Montag, 3. März 2014


1000 Meisterwerke



Letzte Woche schon war der Absolventenrundgang in der HfbK, das ist ja immer eine gute Adresse für einen kleinen Ausflug unter junge Leute, schauen, was die von meinen Steuergeldern so treiben, sprich auch brav die Kunstsau rauslassen. Dieses Jahr aber war es eher abstrakt im Großen und Ganzen, viele Film- und Videoarbeiten zudem, für die einen ja leider meist die ganz große Zeit fehlt.

Gut gefallen haben mir die Arbeiten der Fotografin Eibe Maleen Krebs (Webseite), die ihre Doku Vom Hören Sagen (Trailer) über zehn blinde Menschen und ihre Träume und Vorstellungen über Licht und Farbe präsentierte. Dazu ausgelegt Fotografien, die mit Braille-Schrift bedruckt waren. "Eindrucksvolle" Idee, gutes Projekt auch.



Die alte Frage nach der Kunsthaftigkeit des Gezeigten wird auf den Fluren vorsorglich mit einem abgewendeten "Bitte stehenlassen" beantwortet. (aus meinem Essay: "Wenn Kunst mir den Rücken zudreht". In: Nexus Kultur. Hamburg: Dilthey & Nachf., 2014.) Was immer es ist, es will verbleiben, ein dinghaft gewordenes Versprechen, dem wir als Betrachter wie in Platons Höhlengleichnis von hinten nur als Schatten erscheinen. Vielleicht wurde die Kunst aber auch einfach nur beiseite geräumt.

Mit Franziska Opel (Webseite, ruhig mal durchblättern), die eine sehr überzeugende Arbeit zeigte mit kleinem Verkaufsautomaten (1 Karte, 1 Euro), rotierenden Scheiben, Drucken und Videoarbeiten, ein kurzes Gespräch über Bataille angefangen. War aber nur ein Nebenaspekt. Hätte ich eine Galerie, ich würde von ihr eine größere Fläche bespielen lassen.

Viel treppauf, treppab, wenig Malerei aber!, zum Schluß Kaffee und Kuchen, am Nebentisch ein berühmter Ex-Oberstaatsanwalt, Schauspieler und Autor, den ihr alle aus dem Schlingensief- und HGich.T-Umfeld kennt.

So war das.


 


Freitag, 20. September 2013


So böse alles



Die letzten Tage dann ein wenig mit dem Rad unterwegs gewesen, durchs Naturschutzgebiet, an der Düne vorbei, durch Vorort-Siedlungen wo auffällig viele Galgen in Vorgärten stehen. Daran Schilder von Immobilienmaklern: Zu verkaufen, Haus zu verkaufen, günstig zu verkaufen. Alles muß raus, der Radwanderer, der ungelüftete Mensch, die Vorstadtimmobilie.

Heute ich selbst und das Wetter mehr so unbestimmt, daher kurz ins Museale. Im MKG laufen noch die Bösen Dinge. Eine "Enzyklopädie des schlechten Geschmacks" wird angekündigt und allerlei Gegenstände ausgestellt, die aus unterschiedlichen Gründen als "böse" gelten. Das sind Sachen, die einst als muntere Reiseandenken oder frivole Kellerbargeschenke galten, die in unserer Zeit die Sprach- und Moralpolizei aus den Blogbereitschaftswachen locken. Oder die Ästhetikkripo. Als Kontrapunkt und Belehrung am Ende des Raums eine Installation mit Dingen des "guten Geschmacks", denn es gibt sie ja noch, die guten Dinge, viel Manufactum Wagenfeld und Werkbundästhetik also. Im Grunde so wie bei mir. Meine Wohnung ist ja vollgerümpelt mit bösen Dingen, Kadaverchic und Gestaltungsverbrechen ("Zwinker, Zwinker!") - und räumt man die beiseite, ist alles ein geschmacksbürgerlich mahnender Zeigefinger aus Wagenfeld und Eileen Gray. Pfff.

