Reine Autobiographien werden geschrieben: entweder von Nervenkranken,
die immer an ihr Ich gebannt sind, wohin Rousseau mitgehört;
oder von einer derben künstlerischen oder abenteuerlichen Eigenliebe,
wie die des Benvenuto Cellini; oder von gebornen Geschichtsschreibern,
die sich selbst nur Stoff historischer Kunst sind;
oder von Frauen, die auch mit der Nachwelt kokettieren;
oder von sorglichen Gemütern, die vor ihrem Tode
noch das kleinste Stäubchen in Ordnung bringen
möchten, und sich selbst nicht ohne Erläuterungen
aus der Welt gehen lassen können. (Schlegel, 1798.)
Was schreiben wir? Selbstentäußerung. Was suchen wir? Vergebung. Wen finden wir? Komplizen. Der Leser, nie besser oder schlechter als wir, sammelt die Fragmente: "Es steht bei ihm, diese Teile zu sammeln und das Wesen zu bestimmen, das aus ihnen besteht; das Ergebnis soll ein Werk sein; und wenn er sich irrt, so ist der Fehler seine Sache". (Foucault, Schriften zur Literatur, 1988.)
Gestaltete Wirklichkeit, Erdachtes, Erlogenes, heimlich Wahres. Wird Robert Smith eigentlich jeden Abend daheim gefragt: "Was hast du denn Schlimmes erlebt, sag. Du hast heut auf der Bühne so traurig geklungen"? Ich denke, nicht. Ich hoffe es, denn sonst wird Herr Smith wohl mit den Augen rollen und sagen, Schatz (oder was immer er zu Hause so sagt), Schatz, mach dir keine Gedanken, es war nur ein Lied.
Ein Lied, das von irgendwoher kam und keine Quelle mehr kennt und keine Wirklichkeit, sobald es gesungen ist. Nur die Wirklichkeit, den Ort des Vortrags und die Quelle, die Deutung, die andere ihm beimessen.
"In gewisser Weise handelt es sich um eine écriture, in der dem Autor die Aufgabe zufällt, einen vollständigen und wahrhaftigen Bericht seiner seelischen Zustände zu geben, und dem Leser, aus diesem Material das soi zu bestimmen. Diese Figur einer gleichsam arbeitsteilig hergestellten écriture de soi erinnert an die Geschichten, aus denen [...] Mediziner und Psychiater beginnen "Fälle" zu rekonstruieren. Der Patient gesteht, der Arzt diagnostiziert.
(Sabine Maasen, Genealogie der Unmoral, 1998.)
Man schreibt, erzählt, wählt aus, schleift, läßt aus und setzt hinzu. Kurz, man gestaltet. Der eine bewußter, der andere weniger so. Man spinnt fort, strickt einen Faden, läßt ihn fallen, nimmt ihn auf, zerrt ihn hinter sich her durch ein Labyrinth, dessen Ende oder Ausgang niemand kennt. Reden, schreiben, singen: Alles sagen oder alles Sagen?
Und wer dann doch den Ausgang findet? Gejagt vielleicht vom Minotaurus oder gelenkt von der eigenen Rettungsleine, dem Rückholfädchen der furchtlosen Helden? Sie können Ihren Computer jetzt ausschalten.
Dieser Ausgang ist nur der Eingang zu einem anderen Labyrinth.
aus ordnungsliebe und melancholie. und wenn
etwas zu boden fällt, krabbelt es eilig davon,
wie ein insekt, das nicht getötet werden möchte.
nicht jetzt.
Schreiben, Bloggen zudem, ist ein diffiziler Prozeß für Käfer, die manche am liebsten auf Stecknadeln gepiekst sehen würden. Die Diagnosen, die in Blogland täglich gestellt werden, die Wünsche und Träume, die Sehnsucht nach dem Berechenbaren, dem Erkennen und Erkannten, sie malen ein Bild. Ein Abbild. Ceci n'est pas un Person. Personne ici.
(Danke übrigens, daß Sie mir das skurrile Solingen zurück auf den Radar gebracht haben.)
Was The Cure angeht, vertrete ich übrigens eine andere Meinung als Sie: gerade weil in seinen Liedern so viel Authentizität steckt, berühren sie. Nicht Sie, ich weiß.
come into my parlor
said the spider to the fly
heißt es in einem dieser Lieder. Ich bewundere, was Sie in diesem Beitrag gewebt haben, aber - ist es wirklich nur ein Teppich?
Ich mag mich darin nicht verfangen.
Zufälle vielleicht, Anspielungen jedenfalls nicht. In der Tat habe ich kurz gezögert, ehe ich das Wort Fragmente setzte. Ich weiß doch, wie die Addiermaschinen in Blogland rattern. Aber unter anderem darum geht es ja, um die wahnwitzige Exegese kleinster Spuren, die man vergessen hat, unter den Blogteppich zu kehren.
"Ist es wirklich nur ein Teppich?"
Sicherlich nicht. Mein Haus ist ausgekleidet mit den Häuten meiner Träume und den Spinnweben der Vergangenheit. Aber die Bilder und Assemblagen, die ich daraus fertige, sind eben immer nur Abbilder und nie die Sache selbst.