Freitag, 20. August 2021


Geist


"Gespenst". 2021. Acryl, Gesso, Kreide, Papier. 1000,- Mark

Der ein oder andere hat es schon durch die Weinranken flüstern hören: Es gibt etwas, das nennt sich "Podcast". Da reden Menschen in ein Mikrophon, das - wenn man Glück hat! - nicht ständig vom Stativ fällt, und erzählen was. Na ja, wird sich nicht durchsetzen, aber jetzt habe ich gedacht, bevor nachher jeder so einen Podcast hat, und ich der Nachzügler bin, setze ich mich an die Spitze der Bewegung und produziere auch so einen. Mein Podcast wird heißen: "Malerei um Mitternacht". Analog zu populären Sendungen wie "Jazz um Mitternacht", wo man um Mitternacht Jazz hören kann (daher der Name), kann man mir um Mitternacht (danach wird das Ding gelöscht) zuhören, wie ich male. Eine Art auditives Bob Ross. ASMR mit nassem Pinsel.

Die Uhrzeit kommt daher, weil ich nur Gespenster male, und das geht nun mal - jeder mit nur einigermaßen kultureller Erfahrung wird mir zustimmen - halt nur ab Schlag Mitternacht.


Esther Pearl Watson, "Hospitalizations Are Down". 2021.

Ebenso "einfach" erzählt, aber ebenso voller kultureller Erfahrung und dabei hochdramatisch, sind die Bilder von Esther Pearl Watson. Im Stil folkloristischer Heiligenlegenden berichten diese autobiografischen Malereien unter anderem vom Leben in der Pandemie rund um Los Angeles. Dabei greift sie, wie in ihrer Serie von 2020 Kalendersprüche und Durchalteparolen auf und konterkariert sie mit naiven, mit popkulturellen Mythen verwobenen Alltagsdarstellungen. Seltsame UFOs und Nachrichtenmeldungen, Werbeschlagzeilen und Phrasen von Politikern, sie alle werden zu lakonischen Titeln dieser ironisch gespickten Geschichten "von unten". (Eines dieser Ufos gibt es 2006 auch als Objekt zu sehen, und in diesem Artikel von 2009 erzählt sie mehr über ihren familiären Hintergrund und UFOs in Texas.)

>>> Website von Esther Pearl Watson


 


Montag, 9. August 2021


Insektarium


Insekt. 2021. Tinte, Wasserfarbe, Papier. 1000,- Mark

Oft werde ich gefragt, Herr Kid, wie können Sie mit so wenigen, pointierten Strichen so realistisch malen? Meist antworte ich, daß man dafür die großen Drei bräuchte: Üben, üben, üben! Als Illustrator für Insekten (und Spinnentiere) im naturhistorischen Museum muß man einen Blick haben für die art- und gattungsrelevanten Feinheiten und besonderen Merkmale. Die arbeitet man - ohne unwissenschaftliche Übertreibung! - heraus und bringt ein wenig Charakter in den Ausdruck. Schon ist die Illusion einer überzeugend wirklichkeitsnahen, was gerne "lebensecht" gennant wird, Darstellung gelungen. Eine Übertragung.


Die Spinne hat einen Witz erzählt. 2021. Tinte, Wasserfarbe, Papier. 1000,- Mark

Doch mit naturalistischer Präzision allein ist es nicht getan. Eine solche Abbildung kann jede Fotografie besser. Einem guten Künstler indes gelingt es, das Objekt seines Bildes zum Leben zu erwecken, ohne dabei einzelne Federstriche zu übertreiben oder Tiere und Dinge zu stark zu anthropomorphisieren. Ebenso wie mein stilprägendes, kubistisches Gemälde "Nackte Libelle, eine Treppe herabsteigend" (hier nicht abgebildet) vermeidet meine kleine Zeichnung "Die Spinne hat einen Witz erzählt" solche karikaturhaften Überspitzungen und hält sich an von der Forschung unterstützte Überlieferungen aus dem Leben der Tiere. (Auch wenn über den Humor der Insektenwelt, anders als zum Beispiel über das Liebesleben dieser Tiere, noch wenig geforscht wurde.)

