Gestern war ich bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Eigentlich bin ich ja selbständig, aber zu klären gab es dennoch was: Rentenjahre.
Ein eher düsteres Kapitel in meinem unsteten Leben, das nach dem Motto geht
et hätt noch immer jut jejange. Passenderweise ließ ich ein wenig Sturzregen auf Hamburg herniederprasseln, damit auch alle Beteiligten in die richtige Stimmung versetzt wären, wenn sie meines Falles ansichtig würden. Meine Sachbearbeiterin, eine freundliche jüngere Dame (in meinem Alter sind bald alle Damen jüngere Damen), tat dann auch sehr gefaßt. Ihr Stirnrunzeln aber grub sich zusehends tiefer in ihre ansehnliche Gesichtshaut. Erst dachte sie, bei meinen Beitragszahlungen sei die Kommastelle nach vorne gerutscht, dann aber merkte sie, daß für wohlwollende Späße nicht der richtige Anlaß war.
Ich gehöre ja zu den sogenannten Geburtenstarken Jahrgängen™. Mit dieser angeblich rein rational-demographischen Umschreibung ist gemeint, daß wir alle im Arsch sind. Und im Weg. So grob mal für die letzten 35 Jahre gesprochen. Die Geburtenstarken lösten die Halbstarken der 50er Jahre als gesellschaftliches Phänomen ab und haben ein eher schlichtes Distinktionsmerkmal:
Wir waren immer zuviele.
Ob im Kindergarten oder in der Grundschule, es balgten sich immer zuviele Bälger (oder Blagen, wie das bei uns hieß) um die wenigen Plätze. Ich weiß, heute heißt das Kita und ist alles ganz schlimm, aber sorry, DAMALS™ war schlimmer. Neulich las ich es noch einmal in der Schulzeitung meines Gymnasiums: Es gab damals fünf fünfte Klassen - mit jeweils 40 Schülern. Nur mal so zum Vergleich. Als Knirps war ich bei der Kinderärztin. Tja, meinte die gutmütige Matrone vertraulich zu Mutter Kid. Der wird es später schwer haben. In dieser Generation gibt es einen großen Männerüberschuß.
Früher half dagegen Krieg, aber der wurde gerade abgeschafft. Vollgepumpt mit Napalmbildern und ewigen Wohlstandsversprechen schlug ich mich ein wenig verträumt durch überfüllte Klassen, mit selbstherrlichen 68er- und faschistoiden Altfaschistenlehrern, nymphomanen Deutschlehrerinnen und doppeltrechtsgewendeten DDR-Lehrern (die anscheinend alle an unserer Schule landeten, was in mir später den Wunsch weckte, die DDR mal wirklich kennenzulernen. So mit Ost-West-Beziehung und so.) Trotz Männerüberschuß knutschte ich irgendwann mit einer 14-jährigen deutlich übersexualisierten Blondine (Hallo Gugel, war alles legal!) und durfte auch einer anderen blonden unter den Pullover fassen. (Später stellte sich heraus, daß ich eigentlich auf schwarz- oder rothaarige geprägt bin, aber das ist jetzt sowieso nicht das Thema.)
Dann gab es kurz mal Rebellion für alle, ich beschloß, von nun an immer Schwarz zu tragen, so lange nicht der letzte Indianer zu seinem Recht gekommen ist, dann kam dieser Dings und mit ihm die Generation Jetta. Im Gefolge - und nun zurück zum Thema - dieser fröhliche Kurzgewachsene, der bei jeder Gelegenheit krähte: "Die Rente ist sicher!"
Klaropan, dachten wir. DEINE Rente ist sicher, sonst aber mal gar nix. Denn wir sind viele, und die werden nicht alle satt. Zum Abitur gab uns unser Direktor in unverblümter Weitsicht mit auf den Weg: "Euch braucht keiner, ihr seid zu viele." Ja, liebe Montagsdemonstranten. So war das. Da wurde nicht groß gekuschelt. Uns Bombenlegern war das aber egal, weil wir nach der Schule nicht nur Häuser besetzten und ganz schön im Recht waren, sondern auch der festen, antrainierten Überzeugung, daß bald eh alles, na was, im Arsch ist. "Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei." (DAF/Fehlfarben, "Kebap-Träume".) Und wir dazu. Wegen Atom natürlich. Gorleben, Zaunanlagen gucken, DDR-Grenzschutzboote (schon wieder die!), Bonn, Hofgarten, diese Sachen. Kennt ihr ja alles. Live fast, die young, und bald wäre ich echt ein wenig hops gegangen, das ging aber nur bis zur Intensivstation.
