Donnerstag, 3. November 2011
Sie klingen wie eine Mischung aus The Slits, die gerade ihre Psychedelicphase haben, und vielleicht, na sagen wir mal Cat Power. Grobe Landmarkierung. Die Instrumente stolpern manchmal ein wenig unsicher, aber dafür umweht die Band auch nicht so der große Hype wie bei diesen unerträglichen AnnaEsbenCalviWitches und wie die diese ganzen 80er-Neo-Goth-Bands heißen, denen die (meist männliche) Großkritik Einflüsse von PJ Harvey (höh?) bis, Himmel, Patti Smith (höh?) nachsagt, statt einfach mal bei den offensichtlicheren Siouxsie and the Banshees nachzuschlagen.
Warpaint tragen trotz des kriegerischen Namens nicht so dick auf, versinken bei allen mellow-Klängen nicht in dieser quarkigdampfenden Gotikpaste, aus denen die Calvis dieser Welt mit lachhafter Ernsthaftigkeit mit Hexenarmen winken. Huhuhu. Auf mich wirkt diese Band angenehm ironisch, verspielt, unbefangen. Die nehmen sich Nirvanas "Come As You Are", den Flanger-Bass von The Cure und spielen dazu mit gepflegter Dissonanz wie die Cocteau Twins in der Kinderhüpfburg. Bei Youtube tauchen schon die ersten Coverversionen aus anderen Jugendzimmern auf, das finde ich großartig.
>>> Geräuch des Tages: Warpaint, Elephants
Montag, 1. August 2011
Wenn man die Gelegenheit hat, die feingeistig durchinszenierten Dagegen-Lieder von Happy Grindcore live zu hören, sollte niemand dagegen sein. Im Beiprogramm spielten die Gießener Boxhamsters vor exaltiertem Haus. Ausklang einer trubeligen Woche, Blut, Schweiß und Atomkraftwerke oben auf der Bühne, Happy Grindcore predigen Demut, die Boxhamsters goldene Herzen, wir träumen im Stehen, ein junger Mann immerhin, ungefähr in dem Alter, in dem man sein Leben noch unredigiert führt, spricht mich auf meine Schuhe an. Guter Mann.
Wie überhaupt die Jugend nicht nur verloren ist.
Mittwoch, 27. Juli 2011
(Anfeuerungsruf)
Rückblickend betrachtet war die große Kiezkampfsause am Freitag im Hafenklang deutlich die friedlichste Veranstaltung dieses kruden Wochenendes. Gut, einem Kraken (Dr. Tentakel, sprechen wir es aus, man darf die Namen der Ringer ja nennen, wenn man sie weiß) wurde ganz gemein das Hirn rausgezogen (vom scheiß Kommander Kernschmelze nämlich, sprechen wir es ruhig aus). Kampfroboter Bio Bento das ökologisch nachhaltige Karottenherz (vom scheiß Kommander Kernschmelze, sprechen wir es ruhig aus). Aber dafür wurde auch ein Windpark eingeweiht. Und ein ganz besonders schöner! Grüne Wiesen und bunte Windräder. Und das Atom wurde glücklicherweise besiegt (von Bento III nämlich, sprechen wir es ruhig aus!) .
Capitan St. Pauli, Stern Sanchez und altbekannte Steher wie Captain Penis, sprechen wir es aus, kochten die Menge hoch, Iron Mädel zeigte, wo die Damen den Most im Ring holen (unterlag zuerst, wurde am Ende aber doch Rock&Wrestling-Champion 2011!), aber da war das Publikum schon völlig verzückt, weil eine stille, zagende Hoffnung tatsächlich wahr wurde: Hamburgs härtestes Nummerngirl Dolly Duschenka trat vom Rücktritt zurück und tütete am Ende noch (physisch und psychisch schon deutlich angeschlagen, sprechen wir es ruhig aus) den teuflischen "Louis Cyphre" ein - der den Angel Heart-Sümpfen Louisianas frisch entstiegen schien, um in einem Hamburger Ring unschuldige Geschöpfe zu drangsalieren. Da verschlägt es einem die Sprache, sprechen wir es ruhig aus.
Kleiner Wermutstropfen im wabernden Fusions-Rauch aus Höllenschwaden und Ringerschweiß: möglicherweise substanzbeschleunigte Selbsterregte, die latent aggressiv auf der falschen Seite des Seils am Ring rumtobten. Irgendwann wurden sie sogar vom Ringrichter zur Zurückhaltung ermahnt, ein eher selten geübter ordnender Eingriff für diese Art von Veranstaltung. Als auch in Hamburg und der Welt beliebte Blogger zur Diskussionseröffnung luden, ging zum Glück Lady Grey als eine Art Super-Nanny für Revierkampf-Geweihvorzeiger resolut dazwischen, ich hätt' die sonst platt, und es konnte für den Rest des Abends im Ring weitergekämpft werden. Sprechen wir es ruhig aus: toller Abend, tolle Stimmung, grandiose Kämpfe ohne Kompromisse, aber - wie heißt es so schön? - immer fair!