Auf der anderen Seite derselben Etage läuft zur gleichen Zeit eine Ausstellung mit Fotografien von Steve McCurry. Ich finde die Setzung sehr ironisch. Denn wenn man etwas zynisch ist, hängen hier die "bösen Dinge" von morgen. McCurry, hochdekorierter Fotograf für National Geographic, hat hier eine Vielzahl allesamt eindrucksvoll pittoresker Reisefotos ausgehängt. Wie der aufgeblätterte Wandkalender im Oberstufenratdaheim gibt es bemerkenswert großäugige Afghaninnen, buntgekleidete Inder, noch buntere Elefanten, badende Bartmänner im Ghanges, natürlich das Weltpressejahresfoto mit dem Mädchen aus Dingsbumstan, kurz ein kulturbunter Reigen aus dem fernen Asien und Nordafrika. Alles toll fotografiert, da meckert man nicht, und toll gefärbt, und toll langweilig auch. Nun bin ich zugegebenermaßen auch überhaupt nicht zu begeistern mit "Asien" oder der westlichen Kulturtourismusvorstellung davon, diese Begeisterung für "Indien" und "Tibet" und "China" hat mich nie ergriffen. (Einzig diese Tempelanlagen in Kambodscha und Vietnam finde ich interessant, wo man sehen kann, wie verschlungenes Wurzelwerk durch verschlungene Bauwerke furchen.) Das ist das eine. Dann stört mich aber diese durchgehende Magazin-Ästhetisierung in diesen Knallkontrastfarben, jedes Bild eine gefällige Ansichtskarte. (Für das Bildbearbeitungsprogramm Gimp gibt es einen eigenen Filter "National Geographic", der diesen Kitschstil sehr hübsch nachahmt. Das sagt schon viel.)

Es gibt also viel Ah und auch Oh, denn viele Besucher sind hier und betrachten die rührende, farbenfrohe Armut, (diese umstrahlt laut Rilke ja "ein stiller Glanz von Innen"*) - auch so eine Art Kadaverchic, Negerpüppchen für Besserdenkende. Großes Lob also ans MKG, diese beiden Ausstellunge so erhellend gegeneinandergestellt zu haben. Aber vielleicht sehe das auch nur sich so - und bin schon auf dem Weg in die Möbelsammlung, wo es zuvor ganz tolle Kostüme des expressionistischen Tanzes zu sehen gibt und dann viel von Wagenfeld. Zur Beruhigung der aufgepeitschten Sinne.

Dann noch schnell zum Amt, meine Stimme abgeben. Im Aufzug zum Dritten ein wenig mit einer jungen Frau geplaudert, die es auch zur Urne drängte. Obswasbringt Wasändert und Toitoitoiganzbestimmt. Überlegt, was sie wohl gewählt haben mag. Ich fand sie da schwer einzuschätzen. Auf die jungen Menschen ist schließlich kein Verlaß. Die lokale Krawallzeitung hatte neulich eine Straßenumfrage, da waren dann an und für sich vernünftig ausschauende junge Menschen abgebildet, wo man dachte, ach, vernünftige junge Menschen, mal schauen, was die so wählen. Da gab es eine "Angela" (21), die eine Namensvetterin gut fand. Und ihr Freund, "Jens-Uwe" (23), empfahl sogar die CDU. Eine an und für sich attraktive junge Frau (24) gab als Beruf "Immobilienmaklerin" an und wählte, es ist vorhersehbar wie die Farbgebung eines Bildes bei National Geographic, die FDP. Ich selbst habe mal eine an und für sich attraktive junge Immobilienmaklerin kennengelernt und sagte, Mensch, Immobilienmaklerin in Hamburg, "da hast du ja eine richtige Schlüsselposition inne". So als Witz. Maklerin. Schlüsselposition. Hat sie aber gar nicht verstanden, dabei hätte man schön gemeinsam lachen können. Und Augenzwinkern. Und anstoßen aus kitschigen Gläsern. Die hielt dann aber ein Schild hoch. Ich muß raus.

("Böse Dinge - Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks", bis 27. Oktober 2013. "Steve McCurry - Überwältigt vom Leben". Bis 29. September 2013. Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg.)


