Mittwoch, 27. April 2011
Also folgendes, man denke sich das so in der Kurzversion: Herr Kid versucht, Frau Gaga Obstblüten mitzubringen und kommt auf den Hund. Nachdem es zuletzt nämlich nicht mit dem Übersetzen ins Alte Land geklappt hat, unternahm ich es nun, weiter östlich den Stadt- und den Weltkreis zu befahren und der Frau Gaga die blaue Blume der Ostbaumblüte zu fnden. Das Spadenland ist da allerdings nicht so ergiebig, der Rhythmus aus Deiche, Felder, Deiche, Felder wird dort eher von dem ein oder anderen Windrad synkopisch durchbrochen, denn von einem Apfelbaum.
Dafür schießt ein kleiner aufgebrachter Hund aus einem Wohnmobil, dem Radler nach der Wade schnappend, verfolgt von einem Rentner mit hochrotem Kopf. Warum, schreit er, man nicht anhalten würde. Und, noch nie in freier Wildbahn, sondern immer nur im schlechten Sketch gehört, auf meinen Protest und Vorhalt setzt er tatsächlich nach mit: Der wolle "doch nur spielen". Allein dafür lohnt es sich ja schon, ab und an wenigstens die heimische Bibliothek und Dunkelkammer zu verlassen und auf Menschen in der sogenannten Realität zu treffen. Demnächst, ich bin fast sicher, werde ich irgendwo unten am Deich auf eine Mario-Barth-Type stoßen (haha, "stoßen"!), der mir was von einer gewissen "Uschi" erzählen will. Hömma.
Zuerst aber betrat ein weiterer Hunderentner die Bühne und behauptete, ich hätte den Hund ja "selbst herangepfiffen". Was für ein gut erzogener Hund, denkt man still bei sich und mit augenrollendem Blick zum Himmel, läuft in Radfahrer, läßt sich von Fremden heranpfeifen... innerlich aber habe ich mich in solchen Momenten längst zurückgelehnt, weil ich denke, daß ist jetzt ein absurdes Theaterstück, schreib mal schnell die Dialoge mit, gleich erzählt jemand was von Nashörnern, die auf einen gewissen G. warten. Pfiffe also. Tinnitus vielleicht oder ausgedehntes Sitzen in der Sonne, ohne Obstbäume fehlt es dort eben auch an Schatten.
Ringsum zudem eine Badeseestimmung: eine ins Endlose geparkte Autokarawane, Ostermotorräder, auf dem Uferstreifen Decke an Decke an Decke. Der Mitmensch als seine eigene soziale Plastik am Wegesrand, aber ohne weitere Wärme.
Mit der schwimmenden Tanzdiele durch den nächtlichen Hafen, andere Eindrücke, andere Spacken. Durch einen Studenten, Ende 20, Typ Sauberbravgeleckt, letzteres aber nur von der hütenden Mutter und einem spuckegetränkten Taschentuch, spricht sein eigener Vater, Typ BenzvorderTür. Die Freundin deutet ans Ufer, fragt, ob es Hausboote seien, er antwortet wie fest ins verengte Weltbild gemeißelt: "Das sind so Spinner." In Fahrt gebracht, moniert er die angeblich "katastrophalen hygienischen Zustände an Bord" und kommentiert die hier und da im Hafen untergebrachte Aktionskunst mit "entartet". Zum Glück macht seine Freundin eine spitze Bemerkung, so daß bald Ruhe eintritt, während ich schon denke, noch ein Wort, Junge, und du gehst über Bord. Ist Hamburg hier, das geht ganz schnell.
Die Ufer sind dunkel, nur vereinzelt schlackern kleine Feuer durch die Nacht. Mich hält die Reling fest und die Sehnsucht über Wasser.
>>> Vamos!
Mittwoch, 13. April 2011
Von meinen bislang 37 Romanen hat sich ausgerechnet Wer liebt den Wasserfall, wenn er ganz unten ist? am besten verkauft. Ein kitschiger Schinken, eine Gelegenheitsarbeit, gespickt mit Kalendersprüchen und abgewandelten Benjamin-Franklin-Lebensweisheiten, die mich wie lästige Fliegen umschwirren und ebenso schwer abzuschütteln sind.
