Freitag, 7. Januar 2011


The Time Is Now



Wer sich fragte, warum hier etwas unregelmäßig geschrieben wird, dem sei versichert, es ist alles gut. Ich habe nur furchtbar viel zu tun. Da ist zum Beispiel diese TV-Show, die ich in nicht allzu ferner Zukunft in einer mir fremden Sprache moderieren werde, was mir sehr viel Freude bringt. Es geht ganz entspannt um coole Musik und noch mehr um Erinnerungen. Macht auch ein paar, jetzt am Wochenende vielleicht. Dann habt ihr später auch welche.

>>> Weitere Podcasts von Kid Vinil

Radau | von kid37 um 12:48h | 9 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 23. Oktober 2010


Grinderman





Ich bin ja nicht wirklich ein Fan von Nick Cave. Da war mir in seinen Texten, in seinem Gesangstil, seiner Art zu leben zu viel Pose, zu viel Getue um Leid und Blut und Religion, eine Art zu zelebrierter Schwere, in eine gewisse Form erstarrt, die mit abgewetzten Jackets und dem Geruch von kaltem Rauch, bitterer Chemie und billigem Fusel wie eine Blisterverpackung für diese Art ungewaschener Drogen-Rock'n'Roll für Studienabbrecher zu sein schien. Vielleicht war es auch nur Eifersucht, ich meine, PJ, Kylie, und vielleicht noch zwei, drei mehr. Und all die jungen Damen in den 80ern, benetzt, bestiefelt, mit Düsternis bestäubt, sie lagen einem ja derart in den Ohren mit diesem Mann, man mußte schon die Flucht nach vorn oder links vom Bühneneingang nehmen.

Die waren jetzt auch alle da, älter geworden wie wir alle, und ein paar jüngere dazu. Es wächst ja alles nach, so wie die Vorband, die klang wie Siouxsie Sioux zu Peepshow-Zeiten, begleitet allerdings nicht von den Banshees, sondern von den Shadows, die noch mal ihren alten Hit Apache auflegten. Klingt krude, war aber so und funktionierte nur sehr oberflächlich. Zum Glück hielten sie sich kurz, danke, Vorband!

Neben ein, zwei Birthday Party-Stücken und solchen aus der Zeit mit den Bad Seeds gefiel mir das Projekt Grinderman, das Cave mit seinem Kumpel Warren Ellis ins Leben rief, von Anfang an ausnehmend gut. Dufter Altherrenrock, so als wären die verkommenen Brüder von ZZ Top tief in die Sümpfe Louisianas gestiegen, hätten mit Fröschen, schwarzen Schlangen und anderem biblischem Gewürm im Schlamm sich gewälzt, sich anschließend mit tüchtigen Schlucken Bourbon innerlich und äußerlich gut abgewischt und dann beschlossen, marodierend durch die letzten Vorposten einer sündigen Zivilisation zu ziehen.

Cave scheint endlich die Selbstironie gefunden zu haben, seine Rolle mit innerer Ruhe, seine Posen mit Lust am Spiel und einer gewissen entspannten Routine abzuspulen. Ellis steuert den nötigen Schuß derwischhafte Unberechenbarkeit und eruptive Energie hinzu, während die Rhythmussektion ein dumpfes, dunkles, mahlendes Stampfen unter die Songs legt, wie ein bösartiges, knurrendes, zu lange eingesperrtes Tier, das Beute reißen oder kopulieren will.

Cave ist natürlich abgewichst genug, die alten Tricks noch draufzuhaben. Er widmet ein Lied der Grafikerin der Band, die offenbar aus Hamburg stammt, ruft überhaupt oft "Hamburg!" ohne allzu anbiedernd zu wirken, geht dann hinaus an den Bühnenrand, streift Hände, blickt tief in die Augen der weiblichen Fans dort vorne, singt ihnen persönlich ein paar Zeilen, um dann wieder vom No Pussy Blues zu jaulen und greinen, daß man bald neben Bier, Schweiß auch anderes von der Decke tropfen meint. Das Ziel dieser bärtigen alten Männer (Cave hat seinen übrigens abgenommen, ich sagte noch zu Herrn K., die Umbaupause dauert so lang, der ist bestimmt beim Rasieren.) ist klar: Niemand kommt hier sauber raus, verständlicherweise sehnte sich auch niemand danach und garantiert gingen nach dem Konzert einige scheinschwanger nach Hause.