Mein Motto ist: Es liegt genug Zauber in der Natur, der von Talent reich beschenkte Künstler muß gar nicht viel dazudichten.


 


Samstag, 31. Juli 2021


Seemannsträume


Laurie J. Proud, "Boxing Girls"

Bei Laurie J. Proud dachte ich immer, das sei eine Französin, die zu traurigen Akkordeonklängen Hafenbilder aus dem Marseille der 30er-Jahre malt. Mit einem interessanten Schuß Motel-Flair der 50er. Neo Rauch trifft David Lynch, könnte man es umschreiben. Jetzt ist es aber so, daß alles ganz anders ist. Laurie J. Proud ist ein Engländer, der mittlerweile im beschaulichen Dorset lebt, beruflich Werbe-Animationen macht (z.B. einen auch hierzulande bekannten Hustenmittelspot), mir aber wegen seiner retroatmosphärischen Bilder gefällt. Da gibt es Boxer und Boxerinnen, Bar- und Hinterzimmerdamen, düster umwölkte, rauchende Matrosinnen, Möchtegernschauspieler und Würfelspielbetrüger, Schnacker, Halbnackte und Halbweltganoven.

Condensed Night

Es sind kleine Geschichten und gemalte Chansons (wie die auf Panels verteilten Bildergeschichten in seinem Buch Peepholes) aus einer melancholischen, neu erfundenen Vergangenheit. Der kurze Animationsfilm Condensed Night ("a boy lost his ball") wirkt dabei wie eine vergessene Albtraum-Episode aus Lynchs Eraserhead und bringt so manche verstörende Nachbarswelt auf den Punkt. Bei manchen ist der Regenbogen halt grau. Oder geringelt.

>>> Webseite von Laurie J. Proud
>>> Instagram


 


Freitag, 11. Juni 2021


So gut wie neu

"Und leider, leider, leider
gibt es keinen Platz
Wo ich bleiben, bleiben kann,
denn die Welt ist proviso-o-o-risch."
(Die Braut haut ins Auge, "Provisorisch")


The Artist is present: Provisorische, nonpermanente Installation aus Speiseeis

Eine frühere Bekannte scholt mich regelmäßig meiner von ihr abschätzig so genannten "Provisorien", mit denen ich Haus, Leben, Geld, aber eben nicht die Liebe zusammenhielt. Machten sie angeblich "irre"; ich hingegen fühlte mich und meine Ingenuität verkannt. Zu recht! Denn Andrew Baseman hat sich von so etwas nicht beirren lassen und daraus ein kleines Lebenswerk (und Lebenserwerb) gemacht.

Der Set-Dekorateur ("Gotham") sammelt ein ausgefallenes Spezialgebiet: reparierte Antiquitäten. Romantiker und Schwarzromantiker wissen, es gibt Liebhaber für alle Dinge (sonst wäre ja auch alles hoffnungslos). In einem Blog hat Andrew Baseman seine Schätze dokumentiert. The Past Imperfect: The Art of Inventive Repair heißt es (so wie sein Buch). Er zeigt dekorative Haushaltsgegenstände (heute: Kunstschätze) aus früheren Jahrhunderten, als man zerschlagenes Porzellan nicht zum Scheidungsanwalt oder zum Mülleimer brachte, sondern von einem Tinkerer einfallsreich instand setzen ließ. Abgebrochene Ausgüsse am Keramikkrug? Kein Problem, das ein Klempner und Spengler nicht lösen könnte. Brüche und Sprünge fugen und fügen einem Teller etwas Besonderes hinzu. "Once regarded merely as damaged goods by antiques dealers and collectors alike, antiques with inventive repairs are justly receiving the respect they deserve", heißt es bei Basemen über das Charaktervolle dieser Schätze.

Wir nennen es heute schick-exotisch Wasi-Sabi und bieten es als teure Lebensartkurse für übersättigte Städter an. Die Kunst des Unperfekten - ich habe es immer schon gesagt.