Trost allerdings spenden sie mir in diesen Tagen, alldieweil die elektrischen Rechner in meinem Haushalt sich wie trotzige Teenager aufführen, wichtige Betriebsbestandteile vor mir verborgen halten und steif und fest behaupten, von einer Veranstaltung namens "Internet" noch nie etwas gehört zu haben. Wenn ich darum bitte, im virtuellen Haushalt mitzuhelfen, den Blogmülleimer runterzubringen beispielsweise, neue Fotos einzukaufen oder eine MP3-Datei fürs Abendbrot vorzubereiten, heißt es nur Pfff, es wird gelangweilt an der Festplatte gedreht oder sie vor meinen Augen aufreizend und provokativ hochgejault, daß man gleich schimpfen möchte, He, laß das bitte, die geht kaputt, aber man weiß ja wie das ist mit pubertierenden Systemen: schreit man sie an, schreien sie bloß lauter.
Mit Hilfe der therapeutisch arbeitenden Super-Nanny Linux allerdings, eine warmherzige Mama vom Stamme der Ubuntu, die mit gütigen Händen und erstaunlichen Einblicken in die vor den erziehungsberechtigten Administrationseltern verborgenen Systemdateiwinkel der Windowsseele dem verbockten Familienmitglied das ein oder andere bedrückende Problem entlockt und mit ein, zwei, drei Kopierschritten wieder geraderückt, ist immerhin bereits so etwas wie Friede am Frühstückstisch zurückgekehrt. Zersplitterte Ini-, Def- und Sys-Dateien liegen zerschlagenem Geschirr gleich noch herum, dafür sind die offenbar zum Haarefärben zweckentfremdeten guten Handtücher nur leicht lädiert im Schrank wieder aufgetaucht.
Kurz gesprochen, die Rechenmaschinen benehmen sich wieder einigermaßen wie verläßliche und nicht nur von Launen gesteuerte Mitglieder meines kleinen Haushaltverbunds. Ein bißchen Aufräumen, vielleicht noch einmal väterlich über diese merkwürdige Frisur reden oder den pöbelhaften Ton, der sich hier und da noch einschleicht, dann aber heißt es hoffentlich bald wieder, wir sind one family, ein Team und können bald gemeinsam wieder diese kleine Bloghütte befüllen.
Montag, 11. April 2011
Zuletzt wieder Schüsse hier im Ghetto, nachdem neulich erst einer seinen Wagen nach einem während der Fahrt erlittenen Kopfschuß in die benachbarte Grünanlage lenkte. Von wegen Rentnerviertel. Diesmal ist alles noch schlimmer, "Beziehungstat" sagt man dann, und: er war so ein harmlos wirkender, unscheinbarer Nachbar, und man fragt sich, wann endlich diesen "Sportschützen" die Knarren abgenommen werden.
Vor zwei Jahren wurde im Parkhaus des gegenüberliegenden Fitneßstudios auf einen Luden geschossen, später feuerte einer mit einer MP auf der nahen Tankstelle herum. Ein Nachbar ballert manchmal nachts raus auf die schlafenden Enten unten am Kanal, das wiederum hat fast schon so was folkloristisch-hinterwäldlerisches, demnächst wird er auf seinem Balkon Eichhörnchen grillen.
>>> Ria van Dijk sammelt seit 1939 bis ins hohe Alter ihre Selbstporträts vom Foto-Schießstand auf der Kirmes.
Sonntag, 3. April 2011
23° - Wie ein plötzlich aufplatzender Riß im Lack durchbrach ein Vorgeschmack auf Sommer den kaum entfernten Winterdreck, die Schuhe also schlurften über den Gehsteig durch Reste von Splitt und Sand, mit dem erst kürzlich noch das Glatteis stumpf gemacht wurde, frisch nachtätowierte Oberarme staken bleich und entzündet aus noch frischer gewaschenen T-Shirt-Ärmeln, Mädchen versteckten ihre übernächtigten Augen hinter dicken Sonnenbrillen, verpennte Menschen wunderten sich in gefütterten Übergangsjacken, woher auf einmal diese wie unschuldig aufspielende Temperatur kommen mochte. Kurz: der erste Frühling ist noch nicht einmal da, da witterten manche schon den zweiten.