 


Montag, 26. August 2013


Vier Kerzen schon



Am Wochenende feierte das Hamburger Gängeviertel den bereits, Kinder wie die Zeit vergeht!, vierten Geburtstag. Vier grimme Winter also überstanden und zähe und zahllose Runden schwierige Verhandlungen mit Stadt und Behörden bislang unbesiegt überlebt. Neben zahlreichen bekannten und auch guten Menschen, bin ich mittlerweile Mitglied der Gesellsch Genossenschaft und gratuliere daher nicht nur herzlich, sondern kam auch noch vorbei. (Ich würde ja auch Schiffstaufen machen, Glück, Glas und Porzellan zerschlage ich schließlich gut, warum nicht mal Flaschen.)

Jetzt aber hieß es Lieder singen, Kerzen auspusten, in der Sonne sitzen und Ausstellungen anschauen. Hübsch sind die Sachen von Markus Mross, der retrofuturistische Mensch-Maschinen-Visionen als Siebdrucke auf verschiedene Träger bringt. Holz, Papier, so was halt. Das sieht ein bißchen aus als hätte Max Ernst Ideen von Jules Verne umgesetzt, es sind Zukunftsvorstellungen der vorletzten Jahrhundertwende, Frauen mit mechanischen Greifarmen, von Robotern gezogene Badewannenfahrzeuge, Dinge und Konzepte, die man halt im Haushalt braucht und von daher topaktuell. Zur Ausstellung ist ein kleines Buch im Pixie-Format erschienen, und auch für die Bilder gilt: Kunst kann man auch kaufen!

("Martin Mross: Zurück in die Zukunft". Hamburg, Gängeviertel: raumlinksrechts. Bis zum 7. September 2013.)


 


Sonntag, 14. Juli 2013


Mal nachsehen, was die mit meinen Steuergeldern machen

Ich bitte meine häufigeren Absenzen zu entschuldigen. Aber wenn ich nicht gerade damit beschäftigt bin, mich mit Duftproben, die ich munter aus Frauenzeitschriften reisse, einzureiben, oder mich wenigstens intellektuell mit Dingen wie klemmenden Küchelsockelleisten und zickenden Großelektrogeräten herumzuschlagen, versuche ich wenigstens ab und an aushäusig zu sein.



Beispielsweise für einen kleinen Akademierundgang durch die HfbK. Mußte ich letztes Jahr noch aus fadenscheinigen Gründen schwänzen, nahm ich dieses Jahr den Kampf gegen Treppen, lange Flure und mindergelüftete Atelierräume wieder auf. Geschickterweise suche ich dabei stets die sonnenseuchigen Hitzetage aus, auf daß rinnt der Schweiß in Strömen, von der Stirne heiß.

Schlagfertige Ausverkaufskünstler preisen ihre Auslage, an den Rändern zagt ein wenig Protestkultur. Wie jedes Jahr am Sonntag bilden die Reste von der Partynacht zuvor ganz eigene skulpturale Werke, Spülsteinkunst, Art prost als Zeichen jugendlicher Lebendigkeit. Geschlechtsteilpoeten hinterlassen ihre Reviermarkierungen, ein einzelner Pimmelmaler hält standhaft die Tradition des Vitalismus aufrecht. Eine Jugend mit Zukunft.



Einen Kontrollraum der besonderen Art war ganz unten im Gebäude verborgen. Ein mit dem Neuland verbundener Kassenbondrucker druckte automatisch alle Tweets, die mit #Angst markiert waren, aus. Gut möglich also, daß ich einige von euren dort gesehen habe, auf einem großen Haufen, archiviert für akribische Geister. Ein Berg voller Angst, eine drückende Last auf leichtem Papier.


 


Samstag, 15. Juni 2013


Anschauliche Ausflugsunternehmungen

So, liebe halbgeschlafene Nacht. Ich schlafe ja nicht mehr körperkorrekt, mehr so als hätte jemand den Schalter ausgeknipst und alles dunkel gemacht. Wache ich auf, fehlt einfach nur Zeit, müde bleibe ich trotzdem, wie der Kopf in Nährlösung in The Brain that could'nt die.

