So, schiebt mal eben die Heulsusen beiseite. Das ist ja wohl arschgeil: Karl Nagel, Mann von Welt und Chaos und natürlich aus Wuppertal, hat auf seiner Webseite ein tolles Bildarchiv zusammengetragen: Punk in Deutschland. Hier z.B. Wuppertal, 1979-1982, da müßte ich auch noch Dokumente haben, aber wo, aber wo... Auf einem Bild ist Peter Best zu sehen, schräger Plattenhändler, dessen Laden so eine Art Punk-KontakthofInformationszentrum war, das praktischerweise nur einen Steinwurf von meiner Schule entfernt war. Für einen schüchternen Bengel wie mich genau das richtige! Meine erste Punk-LP kaufte ich aber bei Karl vom Kothen, denn der warb damit, "jede Platte" zu haben. Immerhin hatte der "The Scream" von den Banshees - und mehr wollte ich damals nicht.

In die Börse ging man immer ab Donnerstag, um aufzufallen, Energie zu tanken, als "Linker" auf den ebenso akribisch wie heimlich geführten Listen rechtsorganisierter Mitschüler zu landen und Träume zu entwickeln, von dem, was im Leben vielleicht so möglich ist. Wunderbare Zeit, erstes Mal Rimbaud lesen, erster Liebeskummer, Musik von heute, der ganze Mist, großartig. Elektrizität in der Luft, jeder hat eine Band oder zwei und drei Fanzines. Selbermachen.

Samstag traf sich die Stadtjugend in der Elberfelder FußgängerZone gegenüber vom Deutschen Supermarkt am "Brunnen". In den hatten andere dann schon Waschpulver reingekippt - einfach weil sie es konnten, wie es heute so schön heißt. Die Polizei sperrte die Innenstadt ab, das gefiel den Geschäftsleuten nicht, weil die Leute, die extra wegen der Punx nach Wuppertal kamen, nicht einkaufen gehen konnten. Großes Hin und Her, jede Woche dann unbestimmte Erwartungshaltung, Krawall wohl auch und Rangeleien, bei denen man beigegekleidete Zivilfahnder dabei beobachten konnte, wie sie ganz wichtig in ihr Funkgerät in der Jacke wisperten. Haha, die haben bestimmt die besten Fotos aus der Zeit! Irgendwann - davon ist auch ein Foto zu sehen - lud man ein ins Rathaus - "zum Gespräch". Wie man halt so ist im Bergischen. Lange Jahre her, unglaublich, daß damals bereits jemand Farbfotos gemacht hat. Eine spannende Erinnerungsreise in eine noch spannendere Zeit.

Ist aber auch egal. Ihr erlebt ja sicher auch was. (Zu diesem Thema sagt der Kommentar von "Loki" unter den Bildern eigentlich alles, har har.)

Radau | 13:12h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
goetzeclan - Mittwoch, 24. Januar 2007, 15:10
Herr Kid, das ist ja wunderbar. Dann können Sie mir ja vielleicht mal Aufklärung verschaffen, was an der Punkszene so Verklärenswertes war?

Die angegebene Zeit 1979+ habe ich in Köln verbracht. Die Punks da waren typischerweise besoffene, stinkende und total abgerissen-heruntergekommene Wracks die den Protest gegen jeden anders denkenden als Restlebenssinn verstanden, neben dem mal nach London zu kommen, irgendwie, hauptsache umsonst. War es die Musik? War es der organisierte Protest in der kuscheligen Heimat-Irokesenschnitt-Gruppe? Für mich unbedarften 100%-Looser waren die Gestalten die da in der City herumhangen, Domplatte, Hohe-Straße, Neumarkt usw., noch mieser dran als ich.

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kid37 - Mittwoch, 24. Januar 2007, 16:35
"Die Gammelpunx fanden wir damals schon scheiße" (Peter Hein). Über Köln weiß ich nichts, da gab es doch nur BAP? Für mich, als Nachgeborenen stand "Punk" um 1980 herum für Neuanfang, für Weg mit dem Teestubenmief, für kreative Explosion, für einfach machen (und einfachmachen) - etwa so, wie es kurze Zeit darauf die "Geniale Dilettanten"-Szene in Berlin (Neubauten etc.) auf die Spitze trieben. Düsseldorf/Wuppertal war, aus welchen Gründen auch immer, ein Knotenpunkt: Der Plan hatte in Barmen eine Galerie, Fehlfarben Studio und Proberäume dort, DAF übten irgendwo in Gevelsberg oder so... Vielen machten eigene Fanzines am Xerox-Kopierer, gaben "Alle Macht der Super-8", schneiderten Mode (oder Haare) - irgendwas, Hauptsache ZickZack. Über Ddorf, Atatak, Ratinger Hof usw. muß man ja nicht viel neues erzählen. Nee, nur Dosenbier war dat nicht.

