Freitag, 21. Januar 2011


Gute und andere Aussichten




Man fragt sich, ob die Menschen keine Heizungen mehr daheim haben und nun zum Aufwärmen zu Ausstellungseröffnungen strömen. Rappelvoll waren die Deichtorhallen gestern, dabei war noch nicht einmal der Kultursenator zu entdecken, der an diesem Abend, so hörte man, wohl bei einer Film-Party war. Das in Herr-von-Eden gekleidete Personal ordnete Gedränge, Taschen- und Flaschenverbringung getreu den Regeln, die Gästeliste reichte von F.C. Gundlach (im dunklen Anzug) bis zu bekannten Bloggern (bei Blogger.de weltberühmt) und der Jeunesse dorée der Hamburger Vernissage-Brigade (Schuhe: Fiorentini & Baker). Damit sei die Gesellschaftsprotokollberichterstattung aber auch erfüllt.

Die jährliche Leistungsschau der Fotografieabsolventen hat - nach Durchhängern in den beiden Vorjahren - sich wieder mehr auf die Fotografie fokussiert, die abstrakten Konzepte sind ein wenig zurückgetreten hinter Positionen, die man eher mit dem Medium verbindet. Dabei spielten sich die konstruktivistischen Ansätze (lange keine Rodchenko-Ausstellung mehr gesehen) ein wenig kalt in den Vordergrund. Ein bißchen zu spät, sonst hätten es André Hemstedt und Tine Reimer auf ein Plattencover von Franz Ferdinand schaffen können. Peter Saville hätte es womöglich gefallen, ich möchte derzeit keine Interpol und Kraftwerk-Menschen mehr sehen. Stephan Tillmans (nicht verwandt mit Uber-Wolfgang) zeigt seine Leuchtpunkte, ein weiteres Beispiel für den Kopf, der durch den Sucher blickt.

Ich möchte Herzen sehen. Rebecca Sampson ist meine Gewinnerin des Abends. Für eine inszenierte Reportage besuchte sie eine Fachklinik für Eßstörungen. Ihre Porträts und stillen Tableaus zeigen, zum Teil hyperrealistisch wie in einer Modestrecke, Dicke und Dünne, Unsicherheit, Verlorenheit und tiefe Trauer. Aber auch stille Freuden und ein gewisses Selbstbewußtsein. (Die Originalprints haben übrigens mehr "Punch" als die Fotos auf der Webseite.) Man hat nicht das Gefühl, hier werde ein spekulatives Thema ausgeschlachtet. Man hat das Gefühl großer Nähe und einer manchmal beinahe unangenehmen Intimität, von stillen Geschichten.

Helena Schätzle folgte für ihre Abschlußarbeit an der Kunsthochschule Kassel den Spuren ihres Großvaters, der 1946 aus russischer Gefangenschaft durch Osteuropa floh. Sie reiste den 2621 Kilometern hinterher, porträtierte Zeitzeugen und dokumentierte winterliche Landschaften. Ein emotional-nostalgisches Reportagethema und ein reizvolles Konzept, bei dem mich allerdings nicht jedes einzelne Bild überzeugen konnte.

Wirklich überraschend war (wie so oft in den letzten Jahren) nichts - was wieder einmal beweist, daß Fotografie nicht Pop ist, radikale Brüche und Frische selten sind und nicht zwangsläufig von den Jüngsten kommen. Was noch auffiel: Kein Sex. Kann man wohltuend abgesetzt finden vom Pornoclickschaffen der Generation Internet. Oder bedenklich.

("Gute Aussichten 2011". Deichtorhallen, Hamburg. Bis zum 27.2.2011)


 


Sonntag, 5. Dezember 2010


Weck Vati nicht auf







Seit 2005 heißt es, der Jahreskreis neigt sich erst dem Ende zu, wenn der famose Herr Krüger das Bescherungsglöcklein zur Gruppenausstellung "Don't Wake Daddy" läutet. Bekannte Namen der Low-Brow-Szene, allesamt cool wie Sau, zeigen dem, der sich auch zeigt, ihr Ding: teuflisch, saccharinsüß, verdorben, plemm-plemm oder ka-wumm, mit viel Witz und noch mehr Finesse. Andy Ausgang, Moki, Eric White, Ryan Heshka, Fred Stonehouse, Lokalmatador Heiko Müller (dessen Büchlein Gangland in der Galerie zu erwerben ist und zwar unbedingt), Mia Mäkilä und viele weitere sind dabei, der Laden summt, und prompt ist der Winter vergessen.