Am Ende aller Sprache und Special Moves summten wir zum Dank an die Crew alle glücklich und schweißüberströmt die Hymne, die uns Nik Neandertal mit auf den Weg gab: "Rock&Wrestling ist stets wu-hunderbar!" Jajaja-jaa.
Dienstag, 26. Juli 2011
Dolly Duschenka ist zurück.
Freitag, 22. Juli 2011
So, einmal im Jahr kommt die Zeit, die zarten Lyrikbändchen zur Seite zu schieben, den parfümierten Kragen abzulegen und ein paar Dehnungsübungen zu machen. Wenn man in den nächsten Tagen nichts von mir hören wird, bin ich bandagiert zur Kur. Auslüften, Einrenken, Elektrolyte nachfüllen. Bis dahin bitte einfach die offizielle Hymne einüben und mir die Daumen drücken.
Montag, 11. Juli 2011
Auf leergelaufenen Batterien wie ein Schoner in der Flaute mit der Flut hinaus ins Wochenende. Menschen stehen wie in Erntestapeln gepackt und machen Rumble, machen Bewegung zum durch Reklame verdorbenen "I'm Coming Home", kleben nasse Leibchen dicht an dicht, hauchen in mein Bier, reflektieren glitzernde Lichter aus der Tiefe ihres Augenhintergrundes. Im Kleinstlokal hat eine Band gespielt, hochwertige Gitarren werden über den Köpfen der wogenden Menge hin- und hergeschwenkt. Im Tingeltangel um die nassgewischte Kopfsteinpflasterecke rum läuft als erstes eine Vorführung, die ich so schlecht auch noch nicht gesehen habe. Zu 80er-Jahre-Nervös-Disco eine Mischung aus Flashdance (inklusive Wassereimer überm Kopp) und Trashdance (Cobra Killer irgendwer?), alles ennervierend over-performed und letztlich überbekleidet. Das Ergebnis für Bühne und Publikum hieß Verheerung. Später in der Nacht wird man aber mit einer der besten Auftritte dort entschädigt, gut getimte Choreografie zu akzentuiert swingender Musik, viel Augenzwinkern, sehr sexy. Lauter kleine Gesten und ein großer Hafenspaß.
Es liegt zu wenig Schlaf in all den Tagen, den sonntags einzuholen keine wirklich hübsche Idee ist. Schlafen und Wachen schließen sich aus, nur das Wetter ist so voller Gleichzeitigkeit: Regen im prallen Sonnenschein. Das hat es doch als Kind zuletzt gegeben.
Freitag, 24. Juni 2011
Sexmusic for Antpeople.
(Adam and the Ants,
"Don't Be Square")
Glaubt ja auch keiner. Er galt ja mehr als Karnevalspunk mit seinen Piratenkostümen und dem Bierfaßgitarristen und der polternden Glam-Rock-Musick. Aber Adam Ant war eben doch einer von den Wilden Kerlen, wie er so durch die Kinderzimmer der frühen 80er rollte und dabei jede Menge Gefangene machte. Die Briten haben ja immer eine Nische für ihre Exzentriker, und so nimmt man sich dann vielleicht bei aller gesunden innewohnenden Selbstironie irgendwann doch selbst zu ernst - als Blogger kennt man das ja - jedenfalls kämpfte Adam Ant, also Stuart Leslie Goddard, erst mit mäßigen Filmrollen, später dann mit verschiedenen Erkrankungen des Körpers, der Seele und der Gewohnheitenkontrolle. Aber, et hätt noch immer jot jejange: Seit einiger Zeit tritt er wieder live in England auf, und wie es sich dieser Tage für zünftige und leicht gealterte Piraten gehört, ähnelt er dabei Johnny Depp - oder verhält es sich einfach anders herum? Ameisenmann - nimm brav deine Medikamente und schau doch auch mal hier vorbei!
>>> Geräusch des Tages: Don't Be Square (Dirk Wears White Socks). Das ist die spätere Mainstream-Version, die ursprüngliche Punk-Version spielt eigentlich worauf an? Dirk Bogarde im Nachtportier? Rätsel über Rätsel.