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Lu - Donnerstag, 25. Januar 2007, 09:35
hab ich da mein stichwort gehört? :)
DAF übten damals im düsseldorfer hafen in unterbilk, als der düsseldorfer hafen noch der düsseldorfer hafen war, und nicht flaniermeile mit edel-frittenbuden und gehry-bauten.
den rest unterschreibe ich, einfach mal machen war der weg.

(und denke ich an die börse, dann denke ich, wie oft wir uns wohl schon über die füsse tanzten, einst mal.)

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kid37 - Donnerstag, 25. Januar 2007, 12:48
Ja, nachdem man Delgado in Sprockhövel oder Gevelsberg oder wo das war nicht mehr ertragen konnte. Geh ma nach Düsseldorf, Männeken, riefen die da. Der Rest ist Geschichte. ;-)

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Lu - Donnerstag, 25. Januar 2007, 14:44
hihihi! ;-)

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fishy_ - Mittwoch, 24. Januar 2007, 15:18
Ich bin entzückt! Tauche tief, gibt so viel zu sehn... Frankfurt hatte ne Punkszene? Unvorstellbar..
Muss ebenfalls in meinen Bilderkisten mal wühlen gehn...

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kid37 - Mittwoch, 24. Januar 2007, 16:39
"Wir sind auch nicht von Frankfurt her/Wo die Drogenszene alles erschwert..."
(Toten Hosen, "Modestadt Düsseldorf") und hieß das nicht "zerstört"?


Das Archiv ist in den letzten Tagen bereits stark gewachsen, da kommen bestimmt noch weitere Schätze.

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ana - Mittwoch, 24. Januar 2007, 19:13
Hier gab es einmal das selbstverwaltete Komm, zentral neben dem Nürnberger Hauptbahnhof gelegen. Es war ein beständiger und berüchtigter Treffpunkt verschiedener schillernder Jugendkulturen, unter anderem der Punkszene. 1981 geriet es sogar einmal in die Schlagzeilen, weil dort bei einer Massenverhaftung 141 Personen vorübergehend festgenommen wurden. Es kam aber danach zu keiner einzigen rechtskräftigen Verurteilung. Inzwischen hat man es leider durch das eher langweilige Kulturhaus K4 ersetzt. Ich finde es schade, dass eine Großstadt einen Ort, an dem es gegärt und gebrodelt hat und an dem auch viel Fruchtbares entstand, derart ins Etablierte gewandelt hat.

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c17h19no3 - Mittwoch, 24. Januar 2007, 19:39
also von den "schillernden jugendkulturen" hab ich damals nicht viel mitbekommen. man konnte da manchmal gut drogen kaufen. oder sonstwie geld verlieren. *g*
ich hab damals sehr für einen der typen geschwärmt, weil der schon eingesessen war wegen schwerer körperverletzung. also war ich ab und zu mal da. aber die meisten fand ich ziemlich langweilig, genauso konsum- und spaßorientiert wie jeder spießbürger, auf den sie immer geschimpft haben.
die punk ist wie jede andere gruppierung eine schublade mit einigen idealistischen, klugen und kreativen köpfen (siehe musik), aber die jugendlichen in der szene sind meistens völlig ausgebrannte mittelstandskinder mit wenig eigenem kopf und reichlich ausgeprägter tendenz zum gedankenlosen mitläufertum. das gilt für´s komm wie anderswo.

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kid37 - Mittwoch, 24. Januar 2007, 20:33
"Damals"? Frau Morphine, Sie wollen uns jetzt aber nicht weiß machen, Sie seien 1981 bereits auf der Suche nach Drogen und Anschmiegsamkeit durch solche Jugendzentren gelaufen?

Wie ich oben sagte, empfand ich gerade Punk "damals" als keine Schublade: da standen Skins neben Punks, White-Funk-Jüngelchen neben Kunsthochschulausgeflippten. Von Devo bis G.B.H. war alles möglich. Ich subsummiere auch Joy Division et al. darunter. Die elende Ausdifferenzierung und die Schubladen gingen natürlich im selben Augenblick los.

