehen die Gefäße und Pakete da, verschnürt, aufgereiht, wie ein perverses Erntedank. Der Brief, den ich schon lange in der Tasche herumtrage. Worte, die auch nur noch mich selber interessieren. Am Steg sind die Linien klar markiert, die scharfe Kante am Steg. Man sitzt dort und kann die Kühle spüren, jetzt da sich der Sommer hinausgeschlichen hat. Das ist das Schöne, am schrägen flirrenden Licht des Herbstes. Man entdeckt in den Schatten wieder mehr.


 


Freitag, 26. September 2008


Wer war das?



Heute war vor der Fabrik alles zugeklebt mit kleinen Plakaten. Wie rührend.
Ich würde die Frage mit Ja beantworten.

Aber nur Arme, die hinterm Rücken keine geheimen Zeichen machen.


 


Montag, 22. September 2008


K2

Die Montagmorgenbesteigung ohne Sauerstoffgerät.


 


Sonntag, 14. September 2008


The Log Lady, rev.

There is a sadness in the world,
for we are ignorant of many things.

(The Log Lady, Twin Peaks.)


Für die meisten Dinge im Leben gibt es - so verspricht uns die Werbung - die Bankkarte der eigenen Wahl, vieles andere aber bleibt eben unbezahlbar. Dieses Stück Holz beispielsweise, das ich heute eigenhändig und den besten Anzug vergessend aus einem Baucontainer in St. Pauli zog.

Als ich routinemäßig in den Wir entsorgen alles - dich, mich und richtigen Dreck - und das auch noch diskret-Behälter spähte, sah ich gleich: dieser rostige Haken, der ebenso rostige Nagel, diese Patina... das gibt es nur ein einziges verdammtes Mal - und zwar hier und jetzt und greifbar nah vor meinen Augen im schönsten Stadtteil der Welt. Glücklicherweise ist St. Pauli ein Viertel, in dem keinen wirklich interessiert, wenn man am hellichten Tag in Stapeln voller Bauschutt wühlt. Mißtrauischer Aufmerksamer wird man eher, wenn ein staubiger Mann mit einem nagelgespickten Stück Holz durch die Straßen zieht. Ich kann es aber niemanden verdenken, sieht dieses Artefakt doch in meinen Händen aus wie eine Waffe. Dabei sollte jedermann auf Anhieb und -stich klar sein, daß es sich um ein extramuseales Kunstwerk bloß handeln kann, wenn eine verschluffte Gestalt mit schwarzer Feuilleton-Hornbrille damit durch die Straßen ueckert.

Schlimmer wäre es nur, handelte es sich um meinen einzigen Freund. In der nachbarschaftlichen Enge des wochenbeendenden U-Bahn-Ersatzverkehrs argwöhnte ich nämlich für kurze bange Minuten, mein mir bereits stark ans Herz gewachsenes Holzstück könnte ehemals die Reviermarkierung eines von Leichtbier und Dönerresten sich ernährenden Straßenköters gewesen sein. Ein Odeur lag in der Luft, dessen leicht urinale Kopfnote mich weniger holzig denn geriatrisch enthemmt anwehte. Doch nach dem Aussteigen stand mein tapferer staubiger Scheit glücklicherweise in sozusagen blütenfrischer Unschuld da - und jeglicher Verdacht muß leider auf meinen angegrauten Sitznachbarn zurückfallen, laut Auszeichnung seines Käppis zudem ein Fan des Hamburger Sportvereins. Ein Fall doppelter Stigmatisierung also, weshalb man pietätvoll schweigen muß.

Unter den Anwohnern meines von manchen gutgelaunt und mit leichten Schmunzlern onduliert als avantgardistisch bezeichneten Rentnerviertels gab es immerhin großes Hallo. Wenn hier sonst schon nichts passiert, kann man wenigstens diesen auch nicht mehr so richtig jungen Mann beobachten, wie er sich wieder anschickt, arbiträren Schrott in die pastorale Idylle seiner hermetisch abgeschotteten Dachwohnung zu schleppen. Wenigstens das.

>>> Behind all things are reasons.


 


Dienstag, 9. September 2008


Mal ruhig machen



Das waren jetzt ein, zwei Tage, die sich wie Urlaub anfühlten. Sonne war dabei und Wasser auch. Erstaunlich bleibt: Wie lange es immer braucht, bis eine tiefere Entspannung einsetzt. Wie der Schorf, wie schmutzige Erinnerungskrusten von der Haut abfallen, vom Denken. Wie man Schubladen sachter schließt, ihnen unaufgeregte Namen gibt.


 


Donnerstag, 4. September 2008


Die Todeslibelle im Café deiner Träume



Mit Spielzeug gewint man ja bekanntlich mein Herz. Da meine Träume in letzter Zeit nicht mehr so hochfliegen, vermutete ich, so ein kleiner Wohnzimmerhelikopter brächte bestimmt Spaß, Aufregung und Gesumm ins hermetische Café. Ich muß einräumen, ganz so gut wie der Helipilot bei Magnum bin ich noch nicht. Hier fehlen noch Übung und Expertise. Ein Spielzeug für ältere Jungs: Man ist irgendwie froh, das Ding oben zu halten. Wenn das der Kafka bloß gewußt hätte! Denn das kleine motorisierte Insekt ist andererseits ganz wie sein Besitzer aus fast unverwüstlichem Material. Ideal also für den ein oder anderen Absturz. Ansonsten: Es geht auf und ab, aber immer im Kreis.


 


Dienstag, 19. August 2008


It feels like bussi-bussi

Über sexuelle Treue mag man verhandeln. Über Loyalität nicht.


 


Montag, 18. August 2008


Kram & Laden



Lange Nächte, kurze Tage. Man stellt besser um auf Solarbetrieb. Am schönsten sind Flohmärkte, die sich bis in die verwunschenen Durchgänge und Seitengassen erstrecken. Plötzlich steht man mitten in der Nachbarschaft und fast bei fremden Menschen im Schlafzimmer Wohnzimmer. Buchsuchen, Dingestöbern, Wachwerden. Ich hätte gern das Bastelbuch für jeden Tag aus den Fünfzigern gehabt, mit Vorschlägen für eine Kartoffelkanone und weiteren Notwendigkeiten für die kommenden Herbstabende. Aber - der Preis! Oh, du schönes Eppendorf. Du darfst noch träumen.

Zurück in Rentnertown (keinen Neid, bitte) strahlen mich junge Szenemenschen an. Nachher wird hier noch Musik gemacht. Mein Vater ist entzückt, weil man auf Google Maps sehen kann, wie er auf dem Balkon liegt. Ich habe es nachgeprüft, es stimmt. Man sieht nicht, wer es ist, aber man erkennt deutlich eine Person. Bei meinem Haus kann man die Vorhänge vor den Dachfenstern erkennen. Die müßten auch mal wieder gewaschen werden. Nur gut, daß meine Mutter keinen Computer hat.

Hinter den Vorhängen arbeite ich an meinen kleinen Formaten. Sonntagsmurmeln, im Hintergrund klimpert Erik Satie. Ich klebe Erinnerungen ins Sammelalbum und sortiere dabei gleich die doppelten aus. Nr. 417 und 268 fehlen mir, die sollte ich besser nachbestellen. Vielleicht aber gibt es mittlerweile eine Erinnerungstauschbörse im Internet. Ich hätte da ein paar anzubieten, die klingen wie ein verstimmtes Klavier.