Ein Tipp vom Parkett: Wer zur Zeit nicht in Gold anlegt, tut dies besser in Kunst. Noch sind nicht alle roten Punkte verteilt.

"Don't Wake Daddy V". Feinkunst Krüger, Hamburg. Bis zum 24.12.2010)


 


Donnerstag, 7. Oktober 2010


Nicht wieder Sitzen bleiben



Wenige Tage erst, so scheint es mir, bin ich aus dem kurzen Urlaub zurück. Und muß mich schon wieder setzen. Bevor ich losfuhr, hielt ich alles für gut eingetütet, auf den Weg gebracht, in trockene Tücher und Salz gewickelt wie einen portugiesischen Stockfisch (an den ich neulich bei der Kaltmamsell erinnert wurde). Bei meiner Rückkehr stellte ich fest, daß ich Haken und Ösen vergessen hatte. Streitigkeiten, Hadern und unwirsche Worte und Gedanken, die ich selber hatte, und nun ist auch noch meine Kamera kaputt. Ich glaube, ich muß noch einmal durchatmen, ruhig sitzen, in die Herbstsonne ein zwinkerndes Auge werfen, ein paar ruhige Lieder hören oder nicht allein in die Pilze gehen.

Entspannung helfe gegen meine Schlafstörungen, meinte die Kollegin, ich dachte, höhö, und brachte meinen Blutdruck mit dem Lesen eines Artikel über die sogenannte Hamburger Kulturpolitik in der Zeit schon wieder nach oben. Museen schließen, Theater zerschlagen heißen die Titelstücke im Herbstprogramm in Hamburg, dafür - der Erste Bürgermeister, von den Hamburgern nicht einmal gewählt, wünscht es so - wird die Blaskapelle des Polizeiorchesters erhalten.

Man könnte dies für einen absurden Witz halten, der auf dem nächsten fröhlichen Stuttgarter Weinfest auf dem Rathausmarkt mit derben Knuffen und erhobenen Gläsern zum Hum-Ta-Taa der uniformierten Bläser herausposaunt wird. Allein, die meinen es ernst. In der Krise zeigt Hamburgs Regierung ihr wahres Gesicht. Es ist das Pfeffersackgesicht des selbstherrlichen, an Renommiersucht gescheiterten Geizhalses – der nicht mal ordentlich rechnen kann schreibt die Zeit-Autorin. In der Tat ist es der immer noch schwerreichen Hansestadt möglich, Milliarden in eine marode Landesbank zu stecken und Hunderte Millionen in sogenannte Leuchtturmprojekte, dafür aber Gelder für Bücherhallen, Bildungsinitiativen und Kulturprojekten einzusparen. Bis dann irgendwann wieder von "Integration" und "sozialen Projekten" die Rede sein wird, wenn die grünen Vorgärten erzittern.

Susanne Lothar vergleicht Hamburg im Abendblatt mit Wuppertal, wird dort bekanntlich das Schauspielhaus auch schon eingespart. Von der CDU hat man nun kulturinteressierte Fernsicht, konservative Bürgerwerte hin oder her, nicht sonderlich erwartet. Umso schmerzhafter fällt die Schmerzbefreitheit der Hamburger Grünen (GAL) auf. Deren Fraktionsvorsitzender, offenbar eifriger Theatergänger, bescheinigt dem Schauspielhaus in der Bürgerschaft mit beinahe rheinischem Frohsinn Luft nach oben und schlägt vor, "einfach mal die Einahmen zu steigern". Richtig - warum nicht mal Cats aufführen, da sind doch so schöne Lieder drin?

