Donnerstag, 12. November 2009


Die Stadt & das Meer



Mein Vater hat mir immer gesagt, nichts hat Bedeutung, wenn man es nicht veröffentlichen kann. Aber die Dinge hatten sich geändert. Vince hatte bei unserem ersten Gespräch gesagt, es sei in Mode, sich selbst in die Story mit einzubauen. Allmählich stellte sich die Frage, wie weit ich gehen wollte.

(aus: Wahre Lügen. Regie: Atom Egoyan. Kan./GB 2005.)

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Does she ever feel she exposes too much of herself? "You have to, otherwise the work isn't honest," she says. Die BBC über Tracey Emin.

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This is kind of about you.
This is kind of about me.
We just kind of lost our way.


(PJ Harvey, "We Float")

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An die Diebstähle denken. Die Bücher, die Schallplatten, die Gedanken und Ideen. Was hat man sich nicht alles angeeignet, in dem einen oder anderen brotlosen Jahr. Alkohol von irgendwelchen Partys mitgenommen, grußlos gegangen, raus in eine andere Kälte, irgendetwas albernes getan, einen fremden Namen in den Schnee gepinkelt, ein sorgloses Leben gestohlen, eine adaptierte Biografie. Am Ende sogar mit allen Lügen, die ich übernahm und dabei nicht einmal verstand. Oben auf dem Hang stehen, hinunterschauen auf die Lichter der Stadt, die schmerzenden Beine ausstrecken, weil man so schnell gelaufen war. Die schmerzenden Arme herunterhängen lassen, weil man einander so lange festgehalten hatte.

Diebe wie wir also. Mit gestohlener Zeit und Vorstellungen, die sich aus Büchern nährten, Kinofilmen, banalen Schlagern. Sonnenbrillen, die man unbedingt nachts tragen mußte, halbverdaute Zitate auf den Lippen, seltsame Zigaretten, die man teilte, in der Mitte brach, dabei blind blieb in voller Absicht, eine Witterung aufnahm, aber nicht weiterging. Wie wir eine zeitlang warteten, schweigend, und dann beschlossen weiterzugehen.

Im Dunkeln tasteten wir uns den Abhang wieder hinunter, den Lichtern entgegen und einer Ahnung von der nächsten Straße. Durch Buschwerk hindurch, erst kichernd, dann nervöser, es war ja kein Ende zu sehen, keine Hand mehr zu fühlen. Ich sagte, Amerika liegt dort drüben, zeigte dabei irgendwohin, deine Antwort konnte ich nicht hören oder habe sie nicht verstanden. Vielleicht hast du auch schon nicht mehr mit mir gesprochen.

Wenn man sich irgendwann kein neues Leben mehr stehlen kann, muß man wohl sein eigenes leben. Was fehlt, mieten sich die einen stundenweise, vermieten die, die es übrig haben, manchmal zieht man es sterbend noch an Land, von irgendwelchen Ufern, entkorkt sich und diesen Gestrandeten eine Flasche Wein, singt eines dieser alten Lieder, kippt sich die Neige einer weiteren Zukunft beinahe über den Kragen, einer steht auf, kräht, "immer weitermachen", ich rufe, "Maul halten oder Straßenkampf", alle lachen, man streicht ein paar Sätze prostet sich zu, und ich lausche, inhaliere, merke mir alles - Geduld, Geduld - und schreibe es irgendwann auf.

Aber nicht hier.

>>> Geräusch des Tages: PJ Harvey, We Float.