(Verpaßt aber: die Zwillings-Eröffnung, die Gettys völlig vergessen, aber ich mußte mal wieder den Kopf rausziehen aus all den Vernissagemenschen. Diese Woche ist viel zu tun, Phototriennale in Hamburg, und ich habe natürlich überhaupt keine Zeit.)
Denn ich bekomme die Worte immer noch nicht zu Papier. So viele Erinnerungen gilt es zu ordnen. Wie wir irgendwo in Frankreich durch die Nacht fuhren, Sigur Rós in diesem altem Discman, den ich auf das Armaturenbrett geklebt hatte, ich sagte, ich führe nachts am liebsten und träumte, während du auf dem Beifahrersitz schliefst. Ich drehte die Musik schließlich lauter, weil mir niemand mehr antwortete und dachte, eingehüllt in eine Wolke aus Klang wie in einer glänzenden Rettungsdecke, toll, ich kann die Seitenbegrenzungen nicht mehr sehen, dieser kleine Suzuki hat doch tatsächlich soeben wie auf Schmetterlingsflügeln die Fahrbahn verlassen, schwebt durch die Nacht, gleitet wie ein rotlackierter Tänzer in eine interstellare Umlaufbahn, und ich sagte wie ein huldvoller Galan, der die ersten Blumen des Jahres überreicht, schau mal, die Sterne da links und auch die da rechts, die schenke ich alle dir. Dann aber kam die Mautstation, und du sagtest, aus dem Schlummer erwacht, man müsse doch im Leben echt für alles bezahlen.
>>> Geräusch des Tages: PJ Harvey, Silence
Montag, 28. März 2011
Den kühlen Wind in die Gardinen lassen, breit geöffnete Fenster, den ersten Kaffee ins Licht halten, mit den nackten Füßen einen Sonnenfleck auf dem Fußboden suchen, Agnes Obel singt etwas dazu. Ein Reklamemoment, ein Sonntagmorgen nach einer zu kurz geschraubten Nacht, Zeitumstellung, eine kleines Bier in einer noch kleineren Bar, verstreute Menschen in der U-Bahn, vier Uhr, fünf Uhr oder sechs, man rät und rätselt und malt sich eine eigene Zeit.
Die Energie kommt dieser Tage nicht mehr aus der Steckdose. Auf dem Rad kurbel ich ein paar Kilometer hinunter bis über die Schleuse, am kleinem Landhaus vorbei, gegen das nun doch so vieles spricht. Zu Hause wartet Arbeit, lesen will ich, einen waghalsigen Brief formulieren, umschalten vielleicht, abschalten. Den Kopf zum Träumen unter das Kissen schieben, zum Weinen vielleicht oder Schlafen, das Ticken der zu spät verstellten Uhren dabei wie ein achtlos schlagendes Metronom. Beim Lesen deines Briefes hatte ich gar nicht gemerkt, wie das Papier mir in die Finger schnitt.
Im Mund berge ich etwas Dunkles, die Zähne verfärbt, Staub auf der Zunge, ich lasse den Wind hineinpfeifen, in den knirschenden Ritzen wühlen, Blut hinausspülen, mir Worte hineinlegen, die ich später, zurück am Schreibtisch vergessen haben werde.
>>> Geräusch des Tages: Agnes Obel, Close Watch
Sonntag, 20. März 2011
Mir geht es manchmal so wie in einem dieser wirklich lebensgefühlahnenden Spots eines großen Heimwerkermarktes. Auferstanden ist er, welcher lange schlief zitiere ich Heym, fühle dieses Pulsieren in meiner Brust und das Verschmelzen meiner zarten Muskeln in die kinetische Energie eines Vorschlaghammers.