Das wiederum war nun von Vorteil. Denn wie mir meine freundliche Sachbearbeiterin gestern erklärte, könnten Krankheitszeiten sich noch strafmildernd auf meine LebensRentenerwartung auswirken. Also dreifuffzig mehr. Mark oder Lira oder was wir dann haben werden. Ansonsten schüttelte sie immer wieder den Kopf, während wir uns durch Tage und Jahre meiner kleinen Geschichte bewegten. Wo waren Sie denn 1990? Wie jetzt? Na, vor der Wiedervereinigung? (Die schon wieder!) Nü, ich bin gelernter Besserwessi.
Ach so, meinte sie, und Studienzeiten zählen ja auch nicht mehr. Und davon haben Sie leider viele. Macht nichts, sagte ich. Dafür verdienen wir Akademiker ja alle ein irres Geld. Und dann lachten wir beide ein wenig dreckig. Und dann wurde sie wieder ein wenig traurig, als sie auf meine Zahlen blickte. Ja, meinte sie. Nach der Wende wurde ja auch viel in den Osten transferriert. Ist ja klar, daß der Topf mal leer sein würde. Versicherungsfremde Leistungen und so. Na klar, meinte ich. Stasi-Jahre sind doch sicher Ausfallzeiten. So ein alter Spion, der braucht doch auch Rente. Ham die Nazis hier ja auch. Da werf ich meine Studienzeiten gerne in den Topf. Wieder schüttelte sie betrübt den Kopf.
Die Zeiten in der Legion zählen natürlich ebenfalls nicht. Die ganzen Liegestütze über aufgestellten Klappmessern - umsonst. Ja, wenn ich als Altnazi nach Argentinien gegangen wäre! Da gebe es ein Abkommen, meinte sie. Oder als Steuerhinterzieher nach Kanada, ja dann! Wieder senkte sie den Kopf und starrte ungläubig auf meine Zahlen. Deshalb besitze ich ja auch nur Bücher, erzählte ich freimütig. Denn Bücher sind nicht pfändbar. Noch. Wer weiß, was denen noch einfällt. Bücher sind ja brennbar. Gutes Heizmaterial, wenn man so will. Insofern ein Vermögen, ein geldwerter Vorteil oder wie das in der Sprache der BWLer heißt. Die werden vielleicht noch eingezogen. Sie zog fröstelnd die Schultern hoch.
Wissen Sie, meinte ich, auf meine tröstende Art. Sie sind noch jung. Sie können sich noch absichern. Sie müssen auch nicht so Lehrerparteien wählen, die im Grünen wohnen und von ihrer pofig abgesicherten Position auf andere schließen. Für Sie ist doch Altersarmut kein Thema!
Dankbar und ein wenig beruhigt schaute sie mich an.
Sehen Sie, fuhr ich fort. Ich stelle mir das ja so vor. Wir - die ganzen vielen, die zuvielen - werden später nach Mecklenburg verkarrt mit dem Mehdorn seine Transporter und dann geht es in so ein altes Stasi-Heim. Da stehen dann links so zwanzig angerostete Eisenbetten und rechts so zwanzig angerostete Eisenbetten (alte NVA-Bestände). Da liegen dann vierzig hustende alte Männer mit Dauerkatheter und dann kommt Lagerschwester Gerda mit der Suppenkelle und hat für jeden noch einen Blechnapf dünner Suppe. 20.30 Uhr Licht aus und fertig. Traurig und ein wenig entsetzt blickte sie mich an, und ich sah ihre Augen feucht werden.
Nun kann ich ja keine Frauen weinen sehen, ohne nicht gleich mitzuheulen, weil ich als Matrose nahe am Wasser gebaut habe und gleich immer so ergriffen bin von allem. Und so weinten wir ein wenig, aber still. Dann riß sie sich als erste zusammen, weil sie solche Geschichten ja nun täglich erlebt. Sie fülle das jetzt mal aus, sagte sie etwas gefaßter. Und dann geht das nach Cottbus. (Schon wieder die!) Gehen Sie eigentlich auf die Montagsdemo?
Noch nicht, gute Frau. Ich habe einen Tip von Herrn Semmel. Ich trage auch immer eine Kapsel Salatdressing von McDonalds unter der Zunge. Wenn es soweit ist, mache ich es wie Tommi Stumpf.
Mich kriegt ihr nicht.