>>> Sammlung von Andrew Baseman auf Instagram


 


Freitag, 4. Juni 2021


Organising Chaos



Das muß man sich mal vorstellen: Da zieht ein junger Mann mit angegrautem Haar nach New York (Brooklyn, ich habe offensichtlich nur drei Straßen weiter gewohnt), räumt sein Atelier bis unter die Decke mit allerlei Krempel voll, ist unter anderem beinflußt von künstlerischen Ideen aus dem Berlin der 20er-Jahre und von einer generellen Nostalgie, malt junge Damen mit Masken und Fledermäuse mit Gothic-Anmutung, macht Faxen und Filme im Stummfilmlook und trägt dunkle Jackets zum Ringelshirt (allein in diesem Videoporträt drei). Und doch bin es nicht ich!



Es ist hier zunächst einmal Marcel Dzama, der hier schamlos meine Ideen und vielleicht sogar die Identität stiehlt. Dieser Zwilling stammt wie Guy Maddin, ein anderes großes Leitbild für mich, aus Winnipeg, Kanada, was man sich wohl als das Wuppertal Nordamerikas vorstellen kann. Drei Bücher weiter (bislang) bin ich etwas deutlicher eingetaucht in sein Werk und sehr begeistert. Dabei hatte ich den Namen lange Jahre schon im Hinterkopf, selbst die Süddeutsche feierte das Wunderkid vor zehn Jahren mit einer ihrer jährlichen Spezial-Kunstausgaben des Magazins. Hier und da stolperte ich im Netz über ihn, sah ein, zwei Filme. Aber wieder einmal zeigt sich, daß Bücher und Ausstellungskataloge mehr zeigen als es das Netz vermag. Detaillierte Gouachen, Zeichnungen, Entwürfe für Opern, Objekte und Skulpturen stellen da aus dem Chaos einer unerschöpflichen Sammlung nach und nach Welten zusammen - nach dem Motto, wenn die Leute meinen, du hättest viel gesammelt, dann ist es noch nicht genug. Durch Dzamas organisiertes Chaos wandern mit Flinten bewaffnete Frauenfreiheitscorps, gestaltet sich die Welt als Schachspiel (mit Anleihen bei Schlemmers Bauhauskostümen), da laufen Parties im Boudoir sexuell aus dem Ruder, trifft Marcel Duchamp auf Andy Warhol und Kanonen aus dem kanadischen Norden auf Szenen, die an US-Straflager erinnern. Alles unterwoben von einer generellen Atmosphäre aus Melancholie und Verlust - wie im richtigen Leben halt.

>>> "Drawing a bat with Marcel Dzama" (Youtube)


 


Montag, 17. Mai 2021


Spannen und Ausspannen



Über 90 Prozent aller Stummfilme sind verloren. Ab und an taucht mal einer auf, manchmal ganze Konvolute aus alten Kinos oder in Kisten, die man in Alaska im Permafrost vergraben hatte. Oft sind es nur Fragmente, so wie bei diesem Fund eines Films, der wahrscheinlich Anfang der 20er-Jahre entstanden ist und wohl nur hinter vorgehaltener Hand vorgeführt wurde. Auch damals schon waren Städter von großer Sommerhitze geplagt, lagen ermattet und leicht bekleidet auf dem Diwan, starrten schwitzend an die Decke und warteten auf den Eismann. (Nicht der von Schöller, der mit den Blöcken für den Kühlschrank.)

Derzeit herrscht hingegen eine angenehme Maikühle, die Glutsommermonate dürfen sich meinem Wohlbefinden zu Gefallen auch ruhig Zeit lassen. Regen, Hagel, schnurrige Gewitter, die das Haar besonders gut legen, zwischendurch ein wenig Sonne - gibt es eigentlich eine schönere Art ins Frühjahr zu gehen? Ich denke, nein. Ich entspanne in meiner Dachkammer und mache dabei Waldbaden. Hier auf dieser Seite kann man Tonaufnahmen aus Wäldern aller Welt anhören, dem Zirpen und Blätterrauschen nachsinnen - in schwüler Dschungelhitze oder auch gemäßigter Regionen, Wanderungen per Mausklick. Dabei von Dachkammern und Eisverkäufer:innen träumen.


