Ein blaues Band vor den Augen
It's a very, very mad world.
(Tears for Fears, "Mad World". 1982.)
Heute morgen im Bus saß dort eine überirdisch schöne Frau und las ein Buch. Eine Frau, wie man sie sich wünscht dereinst am Ende der Tage, wie sie einen führt, barfuß und nur mit einem weißen Hemd bekleidet, bis zur Schwefeltür.
Vor zwanzig Jahren In einem François-Truffaut-Film wäre ich einfach sitzengeblieben, hätte zugesehen, wie sie ihr Buch liest und wäre weitergefahren bis zur letzten Haltestelle.
Ich wäre mit ihr ausgestiegen, hätte ihr anerboten, ihre Tasche zu tragen, in die ich vorher mein kleines Leben gesteckt hätte. Hätte mich in Gene Kelly verwandelt, hätte Geiger orchestriert, wäre um Laternenpfähle getanzt, ihre Tasche zart im Arm, während sie nichts getan hätte. Nur gelächelt.
Sie hätte noch zarter "Danke" gehaucht, mir einen tiefen Blick geschenkt aus unendlich blauen Augen und wäre die Stiege zur ihrer Dachwohnung hochgeschwebt - allein. Ich wäre verliebt auf dem Trottoir verblieben, während sie oben in ihr Blog geschrieben hätte:
Heute einem alten Mann im Bus begegnet, der mich die ganze Zeit angestarrt hat. Ich habe so getan als würde ich mich auf mein Buch konzentrieren, aber mich hat das total genervt. Am Ende stieg der sogar noch gemeinsam mit mir aus und wollte partout meine Tasche tragen. Super peinlich. Aber nichts gegen das Gesumme und Getanze, das er dann danach anfing. Ich hätte im Boden versinken können! Zum Glück wurde ich ihn vor der Haustür los. Aber ich glaube, der wartet noch immer auf dem Gehsteig, der alte Stelzbock.
Aber nichts von alledem ist passiert. Ich habe nur kurz geschaut und gestaunt über die Schönheit der Natur, den Frühling, die Vielfalt und das Leben. Und bin dann zum bleiernen Tor der Fabrik hinein - allein - habe mir den grauen Arbeitskittel umgebunden, die Stempeluhr gedrückt und den ganzen Tag nichts als mein Werk getan.
Schade eigentlich, den passenden Mantel hätten Sie ja jetzt gehabt. (Da fällt mir auf, es ist schon April. Schande.)
(Allerdings. Man hielt Schweizer mal für pünktlicher. Und ich warte hier mit Blümchen. Ts.) Zum beigen Trenchcoat fehlt mir noch der speckige Hut.
Allerdings ist auch Anfang Februar längst passé.
das mit dem singen ist tatsächlich nicht empfehlenswert. ich musste schon manches mal mit nervenüberdehnung und trommelfellverzerrung zum hno. an meiner seite kleine unschuldsosterlämmer: "ich finde, ich kann aber schön singen!"
dennoch, es gibt hilfe für uns angesungene: den täter am ohr kraulen. zumindest beim kater hilft das - vom katzenjammer zum sanften schnurren. ;)
Jetzt muss ich gerade an diesen Cure-Song denken, How beautiful you are (Leider muss ich bei Tears For Fears sofort blockieren)
DAS habe ich auch immer gedacht. Aber jetzt habe ich mich befreit (und vergessen, wie die aussahen)! Jetzt kann ich "Mad World" hören, ganz laut sogar. (Und Donnie Darko habe ich plötzlich auch verstanden.)
(Erklären Sie es mir bitte, das mit Donnie Darko)
Wir müssen dazu beide betrunken sein und laut "Mad World" hören, sonst kann ich mich nicht verständlich machen.
War klar, dass das nicht so einfach sein wird.
Ich muss mehr Bus fahren.
Wenn die Dame älter als sechzehn war, hätten Sie das alles ruhig wagen können. Bedenkenlos und voller Vertrauen.
Sie sind im besten Alter.
Danke. (Ich werde mir das auf kleine Visitenkarten drucken.)
Die schönen Frauen lesen in Bahnen in letzter Zeit verstärkt Bild-Zeitung und sind deshalb eigentlich gar keine schönen Frauen mehr. Ich ziehe wieder verstärkt das
Fahrrad als Verkehrsmittel vor.
Aber, aber. In welche Bahnen werden Sie denn da geleitet? Meine schönen Frauen lesen selbstverständlich nur prima ernsthafte Literatur.
Dieser Bericht wäre sicher noch spannender gewesen, wenn Sie das alles wirklich getan hätten und nicht nur vorgestellt. Das Alter - Ihr Alter - ist doch prima. Meine "junge" Freundin, eben sich getrennt habend, würde auch einen älteren Herrn mit grauen Schläfen nehmen.
Schwer vorstellbar. Kommen Sie mal in unser Alter, dann sind Sie von plattem Faktizitäts-Fetischismus geheilt. Und Sie werden vielleicht feststellen, dass man manche Phantasien entwertet, wenn man versucht, sie realiter auszuleben. Kann ich Ihnen nicht näher erklären, wie das zugeht. Aber ich denke, diese Art Geschichten bezieht ihren spezifischen Reiz daraus, dass sie in in einem Möglichkeitsraum spielen und einem die Option "was wäre, wenn...?" noch offenlassen.
Ansonsten stelle ich fest, dass mir als individualverkehrendem ÖPNV-Vermeider offenbar eine ganze Menge entgeht, was mit gelegentlichen Ampelflirts nicht wirklich zu kompensieren ist.
Herr 793, Sie sagen es. Außerdem bin ich unglaublich schüchtern.
Selbstverständlich hätte die Dame ebenfalls begonnen zu singen, perfekt geformte, überlebensgroße Blumenkelche hätten den Asphalt durchbrochen, beifällig hätten Passanten Ihnen Beifall geklatscht, und die Laternenpfähle hätten sich demütig vor der Wucht der Schönheit vor jener Dame verneigt, denn so verhält es sich bekanntlich immer.