Sehr ergreifend, Ihr gestriger Tag. Da bleibt doch fast nur im Lotto gewinnen oder doch noch Pamela Anderson abschleppen und ehelichen ;)
(Ich sehe gerade, der Beitrag ist mir etwas länglich geraten. Hätte man vielleicht besser brutal mit Musik abgewürgt. Nun denn.)
(und *flööt*: Aber nein, Herr kid, wo denken Sie denn hin? Der geneigte Leser folgt doch nur zu gern Ihren mäandernden Gedankengängen bis hin zum finalen Mich kriegt ihr nicht!)
Aber naja... auch dieser Tag wird an meiner doch recht ähnlichen Situation nix ändern. Was soll's?
Gute Laune behalten!
Habe ich schon erwähnt, daß ich rothaarig bin? Und mal die eine oder andere Eigentumswohnung erben werde?
Aber jetzt mache ich Ihnen wahrscheinlich Angst.
Im Übrigen war das ein sehr guter Text, hab mich königlich amüsiert. Den Terz mit der Bundesanstalt habe ich vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls mitgemacht, dabei kam raus, dass ich im Alter am besten in irgend ein Billig-Land auswandern sollte.
Ich liebäugele mit Indien oder einem afrikanischem Ministaat. Für die Karibik wird´s nicht reichen. Es sei denn, ich mache nebenberuflich einen auf Wirbelsturmberater...
Viele Grüße
Jeremin
@Jeremin: Bleiben Sie mal in der Nähe. Mecklenburg wird dann das Billig-Land sein. Ist hübsch dort. Notfalls kommen wir alle nach Prora.
@Frau Fragmente: Ich muß Ihnen leider bescheiden, daß mir Frauen unter 30 nicht mehr ins Haus kommen. Eine Ausnahme mache ich nur für die beiden japanischen Zwillingskrankenschwestern, die ich mir von meiner Ortskrankenkasse genehmigen lassen will (Zivis sind ja nicht mehr zu bekommen). Rote Haare sind allerdings der Kracher, vielleicht warten wir mal drei Jahre ab.
Und auf Eigentumswohnungen stehe ich natürlich total. Da könnte ich nach der großen Wäsche immer so Eigentümerversammlungen organisieren, das wäre bestimmt was für mich. Aber "die ein oder andere"? Führen Sie dann ein Doppelleben? Sie haben bestimmt mehrere Alteisen im Feuer.
In punkto Nachwuchs mag es in mehrfacher Hinsicht nicht das Verkehrteste sein, aber das steht bei Ihnen denke ich zur Zeit eher nicht zur Debatte (stand es bei mir allerdings auch nicht ) ...
Und "nichts unter 30" ist heutzutage auch keine Garantie mehr. Nehmse 35, is besser ... (Btw.: die beste und längste Liäson, die ich je hatte, war mit einer Frau, die, als ich sie kennenlernte, 43 war. Ich war 27 ... Ging 7 Jahre gut. Hamburgerin übrigens.) (Zusätzliche Rentenansprüche hab ich mir dadurch aber auch nicht erworben ;-) ).
Wenn ich mir ihren Nachwuchs so anschaue, scheint es echt nicht das Verkehrteste. Der ist erst ein Jahr und noch was? Der kregelt doch schon richtig auf zwei Beinen rum. Süß.
Nein, paarungswillige Damen wurden hier schon länger nicht mehr gesichtet. Das liegt sicher auch an der soliden Zugbrücke, die das Hermetische Café nach vorne und dem tiefen Kanal, der nach hinten absichert. Ich habe auch nur ein Bett, das grad mal einen Meter breit ist. Das ist doch Aussage genug. Und jetzt kommen Sie mir nicht mit Küchentisch. Meinen alten Tisch habe ich mir jetzt, weil ich Besuch erwarte, gerade erst aus tiefen Ex-Kellern herausgeholt. Der hält aber nichts Wildes aus. (Auf dem war - Zahlenmystik! - mit Kreide eine große "5" gemalt. Entweder ein Hinweis der Illuminaten oder Kindergeburtstag. Leider kann der Tisch nicht reden.)
So ist das. Und jetzt kommen die kälteren Tage...
um mich schmieden wird sich nur eins. Oder keins.
(Kitschig, ich weiß - aber nicht kokett.)
In ihrem Bett mag kein Platz sein für zwei, aber...
Vielleicht sollte man auf dem Teppich bleiben. Der bietet recht viel Platz.
Jetzt bin ich wieder my usual self : Fische ins Meer werfen, Hunde zurückjagen - es kommen härtere Tage.