Ebenso unentschlossen bleibt das Wetter. Die Nachrichtenlage: derzeit wunderbar (windig, graublau, irgendwas mit 20 Grad). Nächste Woche Drohkulisse mit 30+, ich werde den Chef fragen müssen, ob ich nicht im Kühlhaus die Zettel an den Zehen neu sortieren kontrollieren darf.



Während gerade Thurston Moore morgenentspannt in den Lautsprechern klimpert (der Typ ist jetzt weitläufig mit dem holländischen Königshaus verbandelt, diese Welt wird immer bizarrer. Kim Gordon hingegen, grad 60 geworden, spricht in der Elle), blätter ich mich durch Restaufnahmen der Kulturbesuche der letzten Wochen.

Herr Krüger präsentiert neuere Arbeiten von Henning Kles mit Use Your Illusion I & II. Teils mit Bitumen in hübsches Grau getauchte Leinwände, ein Material, das schon Dubuffet für die Art brut entdeckte, wißt ihr ja alles. Kles' kontrollierte Variationen der für seine Serien verwendeten Motive, zeigen deformierte Porträts, Männer mit schwangeren Bäuchen und Händen wie Prothesen, so eine Art popsurrealer George Grosz, fern zum Glück von Gothic-Kitsch oder neo-primitiver Klabusterei. Die Jugend immerhin ist begeistert und klärt gern alle über die Bedeutung auf.

Schon vor einiger Zeit in den Deichtorhallen die Retrospektive auf (zu?von?für?) Harry Callahan gesehen, die jüngst um ein paar Tage verlängert wurde. Interessantes Frühwerk, hübsch gehängte Abstraktionen mit korrespondierenden Akt- und Naturstudien, dann die Reihen mit den Doppelbelichtungen, mit denen er bekannt wurde. Spiegelnde Schaufenster, Menschen in die New Yorker Architketur gequetscht. Callahan, ursprünglich Autodidakt, hat relativ früh, also zu einer Zeit, als Fotografie alles andere als "Kunst" war und sich mit der Ansel-Adams-Schule sehr formal gab, mit entfesselter Technik und ungezwängten Begriffen experimentiert. Man muß das nur mal aus der Zeit heraus denken, wir reden ja nicht von einer Instagramwelt. Dann sind auch seine bereits in den 40ern - und damit weit vor Eggleston - entstandenen Abstraktionen auf Farbfilm zu würdigen. Plattencover allesamt, ach nein, las ich ja neulich im Freitag, Cover sind ja so was von überflüssig. Je nun. Deutschland, the land sans liner notes.

Möglicherweise hat die Zartheit, die oft bei Callahan durchscheint, ihm im Alter auch Hindernisse in den Weg gelegt. Die Reisefotos aus den 80ern nämlich fand ich doch ein wenig belanglos. Hausansichten aus Nordafrika, immer einen Tick von zu weit weg fotografiert, einen Tick mutlos, einen Tick ratlos, was mit dem Sujet zu machen sei. Wer gern vom Kopf her denkt, wird das aber trotzdem alles mögen.

Wer lieber gleich zu Hause bleiben und dabei in Ruhe seine Zwölftonmusik hören oder Kalorien zählen will, schaut ins Netz. Eine Schnipselsammlung japanischer Fotografie (oft nicht sicher für die Arbeit), Buchcover, Stadtszenen der 60er- und 70er-Jahre, ein Assoziationsstrom mit dem Tempo von My Bloody Valentine, ein satt riechendes Rosenbegräbnis.

("Henning Kles - Use Your Illusion I & II". Feinkunst Krüger, Hamburg. Bis 29.6.2013.)
("Harry Callahan - Retrospektive". Deichtorhallen, Hamburg. Bis 23.6.2013.)