 


Mittwoch, 12. Mai 2021


Polizeidienst ist Kunst

Heute wäre Joseph Beuys hundert Jahre alt geworden. Ich überlege, ob er wohl geimpft worden wäre oder ob er sich selbst mit seiner Honigpumpe und einer Mischung aus Fett und Filz geimpft hätte. Eine Frage des Narrativs. In Hamburg umfasst das Narrativ mittlerweile nicht mehr "vulnerable Gruppen", sondern "Urlaubs-Pieks" (Hetzblatt) oder "wir machen das Impfzentrum bald zu" (Sozialbehörde). Wer brav nach Plan gewartet hat, wird bald vom Ansturm aller aller untergepflügt, wie früher, als es noch echte Schlußverkäufe gab, auf dem Todesweg zum Grabbeltisch.

Vielleicht hätte Beuys sich auch mit einem Kojoten eingesperrt, so wie es mir auch schon geraten wurde. Einfach eine Schamanenmütze aus Filz über den Kopf ziehen, sich auf ewig selbst isolieren und mit den Kojoten reden, während unten Party ist. Als letzter Ungeimpfter wird man dann in einem Einbaum zum Impfzentrum gefahren, eine feierliche Zeremonie. So wie einst die berühmte "Heimholung" des Joseph Beuys, der als von der Akademie Verstoßener von seinen Jüngern über den Rhein im Triumph zurückgerudert wurde.

Hinter der Aktion stand Beuys' Schüler und langjähriger Weggefährte Anatol (eigentlich Anatol Herzfeld). Von ihm stammen die bekannten Wächterfiguren, rostige Gesellen aus Eisen auf der Museumsinsel Hombroich, wo er lange Jahre sein Atelier hatte. Wie so häufig fragt man sich ja bei Kojotenschnackern wie mir oder Anatol, "wovon leben Sie eigentlich?" Anatol hatte, im Gegensatz zu mir, einen ehrbaren Beruf. Er stand lange als "Schutzmann" im Dienste der Verkehrspolizei Düsseldorf. Polizeidienst ist Kunst, sagte er. Kunst ist Leben und immer noch die beste Infusion.

>>> Sehenswerte Doku über Joseph Beuys von Andres Veiel ("Blackbox BRD")


 


Donnerstag, 6. Mai 2021


Verschieden, aber alle schön


(c) Scott Sheffield

Derzeit ruhen die Abrissarbeiten am Freibad um die Ecke. Nur das Hämmern in der kleinen Blogschmiede stört die Stille im Viertel. Beim Freibad indes ist alles gepflügt, einzig das Becken steht noch, ungenutzt. Der Traum der Krokodile ging so: Alle ins Becken, nackt. Und kuscheln. Leider hat die Stadtverwaltung meine diesbezüglich vorgebrachte Idee abgeschmettert, obwohl ich wie ein professionell arbeitendes Architektur- und Planungsunternehmen eine Visualisierung beigelegt hatte.

Die stammt von Scott Sheffield. Der Fotograf (*1994) aus Wisconsin ist unterwegs im Niemandsland und wirft einen illusionslosen Blick auf das Zusammentreffen von Zivilisation und Natur. Merke: Nicht alle Baukunst ist wunderbar.

Manchmal dann aber doch. Wenn ich in Hamburg eines vermisse, dann sind das andere Orte. Das Ruhrgebiet zum Beispiel. Hier ist Fotograf Wolfgang Froehling (*1952) unter ehemaligen Bergarbeiterhäuschen umherspaziert und und hat ungewöhnliche Fassadenmutationen festgehalten. Ein Lob der diversifizierten Doppelhaushälfte. Getreu dem Motto: Sind wir wirklich zu verschieden?

Hier haben Menschen einfach mal gemacht. Was aus sich und ihren Häusern. Vielleicht sollte auch nicht auf die Entscheidung der Stadt waerten, sondern mit meinen Traumkrokodilen einfach mal machen. Ab ins Becken, nackt und kuscheln.