Mittwoch, 1. Juni 2011
Nachdem die nicht wirklich nervige, aber doch etwas eintönige Vorband ihr Hinterhof-Instrumentengeraffel beiseite geräumt hatte, zeigten Low, wie man mit weniger Instrumenten und noch konsequenterer Eintönigkeit große Musik macht. Das um Bass und Keyboards erweiterte Duo klingt, um für Verirrte mal eine sehr grobe und gleich wieder falsche Richtung vorzugeben, an den exaltierteren Stellen wie "White Stripes spielen Neil Young" - aber in der Regel ist die Exaltiertheit sehr kontrolliert, fast schon wieder entspannt, auf jeden Fall sehr zeitgedehnt, runtergestimmt wie ein zu langsam laufendes Tonband, immer ein wenig "kann man mal machen" - gefolgt von einem "aber vielleicht nicht gerade jetzt".
Große Kunst also, die hübsch auf dem grauen Teppich bleibt. Wie in Monkey etwa, einem dieser fröhlichen Mitsummschlager für beschwingte Kaurismäki-Abende, an denen man die Tapetennähte an der Wand zählt oder Schrot aus den Brettern des Hühnerschuppens mit einem recht schon stumpfen Messer puhlt. In einem Anflug von Übermut eröffnet Sänger Alan Sparhawk eine Runde für auf den Nägeln brennende Fragen, die er nun herzlich gerne beantworten würde, mir aber fällt "What is the key to happiness?" eine Sekunde zu spät ein.
Sunshine, würden Low vielleicht sagen. Aber das ist nun bloß geraten.
>>> Geräusch des Tages: Low, Words
Samstag, 7. Mai 2011
Establishments like a laugh.
Yes we're very entertaining,
Overtones can be betraying.
(X-Ray Spex, "I'm A Poseur". 1978)
Aufräumen, Auslüften, Abschütteln: Die alten Gedanken rausstellen, Platz machen für neue Gedanken. Sich in wattierte Wochenenden legen, die Flusen aus dem Bauchnabel puhlen, sich einen Untersetzer daraus filzen oder eine Picknickdecke.
Unbehagen. Miss Manierlich trägt noch ein paar Gedanken zur heiteren Versammlung nach. Man muß immer vorsichtig sein, wenn man in vorgewärmter Runde klatscht, Teil eines Strudels wird, sich im Sog des eigenen Fahrwassers verliert, weil das Schiff nur noch im Kreis dreht.
Unbehaust. Vorletzte Woche hörte ich noch in ihr soeben erschienenes Soloalbum rein, ein paar Tage später wurde über die Empfangsantenne meines Radios schon die schwarze Armbinde gestülpt. Poly Styrene. Auch schon tot.
Damals waren die Geräusche von I'm A Poseur völlig anders als alles, was ich jemals zuvor gehört hatte. In unserem Umkreis gab es ein auffällig ausrasiertes Punk-Mädchen, das die LP besaß und zu dieser Musik tanzte. X-Ray-Spex mußten folglich schwer in Ordnung sein, schloß ich im unerschütterlichen Glauben meiner noch weitgehend keimfreien Woolworth-Jugend.
Unbehauen. Lieder wie das oben erwähnte gehen uns natürlich immer noch alle was an. Ich zum Beispiel möchte ein kratziger, roher Stein sein, der schwer in euren Schössen liegt. Beim Kuscheln auf der Picknickdecke.
>>> Geräusch des Tages: X-Ray Spex, The Day The World Turned Dayglo
Dienstag, 11. Januar 2011
Irre. Und Made in Austria. Muß nun alle meine Sonic-Youth-Alben neu hören. Ich komme jetzt ins analytische Alter. Pfeife kommt aber nicht ins Haus.
Auch irre. Das Finanzamt will, daß ich die Kosten für die Elbphilharmonie fortan alleine übernehme. Binnen einer Woche, schreibt man und empfiehlt das "bequeme Lastschriftverfahren". Ich empfehle einen Blick in die behördeneigenen Akten und rechne im stoischen Vertrauen auf Beamtentugenden mit einem Versehen.
Bis dahin höre ich weiter analytisch meine Sonic Youth-Alben und entdecke ungeahnte Geräusche, das Ächzen von Gitarrensaiten und Anatmen vor Studiomikrofonen. Kleine Fehler bei den Liveauftritten. Werde das alles von der Steuer absetzen.
Bin wieder auf Glatteis gestürzt. Neben schlimmen Schmerzen ist der schlimmste Schmerz die Selbstdemütigung. Wie ein hilfloser Käfer auf dem Boden liegen, darauf wartend, von den Schwestern mit Äpfeln beworfen zu werden, die Knochen durchzählen und dann im Dunkel des heranbrechenden Abends nach Hause schleichen. Ich bin fast bereit, demnächst einen Bus zu nehmen.
Ausatmen. Sie lesen entweder aus Lichtenstein dem Hamburger Schuldturm oder einem Krankenlager weiteres von mir. Ich werde dort Zeitungssausschnitte sammeln, nachdenken und meine Neuentdeckung Chelsea Wolfe hören.