 


Freitag, 1. März 2013


Mach doch mal was mit ganz kleinen Tieren



Die Erschöpfung wird langsam ein Problem. Manchmal fallen mir schon in der U-Bahn die Augen zu, es wird der Tag kommen, an dem ich plötzlich an der Endstation wachwerde, nichts ahnend, nichts wissend, ohne Schuhe und Portemonnaie. Zur Vorbeugung heute einen freien Tag genossen, ausgeschlafen, in Ruhe ein Frühstück, draußen sogar die Anmutung einer vitaminspendenden Sonne. Gleich mal die mausezarten Zwillinge Lust & Laune in den Reisekoffer der Verdammnis verpackt, aufrecht am Altpapiercontainer vorbeigegockelt und den Radius abgesteckt.

Hinunter zu den Deichtorhallen, im Fotobuchhandlungsgeschäft ein paar Bücher und Zeitschriften gekauft, Selbstbelohnung in konsumunkritischen Zeiten, eine Kamera betrachtet, über deren Erwerb ich mir zwiespältige Gedanken mache, dann aber papierbeladen nach Hause, Beine dann als sei ich 20 Km durch den Schnee gestapft. "Seien Sie geduldig mit sich", meinte Frau Sorge neulich noch beim Gespräch, allein der innere Leistungsgedanke...



Zwischendrin aber die Ausstellung A World Of Wild Doubt im Kunstverein besucht. Eine kleine, aber recht amüsant-bedrückende Schau, mit vergitterten Verliesen und beklemmenden Boxen, foucault'schen Assoziationen zwischen Strafe und Gefängnis und einigen sarkastischen Kunstaperçus über Macht, Geheimnis, Paranoia und Weltpolitik. Lobenswert ein großes illuminatorisches Tarot-Set mit Konzernkonstrukten und Personen von IBM bis Margaret Mead, wie überhaupt das Sammeln und Strukturieren eines der Ordnungs-, Verwirrungs- und Strafeprinzipien der Ausstellung war. Leider vergessen, die Namen der Künstler jeweils richtig zu zuordnen.



Höhepunkt indes ist eine Installation der selten gezeigten, ganz wunderbaren Tessa Farmer. Die Britin bastelt mit kleinen und noch winzigeren Insekten (Heu- und Seepferdchen) völlig entzückende und verstörende Skulpturen, wo Miniaturskelettkrieger auf brummelnden (aber allesamt toten) Hummeln reiten. Bereit zur Welteroberung, wäre da nicht der Atem des staunenden Betrachters, der die am Faden baumelnde buchstäbliche Hängung in Bewegung setzt. Durch eine niedrige Tür, eine tunnelige Kiste führt der Weg zu Farmers Installation, sage man nicht, Kunst hätte nicht auch ergotherapeutischen Nutzen.

>>> Kurze Doku über Tessa Farmer

("A World Of Wild Doubt". Kunstverein, Hamburg. Bis 14. April 2013.)


 


Dienstag, 4. Dezember 2012


Don't Wake Daddy



Zum siebten Mal lockte der famose Herr Krüger zur Jahresschau Don't Wake Daddy - und Groß und Klein strömten am Samstag zur Bescherung herbei, im feierlich gelösten Wissen, so lebendig wie jetzt kommen wir wohl alle nicht mehr zusammen. Untergangstage, entspanntes Tänzeln an der Bruchkante, Zeit für ein letztes Zwitschern im Angesicht des seit Jahrtausenden angekündigten Weltuntergangs.

Wie zarte Mirabellen im Vorgarten des großen Weltuntergangs betrachteten junge schöne Damen und versehrte alte Männer Bildnisse der vier Endzeitreiter, schwefelsüße Visionen des Hingerafftseins, Sex ohne Sex und Leben ohne Leben. Ringelbehemdete Jungen, die von schwarzen Bienen erstochen werden, gefiederte Sänger mit trotzig geflöteten -Melodien, drohende Kometen am Himmel und Höllenmaschinen für eine letzte Lotterie: alles Wesentliche dabei, eine erbauliche Strecke mit Werken von 50 Künstlern, ein Kreuzweg der Kunst. Anthony Ausgang, Danielle de Picciotto, Atak, Heiko Müller und die wunderbare Moki sind darunter, Fred Stonehouse, Eric White und Paul Chatem oder Miä Mäkilä, Nathalie Huth. Eine hervorragend besetzter Chor für letzte Gesänge.