Die GAL-Chefin stellt gutgelaunt in der Mopo ihre themenbezogene Unbelecktheit zur Schau und versteigt sich, ganz Kultur-Top-Checkerin, zu der Behauptung: "Ich kann den Unmut verstehen. Aber in Altona wird das Haus geschlossen, die Sammlung jedoch erhalten." Aber natürlich! Ein Museum ist ja quasi nichts anderes als eine Art Schuhkarton, in dem so staubiger alter Krempel gesammelt wird und den man - wenn Besuch kommt oder der Platz knapp wird - einfach unters Bett schiebt. Daß eine Sammlung nicht davon lebt, daß sie bloß da ist, sozusagen als deiktisches Phänomen, da!da!da - es ist doch alles da, dort drüben!, sondern daß sie didaktisch und historisch aufbereitet wird, gepflegt, erlebbar und gezeigt wird, daß sie nur existiert, wenn sie atmet und nicht nur als Verweis vegetiert, diese simple Erkenntnis ist bei den Grünen in Hamburg nicht angekommen. Vielleicht, weil sie so Grau sind, seit sie Kohlekraftwerke genehmigen und seither eher aus dem Rückrat husten.

Der Versuch, sich als Sportskanone anzubiedern, ging jedenfalls gründlich schief. Man merkt, es gärt in dieser Stadt. Daniel Richter, der jüngst im Abendblatt zitiert wurde mit "Jeder intelligente Hamburger will jetzt weg, auch nach Stade", hat leider recht.

Es ist nicht gut, in den Urlaub zu fahren. Man merkt dann nämlich, wie es im Leben auch sein könnte. Anders. Reduzierter, gesünder, entspannter. Am besten, man bleibt in der Mühle, macht immer weiter und verschafft sich keine Ahnung. Keinen Hauch.


 


Freitag, 24. September 2010


Troubled Land



Abends bei der Ausstellungseröffnung hielt der frischgebackene Kultursenator der Hansestadt eine Rede und nutzte die Gelegenheit, ein paar butterweiche Worte über die harten Sparbeschlüsse zu verlieren, die tags zuvor im Senat abgenickt wurden. Rheinisches Motto: Et hätt schlimmer kumme künne! Man müsse an die Kinder und Enkel denken, die später die Zinsen für unsere Schulden ("Und die Elbphilharmonie", murmelte einer, es könnte ich gewesen sein) bezahlen müßten, so wie wir es jetzt schon täten für die Ausgaben und Schulden der 80er Jahre ("Und die Elbphilharmonie", zischte erneut eine Stimme). Jedenfalls: Ein Museum, gerade eben frisch für zwei Millionen renoviert, wird geschlossen, beim Schauspielhaus über eine Million gespart und - Hamburg wird endgültig zum Bäderort - für auswärtige Gäste eine Kurtaxe auf Übernachtungen erhoben. ("Keine Sorge, Hamburger wohnen ja in der Regel hier", so der Senator beifallheischend ins Publikum.)



Der Chef der Deichtorhallen, ebenfalls in so einen dünnstoffigen und leicht stoffelig wirkenden Jungsanzug gekleidet wie der Senator (sie sehen irgendwie aus wie Kämmerer, nicht wie Kunstkümmerer) wollte - ganz diplomatisch - diesen Komplex nicht weiter diskutieren, schießlich galt es, wie er zurecht bemerkte,
Paul Graham zu würdigen. Der britische Fotograf, der wohl letztze Woche Geburtstag hatte, zeigt in Hamburg vielleicht nicht seine allerbesten Bilder (die haben wahrscheinlich seine Galeristen). Als Überblick über seine Art der schmerzhaft schönen Sozialreportage taugen sie doch. Übersichtlich nach Werkgruppen gehängt zeigen sie viel von der müden Tristesse der englischen Provinz, wo unbekümmertes Grün und sich selbst überlassene Menschen aufeinandertreffen, um immergleiche Tage zu erleben. "End of an Age" heißt eine seiner Serien, und diese Stimmung ist es, die über seinen Bildern hängt. Farbe ersetzt bei ihm das klassische Schwarzweiß solcher Fotos und verstärkt nur das Gefühl von monotonem Grau, egal ob sie nordirische Weiden oder Londoner Arbeitsämter zur Thatcher-Zeit zeigen.