Lustige Lieder wie der kleine Hit Honey Bee, Let's Fly To Mars und schwere Stomper wie "Get It On", eine prima Beleuchtung, ordentlich Hormonbeschwingung, ein paar Hallos und noch mehr Biere: Doch, ich fand's ziemlich, ziemlich gut.

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Radau | von kid37 um 03:11h | 16 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 22. Oktober 2010


Ari Up †

Wie muß das sein, wenn einem Joe Strummer die ersten Griffe auf der Gitarre zeigt? Da war sie zwölf oder so. Ihre Mutter heiratete später John Lydon, als er schon lange nicht mehr "Rotten" hieß. Ende der 70er ging es von München nach London, und die 15-jährige Ari Up, wie sie sich nannte, gründete mit Freundinnen The Slits, die mit schrägen Geklimpere (das erste, inoffizielle Album klingt wie aus dem Proberaum von Cocorosie mitgeschnitten, ab und an hört man, wie draußen die Hochbahn vorbeirrauscht) und kessen Up-tempo-Reggae-Liedern und feministischen, provokant-witzigen Texten über Ladendiebstahl, erste Liebe und Geschlechterrollen ein vielbeachtetes Gegengewicht zum Testosteronpunk ihrer größeren Brüder wie The Clash und den Pistols waren.

Zum ersten Line-up gehörte noch Budgie, der später als Drummer bei den Banshees anheuerte. Die Slits nahmen nach ihrem auch wegen des freizügigen Coverfotos kontrovers gefeierten Debüts noch ein weiteres Album auf, nach dem Split arbeitete Ari Up unter anderem als Sängerin für Adrien Sherwoods Dub-Projekt New Age Steppers... und verschwand dann in der Weltgeschichte.

Vor ein paar Jahren in Berlin war ich überrascht, als ich an einem Laternenpfahl den kopierten Zettel einer Konzertankündigung las. The Slits sollten tatsächlich in irgendsoeinem Laden auftreten. Der Termin war leider unter der Woche, und nach Hamburg kamen sie nicht. Vor einiger Zeit aber legte Ari Up als DJane irgendwo in der Hansestadt auf, da konnte ich wiederum nicht - und so habe ich sie also zum dritten Mal verpaßt.

Ari Ups Gesang, ihr auffälliger Akzent, die Up-front-Attitüde stachen deutlich heraus - und eines waren die Slits sicher nicht: Gecastete Püppchen oder sonstwie Typical Girls (so der ironische Titel eines ihrer Hits, von denen ich damals viele mitgepfiffen habe). Ihr Auftritt in Derek Jarmans Punkfilm Jubilee zeigt das. "Autos sind begehbar", hieß es damals nicht umsonst.

Ich weiß nicht, ob "hurry up" wirklich ihr Motto war. Beeilt hat sie sich schon: Am Mittwoch ist Ari Up (eigentlich Ariane Daniele Forster) in Los Angeles gestorben. Da war sie 48 Jahre alt.

>>> Geräusch des Tages, The Slits: Typical Girls

Radau | von kid37 um 13:53h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 26. September 2010


Peter Hein gibt 'ne Party, doch wir kommen nicht rein



...der Türsteher schickt uns heim. (Die Toten Hosen, "Jürgen Englers Party"). Ganz so ist es natürlich nicht gewesen. Für den Erwerb eines Festivaltagestickets hätte ich das einzige Konzert, das mich interessiert hätte, auch besuchen können. Aber auf St. Pauli stehen die Türen bekanntlich immer offen, und so blieb ich einfach in einer Bierpfütze auf der Straße stehen, kaute an der Kordel meines Anoraks und schaute von dort aus zu. Immerhin: Es hätte auch regnen können.

Die Band gab sich ziemlich druckvoll, Peter Hein schien auch nicht gar zu schlecht gelaunt. Leider spielten sie fast nur das neue Album, ausgerechnet "Es geht voran" noch, was von 33 Tagen in Ketten, "Paul ist tot" als Zugabe. Vielleicht ganz gut, sonst wäre ich möglicherweise noch melancholisch geworden vor lauter Nostalgie und hätte den Türstehern die Texte vorgesungen. "...Einkaufsbummel im Erdnußland/Was übrig bleibt wird..." Versteht doch heute eh keiner mehr, insofern ist es gut, wenn alles mit der Zeit geht.