Flankiert wird die Ausstellung ab Freitag, dem 7.12., von mehreren Apokalypse-Veranstaltungen im Westwerk. Kunst mit Anja Huwe, Gesa Lange, Martin Nill und anderen, Lesungen und der großen Untergangsparty am 21.12. mit VJ Wasted und Doom und Gloom als Livekonzert. Gebt bis dahin alles, das letzte Hemd hat bekanntlich keine Taschen.

"Don't Wake Daddy VII". Hamburg, Feinkunst Krüger bis 21.12.2012.
"Apokalypse How". Hamburg, Westwerk bis 21.12.2012.


 


Montag, 8. Oktober 2012


Back in Seven Minutes



Bei Feinkunst Krüger gab es am Samstag den großen Wurf zu sehen. Sozusagen ein grafisches Erntedankfest zum Herbstbeginn. Als glorreiche Sieben zeigen Matt Lock, Patrick Farzar, 4000, Stefan Marx, Ken Kagami, Ingo Giezendanner und Anton Engel Grafiken und Objekte verschiedener Formate. Ein mittlerer Rausch dfer Fülle, sowohl in der Hängung als auch in den Themen der Bilder: Superhelden mit Rumms, Supergeschlechtsteile mit Wumms (paritätisch gegendert), superfiligrane Ausgestaltungen und grobes Nach-Hause-Hämmern sorgten folglich auch beim Publikum für angenehm gelockerte Stimmung.

Die tätowierte Knarre von Patrick Fazar hängt an dünnen Fäden als Mittel zwischen Kolonialisierungsbeihilfe und einer pulvergefüllten Metapher für "austherapiert". Der Künstler wird es anders sehen, selten jedenfalls schienen Kerben auf dem Kolben hübscher. Munteres Plaudern also zwischen Phalli und Wonder-Women, ich war da ganz angetan und völlig neben der Uhr, als es halb zwei ans Auskehren ging.

Entspannte Heimfahrt in den Wandelstadtteil. Wo früher nur russische Schlägerbanden mitfuhren, jetzt ein Gewusel von Szenejugendlichen an den Stationen. Es geht etwas vor im Niemandsland. Ich aber muß vor der Revolution erst ein bißchen Schlafen.

("Back In Seven Minutes". Feinkunst Krüger, Hamburg. Bis 27. Oktober 2012.)


 


Sonntag, 23. September 2012


Wie Jon Spencer den Blues ohne mich explodieren ließ



Ach, documenta. Zum Glück kann man es in Hamburg auch bequem vor der Türe haben, wenn nämlich im Rahmen des Reeperbahnfestivals das Flatstock Europe seine Zelte in die letzten Sonnenstrahlen stellt. Die 37. Ausgabe der siebdruckenden Rockposterschau mag ich nicht verpassen, da kralle ich mich mit den Fingerspitzen in den Boden und robbe... also, ich meine, wer will, der kann auch.

Neue Gesichter und Künstler sind dort, aber auch viel Vertrautes. Ich komme schon deshalb kaum voran, weil ich alle zwei Stände auf Bekannte treffe, in den Rücken geboxt, auf die Schulter geschlagen, in die Knie getreten... ich meine, angesprochen werde. Das ist gut fürs Sozialgefüge und die emotionale Herdplatte. Derart weichgekocht kaufe ich ein paar Drucke, darunter ein kleines Set von Kunny van der Ploeg. Die Holländerin hat Softmachines collagiert, die zum Teil unter dem Motto "too beautiful to work" agieren. Die Franzosen Matt und Nick von ElvisDead arbeiten ähnlich wie Thomas Ott mit Schabkarton. Die Drucke erinnern an Linolschnitte, sind aber meilenweit von meinen eigenen dilletantischen Unternehmungen entfernt. Spencer von Petting Zoo stammt aus Brighton, wohin für mich ja immer noch eine Reise offensteht, und hat ein tolles Plakat von Jon Spencers Blues Explosion, dem ich nicht widerstehen kann.