Erbaulich also, und - "A Shimmer of Possibility" (Graham) - ein möglicher Ausblick in die Zeit, die folgen wird: "Auf persönlichen Wunsch" des Bürgermeisters, so wußte das Abendblatt gestern zu berichten, wird die Kapelle des Polizeiorchesters erhalten bleiben. Kosten: 1,5 Millionen Euro jährlich. Darauf also ein fröhliches Hum-Ta-Ta, Kulturmetropole Hamburg!

>>> Das Paul-Graham-Archive
>>> Paul Graham bei Artabase

("Paul Graham: Fotografien 1981-2006". Deichtorhallen, Hamburg. Bis 9. Januar 2011)


 


Samstag, 21. August 2010


Schlingensief †



Vor fast einem Jahr noch guter Dinge, frisch verheiratet, voller Energie und mit noch mehr Plänen. Ein Schrittmacher, eine Stimme, ein Stachel im trägen Fleisch.49, meine Güte.

Mach's gut.


 


Montag, 12. Juli 2010


Zum Abschluß




Am Sonntag war es zu heiß für irgendwas. Kein Windhauch, dazu ein tröpfelnder Regen, der für zusätzliche Luftfeuchtigkeit sorgte, so daß ich die Idee entwickelte, schnell noch zur Jahresausstellung der HfbK zu gehen, im Bemühen, diesen Zuständen zu entfliehen und kühlere hinter den dicken Mauern der Akademie erhoffend.

Draußen ein avantgardistisches Torwandschießen, Projekt Vierter Stern 2014 vielleicht. Drinnen die Bar, geplündert, geleert, entsoffen. Auf den Fluren ist es kühl, manche der Ateliers jedoch bullern vor Hitze, dazu kommen jene Räume, in denen die Luft vor Lösungsmitteln und anderen Ausdünstungen starrt.




Die angespannte Lage in der "Kulturstadt" Hamburg und rund um die Hochschule am Lerchenfeld (Boykott der Studiengebühren, Zwangsvollstreckung gegen einzelne Studenten) spiegelt sich in bissigen Kommentaren wie zahlreichen aufgeklebten Kuckuckssiegeln an den Türen der Prüfungsämter.




Wie es weiter geht, kann man für 50 Cts. aus der Hand lesen - leider fehlte aber hier gerade die Fachkraft, das Geld hätte mir locker gesessen. Im nächsten Flur gab es eine Honigsalbung per Hand, auch hier leider nur eingeschränkte Geschäftszeiten, mir wäre es ein Bedürfnis gewesen.




Und sonst? Vor lauter Netzwerken kommen die jungen Leute kaum noch zum Genitalmalen, was bleibt, sind ein Jägerzaun aus nach neuer Rechtschreibung Papppenissen, Verlockungen bloß hinterm Ofenrohr, dazu die ein oder andere zeigefreudige Skulptur, darunter die bereits sehr fertig wirkenden Arbeiten von Rebecca Thomas (in den Kommentaren) - für mich die stimmigste und überzeugendste Schau. Von Marius Schwarz kaufe ich ein kleines Fotobuch, Ich bin neu in der Hamburger Schule, gespickt mit Zitaten von Tocotronic bis PeterLicht. Auf 44 Stück limitiert, trägt meine Ausgabe die passende Nummer - es war wirklich die zuoberst liegende, ich denke mir das doch nicht aus.




Natürlich stellte sich hier und da die übliche Frage "Ist das Kunst oder kann das weg?", im Zweifel bin ich natürlich immer für die Kunst. Hier zum Beispiel eine akzidentelle Installation, von Künstlern und Publikum zu einem sinnbildhaften Ensemble vereinigt. Das was leer ist und gewesen, was Freude war und Klage erst am Morgen.




So stapft man unschuldig irrend durch den Schnee, blinden Waisen in Schreckstarre gleich. Danach dann Endspiel. Der alte Beckett wieder. Weggeknüppelte Beine.