Lange schon währte das Gerücht, ich wolle endlich mal das in meinem privaten Umfeld mittlerweile mythisch gewordene Fliesenprojekt (verewigt in meinem Buch The Fliesen Years, Bd. I- III) in Angriff nehmen. Das gebar sich einer seltenen Sternenkonstellation gleich vor Jahren bereits in meinen Kopf, denn in der Duschecke war der Fliesenspiegel bedauerlicherweise viel zu niedrig angesetzt, die Wand durch mehrfaches Nachstreichen und ewiges Trockenrubbeln zudem mehr als unansehnlich geworden. Die Keramik, eine der frühen Formen des menschlichen Kulturschaffens, schien mir eine elegante Lösung.
Nun, wir nähern uns in schnellen Schritten der Moderne, galt es nachzudenken. Und noch ein wenig nachzudenken. Wenn, so die kühne Idee, ich schon bereit war über den Rubikon zu schreiten, warum nicht gleich wie einer dieser Internetradikalen in großen, von verklemmt analem Machbarkeitsdenken völlig losgelösten Dimensionen denken? Andere fliesen, dachte ich. Ich baue ein Taj Mahal. Auch ein Deckenfresko, wer ist schon dieser Michelangelo?, kam mir kurz ins innere Gespräch, das muß dann immerhin schon so kurz nach dem WM-Endsieg 1954 in Bern gewesen sein.
Nach der Ölkrise und dem Ende der Boomjahre aber stutzte ich mich und meine pfauischen Höhenflüge (Können die überhaupt fliegen?) zurecht, tauschte Michelangelo gegen Oskar Schlemmer und weiße Fliesen und hatte jetzt nur noch das Problem, diesseits von Dessau ein geeignetes Bauhaus zu finden. Als unmotorisierter Mensch ist ja das Thema "Materialbeschaffung" immer wieder ein pointenreiches.
Zwar half mir zunächst mitleidsvoll eine stadtbekannte Bloggerin mit ihrem E10-befeuerten Mobil, aber dann gab es neue Probleme, dann schien die Sonne, dann mußte ich arbeiten und dann hatte ich keine Zeit. Zwischendurch juxten sich mittlerweile zu Ex-Freunden gewordene Mitmenschen durch mein unverfugtes Heimwerkerleben, neckten mich hier, eskalierten mich dort, empfahlen frech irgendwelche Mareks und Pjotrs, reichten mir von Laternenpfählen gerissene Telefonnummern und unterließen auch sonst keine noch so ehrabschneidende Heimwerker-Insinuation. Einfühlsame Frauen brachte ich mit dem Vergleich "Du möchtest einen Kuchen backen? Frag doch mal meine Exfreundin, die konnte das super!" schnell auf eine verständnisvollere Linie, bei den Männer war es schwieriger. Manche machten sich eine diebische Freude daraus, mal eben ein Haus zu entkernen, bloß um mich zu beschämen, oder sich wie mein Bruder zu benehmen, der daheim auch gerade Betonböden gießt, während ich noch mit einem Ral-Farbfächer über der Frage meditierte, ob man nicht mit einer tollen Kontrastfabre (zum Beispiel ein schönes gestuftes Schwarz) einer weißen Fliese den edleren Schliff geben könnte. Andere Männer fragten pragmatisch, ob ich denn schon wisse, wie ich sie schneiden werde?
Ich mache es kurz: der bei anderen bewährte Kniff mit dem Glasschneider taugte bei mir jedenfalls nichts. Ich schiebe das auf den Glasschneider. Jetzt aber, und ich meine "Buckelvolvo" das ist so Eighties!, kommt der Hammer: Ich bin nun im Besitz einer metallblitzenden Fliesenschneidemaschine! Da macht es Ritsch- und Klick - und schon ist so eine Hartgebrannte halbiert. Und wenn ich mit dem Ding unter dem Arm samstags durch die Innenstadt marschiere, werden alle Frauenherzen weich.