Ich bin samstags eher selten "auf dem Kiez", schon gar nicht auf der Großen Freiheit, die man mittlerweile auch Schinkenstraße nennen könnte oder Ballermann. Eine Trubelmeile für Junggesellen- und Junggesellinnenabschiede, die größte Pest moderner Ausgehtage. Angeheiterte Damen in uniformen T-Shirts ("Braut-Eskorte" oder "Sex-Beraterinnen"), die einem Schnaps mit witzisch-anzüglichen Namen (Stichwort: "Dosenöffner") verkaufen wollen, Dauerlutscher oder Buntstifte. Gibt es auch. Die Hölle muß... anders sein. Wenigstens wird dort nicht dreckig gelacht.




Tagsüber bereits auf der Finissage bei Herrn Krüger gewesen und dann ein wenig Geld auf dem mittlerweile fünften Flatstock-Festival für engagierte Druckgrafik gelassen. Abends dann Komet, den wöchentlichen Passivnikotinspiegel auffrischen zu den dreckigen Sixties-Beats der famosen Miss Organella. Die U-Bahn gefüllt mit Hamburger Kleinkriminellengerede, Digger hier und Digger da, Kiffen und Geld, Kiffen und kein Geld, Schulden, Handy, Abziehen, bei irgendeinem, aber Digger, voll krass ey, vor der Türe stehen. Ich schlummere ein wenig, Kopf an der Scheibe, Das war vor Jahren im Ohr. Aber das hatten sie ja gar nicht gespielt.

Radau | von kid37 um 04:11h | 9 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 25. August 2010


Noch einmal, weil es so schön war



Siehe auch Rock & Wrestling 2010

Radau | von kid37 um 19:29h | 6 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 22. August 2010


Abwärts

Ich seh die Schiffe/
Den Fluß herunterfahren.
Bis sie verschwinden/
Draußen im Ozean.

(Abwärts)



Kein guter Tag. Billige Triumphe werden brühwarm serviert, ich zucke weitgehend still mit den Schultern, es ist nur der kurze Schmerz, wenn bestätigt wird, was man bereits lange ahnt. Was soll man schon sagen, außer eine gute Reise zu wünschen, den Schiffen hinterherzuwinken, zuzuschauen, wie sie den Fluß herunterfahren. Abends lieber Abwärts, Rod Gonzalez bedient dort ja die zweite Gitarre, man betanzt eben gern auch weitere Hochzeiten. Die Punkaltrocker spielen auf dem Rathausmarkt, Witze gen Senatsführung und ehemaliger Senatsführung bleiben naturgemäß nicht aus. Bremer Altpunks, ebenfalls musikbekannt, tummeln sich im Publikum, es ist überhaupt mehr so ein Familientreffen, kleine Schmetterlingstöchter werden geschultert, während Terror, Terror von der Bühne brettert. Überhaupt, nach all diesen miesen Nachrichten, ein schöner lauer Abend.

Nach dem Konzert dann rüber zum Gängeviertel gewandert, man feiert einjähriges Besetzen & Bestehen. Nachmittags schon ein kleines Interview fürs Feuerwehr TV gegeben, so als Mann von der Straße, interessierter Rentner, der mal schaut, was die jungen Leute machen. Ich glaube, ich war, bis auf den Bartschatten und das Krawall-T-Shirt, einigermaßen seriös. Abends also weiter die laue Luft, bunte Lichter, das Stimmengemurmel vieler Menschen und dieser elektrische Hauch von Erwartung, die nicht länger die meine ist.

Radau | von kid37 um 03:01h | 9 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 28. Juli 2010


Rock & Wrestling 2010 #2



Hafenklang in Bewegung. Wir zeigen die entschärfte Version, nur Geschmuse, keine Brutalitäten.

Radau | von kid37 um 12:00h | 6 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 27. Juli 2010


Rock & Wrestling 2010



Im Jahreskreis gibt es so einige Hochämter, Weihnachten gehört für manche dazu, wer einen hat, der feiert vielleicht Geburtstag, Karneval ist für den Rheinländer und alle vier Jahre gibt es die Fußball-WM. Und hart arbeitende Menschen, die nach ehrlichem Ausdruck körperlichen Schaffens sich sehnen? Die haben Rock & Wrestling, die einzig ehrliche, kompromißlos harte (aber immer fair!) und zugleich sexyeste Unterhaltung, die man für knapp zehn Euro erleben kann. Für mich, so doziere ich der Kulturausflugsgruppe im Vorfeld, ist das ein Hammam: Die Luft ist heiß, dabei unglaublich feucht, man schwitzt und schwitzt, wird gedrückt und geschoben und von Rauchwaren* umhüllt - und ein paar Stunden später, wenn man hinausstolpert an die kühle, frische Luft, fühlt man sich wie durchgewalkt und unglaublich entspannt.





