Freitag, 7. Mai 2010
Up the broken pieces of yesterday's life
(Jimi Hendrix, "The Wind Cries Mary".)
Wir leben in einer Zeit, in der bekanntlich selbst ein Handyvertrag länger dauert als die meisten Beziehungen (Mindestlaufzeit 24 Monate). Manche werden es also geahnt haben, als hier zuletzt nur noch wenige Beiträge erschienen. Sie hat mich verlassen. Sie hat auch keine neue Adresse hinterlassen. Ich stand dieser Tage nichtsahnend am Empfangstresen, traurige Augen schauten mich an, und eine Stimme sprach merkwürdig tonlos wie aus einem fernen Diazepam-Nebel zu mir heran. Sie sei nicht mehr da, hieß es. Und sie käme auch nicht wieder, als ich insistierte und etwas von Das ist ein Scherz jetzt, ist es nicht? murmelte.
Im Nachhinein bin ich nicht mehr ganz so überrascht, es fügen sich plötzlich Indizien zu einem Bild. Auch weiß ich um die, nun ja, gewisse Unbeständigkeit der großstädtischen Frauen und um den, ich möchte es ausnahmsweise diplomatisch sagen, Erlebnishunger, den man speziell den Damen aus der Hauptstadt nachsagt. Ihre letzten Worte an mich waren "War nett", denen ich ein "Äh, ja, war es" zurückstotterte, überrascht ob dieser persönlichen Wendung. Dabei war unser dem Grunde nach ja rein professionelles Verhältnis immer irgendwie persönlich gewesen. Jemand, der einem nicht nur die Zukunft aus einem Tropfen Blut lesen konnte, sondern auch wußte, was es mit den gestörten Herztönen auf sich hatte, kann einem ja nicht unpersönlich gegenüberstehen und die Druckmanschette überstreifen oder mit einer großen Stimmgabel die Nervenbahnen in den Füßen überprüfen. Was man halt so macht, wenn man sich mag oder zehn Euro bezahlt.
Vielleicht wollte sie zurück, da war immer dieser Glanz in ihren Augen, wenn sie von Wochenenden in der großen Stadt erzählte. Vielleicht gefiel ihr die Arbeit nicht. Ihren Terminkalender, sagte man mir, habe ein Kollege übernommen. Ich sagte, ich nehme das persönlich, und ich lehne das ab.
>>> Geräusch des Tages: Smokey Robinson, Gotta Dance To Keep From Crying

Samstag, 24. April 2010

Und selber? Heute mal lieber nur im Viertel agitiert. Blogger, laß das Glotzen sein/Komm' herunter, reih' dich ein! vor mich hingesummt und die soziale Vernetzung auf der Straße bereichert. Wir wollen das hier nicht, habe ich gehört, das sei schädlich für die Gesundheit.

Dieses Jahr besteht die fatale Aussicht, daß es wiederholt eine Marienkäferplage geben wird. Wir erinnern uns an letztes Jahr, Invasion an der Ostsee usw. Den ersten fetten Brummer habe ich bereits gesichtet und muß erneut warnen: Die Biester haben rasant dazugelernt, sie haben mittlerweile das Rad erfunden. Bei dem Tempo vermute ich, daß sie nächstes Jahr die Sache mit dem Schießpulver begriffen haben werden - und dann gnade uns Gott!

Ein bißchen Musik gehört, Bücher gekauft, den dicken Bauch gerieben. Im Fahrradladen gewesen, weil ich es mag, daß man dort immer gedutzt wird, egal in welches Geschäft man geht. Sie hatten meine Lampe nicht, es ist mal wieder kompliziert.

Wahre Liebe auf dem Wasser, wo sonst, möchte man fragen. Bald ist es warm genug für die Hedi. Zwei Bier, ein Sonnenuntergang, geht schon, nicht einwickeln, ich nehme es so.

Montag, 19. April 2010


Ach, die Tage fliegen dahin, mit ihr die Zeit (ticktock), die Zeit, die Zeit, die liebe Zeit. Wimmernde Problemfelder in 3D, die rufen "Erledige mich!", quietschende Scharniere, zerschundene Füße, Papierstapel und Zahlenfelder. Dazu: der Haushalt. Aber Freunde, Tür auf, Schwall Essig rein, Kühlschrank sauber - so geht das nicht. Die Dinge wollen beim Grundsätzlichen gepackt, entdarmt und ausgewaidet werden, die Farbe schön runtergeputzt, bis aufs nackte Holz. Überhaupt muß man viel mehr nackt sein, aber bitte nicht erst, wenn man durch die Wälder streift. Nachts sieht man nur Schiffe und Lichter und Hoffnung, aber tagsüber - die Räder singen schon wieder über dem Asphalt, tragen bis in den kondensfreien Himmel - verschlug es mich in die Naturschutz- und -freundegebiete mitten in FKK-Winkel, ich meine, ich weiß ja von nichts, ich kann das ja nicht ahnen. Ich habe Dinge gesehen, Dinge, sage ich, man möchte darüber keinen Bericht. Männer in Sandalen, bleiche Haut, intime Schlenkerkultur und die Zeiger auf halb acht.
Das hätte man mal dem Besuch aus der großen Stadt vorführen können, aber die rufen immer "Schiffe sehen, Schiffe sehen", während ich dann zaghaft sage, hier, schaut, Graffiti an kaputten Wänden, wir haben auch Großstadtflair! Mit humpelndem Fuß einen auf tapfer gemacht, zuviel erzählt und zu wenig gefragt, man kommt ja aber sonst auch nicht raus. Natur also, wenn schon die Flugzeuge nicht gehen und meine Packstation auch nicht, die Technik also kapituliert vor dem staubigen Bäuerchen eines isländischen Vulkans. Ohne Zwang macht hier ja niemand eine Pause.