Gut angelegte 20 Euro also. Und nun kam die Zeit, da ich Zeit hatte. Und mäßiges Wetter dazu! Und fast alles Material! Was also lange währte, wurde dieser Tage endlich gut. Meine Lernkurve, he, es war mein erstes Mal!, war sehr hoch, aber zufriedenstellend. Ich weiß jetzt zum Beispiel, warum Fliesenleger ein ehrenwerter Ausbildungsberuf ist, der über drei Jahre geht. Und ja, mich lachte zum Glück kein Meister schallend aus, nachdem er mein Werk in Augenschein nahm und meinte, "Min Jung, das kannste alles wieder abschlagen. Und dann machst du es noch mal, aber richtig." Dafür macht es ein Heimwerker ja schließlich heimlich! Ich sage es mal in der mir bekanntlich innewohnenden diplomatischen Art: Beim zweiten Mal wüßte ich, auf welche Dinge ich stärker achten könnte. Aber auch so: astrein.
Man möge mich bitte auch "Mr. Silikonfuge 2011" nennen. Da, so erkläre ich ohne künstlich reduzierten Stolz, habe ich ein Händchen für. Beziehungsweise einen in Spüli getränkten Finger, mit dem ich kinderpopoglatte Fugen streichen kann als würde ich die Saiten einer Stradivari kosen. Ich geriet darüber in eine gewisse Ekstase und hätte am liebsten sofort meine ganze Wohnung silikonverfugt, schön dauerelastisch wie sonst nur mein Verhältnis zu schwierigen Mitmenschen.
Yippie-yah-yah - und als nächstes lerne ich Balkonbau. Danke fürs Zuhören und die große Geduld und alle, denen ich es auf dem langen, langen Weg versprochen habe, dürfen nun gern zur Einweihungsduschparty kommen. Handtuch nicht vergessen. Ich setze mich jetzt mit einem Glas guten Rotweins andächtig vor meine Fuge und werde vielleicht sogar mein Nachtlager vor ihr aufbereiten.
>>> Was Blixa empfiehlt, kann so falsch nicht sein. Ich möchte aber anmerken: Das hermetische Café wurde sämtlich von einer konkurrierenden Baumarktkette ausgefliest und vom Zementschleier mit einem feuchten Tuch befreit.
Dienstag, 8. März 2011
Endlich wieder einmal Licht und Farbe zum Wochenende. Früher ging man da zum Selbst- und Sichtschutz in die Dunkelkammer, schwappte schön mit giftiger Chemie, heute muß man am Computer in der Sonne sitzen, Teststreifen entwickeln und Tonwertregler hin- und herbewegen wie eine schunkelnde Feiergemeinschaft, die mit Wupp-di-ka! und Helau! und Alaaf! sich ein strahlendes Rheinland in schummrigste Hamburger Kellerkneipen malt.
Die Kollegin fuhr als "Black Swan" gewandet ins Rheinland, das nenne ich, eine Aufgabe stilvoll gelöst. Krankenschwestern, Kätzchen und Pippi-Langstrumpfs gibt es in der Regel ja genug. Ich war als Besucher einer Singlebörse verkleidet und habe dann beim Auslaufen & Auslüften am Sonntag das sogenannte "Wochenendhaus" besichtigt.
Ein weiteres meiner zahlreichen lorem-ipsum-Projekte. Ich zögere und denke und denke und zögere und denke, ich werde es nicht machen. Finde mal jemanden, der es auch bewirtschaftet, unter der Woche, wenn keine Wirtschaft ist. Eben. Noch ist das Leben nicht nur Rosenschneiden.
Abends dann in der Küche gestanden und beim Knoblauchschneiden und Gambas in die Pfanne werfen schmachtende Fetzen mit Zischlauten gehört - so als sei auf einmal schon ein weiterer Sommer angebrochen kurz vor der Fastenzeit in Rot und Grün und Weiß, mit Versprechen und Verlangen und Verskonstellationen am Abendhimmel. Jetzt eine Dachterrasse und ein großes Glas Rotwein, so male ich es mir auf einer weiteren Überlagerungsebene aus. Wir würden nur eine Papierschürze tragen, noch ein bißchen Weichzeichner einfügen, die Kontraste mindern und alles wäre gut.