 


Freitag, 18. Juni 2010


Alles Eitel

Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden.
Was itzt so pocht und trotzt ist Morgen Asch und Bein
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

(Andreas Gryphius, "Alles ist eitel". 1663.)



Bei Feinkunst Krüger neulich gab es das beste Public Viewing Hamburgs - Fußballbilder gucken und das Vuvufurza-frei. Man ist ja so dankbar in diesen Tagen: für etwas Ruhe, etwas Sonne, für ehrliches Spiel und kein falsches, für sportliche Abende, mannschaftliches Zusammenrücken und Getränke. Rudi Kargus, ja genau, der Ex-Nationaltorwart, malt heuer expressiv wie ein Titan der Pinsel, und Ulf Harten (ja genau, der von Nillosan) wringt nach herben Verlusten klassische Panini-Alben aus seinem Gedächtnis. Er könnte die Bilder montags tauschen gehen, aber ich würde sie nicht hergeben wollen.

Die Stimmung wie immer prächtig, die Gegengerade bis zur Straße hin gefüllt, ausgelassene Stimmung auf den Rängen, wildfremde Menschen lagen sich in den Armen, tauschten verschwitzte Trikots... aber da wußten wir noch nichts vom Serbien-Spiel. Auch das dauerte seine 90 Minuten, die Ausstellung ist bis zum 3.7. zu sehen.

(Rudi Kargus & Ulf Harten. "Alles Eiteljoerge". Feinkunst Krüger, Hamburg. Bis zum 3.7.2010)


 


Mittwoch, 9. Juni 2010


Sehen & Ansehen



Videokunst ist an und für sich nur selten meine Welt. Es ist nicht so, als hätte mich nicht die ein oder andere Arbeit fesseln können, der kleine VW-Käfer etwa, der sich unermüdlich einen Berg hochquält. Aber für viele Dinge, die auf dem Konzept von Zeit basieren (konzertante Aufführungen!), habe ich zusehends weniger... Zeit. Dazu kommt, daß die meisten Kunstvideos auf kleinen, flackernden Monitoren präsentiert werden, die irgendwo zufällig im Ausstellungsbereich abgestellt sind (also dort, wo keine Wände mit Bildern zu füllen sind). Manchmal setze ich mich dann dorthin, aber eigentlich nur, um die müden Beine auszuruhen und etwas abgestandene Museumsluft zu schnappen. Fürchterlich.

Entsprechend gemäßigt erwartungsvoll besuchte ich die Präsentation der - Zitat - "bedeutenden Sammlung von Julia Stoschek" in den Deichtorhallen. Die nicht unbedingt an Verschüchtertheit leidende junge Coburgerin hat in den letzten Jahren eine beachtliche Sammlerkarriere hingelegt. Das klingt referiert meist so: BWL-Studium, dann Kunstinteresse, kurzentschlossen einige der wichtigsten Multimediaarbeiten gekauft, wie man das so macht, eine Sammlung begründet und, man braucht ja Platz und will auch was zeigen, mal eben gefühlt mehrere zehntausend Quadratmeter eines alten Fabrikgebäudes in Düsseldorf zum eigenen Museum umgebaut (e.V.). Um nicht ganz zu versauern, engagiert sie sich nebenher fürs Berliner KW und sitzt (man kann nicht immer rennen) seit 2008 auch in der Ankaufkommission des New Yorker MoMa. Mama, Hilfe!

Ein Geflecht von Stiftung, Sammlung, Sammlerin und bestalltem Kunst-Kommissariat hält das Luftschiff "Stoschek" seither auf Kurs, und man muß das nicht neiden, sondern beachtlich finden. Getreu dem Vorbild des edlen Stifters begrüßt den Besucher dann auch das überlebensgroße Porträt der Stoschek am Eingang der Sammlungsschau. Aber da finde ich das bereits schon wieder sehr ironisch, man muß die Dinge eben richtig machen und nicht auf halbem Wege zaghaft das Hindernis verweigern. (Juniorenspringmeisterin war sie übrigens auch.) Kurz und vorab: Ist super.