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ana - Mittwoch, 24. Januar 2007, 20:59
Ich kenne einige Künstler, die früher im Komm regelmäßig verkehrten und deren Bilder inzwischen im K4 hängen. Auch in den Bereichen Theater und Musik... waren viele mittlerweile etablierte Menschen ehemalige Kommgänger. Von anderen Kommbesuchern weiß ich aber auch, dass sie mehr oder weniger abgestürzt sind. So eine Szene bietet eben die Entfaltung nach da und dort. Ich war in meiner Jugend übrigens selber nie im Komm, dazu war ich viel zu brav. Aber ich weiß zum Teil, was aus damaligen sporadischen und häufigen Besuchern so um 1981 geworden ist. Vielleicht kenne ich aber überwiegend nur die "Erfolgsgeschichten."

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kid37 - Mittwoch, 24. Januar 2007, 21:15
Ja, es ging in alle Richtungen - nach oben, nach unten. Aber eben auch "horizontal" - kreativ explodierend in alle Richtungen. In einem der letzten SZ-Magazine war ein hübscher Artikel über im Kulturbetrieb arrivierte (Ex-)Punks, der die interessante Frage verfolgt "Warum aber haben ausgerechnet jene Karriere gemacht, die einst von "no future" sprachen?"

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c17h19no3 - Mittwoch, 24. Januar 2007, 21:19
ich hab in sachen punk zunächst mal komm-spezifisch gesprochen. dass sie, herr kid, von punk ein anderes bild haben als ich, das erklärt sich ja von selbst. ich habe den punk als stark ausdifferenzierte bewegung oder vielmehr stillstehende gruppierung kennengelernt. ich spreche jetzt nicht von den künstlern, die "punk machen", sondern von dem phänomen, welches einem auf der straße - z.b. frühers am komm - begegnete.
"damals" war die zeit für mich, als das komm gerade am schließen war. das k4, so wie es jetzt ist, ist ein zentrum für allerlei alternative kunst und kultur. bekannte von mir machen in der disco don´t panic die ein oder andere veranstaltung. das alles hat mit punk nicht mehr so viel zu tun, kann sein, dass man dem nachtrauert. ich tu´s nicht.
vielleicht hab ich das "konzept punk" nie ganz verstanden. es hat sich sicher viel geändert und vermischt und separiert.

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kid37 - Mittwoch, 24. Januar 2007, 21:42
Nicht nachtrauern. Ich leb' doch nicht in der Vergangenheit. That was then and this is now. Was bleibt, ist eine bestimmte Attitüde.

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booldog - Samstag, 27. Januar 2007, 01:35
Tja, damals (tm), liebe Frau Morphine, gab es noch den Kunstverein am alten Ort in der Vorderen Cramergasse(?), mit dem berüchtigten Bretterverschlag-Pißhaus, das im Sommer schon von weitem olfaktorisch wahrzunehmen war, in dem legendäre local bands wie Pilszwoachtzig noch für 4,95 DM Konzerte gaben. Bevor Superhartmut den Kampf schließlich gegen die Stdt verlor. In dem das Pogen wegen der heimtückischen Löcher im Bretterboden und der springerbestiefelt mitpogenden, bis oben zuen Herren Berufspunx noch gemeingefährlich war. Der erste und originale Hemdendienst noch direkt in der Seitengasse neben dem Komm lag und das gute alte Komm noch richtig schön versifft war und im Winter Unsummen an Heizkosten durch das kaputte Dach verschlang. Da kommt der heutige Z-Bau, den ich als abgelegene, wüste Einöde in Erinnerung habe, und alles andere nicht mehr mit. Leider.

(Hachja. Schön wars. Heute kommen mir die Pampers-Punx auf den Straßen von Berlin wie alberne Folkloristen vor, die ich am liebsten schütteln würde und anschreien: "Dead Kennedys? Weißt Du, was das inzwischen für korrupte Arschlöcher sind???" Ich komme mir manchmal so alt vor...)

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astra70 - Mittwoch, 24. Januar 2007, 21:18
Als fast noch Kind hörte man so allerlei Geschichten von den Geschehnissen am Brunnen... Und ging dort mit einer Mischung aus Vorsicht und Neugier vorbei. Und später dann - so mit "19 eben" - gab's den einen oder anderen unvergessenen Abend in der Börse. Ganz phantastisch im Hintergrund der Bilder Geschäfte und Plätze zu erkennen, an die man schon länger nicht gedacht hat. Merci beaucoup, 'Err Kid!

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kid37 - Mittwoch, 24. Januar 2007, 21:46
O je, isch han sie janz verjessen! Ja, diese 19jährigen in der Börse. Womöglich aus Vororten! Ich war auch fast hingerissener von den alten Geschäftsfassaden, man erkennt diese Stadt ja kaum noch wieder. Café Best mit dem besten Ausblick aufs Geschehen.