Sonntag, 20. Februar 2011
Die Komplimente waren leider alle schon weg, aber da heißt es einfach tapfer sein und den Glauben nicht verlieren. Der Tag strahlt auch so zurück, wie man in ihn hineinstrahlt, sonst druckt man sich einfach selbst ein paar aus und klebt die Zettel in die Waschküche, dort, wo schon jedes Welt- und Nachbarschaftsproblem gewälzt und gewalkt, gestampft und ausgewrungen wurde.
Heute wird in Hamburg gewählt. Da man diesmal nicht nur eine oder zwei, sondern gleich zwanzig (20) Stimmen vergeben darf, wurde an alle Wahlberechtigten eine Musterfibel verschickt, wo man schon mal nachschauen konnte, welchen Dachdecker und Gas- und Heizungsinstallateur man in Zukunft besser nicht beauftragt. Er könnte auf Rechtsaußen spielen. Nicht zugesendet jedoch wurde mir eine Wahlbenachrichtigung, aber nun reicht bekanntlich auch ein Personalausweis. Wenn man denn das Wahllokal findet. Die Sparkasse, in der ich sonst wählte, hatte diesmal geschlossen, also fragte ich im nächstgelegenen Lokal in der Pfarrgemeinde um die Ecke nach. Das macht ja auch Sinn, ein Wahllokal in der Nachbarschaft, nur all die Vorjahre nicht, da mußte ich woanders hin. Wo ich schon überall wählen war: In der Sparkasse, in einer Schule, die jetzt keine mehr ist, in einer ganz anderen Schule, wieder in der Sparkasse... "Wo waren Sie denn das letzte Mal wählen?" fragte man mich im Wahllokal. Himmel, dachte ich, diese Fragen immer. Wo sehen Sie sich in fünf Jahren? Wo waren Sie vor fünf Jahren? Wenn ich das alles wüßte. Ist es nicht die Gegenwart, die zählt? Also, ich sei schon überall gewesen: In der Sparkasse, in der Schule, die jetzt keine Schule mehr ist, in der ganz anderen Schule, wieder in der Sparkasse - und ob das nicht eigentlich egal sei, immer dieses was früher war, man möge doch bitte meine Adresse in der Liste suchen und die zugehörige Nummer des Wahllokals?
Leider, muß man fast sagen, war ich schon ganz richtig dort, also das erste Mal im Wahllokal gleich um die Ecke. Wäre früher wohl zu einfach gewesen. Leider, weil es eine lange Schlange gab, als fände dort ein verkaufsoffener Sonntag statt. Menschen, die kaum ihren Namen buchstabieren können, campierten in den Wahlkabinen, um ihre zwanzig Kreuze (20) in den vier unterschiedlich gefärbten Fibeln (Uringelb, Schwangerschaftstestblau, Partnerlookfunktionsjackenviolett und so eine Art Lebensmittelschimmelgrün) zu verteilen. Ab und an reichten Helfer warme Getränke oder kräftigende Stullen nach, dem Seufzen und Stöhnen und der aufsteigenden Wolke kleiner Fragezeichen nach zu urteilen, war es für manche kein leichter Akt.
Ich hingegen, man muß sich ja auch mal selber gratis Komplimente machen, verteilte meinen Chor von (20) Stimmen wie mit leichter Künstlerhand, großzügig über die Seiten, hier ein Tupfer, dort eine Linie - ich denke, wer die einzelnen Punkte mit spitzem Bleistift verbindet, wird darin eine "37" erkennen können.
Erstmals vor Ort waren auch UNO-Wahlbeobachter clipboardhaltende Menschen der Forschungsgruppe Wahlen, die für das ZDF Wähler befragten. Mich allerdings, hier kommen wir zu einem kleinen Skandal, bei dem es keine zwei Meinungen geben darf, wollte man übersehen. "Sie befragen mich ja gar nicht", protestierte ich. "Nein, wir nehmen nicht jeden", erhielt ich zur Antwort. Nun halte ich selbst viel davon, nicht einfach jeden zu nehmen, das hat auch was mit Würde und Respekt vor sich selbst zu tun. In diesem Fall aber muß ich sagen, wird dies natürlich einen sehr verfälschenden Ausgang auf die Wahlprognose nehmen.
