Künstler sind keine Eventziermöhrchen
Unter Hamburgs Kreativen zirkuliert dieser Offene Brief, der einige der eklatantesten Fehlentwicklungen der hier sogenannten Kulturpolitik und Stadtentwicklung auf einen spitzen Punkt bringt. "Wir sollen für Ambiente sorgen, für die Aura und den Freizeitwert, ohne den ein urbaner Standort heute nicht mehr global konkurrenzfähig ist", heißt es in dem Widerstandspamphlet gegen die "Markenstadt Hamburg", deren Kulturpolitik in erster Linie Eventsponsoring und in der Stadtentwicklung die Gentrifizierung gewachsener Stadtteile bedeutet, in denen Künstler und Kreative als bunte Alibi-Farbtupfer gerade noch geduldet sind. Neu ist die Erkenntnis nicht. "Hamburg ist das Tor zur Welt", sagte der Hamburger Karl Lagerfeld einmal und setzte trocken nach: "Aber leider nur das Tor." Man sollte dies auch als Mahnung verstehen.
Ich meine, wo sich alles, auch Kultur und soziales Miteinander, kaufmännisch getriebener Wertsteigerungsdenke unterordnen soll, kann die Antwort des angeblichen Aushängeschilds "Kreativszene" tatsächlich nur lauten: "Not in our name, Marke Hamburg!"
via Zentrifugalhafen
>>> Die offzielle Webseite, auf der man auch unterzeichnen kann
>>> Artikel im Abendblatt
Oh. "Publikumswirksame Strategie". Sowas würde OvB natürlich nie einfallen. Und vorher habe sich niemand geäußert? Wie schalldicht ist das Rathaus eigentlich?
dass der Unmut jetzt auch mal jenseits der Stadtgrenze hörbar wird. Denn da draußen, bei den Stadtmarketing-Checkern im Lande wurde die Marke Hamburg ja lange als best-practice-Beispiel herumgereicht.
Schade, dass sich der Protest erst jetzt so deutlich artikuliert. Ich habe Ende August für eine Werbefachzeitschrift einen Artikel über den Standortwettbewerb der Kreativmetropolen geschrieben, der erst jetzt erschienen ist - und diese Facette hätte die Geschichte doch um einiges runder gemacht.
Gegen den Sog von beispielsweise Berlin kommt Hamburg natürlich schlecht an. Die haben dort die EU-Subventionsmillionen, keine Hemmungen, werben radikal alles ab, was in anderen Städten nicht bei drei auf dem Fördertopfbaum ist, und machen dort wirklich das Beste aus den Brachflächen. Ich weiß nicht, ob man das anerkennen muß, neidlos gar. Aber so ist der Wettbewerb. Dem wurde schon unter der alten SPD-Regierung hier nichts entgegengesetzt, man suhlt und sonnt sich hier recht behäbig & eher selbstgefällig im alten, gut abgehangenen Glanz. Das rächt sich mehr und mehr. Die jungen Kreativen wandern woanders hin, alte Säcke wie ich gehen zum Subventionstheater und/oder beginnen eine Trinkerkarriere.
Das deckt sich weitgehend mit dem, was ich so höre. Wobei es sich im Beritt der Werbung, den ich hauptsächlich im Fokus habe, nicht ganz so dramatisch darstellt. Die großen Agenturen sitzen nach wie vor meistens dort, wo auch die großen Kundenetats locken. Und da siehts in Berlin nach wie vor recht mau aus. Aber die Jungtalente, die stört das in der Tat wenig, die wollen dahin, weils halt subkulturell brummt. So ist es wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit, bis die saturierten Standorte wie Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg den "brain drain" tatsächlich spüren.
Für mich war der Warnschuß damals der Wegzug von MTV und die borniert-lässige Reaktion des damaligen SPD-Wirtschaftssenators. Der hat gar nicht begriffen, wie viele Zuarbeiter und Freie und Kreative an solchen Dingen dranhängen, welche Signalwirkung so was hat, und sprach sinngemäß von "nur" hundert Arbeitsplätzen - und der NDR sei schließlich noch da.
Dass MTV mal in Hamburg war, hatte ich schon gar nicht mehr so richtig präsent. Deutlicher ist mir in Erinnerung geblieben, dass München den Sender auch nicht dauerhaft halten konnte.
Der ist ja auch zum vergessen. Das waren die, die immer einen auf Engagement, Jugendkultur und Bewußtsein machten, aber zu feige waren, dieses
Video unzensiert zu zeigen. (Die Mutterstation jedenfalls.)
aus heutiger Sicht könnte man tatsächlich zu dem Schluss kommen, dass an dem Sender (oder eigentlich an der ganzen hiesigen Viacom-Franchise-Filiale) gar nicht mehr so viel dranhängt, was man jetzt mit Macht in der eigenen Gemarkung halten müsste. Die Zeiten, als sich Hamburg oder München damit noch schücken konnten, sind auch schon ein paar Jahre vorbei. Ich hatte voriges Jahr an einer redaktionellen Beilage von denen in der Werbefachpresse mitgeschrieben, und eines der heißeren Themen war, dass Viva sein Sortiment kalter Kaffee-Getränke in Dosen jetzt so richtig groß vermarkten will. Need I say more?
Nö. Ich bin ja nun wirklich gut im Aufwärmen. Aber kalten Kaffee sollte man wirklich stehen lassen.
Gefällt mir. Danke für den Link. Ich war auch artig und mit Kämpferherz in der Hand habe ich gezeichnet. Fraglich, ob die Blogger als Beruf anerkennen?
Und ein Gedanke noch: Wie kreativ kann man sein, wenn man sich einem Markenkern unterordnen muss? Gar nicht, will ich meinen.
Es ist eben sehr kaufmännisch gedacht. (Weshalb bei diesem unsäglichen Subvision-Festival in der Hafencity die Kunst auch in Handelscontainern gezeigt wurde.) Stadt und Kultur sind aber mehr als das.
Ja, schwierige Frage... kreativ ist auch oft der Landwirt:
weiß der Bauer kein´Rat - nimmt er Kordel und Draht...
Daß er sich mal keinen Strick draus dreht...
That's telling them, Jack. Sehr gut, dass jemand sich die Mühe macht, auch wenn's einen immer mal wieder ans Müllrausbringen erinnert: Einer muss es ja machen. Meine eigene Formulierungsfreude lässt in solchen Zusammenhängen gelegentlich zu wünschen übrig, es reicht da oft nur zu einem "Würg!"
Seit der Besetzung des Gängeviertels hat das Thema endlich eine Öffentlichkeit gefunden, so daß die Kontroverse nicht wieder einmal einfach zu überhören ist. Immerhin.
Nachtrag: Artikel im
Spon.
Das
Blog zum Offenen Brief.