Einige Menschen, höre ich, haben Schwierigkeiten mit dem neuen Film von Regisseur Wong Kar Wai, "2046". Möglicherweise habe er vergessen, beim Regieführen die eine Hand aus der Hosentasche zu nehmen. Möglicherweise hatte er auch eine Dose Ananas geöffnet, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen war.
Hier ein paar Informationen, die das Verständnis hoffentlich erleichtern. Wong Kar Wai, den mir Leute, die vor Jahren nicht mal "Pulp Fiction" buchstabieren konnten, plötzlich wichtigtuerisch als "Quentin Tarantinos Lieblingsregisseur" vorstellen, verfilmte - wie viele Regisseure, die dringend neuen Input brauchen - eine der 5480 bislang unbekannten Stories von Philip K. Dick. Der hatte die Idee von Friedrich Dürrenmatt, aber das nur nebenbei. Jedenfalls ließ Wong Kar Wai den "Chungking Express" wieder von Gleis 1 in den Tunnel brausen.
Die exzellente Kamera stammt, wie stets bei Wong Kar Wai, von Christopher Doyle ("Hero"). "2046", so behauptet der Film zu Beginn, sei ein bestimmtes Jahr in der Zukunft. Oder auch der Titel eines Science-Fiction-Romans aus den 60ern. Oder die Zimmernummer in einem heruntergekommenen Hotel in Hongkong. Mag sein, aber darum geht es ja offensichtlich nicht.
Der Film beschreibt vielmehr die Lebenspanne eines jungen Mannes zwischen seinen frühen Zwanzigern und Mitte 40 in fragmentarischen Ansätzen. Wong Kar Wai, gerade selbst 46 Jahre alt, dürfte diese Daten also bewußt genommen haben. Denn sonst hieße der Film ja 2037 oder 3041. Der junge Tony Leung (gespielt von Clark Gable) eiert als verkrachter Journalist im Hongkong der 60er herum, wo gerade der Film "In The Mood For Love" gedreht wird. Nach Drehschluß trifft er sich mit einigen der Schauspielerinnen aus dem Film (u.a. Ava Gardner, Maureen O'Hara und Audrey Hepburn) in Bars oder dem Hotel, wo er und die Filmcrew wohnen. Clark Gable (also Leung) schreibt dort in sein Blog Pronos oder "moderne Kung-Fu"-Romane, hat Sex mit den Damen aus Zimmer 2046 und bekommt ansonsten nichts gebacken. Bevor die Damen anfangen zu klammern, macht er nämlich lieber auf Rhett Butler und sagt "schönen Dank".
Als er dann 46 ist, will er am liebsten wieder zurück - klar, wer wollte das nicht. Aber niemand, so heißt es, hätte dies je geschafft. Also schreibt euch das hinter die Ohren und gründet rechtzeitig eine Familie ein Blog. Ständig vergleicht er die Frauen mit einer, die er einst zurückließ, aber nicht losließ, und hängt in Kneipen oder Spielcasinos ab, hört Connie Francis oder raucht auf dem Balkon und denkt über die Rente nach.
Drei- oder viermal ist der Film zu Ende, aber nach der ersten Rohfassung, die er in Cannes zeigte, hatte Wong Kar Wai noch Schnipsel gefunden und einfach hinten drangeklebt. Endlich, nachdem unser Held mehrmals sein Geheimnis in ein freudianisches Loch sprechen wollte, hört der Film gerade dann auf, wenn man sich bereits auf das Auftauchen weiterer bekannter Frauengesichter aus Film, Funk und Fernsehen eingerichtet hatte. Keine Rolle mehr für Sophia Loren? Elizabeth Taylor? Nun gut, dann waren die Kleider wohl durch.
Toller Film, tolle Kamera, tolle Farben, tolle Stimmung. Besser aber, man schaue sich noch einmal "In The Mood For Love" (2000) an. Am besten allein.
(2046. Hongkong 2004. Regie: Wong Kar Wai)
- Absicht oder vielsagende Fehlleistung? :)
Ich wollte ja beide Filme im Doppelpack anschauen, allerdings in Gesellschaft. Vielleicht folge ich Ihrem Ratschlag und schaue nur den einen, allein.
"Fuchs" heißt übrigens "Zorro" auf spanisch, lernte ich heute abend vor der Glotze. Was der Mann mit dem Revolver damit zu tun hat, ist mir im Moment noch schleierhaft.
Mein letztes Hotelzimmer war jedenfalls filmreif.
Die Musikauswahl und die Stimmung sind zu sehr auf das Erfolgsrezept von "In the Mood for Love" abgestellt und die gebetsmühlenartigen Wiederholungen bestimmter Sätze ergaben keinen tieferen Sinn.
Dennoch würde ich sagen, daß der Film durchaus sehenswert ist, wenn man auf schön fotographierte Ästhetik steht. Und die midlifecrisisesken Eskapaden des Protagonisten vor dem Hintergrund innerer Leere und des gebrochenen Herzens ergeben im Ganzen dann doch einen Sinn. Zumindest einen konstruierten, denn irgendwie wirkt der Film so herrlich künstlerisch und intellektuell, daß man nach dem Kinobesuch snobistisch das Haar zurückwerfen möchte, weil man filmtechnisch voll im Trend liegt.
2046 hat aber doch eindeutig nichts mit dem Alter des Regisseurs zu tun, denn wenn Sie beim nächsten Mal bei "In the Mood for Love" (der mir persönlich auch viel besser gefallen hat) genau aufpassen, dann werden Sie die Zimmernummer bemerken....
:o)
Bei "In the Mood for Love" müssen Sie mir ein paar "Leerstellen" nachsehen. Ich sah den Film damals nicht allein und wurde abgelenkt. Vielleicht war das jetzt auch das Problem mit "2046".
Und natürlich sehe ich Ihnen jegliche Leerstelle nach, schließlich wäre es Ihnen ein Leichtes, die meinigen schmählich zu entlarven.
Bildband ist eine sehr schöne Idee....
Nur, warum lassen Sie sich im Kino von Begleitungen ablenken? Wer mich ablenkt, bekommt Ärger mit mir, schließlich bin ich Kino/Konzert-Quatschbackenhasserin...
Aber sehen Sie ihn sich gerne nochmal alleine an, dann kann man so richtig in Rührung versinken angesichts dieser züchtigen Liebe *schmelz* ;o)
(Und besonders bin ich auf seine Verfilmung von Tristram Shandy gespannt. Eines der schönsten Bücher überhaupt.)
Aber eben schön.
Schau auch mal vorbei: http://feuerqualle.blogg.de
Und empfiehl uns weiter!
Grüsse, Lila
trotzdem finde ich den link etwas gewagt. aber mag schon sein.
den film fand ich übrigens sehr schön. die moral von der geschichte ging etwas an mir vorbei, weil ich etwa eine halbe stunde lang dachte, das sei jetzt gerade die schluss-szene. und mir erst nach dem film alles zusammenreimen wolte. was dann nicht mehr gelang. schön schade.
Mit gewagten Assoziationen verdiene ich mein Geld. Muß alles frei fließen, dann schnell festnageln. Ist eben alles fragmentarisch-dissoziativ hier.