Freitag, 16. April 2010
Wie der bekannte Schlager Es war ein Mädchen und ein Matrose so anschaulich präzisiert, ist ein zuviel der Rede und ein zuviel des verbalen Verstehens ja gar nicht immer wünschenswort. So plaudere ich stumm, schaue die Wolken und deute die Zeichen, zerfranste Metaphern, ausgezakt, schrill wie der Schrei im Büroflur, wenn das Glöcklein schlägt.
Gestern endlich die Fabrik einmal fünf Minuten früher verlassen und siehe da, es war hell noch für Augenblicke. Man sah ein Licht am Himmel, schweigend staunende Menschen packten sich ein vom Abendrot, tunkten Segel darin und sprachen von Glück. Derweil die Zeitungen runten von Blutregen und finsteren Wolken aus Asche, die vom vulkanischen Nordland herkommend langsam gen Süden ziehen. Ein altes Sprichwort sagt: Wenn die eisernen Vögel am Boden bleiben und der Himmel finster vor Asche ist, werden MP3-Player sein wie ein kleines Bayreuth und Walküren reiten über leergefegte Flugfelder. (Snorri Sturluson)
Schlaf könnte sein ein großes Versprechen.

Dienstag, 13. April 2010
made glorious summer
(Shakespeare, Richard III.)
Neue Umgebungen erzeugen, auch ein besonderes Können. Tagsüber öfter mal Augenrollen, sich einen oder seinen Teil denken, inneres Schulterzucken, Arbeit von links nach rechts auf die Ausgangspalette stapeln. Mal sehen, wann es bricht. Mal sehen, heißt das, was bricht. Sich tageweise rausstehlen, Kurzreisen in andere Städte, Kurierfahrten in unbestimmter Sache, selbsterklärtem Auftrag.
Post aus New York, Coney-Island-Träume wehen mich an, Reiseführer liegen auf meinem Tisch, ich werde etwas auswürfeln zu gegebenen Zeiten. In der U-Bahn lese ich etwas über die Fotografin Gerda Taro, eine spannende, verzwickte Biografie offensichtlich zwischen Aragon und Capa, heute vergessen, "was also" - gedacht - "wird man später denken über unsere Zeit". Ihre Fotos kann man nun in Stuttgart sehen.
Einen Traum gehabt, in dem mich Donna Hay bekochte. Aus der Heimat meldet sich eine Exfreundin, schwanger sei sie. Prima, sage ich. Dann fange ich jetzt ein Strickblog an.

Sonntag, 4. April 2010
Scorned transfigured child of Cain.
(Patti Smith, "Easter")
Es gibt ja so Tage, da sprechen sich Menschen aus meinem Umfeld mit einer gewissen Heimtücke ab, einzig dem Ziele verpflichtet, mich zu beschämen. Kill him with kindness kichern sie, versteckt hinter irgendeinem Gebüsch oder brennenden Feuer und warten auf den Moment, da ich mittags morgens die Türe öffne, um überrascht den Stiefel reinzuholen. Die sehr schöne Frau™, die sich beschwert, daß ich ihre Witze in meinem Blog verwende, ohne das Zitat kenntlich zu machen, und findet, daß ich somit fast schlimmer als die Hegemann sei, sendet ein Lamm, das auf dem Transportweg leider ein wenig gelitten hat (der Kreuzweg des Lammes), aber mir nachher sicher köstlich und schweigend entgegenbluten wird. Ein bloß willkürlich herausgehobenes Beispiel.
Ein großes Melden dieser Tage, ich bin ganz zerknirscht ob meiner eigenen Schweigsamkeit, fühle mich aber bereits hinreichend in die Ecke gedrängt. Seit gestern abend stehe ich nämlich wie festgenagelt in meiner Küche, ein neues kleines Regal an die Wand pressend - der Herr hat zu groß gebohrt, die Dübel wollen nicht halten. Das hätte unserem lieben Herrn J. einst passieren sollen. Nehmt also solange meinen Segen.
>>> Webseite zum Tage: Bunnylicious