 


Freitag, 16. April 2021


Der zögernde Boxer


Der zögernde Boxer. Kohle auf Papier. 2021. 1000,- Mark

Da ich nicht gut keuchend um den Block joggen kann, muß ich mich im Lockdown auf andere Weise fit halten. Ausstellungen und Museumsbesuche fallen ja auch flach, weshalb ich Kraft meines ungezähmten Talents jeden Tag ein gewaltiges Bild oder wenigstens eine subtile Zeichnung sozusagen aus dem Nichts meiner nebeligen Gedanken schaffe. Den seelischen Tiefen entrissen, der Qual entborgt, aus dem Brunnen des abgründigen Seins gezwungen. Normaler, kreativer Prozeß, im Ergebnis aber exakt 1o00,- Mark wert.

Mit Sportmalerei, wie hier am Beispiel Der zögernde Boxer, kann man insgesamt aber keine Preise mehr gewinnen. Lebte ich in den 20er-Jahren in Berlin, dann würde man meine Werke heute unter UV-gedämpften Licht an internationalen Kunsthandelsbörsen versteigern. So aber muß ich darauf noch 100 Jahre warten. Ein alternder Boxer, der alten Erinnerungen nachhängt, taumelnd im Ring, schwer atmend in den Seilen, das Schringern in den Ohren kein Telefon.

So als angezählter Boxer sollte man mal Urlaub machen. Aber für so was habe ich kein glückliches Händchen. Ich weiß ncht wie oft der ins Wasser fiel, weil buchstäblich im letzten Moment etwas dazwischenkam. Und als ich es endlich gelernt zu haben schien - kam Corona als ganz großes Geschütz. Jetzt habe ich auf Instagram #Audierne abonniert, weil ich da ein-, zweimal im Urlaub war. Da gibt es wenigstens schöne Bilder aus der Bretagne zu sehen. Auch lauter schöne Motive - allein, man kommt ja nicht hin. Allein kommt man nicht hin. Vielleicht bin ich auch zu zögerlich.


 


Freitag, 12. März 2021


1000 Meisterwerke



Die Jüngeren können das nicht wissen und werden dieses Gemälde aus dem damals noch frugalen Frühbarock nicht enträtseln können. Ältere erinnern sich. Man machte Besorgungen oder einen Ausflug, bummelte irgendwohin und verweilte dann zum Abschluß in einem sogenannten "Eiscafé" (oder einem anderem Ausschank). Gern mit einer geschätzten Person, sonst halt nur mit dem Eis. Auf dem Bild hier ist das Eis bereits geschmolzen, also - vanitas vanitatem - vergangen, Past Tense oder Retrofutur II: Es wird gewesen sein.

Ein Hinweis des (unbekannten) Malers auf die Pestjahre. Zeit ist begrenzt, man steht irgendwann auf vom Tisch, geht seiner Wege, ist wieder maskiert, vielleicht innerlich vereist, sagt Adieu oder "so long", wie im Mittelalter üblich. Der Betrachter sieht Pokale und plundrige Silberware und fragt sich, ob man da auf dem Tisch nicht gerade noch Pfirsich-Maracuja oder Vanille-Schokolade gesehen hat, einen ausgestreckten toten Fasan und eine Sanduhr (hier als Aschenbecher ausgeführt) dazu. Ein Stundenbuch. Das Bild als Erzählung.

Interessant sind die verrätselten Spuren. Die Dinge, die nicht stimmen, nicht am Platz sind, so die Menschen, die hier fehlen. Ein Löffel akkurat platziert, ein anderer aber auffällig im Becher. Ein sexuelles Symbol vielleicht, sicher eines vom Regelverstoß, eine augenzwinkernde Geste gegen Recht und Ordnung. Man denkt, vielleicht liegt eine Maske unterm Tisch oder ein vergessener Schuh.

Das "Gleichnis vom leeren Becher", so der in der Kunstgeschichte etablierte Titel des unbekannten Meisters, hat die Menschen seit jeher beschäftigt. Es wird verglichen mit großen Werken wie "Der umgestoßene Pokal" oder "Das letzte Brot vom Vortag", ihrerseits von Geheimnissen umrankte Gemälde aus den großen Sammlungen von Fürsten und Kanonikern. In den Sprachgebrauch das Bildnis als Metapher eingegangen von der Flasche, die leer ist. Außer Puste sein, erschöpft, die Beschreibung des Gefühls, daß man für 100 Jahre schlafen möchte. Und dann ein Eis.