Im wie immer ausverkauften Hafenklang war man wie zum Beweis schon weit vor Kampfbeginn durchgeschwitzt und leergeatmet, die Vorband indes kühlte rasch große Teile des Publikums ab. Es gab schockierende Nachrichten: Danger Pilz mußte kampf- aber nicht krampflos aufgeben, kotzte ins Taxi ("Diagnose: Pilsvergiftung", konstatierte Gewährsmann Axel K. trocken) und legte so wohl auch sein Kostüm lahm. Dies nämlich wäre meine Chance gewesen! Unerkannt ins Kampfkostüm und meinen Special Move gezeigt - und zwar vorzugsweise und besonders vehement gegen die böse To-do-Liste! Aber nun war es, wie es war und der einzigartige Baster zeigte, wie man im Ring seinen Mann steht.




D66 rumpelte seine One-Man-Psychobilly-Punk-Show durch die Umbaupause, Nik Neandertal sang den famosen Rock & Wrestling-Ohrwurm und servierte den nächsten Schock: Hamburgs härtestes Nummerngirl Dolly Duschenka, seit Jahren unverzichtbarer, tragender Bestandteil der Veranstaltung, die immer wieder auch kompromißlos ins Kampfgeschehen eingriff, Captain Penis an den Eiern packte und letztes Jahr den Großen Kong besiegte, Dolly Duschenka also, Freunde, hört auf. Ein Schlag von Capitan St. Pauli in die Magengrube hätte nicht heftiger ausfallen können.





Apropos, auch der muskulöse Götterfunke junger Damen erwischte einen rabenschwarzen Tag und verlor gegen Stern Sanchez - nicht ohne vorher noch seinen Schweiß aus dem Ring auch auf mich, jawohl richtig gehört, geschleudert zu haben. Betrachtet mich als gebenedeit. Der Wirrungen kein Ende: Loony Lobster tat sich mit seinem Erzfeind, Dr. Tentacle zusammen, um den König der Hafenarbeiterkämpfe, Popeye, zu besiegen. Nachdem der spontane Nummerngirl-Casting-Wettbewerb nicht richtig befriedigend verlief, möchte ich mich dafür einsetzen, daß Popeyes Olivia den Part übernimmt. Bitte, danke.




Fotos und Video von Axel K.

Rock & Wrestling auf Myspace

Radau | von kid37 um 12:21h | 11 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 24. Juli 2010


Verloren und trotzdem gewonnen



Jetzt noch ein paar Tage Sauerstoffzelt und Salzleckstein.

Radau | von kid37 um 17:51h | 3 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 8. Juni 2010


The Devil

I go out
To the old milestone
Insanely expecting
You to come there
Knowing that I wait for you there

(P J Harvey, "The Devil")

Da hocken wir also sicher in unseren vollverzinkten Blogs, während anderswo eine Frau in einem spinnwebverhangenen Keller sitzt und von ihrem Dämon singt. Ich weiß, das Album gibt es schon länger, bei mir geht eben wirklich alles sehr langsam, wie unter Äther sozusagen. Sonst hätte ich es 2007 schon wie ein fernes Wispern im Gebälk wahrgenommen. Aber da schlug sie mit ihrem verhuschten Jane-Austen-Spinster-Attire allen ein Schnippchen, die sie zuletzt mit viel Bein in kurzen Fummeln lieb gewonnen hatten. Lenkt nur ab, wenn auch erfreulich. Manche hatten auch ein bißchen Angst und Ehrfurcht vor ihr und ihrer Energie und Intensität bekommen, dabei sieht sie immer so schmal aus, daß man ihr heimlich ein Käsebrot zustecken möchte. Die Musik nun von White Chalk, das vorletzte Album also, oszilliert zwischen sanften Geklimper im Kreidestaubzimmer und dem Geräusch eines quietschenden Stücks Kreide auf dem zittrigen Weg die Wandtafel hinunter. Da ist so viel Liebe darin. Und Einsamkeit. Und Verzweiflung, daß es für mehrere Sommer reicht. Wenn Die Stille ganz besonders laut ist: And somehow expect/You'll find me there/That by some miracle/You'd be aware.

Prima Idee von euch und unausweichlich dazu, das Album gleich morgen zu erwerben. Alle.

Radau | von kid37 um 12:22h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link