Zahlreiche beeindruckende und vor allem beeindruckend präsentierte Arbeiten zu sehen: wenig Monitore, viele Leinwände, manche in einen kleinen Lastenaufzug gezwängt (sehr schöne Idee), andere als zum Teil großräumige Installationen mit Split-Screens und Panoramablick (z. B. das wunderbare "True North" von Isaac Julien), darunter Klassiker von Hannah Wilke, Carolee Schneemann, Pipilotti Rist, Marina Abramović bis zu Schlingensief und, tatsächlich, Björk. Man sieht Männer, die aus Häusern brechen, Frauen, die ihren Nachbarn beglücken (endlich eine Kunstausstellung ohne verschämten "ab 18"-Bereich), tanzende Menschen in S-Bahnen (Tanzen statt Streiten, sage ich doch), Frauen durch Duchamps "Großes Glas" betrachtet, Diven in zerhackten Filmsequenzen (merke: Polanskis "Ekel" noch einmal sehen), Dinge, die man nicht versteht, andere, die man witzig findet und immer wieder das Thema "Zeit".

Die allerdings braucht man für den Besuch, weshalb - sehr umsichtig - die Eintrittskarte gleich an zwei Tagen gültig ist.

("I want to see how you see" - die Julia-Stoschek-Sammlung in den Hamburger Deichtorhallen. Bis zum 25.7.2010)

>>> Webseite der Julia-Stoschek-Collection


 


Sonntag, 30. Mai 2010


Neigungsgruppe Stipp & Visite





Zum Glück reagiere ich ja aus dem Stand heraus spontan, so daß mancher sich fragt, wie dieser soeben noch schläfrig wirkende Mann plötzlich wie sonst nur ein ghanaischer Fußballspieler voller Spannkraft auf dem Punkt landen kann. Weil die Lu kurz und kurzfristig in der Stadt war, mußte ich andere dunkellockende Abenteuer zur Seite schieben und seemännische Hafenbegleitung anbieten. Ausnahmsweise überpünktlich, zeigte sich bald, daß man mich nicht zu lange alleine lassen darf ("Einen wilden Mann kann man nicht halten", Bernadette Hengst) - ich werde dann unruhig und komme mit anderen ins Gespräch. Die nette Dame, mit der ich nun auf einer Bank an den Landungsbrücken ins Flirten Gespräch kam, war zwar schon Mitte 70 und weniger blond als grauhaarig, dafür aber gutgelaunt und humorvoll, zwei Eigenschaften, die man an Frauen ja nicht hoch genug schätzen kann. Die rüstige Dame erzählte von ihren Reisen und ihrer Leidenschaft für die See und bedauerte, keinen Reisegefährten zu haben, der mit ihr die Überfahrt nach Helgoland wagt. Ich stand kurz davor, laut zu rufen, hier! nehmen Sie mich, Reisen ist doch mein zweiter Vorname - aber ausgerechnet da platzte dann Lu dazwischen, die mittlerweile den Weg gefunden hatte. Da galt es, die Situation retten und mich bedauernd verabschieden, die alte Dame zeigte aber mildes Verständnis, und so zog ich dann doch noch mit der Blonden die Elbe runter.

Hamburg hatte Sommer im Programm, ich verteidigte Sängerin Lena, die gerade auf Abiturfahrt nach Oslo ist und hörte dafür brandheiße Geschichten in warmer Sonne. Die Containerschiffe, so eine andere Beobachtung, liegen immer noch verdächtig weit über der Wasserlinie, aber man gibt ja das Hoffen nicht auf. Zurück dann schnell noch beim famosen Herrn Krüger vorbeigeschaut, der mich zurecht! des Vernissage-Schwänzens zieh (ich habe dann in Selbstkasteiung auch die angebotenen Getränke ausgeschlagen). Eine wirklich großartige Ausstellung hat er da gerade in seiner Galerie, ganz tolle Sachen, wenn man bitte einmal schauen möge, von Femke Hiestra, Fred Stonehouse, Atak und Heiko Müller. Ganz aktuell quasi die Bilder von Ryan Heshka, der einerseits Taucher zeigt, die verzweifelt versuchen, ein Bohrloch zu schließen und andererseits schutzanzugumhüllte Retter, die mutierte Rieseninsektoide in ölverseuchten Sumpfgebieten jagen. Hier gibt es mehr zu sehen. Camille Rose Garcia hätte mit ihrer Reihe Ultraviolenceland auch gut dazugepaßt.