Unter der Hand macht das Wort die Runde, daß die Band vor ihrem eigentlichen Auftritt auf dem Festival einen kleinen Gig in einem Plattenladen in der Nähe gibt. Leider liegt das alles unter meinem derzeitigen Aktionradius von zwei, drei Stunden. Das hätte man sich sonst nicht entgehen lassen dürfen, hätte man nicht. Doch wer beim nächsten Mal noch will, sag ich mir so, kann zwischendurch auch mal nach Hause gehen und dort völlig ungestört den eigenen Blues explodieren lassen. Mußten die also ohne mich rocken. Bislang stand noch nichts in der Zeitung, ich denke, die haben das geschafft. Ich ja auch.

>>> Geräusch des Tages: The Jon Spencer Blues Explosion, She Said


 


Dienstag, 18. September 2012


Visionen aus fernen Zeiten

Seit Tagen geht mir ein Schlager aus den 80er Jahren nicht aus dem Kopf. "Eins kann mir keiner", lallt es da in den Hohlräumen meines schrumpfenden Hirns. "Eins kann mir keiner nehmen", geht das gröhlend weiter wie ein Geier im Sturzflug: "und das ist die pure Lust am Leben". Yeah, sage ich dann, halb gebückt an der Schreibtischkante aufgestützt. Und nochmal: "Yeah!" Denn wie sagte man mir neulich so schön: "Wer will, der kann auch."

Folgsam trat ich mir heute sozusagen selbst in die Kniekehle, ein derber Spaß, nur zur Ermunterung, was sonst, und wankte gen Deichtorhallen. Dortselbst zu sehen die ärztlich nicht weiter betreuten Visionen des Albert Watson. Darauf hatte ich mich ursprünglich seit Anfang des Jahres, als ich erstmals von diesem Projekt hörte, gefreut. Vor fünfzehn Jahren oder so habe ich eine Ausstellung seiner Fotos in Düsseldorf gesehen oder Köln, ich erinnere mich nicht mehr genau. Damals begann ich selbst gerade verstärkt im Mittelformat zu fotografieren und lebte eine Zeit lang quasi nur in der Dunkelkammer, was mich nicht recht weiter, aber immerhin von der Straße wegbrachte. Es war also auch eine technische Begeisterung dabei, die großformatigen sepiagetönten Abzüge Watsons zu sehen, allesamt atemberaubend akribisch ausgefleckt, wo ich beim Vergrößern mit Staub und Flusen kämpfte.

Ja gut. Und es waren die Neunziger. Da gab es noch die Max und den Stern (ach so, höre gerade, den gibt es ja immer noch). Und Stars und Supermodels, und die Frauen waren alle nackt. Also auf den Fotos von Albert Watson. Der hatte 1975 Alfred Hitchcock mit einer toten Gans (das Tier meine ich) fotografiert, hatte damit laut Selbstaussage seinen "Durchbruch" geschafft, wohin, weiß ich nicht, denn die meisten ikonografischen Fotos von Watson stammen eben aus den Neunzigern. Nun ist das alles vorbei.

Ja, es gibt den Stern tatsächlich noch, die von Watson häufig fotografierte Sängerin Sade macht ab und an Musik, sogar die Max erscheint als eine Art Zombiemagazin immer wieder mal am Kiosk und kündet trotzig von einer Zeit, die heute fürchterlich fremd und befremdend erscheint.

Wer will heutzutage noch ernsthaft Porträts von Mick Jagger und David Bowie sehen? Oder cross-entwickelte Glossy-Pics von LackLederLatex-Damen in der Wüste bei Las Vegas? Diese Welt, sollte es sie jemals gegeben haben, ist so tot wie die plattgefahrenen Frösche, die Watson zwischendurch auch immer mal wieder fotografiert hat - in so einer sterilen Studio- und Leuchttischfotografie, Schattenlosigkeit, Hohlkehle mon amour, ästhetisch-technische Spielereien, die ein Hinweis darauf sind, wie einem der Instagram-Dreck in zehn, zwanzig Jahren vorkommen wird.