Wenn also gleich die Hochrechungen im ZDF verkündet werden, seid auf der Hut. Zwanzig (20) Stimmen flossen darin nicht mit ein! Kompliment, ZDF. Ihr traut euch was.
Samstag, 29. Januar 2011
Heute stellte sich im Discounter meines mittelmäßigen Mißtrauens eine größere Freude ein, als ich sah, wie mein Mitternachtskostüm (Superkid37) bereits in Serie gegangen ist. Fürchterlicher Rächer, heißt es dort. Hemd mit Schlupfkragen, Rüschen, Schnürung und befestigtem Umhang. Perfekt, bis auf die fehlenden Ringel. Mitgedacht wurde dafür bei der Hose. Die ist mit bequemen Gummizugbund. Gut, denn man wird nicht jünger, nur das Essen, das wird besser.
Ich sehe bereits vor meinem inneren Projektorauge ("Beamer" heißt das, glaube ich, heute bei den jungen Leuten) hochtrainierte, maskierte Superhelden im Fürchterlichen Rächerkostüm, wie sie sich, man denke an House of Flying Daggers oder ähnliche Filme, des nachts über die Elbphilharmonie schwingen um den bösen Superschurken zu stellen, der dort den Hamburger Geldhahn aufgedreht und ins Hafenbecken umgeleitet hat.
Oder der GAL, wenn sie in ihrer notorischen Kulturfremdheit mal wieder Museen schließen will, nachts als Geist der letzten Wahlen erscheinen und ordentlich ins Gewissen reden. Und wenn es dazu nicht reicht, dann kann man darin immerhin am Valentinstag eine Rose quer im Mund halten und auf Knien vor seiner Angebeteten liegen.
Mittwoch, 19. Januar 2011
"You can fuck off with your cameras."
Chrissie Hynde rotzcool, als ob Butter
in ihrem Mund nicht schmelzen würde.
Belästigungen wegspringen lassen wie kitzelnde Blätter, die auf einen zum Reflex gespannten Muskel fallen. Erstmal allerdings werden verspannte Muskeln beklopft: Die blitzeisbedingte Steißlage meiner eigenen kleinen Hinterland-Nation habe ich heute dann doch mal begutachten lassen. Die unfallchirurgische Praxis überzeugt mit Selbstironie. "Laut MOPO", so die Aussage auf der Webseite, residiere man in "Hamburgs häßlichstem Haus" - man solle sich davon aber nicht abschrecken lassen. Eigentlich hatte ich angenommen, selbst in Hamburgs häßlichstem Haus zu wohnen, aber die MOPO war dort ja noch nicht. Drinnen dann alles apfeldesignt und hipstermodern eingerichtet, der Medizinalrat zügig, freundlich, aufmerksam. Angenehm, denn ich kenne auch unfallchirurgische Praxen, die eher wie Feldlazaretts geführt werden. Der kundige Doktor führt allerhand Untersuchungen durch, deren intimere Details ich hier einmal im Dunkel lasse, dann geht es zum Röntgen und ich wurschtel mich in eine Art Blei-Unterhose mit Klettverschluss. Kein Kandidat für eine Fashion Week, aber gleich in mehrfacher Hinsicht die perfekte Unterbekleidung für einen Castor-Transport. Am Ende wünscht er mir für die nächsten Wochen viel Glück, ein Beißholz und den gelegentlichen Griff in die Medikamentenkiste.
Die humpelnde Entschleunigung kommt vielleicht zur rechten Zeit. Je langsamer es geht, desto schneller kommt man raus, jeder Trippelschritt weniger ist ein Schritt mehr in die Freiheit.
Wie hübsch man sich schon entnetzt hat, merkt man, wenn man vom allerneuesten Blogger-Krawall zuerst aus der FAZ erfährt. Aus der gedruckten Ausgabe wohlgemerkt.