Für morgen ist endlich Regen angesagt.

("Neo Fabulists", Feinkunst Krüger, Hamburg. 8.-29.5.2010.)


 


Donnerstag, 27. Mai 2010


Wir machen zu

Hamburg ist bekanntlich das "Tor zu Welt", macht aber gerade die Türen zu. In der Kunstzeitung las ich vor ein paar Monaten erstmals über das eher schwachbrüstige und juristisch interessant gestrickte Finanzierungsmodell der Kunsthalle. In eine eher unterfinanzierte Stiftung entlassen, fehlen dem Museum nun 200.000 Euro, so daß man sich gezwungen sieht, die 1996 mit viel TamTam neueröffnete "Galerie der Gegenwart" bis Oktober zu schließen. Offiziell aus "Brandschutzgründen" - aber zufällig ergibt die "eingesparte" Summe just den genannten Fehlbetrag. Hony soit, qui mal y pense usw.

Was als demi-monde provinzielle Posse im norddeutschen Marschland hätte versickern können, zumal von Kultursenatorin Karin von Welck als eher "kommunikatives Mißverständnis" dargestellt, wurde von überregionalen Medien indes mit Entsetzen aufgegriffen, die Süddeutsche berichtete, die FAZ machte gleich eine fortlaufende Reihe daraus, in der Niklas Maak feststellte: "Denn am Ende überlebt ein nach dem Stiftungsmodell organisiertes Museum nur dann dauerhaft, wenn es überzeugende, mitreißende Ausstellungen macht. Dafür fehlt jetzt das Geld, und eine Schließung ist kein so gutes Signal, wenn man zeigen will, dass es wieder bergauf geht" (FAZ vom 19.5.2010). Ein paar Tage später entlarvte Peter Rawert ebenda ein solches Modell als eine Art "Bad Bank" der Kulturpolitik, mit dem nicht zuletzt der Stiftungsgedanke vom Staat selbst desavouiert würde. Wahrlich ein fatales Signal.

Nun hat auch das Fernsehen die Sache aufgegriffen, Kulturzeit berichtete, denn in Hamburg scheint sich nun ein Schließungsbrand auszubreiten. Gestern meldete das Altonaer Museum, das soeben für drei Millionen aufwendig aufgehübscht wurde, nicht schließen, aber doch irgendwie, nun ja, schließen zu müssen. Wegen, nun ja, Brandschutzmaßnahmen.

Es ist aber alles nicht so schlimm. Denn am Wochenende feiert die Elbphilharmonie Richtfest, ein bislang eher für Disharmonie sorgendes Millionengrab, das sich Hamburg statt ursprünglich avisierter 70 Millionen nach Mängeln, Nachforderungen und weiterer Nachforderungen bald eine lockere halbe Milliarde Euro kosten läßt. Ein sogenanntes "Leuchtturmprojekt", das strahlen soll, während in der Stadt die Lichter ausgehen. Wie schrieb Niklas Maak: "Hamburg zeigt [...] dass der durchaus üppige Etat, von dem die Kunsthalle etwas brauchte, in aberwitzigen, dinosaurischen Prestigeprojekten wie der Elbphilharmonie versenkt wird, das immer mehr zu einem vertikalen schwarzen Loch wird, in dem am Ende Hamburgs letzter Pfennig zu verschwinden droht". Geld, auch das weiß man seit der Finanzkrise, ist also da und zwar auch im Kulturetat.

Wann genau diese sogenannte Philharmonie übrigens fertig sein wird, weiß niemand so genau zu sagen. Macht aber nichts, wir feiern einfach schon einmal. Und, so zischeln böse Zungen ja schon lange, gute Ausstellungen sieht man doch sowieso eher im Hamburger Bahnhof. Na dann, Prost.