Fotografie sollte ja im besten Fall ein Fenster sein zu einer Welt, die man so nicht kennt. Weil einem als Betrachter der Zugang fehlt. Und natürlich habe ich keinen Umgang mit Mick Jagger (muß jetzt auch nicht mehr anrufen), daher ist es schön, den Mick Jagger dann mal sehen zu können, aber, und das ist der zweite entscheidende Punkt für gute Fotografie, da ist noch die Frage der Haltung. Man will ja was erfahren, was man nicht schon weiß, über den Jagger zum Beispiel - und da macht es wenig Sinn, ein durchästhetisierte Abbild eines bereits durchästhetisierten "Image" zu fotografieren, auf eine Weise, mit der man für gewöhnlich auch Autos oder Waschpulver oder nackte Körper fotografiert.

Weshalb einem Fotos ja auch Geschichten erzählen sollen. Authentizität war dafür mal ein Begriff (gilt ja auch schon wieder als überholt), weshalb man sich im Sog von direkten, persönlichen Zugriffen auf sehr, sehr eigene Welten wie bei Larry Clark, Nan Goldin und Wolfgang Tillmans dann eben den ganz normalen Leuten und Nachbarn und Freunden auf Flickr zuwendete, ihre Geschichten und Eindrücken verfolgte - und es einem auch scheißegal war, wo die Schärfeverläufe lagen oder ob Lichtsäume und Reflexionen durchs Bild schossen. Die Helsinki Schule machte daraus für die Kunstfotografie eine eigene Richtung, die Max wurde visuell folgerichtig durch Vice und Strecken voller trashiger Kotz- und Partybilder abgelöst. Ein Fenster zu eigenen oder fremden Welten, je nach eigener Lebenswirklichkeit. "Denn eins kann mir keiner..." Schön zu sehen auch im Niedergang der Pornoindustrie, den zu beklagen auch nur Leuten einfallen kann, die meinen, armselige Pseudo-Glamourveranstaltungen wie die Venus und Plauderstündchen mit Dolly und Gina seien der Inbegriff eines auch nur ansatzweise relevanten Gesellschaftslebens. Die Welle der Amateurpornografie in den letzten zig Jahren war dabei möglicherweise emanzipatorischer als die ganze Bloggerbewegung. Jedenfalls bei allem, was man auch dagegen einwenden könnte, ein gelungenes Beispiel für Kill Your FUCKING Idols, mach es selbst. Bauchfalte statt grimassierender Schauspielschule. Könnte man auch mal kuratieren und von der Straße ins Museum holen.

So. Ich bin ein bißchen vom Wege abgekommen, ich wollte ja in die Deichtorhallen. Dort hat man die Werkschau, damit der Anachronismus nicht ganz so augenfällig wird, erweitert ("featuring") durch eines von Watsons aktuellen sozial engagierten "Projekten": Cotton Made in Africa nennt sich das und soll aufmerksam machen. Wozu dann die Leiterin der betreuenden Hilfsorganisation was dichtet vom "Medium der Kunst" und dann geht es nachhaltig weiter mit Bewußtsein und... während man etwas ratlos vor den Porträts steht, die Watson in Benin gemacht hat. Ich weiß nichts von Benin und erfahre auch nicht viel, aber die Menschen dort tragen bunte Sonnenbrillen und Trainingsanzüge und traditionelle Kleidung und stehen vor pittoresken Hintergründen und halten sogar einmal freundlich lächelnd Baumwolle in die Kamera und sehen dabei aus wie Models in einer Modestrecke. "Wirklichkeitssplitter aus dem Leben der afrikanischen Baumwollbauern" (Zitat) sollen das sein, und das ist glücklicherweise offenbar alles sehr schön und gefällig. Und paßt damit ja auch super nach Hamburg.

("Albert Watson: Visions. Feat. Cotton Made in Africa". Deichtorhallen, Hamburg. Bis 6. Januar 2013)