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astra70 - Donnerstag, 25. Januar 2007, 00:26
Na, hoffentlich nicht ganz ... Ja, Häuserfassaden und Vorstadtdauerwellen sind doch ziemlich vergänglich - dafür hab ich für die gar nicht ferne Zukunft noch eine kleine Überraschung für Sie parat ;)

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kid37 - Donnerstag, 25. Januar 2007, 12:46
Kleine Überraschung? O Gott. Nach 20 Jahren wird mir ein Sohn präsentiert!

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astra70 - Freitag, 26. Januar 2007, 14:37
Ha ha! Herr Kid, Sie alter Fuchs, nicht so laut - Man weiss ja nie, wer hier mitliest. Außerdem ist man mit 17, wie Sie sicherlich wissen, ziemlich sensibel - gerade als MÄDCHEN ...

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maz - Donnerstag, 25. Januar 2007, 00:53
Ich war ein einziges Mal in Wuppertal. Ich war zwölf oder dreizehn und während der Sommerferien in Deutschland bei meinen Eltern. Mein Vater, ein Mann, den alle Deutschtürken respektierten, fuhr mit Ayse, ihrem Mann Ecki, mir und meiner Mutter zu Ayses Eltern. Ayse war wohl eine der ersten Türkinnen, die einen deutschen Mann geheiratet hatte.
Mein Vater wollte sie mit ihren Eltern versöhnen, was keine ungefährliche Sache war. Der Fahrt nach Wuppertal gingen etliche Verhandlungen voraus. Aber mein Vater hatte immer ziemlich dicke Eier. Er ließ sich von niemanden einschüchtern.
Übrigens, diese Ayse war eine ungemein scharfe Braut und schmückte zu der Zeit meine damals noch sehr zarten sexuellen Phantasien.

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karlnagel - Donnerstag, 25. Januar 2007, 08:23
Der Arschiwar schreibt...
Ha - bin hier gerade auf diese Seite gestoßen - ist die Kunde also auch schon bis hierhin vorgedrungen!
Ich persönlich bin nicht scharf darauf, die damaligen Ereignisse zu romantisieren. Das wird auch noch später in meinem IDIOTENKLAVIER deutlich, wo ich ja gerade diverse Erinnerungen abfrühstücke.
Für mich ist die Fotogalerie einfach nur ein Museum, ohne jede Wertung.
Bin jetzt allerdings langsam ans Ende meiner eigenen Möglichkeiten angelangt. Mein eigenes Archiv ist fast komplett online. Und sooooo viele Leute haben sich noch nicht gemeldet, die definitv was beisteuern können oder wolen.
Wäre also schön, wenn Ihr - soweit möglich - mal Eure Keller und Dachböden durchforsten würdet...
Karl

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kid37 - Donnerstag, 25. Januar 2007, 12:44
Ha, ihr Computergammler, nehmt das: Bei Nagels sitzt man schon um 7.23 Uhr am Rechner. Soll noch mal einer was sagen! Ich hoffe, da kommt noch was zusammen. Ums Romantisieren kümmere ich mich dann gerne, ich sehe mich als den letzten Rosamunde-Pilcher-Punk.

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kettenbrecher - Donnerstag, 25. Januar 2007, 13:09
OK, zu der Ayse-Sache fällt mir gerade noch ein... für Ecki nahm die Angelegenheit kein so gutes Ende - naja, sagen wir mal nur halbgutes. Er musste gewisse Konzessionen machen. Und auch alle Bemühungen meines sonst sehr geschickt verhandelnden Vaters konnten nicht ändern... dass Ecki formal zum Islam übertreten musste.
Lediglich ein kleiner chirurgischer Eingriff, diese Beschneidung. Sie traumatisiert wohl nicht allzusehr, sofern man dabei noch ein Kleinkind ist...

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stubenhocker - Donnerstag, 25. Januar 2007, 11:30
Große Entdeckung. Danke!

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kid37 - Donnerstag, 25. Januar 2007, 12:45
Und dann noch die Memoiren. Ich sag nur: CDG!

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k.tastrophe - Donnerstag, 25. Januar 2007, 18:00
"empfand ich gerade Punk "damals" als keine Schublade: da standen Skins neben Punks, White-Funk-Jüngelchen neben Kunsthochschulausgeflippten. Von Devo bis G.B.H"

!.
Deswegen muss man vor bestimmten Menschen z.b. auch nicht erläutern warum Dylan Punk war, bevor es Punk gab.



+ Lang und gut lebe Karl Nagel. (Ist der wirklich aus Wuppertal? Bestimmt ein Kind, das vertauscht wurde und eigentlich Bremer ist.)

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