Montag, 29. März 2010


Freitag nach Ende einer weiteren Komprimierungswoche durch Sturm und Regen schnell noch beim Café Smögen vorbeigekreuzt. Frau Fishy, zur großen Freude in der Stadt, hatte mir freundlicherweise einen Stuhl freigehalten, man findet ja sonst oft als nassgeregneter Matrose keinen Liegeplatz mehr. Also fix aus dem Ölzeug geschält und Herrn Bogdans musikalischen Ausführungen zum Thema schwere See und heitere Not gelauscht.
Der Besuch hat nicht das beste Wetter zur Stadterkundung erwischt, da muß man dann aber durch, von Bewirtungsstätte zu Bewirtungsstätte schwimmen, sich anstemmen gegen Kapriolen und blinkende Lichter. Wo ich bin, ist immer..., das kann man schließlich wissen. "Der Frost und die Frauen bringen die Männer um", heißt es bei Bernhard. Daher des Sonntags bloß ordnender Tau oder vorfrühlingshafte Ödnis: Belege ordnen, Akten sortieren, Ausweichstrategien gegen Steuerunterlagen erfinden - Politur mit einem Pinsel satt auftragen, zusehen, wie es einzieht in durstiges Holz.

Donnerstag, 25. März 2010

Erst Donnerstag und schon Träume von le week-end. Draußen lockt die Sonne selbst misanthropische Langsamdenker wie mich zu einer Art Nichtstun (während daheim schon wieder Elstern warten, Diebsgedanken im Hirn und jede ihr eigenes Fluchtfahrzeug). Ich freue mich über Blumen, aus hartverknospeten Wintermänteln brechen wie frischgemilchte Leiber hervor, wir lüften aus, wir sind Bewegung.
Aber nur bis zur nächsten Sonnenterrasse.

Mittwoch, 17. März 2010
Eins meiner Liebslingsklanginstallationen zur Zeit heißt "200 Tons Of Bad Luck", und wenn es so weiter geht wie bei Rise Up And Fight, kann ich bald wieder die mittleren Pink Floyd hören. Kommt alles wieder - wie ein zweihunderttonnenschwerer Eisenhammer, der vor- und zurückschwingt, während man den kopfhörerverkleideten Schädel im gegenläufigen Takt hin- und herbewegt, immer nur Zentimeter vom Treffer entfernt.
Apropos Treffer und scharfe Bemerkungen - oder Küchenmesser. Mir beim Zerschneiden einer etwas hartgewordenen Zitrone (die haben ja bekanntlich noch viel Saft) mit dem Messer erstmals von der Seite her den Fingernagel, ach was, den Finger ich sag mal bis zur Hälfte aufgetrennt. Während ich spontan ein mexikanisches Revolutionslied sang, den Finger abdrückte und zusah, wie dicke rote Tropfen auf meine weißen Küchenfliesen fielen, überlegt, für die nächsten Stunts doch besser ein Double anzufordern. Die Wunde, vom Zitronensaft gleich desinfiziert, pocht, heute Nacht werden mich pinkfloydische Träume heimsuchen, zentimeterdick die Wände bemalen und ölverschmierte Wesen aussenden, die mit glitschigen Fingern nach meinen Füßen greifen. Ihr möchtet das alles näher nicht wissen.

Sonntag, 14. März 2010
With your favorite finger
(Echo and the Bunnymen, "Seven Seas")
Das Tauwetter hat die verborgenen Reste freigelegt. Heute begegnete ich dem, was von dem toten Kaninchen übriggeblieben ist. Nicht viel, etwas nasses Fell, ein Stück vom Hinterlauf, dünne Knochen, Fibula, Malleolus lateralis, der Rest versunken, geraubt, man wird es nur noch gedanklich restaurieren können. Parzivals Hase. In fünf Monaten kam er nicht weit vom Fleck.
Im Happy House indes, hinter rostigen Türen wohlverborgen, ein Lager voller Kisten. Vorsichtig die eine oder andere öffnen, Staub von den Papieren blasen, die Stapel alter Notizbücher, die Schnüre mit Seemannsknoten gesichert. Die Worte absichtlich nur silbenweise sprechen, falsche Spuren legen, die Hände hinterm Rücken halten. Besser viel schneller gehen, eiligen Schritts sein, den Feuerlöscher suchen, der hinter einer der Türen steckt.
Zwei Tüten Altpapier immerhin zum Container gebracht. Irgendwelche zurückgelegten Seiten von 2009, also bitte. Alte SZ-Magazine, angelesen, auf Wiedervorlage gehalten, weg. Die Regenpause nutzen für ein wenig Wind um die Nase, kurz mal rund um die Insel, abendrunde Abendstunde. Ein paar Kaninchen hoppelten durchs Gebüsch, raschelten in den trockenen Zweigen.
Geräusch des Tage: Siouxsie and the Banshees, Happy House
